Hermine.
Ich kann nicht glauben, wie unfassbar dumm ihr seid. Da seid ihr für Wochen und Monate nicht auffindbar, und dann plötzlich entgeht ihr zweimal nur knapp den Todessern? Was hattet ihr in Godric's Hollow zu suchen? Und wer kam auf die bescheuerte Idee, Lovegood zu besuchen? Was wolltet ihr überhaupt von ihm? Jeder weiß doch, dass er ein verrückter alter Mann ist. Und dass seine Tochter entführt wurde. Bekommt ihr wirklich gar nichts mehr mit? Oder wollt ihr euch fangen lassen? Ich verstehe nicht, wie ihr so dämlich sein konntet.
Ich wette, es war Potters Idee. Er war ja in Hogwarts schon immer gut mit Loony Lovegood befreundet. Aber wozu hat er dich? Kannst du ihm nicht seine Dummheit ausreden? Was wolltet ihr bei ihm?
Ich kann nicht glauben, dass ihr es da lebend rausgeschafft habt. Mein Vater hat mir geschrieben, dass mehrere Todesser geschickt wurden, um euch zu greifen. Ihr müsst verdammt noch mal vorsichtiger sein!
Wenn ihr gefasst werdet ... Hermine, ich weiß nicht, was ich dann tun soll. Mein Zuhause ist Sammelpunkt für alle möglichen Todesser, seit Du-weißt-schon-wer bei uns eingezogen ist. Wenn sie euch fassen, dann bringt man euch zu uns. Was soll ich dann tun? Was soll ich tun?
Zitternd legte Draco die Schreibfeder weg. Er war kaum aus den Weihnachtsferien nach Hogwarts zurückgekehrt, da hatte er von seinem Vater in einem Brief erfahren, dass Selwyn und Travers ganz dicht dran gewesen wären, Potter zu schnappen. Und Hermine war bei ihm gewesen. Sie waren nur zu zweit, weil Weasley angeblich krank im Bett lag, aber Draco wusste, dass das eine Lüge war. Warum war Weasley nicht bei ihnen gewesen? Sowohl in Godric's Hollow als auch bei Lovegood hatte man Potter nur in Begleitung eines Mädchen gesehen. Und warum waren sie überhaupt zu Lovegood gegangen? Godric's Hollow konnte er vielleicht noch verstehen, aber einen verrückten Zauberer zu besuchen?
Wie so oft zuvor entzündete Draco mit einem Schwenk seines Stabes das Pergament. Er wusste gar nicht mehr, wie viele Briefe er inzwischen schon an Hermine geschrieben hatte, die anschließend in Flammen aufgegangen waren.
Er wusste wirklich nicht, was er tun würde, wenn Hermine als Gefangene zum malfoy'schen Anwesen gebracht wurde. Er wünschte, er könnte mit absoluter Gewissheit sagen, dass er sie befreien würde, doch er spürte, dass er sich nicht sicher war. Er hatte Angst. Viel zu große Angst.
Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass dieser Fall nie eintreten würde.
***
„Ich hab ihm gesagt, dass es ein Erumpent-Horn war!", schrie Hermine, während sie die Schutzzauber sprach: „Ich habe ihn gewarnt und jetzt ist sein Haus in die Luft geflogen!"
„Vergiss Lovegood!", kam es kalt von Ron: „Der hat es nicht besser verdient. Er hat uns eiskalt ausgeliefert."
Mit einem letzten Schwenken ihres Zauberstabes beendete Hermine ihre Runde um den Platz, an dem sie ihr Zelt aufstellen würden. Sie schüttelte den Kopf: „Mr. Lovegood ist auf unserer Seite, aber wenn sie Luna entführt haben, dann verstehe ich ihn."
„Ich nicht", sagte Harry knapp, während er das Zelt aufbaute.
Grimmig presste Hermine die Lippen zusammen. Natürlich würde Harry niemals verstehen, dass irgendjemand ihn an Voldemort ausliefern würde. Sie selbst verzieh Lovegood seine Taten auch nicht, aber sie konnte es zumindest verstehen. Sie sorgte sich selbst um Luna, nachdem ihnen klargeworden war, dass sie den Todessern in die Hände gefallen war.
Nachdem das Zelt stand und sie alle mit einer Tasse Tee wieder Wärme in ihre durchgefrorenen Glieder gebracht hatten, gab Hermine ihren Fehler offen zu: „Wir hätte niemals hingehen sollen. Ich weiß gar nicht, warum ich dachte, dass ausgerechnet Mr. Lovegood uns helfen würde."
„Aber jetzt wissen wir über die Heiligtümer des Todes Bescheid", wandte Harry ein: „Ich finde, das bringt uns viel weiter."
Genervt rollte Hermine mit den Augen: „Die Heiligtümer existieren nicht, Harry. Das ist ein Märchen, mehr nicht."
„Aber mindestens eines existiert wohl!", widersprach Ron und hielt Harrys Tarnumhang hoch: „Hier, der Umhang!"
„Das ist einfach nur ein Tarnumhang", sagte sie betont.
Ihr Blick fiel auf Harry, der mal wieder den Schwarzdornzauberstab in den Fingern hielt, als wäre es eine abstoßende Kreatur. Sie ahnte, was er als nächstes sagen würde. Seine Stimme klang nachdenklich: „Ein unbesiegbarer Zauberstab wäre schon ziemlich nützlich für uns, oder nicht?"
Hermine fragte sich, ob Harry ihr jemals verzeihen würde, dass sein Zauberstab durch ihre Unachtsamkeit kaputt gegangen war. Schweigen breitete sich über ihnen aus. Es war offensichtlich, dass Harry die Geschichte von den Heiligtümern unbedingt glauben wollte, ebenso wie offensichtlich war, dass Ron tatsächlich dachte, sie wäre wahr.
Entschlossen, die beiden Jungs vom Gegenteil zu überzeugen, zog sie eines der Bücher aus ihrem Beutel: „Hier. Das ist eine Genealogie der Zauberer. Ich habe da nach Peverell gesucht, nachdem wir ihn auf dem Friedhof gefunden haben. Die Peverells waren eine der ersten Familien, die ausgestorben sind. Wenn die Heiligtümer existierten und die drei Brüder sie wirklich besessen haben, wären sie dann ausgestorben?"
Ron öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch offenbar fiel auch ihm dazu kein geeigneter Einwand mehr ein. Triumphierend schaute Hermine zu Harry, doch der blickte sie gar nicht an. Stattdessen starrte er wie weggetreten in die Ferne.
„Vorlost Gaunt!", rief er plötzlich aus.
„Was?"
„Vorlost Gaunt! Der Großvater von Ihr-wisst-schon-wem! Im Denkarium bei Dumbledore habe ich ihn gesehen. Er behauptet, von Peverell abzustammen!"
Unsicher schaute Hermine zu Ron. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Harry schon einmal davon erzählt hatte, und sie verstand auch nicht, was Vorlost Gaunt mit den Heiligtümern zu tun haben sollte.
„Der Ring!", erklärte Harry eindringlich: „Der Ring, der zum Horkrux wurde. Gaunt hat behauptet, dass darauf das Wappen der Peverells sei. Er hat versucht, irgend so einen Ministeriumsmitarbeiter damit zu beeindrucken."
Hermine wusste nicht, was sie von der Geschichte halten sollte. Dachte Harry sich das gerade aus, um sie von der Existenz der Heiligtümer zu überzeugen? Scharf hakte sie nach: „Wie sah das Wappen denn aus?"
Endlich schaute Harry sie direkt an: „Ich habe es damals nur für ein paar Kratzer gehalten, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke ..."
„Mensch ... du meinst, da war auch das Zeichen drauf? Das Zeichen der Heiligtümer des Todes?", fragte Ron in offensichtlicher Verblüffung nach.
Während Ron und Harry weiter über die Ähnlichkeit redeten, klappte Hermine erneut das Buch auf. Laut den Aufzeichnungen waren die Peverells ausgestorben. Wie konnte da jemand mit Namen Vorlost Gaunt behaupten, deren Nachkomme zu sein? Schnell blätterte sie zu der Seite, wo die Namen der ausgestorbenen Zaubererfamilien aufgeführt waren. In männlicher Linie ausgestorben. Natürlich. Die altertümliche Zauberergesellschaft würde sich natürlich nicht darum kümmern, weibliche Nachkommen zu verfolgen. Wer wusste, ob es nicht Töchter gab, die bei der Hochzeit einen neuen Namen angenommen hatten. Wer wusste, ob so nicht der Name Gaunt tatsächlich in Verbindung mit den Peverells stand.
Als sie wieder von ihrem Buch aufblickte, sah sie, wie Harry gedankenverloren seine Hände über den Tarnumhang streichen ließ. Fragend blickte sie zu Ron, doch der zuckte auch nur mit den Schultern.
„Harry?", fragte sie vorsichtig.
„Das ist es", hauchte er plötzlich und klang dabei so überrascht, dass Hermine unwillkürlich geneigt war, seinen nächsten Worten Glauben zu schenken: „Dumbledore hatte den Tarnumhang in der Nacht, als meine Eltern gestorben sind. Er hat ihn sich ausgeliehen. Warum sollte er das tun, wenn es ein gewöhnlicher Umhang war? Dumbledore hat auch in Godric's Hollow gelebt. Ignotus Peverell liegt in Godric's Hollow gegraben." Harry sprach, ohne zu ihnen zu schauen, als würde er lediglich laut denken. Dann, plötzlich, mit weit aufgerissenen Augen, drehte er sich zu ihnen um: „Er ist mein Vorfahr! Ignotus Peverell, der Bruder mit dem Tarnumhang, ist mein Vorfahr."
Mehrmals blinzelte Hermine. Das war ein solcher Sprung in der Logik, dass sie ihm kaum folgen konnte. Mit einem zufriedenen Grinsen ließ Harry sich wieder zu ihnen auf den Boden sinken. Dachte er wirklich, dass er mit Peverell verwandt sei? Und sah er nicht, falls alle seine Theorien über die Peverells und über Vorlost Gaunt stimmten, dass das bedeutete, dass er entfernt mit Voldemort verwandt war?
Angestrengt dachte Hermine über alles nach, was Harry ihr über Voldemort erzählt hatte. Was er im Denkarium von Dumbledore gesehen hatte und was er in seinen Visionen mitbekommen hatte. Schon vor Wochen hatte Harry gesagt, dass Voldemort auf der Suche nach etwas war. Und bei der Suche ist er auf Gregorowitsch gestoßen. Einen Zauberstabmacher.
Verbissen kaute Hermine auf ihrer Lippe. Sollte wirklich mehr an den Märchen dran sein? Sie selbst hatte tagelang darin geblättert, weil sie sie für wichtig gehalten hatte, aber die Geschichte von den Heiligtümern des Todes hatte so unglaublich geklungen, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, sie ernst zu nehmen. Und dass ausgerechnet Xenophilius Lovegood an ihre Echtheit glaubte, machte es auch nicht besser.
Aber spielte es überhaupt eine Rolle? Wenn Voldemort daran glaubte und auf der Suche nach dem Elderstab war, dann war das an sich schon Information genug. Es lenkte ihn ab von Harry.
Zögerlich gab sie zu: „Okay, vielleicht macht das alles Sinn. Du hast erzählt, dass Ihr-wisst-schon-wer bei Gregorowitsch war. Einem Zauberstabmacher. Was, denn er auch auf der Suche nach den Heiligtümern ist. Oder genauer gesagt: nach dem Elderstab?"
Harrys Augen begangen zu leuchten: „Das ist es! Damit ergibt alles Sinn!"
„Aber woher sollte er von den Heiligtümern wissen? Ich meine, die Märchen von Beedle dem Barden sind bei Zauberern bekannt, aber er ist doch in einem Waisenhaus aufgewachsen, oder? Und als er nach Hogwarts kam, war er schon zu alt für Märchen", wandte Ron skeptisch ein.
Nachdenklich verschränkte Hermine die Arme vor der Brust. Da hatte Ron Recht. Konnten sie wirklich annehmen, dass Voldemort von den Heiligtümern wusste?
„Vielleicht denkt er einfach nur, dass das ein mächtiger Stab ist?", schlug Harry unsicher vor: „Ich meine, wenn der Stab so mächtig war, dann ist er vielleicht einfach als Zauberstab bekannt geworden, ohne dass man wusste, dass er ein Heiligtum war? Und auf einen mächtigen Zauberstab wäre er sicher gestoßen, schließlich hat er damals, als er wieder auferstanden ist, gesehen, dass unsere Zauberstäbe miteinander verbunden sind. Vermutlich denkt er, dass er den mächtigsten Stab der Welt braucht, und dann kann er mich leicht erledigen?"
Das ergab Sinn. Hermine beschloss, später in Ruhe ihre Bücher durchzuforsten, ob irgendwo in der Geschichte die Rede von einem besonders mächtigen Zauberstab war. Für den Moment war jedoch die Frage, was genau sie mit diesem Wissen anfangen sollten.
„Ich glaube, deswegen hat Dumbledore uns diese Dinge vermacht", sagte Harry langsam: „Damit wir von den Heiligtümern erfahren. In meinem Schnatz ist bestimmt der Stein der Auferstehung versteckt. Ich bin mir sicher. Er wollte, dass wir alle drei sammeln, um damit Ihr-wisst-schon-wen zu besiegen!"
Missmutig schüttelte Hermine den Kopf. Sie konnte verstehen, dass Dumbledore mit niemandem außer Harry über die Horkruxe gesprochen hatte, doch warum sollte er allen, inklusive Harry, das Wissen um die Heiligtümer des Todes vorenthalten, wenn er wollte, dass er sie nutzte, um Voldemort zu besiegen? Das widersprach jeglicher Logik.
Doch egal, wie sehr sie sich darum bemühte, Harry das klarzumachen, er blockte ab. Er war so besessen von der Idee, einen mächtigen Zauberstab zu finden, dass er für jegliche Vernunft unerreichbar wurde. Hilfesuchend blickte sie zu Ron, der ebenfalls nur mit den Schultern zucken konnte.
Also versuchte sie es anders: „Es ist gut, dass wir jetzt von den Heiligtümern wissen, aber wir sollten uns auf die Horkruxe konzentrieren, meinst du nicht?"
„Ja", murmelte Harry abwesend: „Ja, natürlich."
Bevor sie noch etwas sagen konnte, war er aufgestanden und hatte das Zelt verlassen. Am liebsten hätte Hermine ihn nach Übermorgen gehext, so wütend war sie auf ihn. Stattdessen atmete sie tief durch und schaute zu Ron: „Du denkst doch auch, dass wir Horkruxe suchen sollten, oder?"
Zu ihrer Überraschung lief Ron rot an, doch er stimmte ihr zu: „Natürlich. Das ist klar. Dumbledore hat das ganze letzte Jahr damit zugebracht, Harry alles über Horkruxe zu erzählen. Das ist doch ein eindeutiger Hinweis. Und sowieso, solange er Horkruxe hat, kann er nicht sterben. Natürlich müssen wir die finden."
Zufrieden nickte Hermine. Wenigstens einer der beiden Jungs konnte noch klar denken.