Demetia – 3. Oktober
Ich sehe Dimitri erwartungsvoll an, aber auch voller Sorge. Ich habe ich gerade gesehen, wie viel Angst ihm das gemacht, hat, was er gesehen haben muss. Deshalb habe ich ihn ja geweckt.
„Ich habe das Kind der Luft gehört“, sagt Dimitri, setzt sich auf und streift Erde von seiner Kleidung. „Aber es hat mir Angst gemacht.“
„Wieso?“, frage ich.
„Es war so kalt. Luft ist sehr kalt, Demetia“, sagt Dimitri und umschlingt seinen Oberkörper mit den Armen.
Ich nicke. Auch ich habe das Kind der Luft gespürt, wenn auch nur durch Dimitri, als ich ihn geweckt habe: „Ich habe seine Energie gesehen. Dunkel, fast schwarz. Aber wir müssen zu ihm, Dimitri.“
Mein kleiner Bruder nickt: „Die anderen Kinder sind noch nicht wach. Sie haben ihre Fähigkeiten nicht entdeckt. Das Kind der Luft dagegen ist wach, und es ist schon lange wach. Er ist mächtig.“
Ich sehe Dimitri an, wie er zittert und meinen Blick ganz elend erwidert.
„Vielleicht … vielleicht sollten wir zu den anderen Kindern“, schlage ich vor. „Und ihnen die Wahrheit sagen. Damit sie schneller aufwachen. Und damit sie nicht die gleichen Fehler machen wie wir.“
Dimitri schüttelt den Kopf: „Dazu sind wir nicht in der Lage. Sie würden uns nicht glauben. Sie müssen ihre Mächte von selbst erkennen. Aber dann können wir ihnen helfen.“
Ich nicke: „Das ist doch ein Plan. Dann müssen wir nicht jetzt mit dem Kind der Luft reden.“
Dimitri sieht erleichtert aus. Ich kann sehen, wie viel Angst er vor dem Sturmkind hat. So viel Angst, dass er lieber einen Umweg geht, als auf das Kind zu zu gehen.
„Weißt du denn, welches Kind als nächstes erwacht?“
Dimitri schüttelt den Kopf und meint dann: „Aber ein Kind ist ganz in der Nähe. Ich glaube, ein Kind des Feuers. Naja, in der Nähe heißt, in Finnland. Wir müssen zur Grenze und uns dann heimlich darüber schmuggeln.“
Ich nicke langsam: „Das wird schwierig. Aber wir kriegen das hin, nicht wahr?“
Dimitri nickt und lächelt zaghaft: „Das Sturmkind ist zur Zeit in Russland. Aber wir können ihm entgehen, denke ich. Er scheint uns nicht zu mögen, aber ich glaube nicht, dass er uns angreifen wird, wenn wir fliehen.“
Ich würde gerne etwas dazu sagen, dass wir jetzt vor den Kindern fliehen, mit denen wir uns eigentlich verbünden sollen. Doch ich schweige. Immerhin habe ich auch den Hass gespürt, den dieser Mensch hegt.
„Komm, wir checken aus“, schlage ich vor. „Vielleicht können wir uns auf einen Zug schleichen, der in Richtung Finnland fährt. In Nullkommanichts sind wir hier weg.“
Die Aussicht scheint Dimitri zu gefallen und er springt vom Bett auf. Dann sieht er sich im Zimmer um: „Sollen wir einfach so gehen?“
Ich schnaube: „Wir lassen das so unordentlich, wie es ist. Geschieht dem Typ recht. Uns so viel Geld für diese Bruchbude abzuknöpfen!“
Wir haben ja erledigt, was wir in der Stadt tun wollten. Die Menschen wissen von der Notlage des Waisenhauses, es wurden bereits Spenden gesammelt und Krankenwagen sind unterwegs. Anuschka und Max hatten nicht ganz die schlagkräftigen Argumente, die wir zwei Zwillinge der Erde haben konnten.
Doch das Waisenhaus liegt hinter uns.
Immerhin wissen wir jetzt, dass es wichtigere Dinge gibt – eine Aufgabe, die wir erfüllen müssen.
Hoffentlich sind nicht alle Kinder der Elemente so gestört wie dieser Sturmtyp.
Wir verlassen das Zimmer, die Erde noch überall im Raum verteilt. Ich habe noch für eine Nacht im Voraus bezahlt, aber wir gehen nicht zu dem Besitzer, um unser Geld abzuholen. Zwei Kinder alleine unterwegs sind sehr auffällig, da schleichen wir uns lieber heimlich nach draußen, bevor noch die Polizei über uns informiert wird.
Angeblich werden in der Stadt elternlose Kinder abgeknallt wie streunende Hunde. Nun, diese Hunde können sich wehren!
So ziehen wir los, um in Finnland das Kind des Feuers zu suchen.