Eine der Fragen, die sehr häufig in der Schreibwerkstatt auftaucht: Wie kann ich meines Todesszene trauriger machen?
Die Antworten sind oft ähnlich - ein Versprechen, das der Charakter nicht einlösen konnte, der letzte Gedanke gilt einer lieben Figur, vielleicht gar der Tipp, es doch regnen zu lassen.
Meine Antwort ist ein wenig anders und ein wenig komplexer. Denn eine Todesszene beginnt nicht mit dem tödlichen Stich oder gar erst, wenn der Kampf vorbei ist und der Sterbende in den Armen seiner Geliebten verblutet. Eine richtig herzzerreißende Todesszene schreibst du das ganze Buch über, vom ersten Moment an, da der Charakter auftaucht, spricht, ja, überhaupt erwähnt wird! Das traurigste an einer Todesszene ist immer noch der Verlust eines Charakters, den der Leser zu lieben gelernt hat. Wenn der Charakter sympathisch oder lustig oder einfach ein guter Kerl war, dann reicht auch ein Nebensatz in einem sachlichen Kriegsbericht, dass es vom Überfall auf seine Einheit keine Überlebenden gab. Der Name muss nicht einmal fallen. (Wobei hier immer noch die geringe Hoffnung bestehen kann, dass er entkommen konnte und nicht unter den Toten war.)
Um eine Todesszene traurig zu gestalten, muss der Charakter zunächst lebendig sein. Egal, ob ein Nebencharakter oder der Protagonist sterben soll, widme dich seinem Leben. Deshalb ist es auch sehr schwierig, eine Todesszene im Prolog traurig zu machen. Deine Leser haben nur sehr wenig Zeit, die Figur kennenzulernen. Hier braucht es schon besondere Kniffe, um die Figur dennoch lebendig und beliebt zu halten! Denn ganz perfekt sollte die Figur auch nicht sein - Perfektionismus schreckt eher ab.
Deine Figur sollte nicht zu klischeehaft sein. Denn das Schlimmste, was du tun kannst, ist, eine Todesszene zu machen, wie es sie schon tausendmal gab. Gerade der plötzlich einsetzende Regen kann die Szene ins Lächerliche ziehen, weil es eben so viele Autoren gemacht haben, dass es eher wie ein Comic wirkt.
Dennoch gibt es ein paar grundlegende Prinzipien, die du anwenden kannst!
Ungerechtigkeit: Dein Charakter sollte den Tod nicht verdient haben. Lass ihn sterben, obwohl er alles richtig gemacht hat - sowohl moralisch als auch im Kampf. Wenn eine Figur aufgrund eines eigenen Fehlers stirbt, ist das zwar auch traurig, aber gleichzeitig auch logischer und verständlicher. Nix da! Der Tod ist unausweichlich, egal, was man tut!
Unerledigtes: Im Grunde ein guter Tipp. Mit deinem Charakter sterben auch seine Pläne für die Zukunft. Denke also daran, unauffällig etwas anzudeuten, was er nach dem großen Kampf machen will. So, dass deine Leser das bereits als selbstverständlich ansehen. In vielen Filmen sprechen Nebenfiguren darüber, dass sie kurz vor der Rente stehen - und fünf Minuten später sind sie tot. Das ist so häufig, dass es bereits ein Running Gag ist. Pass also auf, dass die Pläne nicht zu offensichtlich sind.
Zum Beispiel kann es ein Versprechen sein, das einer anderen Figur gegeben wurde, eine Aufgabe, die nun unerfüllt bleibt.
Unnötig: Dies ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn dein Charakter nicht hätte sterben müssen (hier darf es auch durch einen eigenen Fehler sein), wenn der Tod sinnlos war, weil etwas, dass der Charakter bewirken wollte, doch nicht eingetreten ist, dann macht das den Tod schlimmer. Man denke nur an einige der berühmtesten Geschichten unserer Welt! Romeo und Julia, Tristan und Isolde ... alles nur blöde Missverständnisse und deshalb so erfolgreich. Jedoch kann das auch dazu führen, dass Leser dein Buch frustriert abbrechen. Mach es also sicherheitshalber erst am Ende!
Unvergessen: Den größten Einfluss bei einem Tod haben meist die Reaktionen anderer Figuren. Ob es ist Zusammenbruch im Moment des Abschieds oder kurz danach ist, oder ihr Verhalten Monate später - es sind die Lebenden, die am meisten unter einem Tod leiden. Ihr Weinen, ihr verzweifelter Kampf mit der Wahrheit, die Lücken in ihrem Leben, auf die sie stoßen - das macht ebenso viel aus wie der Tod selbst.
Außerdem kannst du dich vom echten Leben inspirieren lassen, genauer von dem, was Menschen gerne als Trost hinzuziehen. Etwas wie "Immerhin ist er friedlich eingeschlafen ..." oder "Sie war ja schon siebzig ..." - im Umkehrschluss heißt das, dass ein sehr schmerzhafter Tod eines jungen Charakters gleich schlimmer ist! Nimm dem Tod ruhig einige tröstliche Aspekte.
Zuletzt: Deine Todesszene muss nicht perfekt sein. Auch nach dem Tod kannst du noch daran feilen. Es gibt Geschichten, wo eine Figur wie ein Geist durch die Geschichte spukt. Charaktere erinnern sich an den Toten. Man spürt seine Präsenz, erinnert sich an Vorlieben oder Hobbies. So kannst du den Leser eine Figur vermissen lassen, selbst wenn er sie niemals lebendig getroffen hat - allein dadurch, wie andere Charaktere sie vermissen!
Nun, mit diesem Wissen: Hab viel Spaß daran, deine Figuren umzubringen!