Am 23.12 findet ein großes Essen mit Angehörigen und Betreuern statt, denn auch die sollen die Möglichkeit haben, Zeit mit ihren Verwandten und Freunden zu verbringen. Frau Blab bekommt keinen Besuch. Sie hat keine Kinder und ihr Mann ist früh verstorben. Ihre Betreuerin hat keine Zeit, würde sie aber am 24.12 abholen und den Tag mit ihr verbringen. Bis sie sechzig wurde hat sie ganz normal gearbeitet. Danach ging es mit ihrer Psyche bergab. Sie hat die Diagnose "Manische Depression" erhalten. Das bedeutet, dass es Tage gibt, an denen sie gut drauf ist, sehr fröhlich, manchmal sogar ein wenig zu viel. Sie wirkt immer "über den Strich", was bedeutet sie hat viele Ideen und will sich viel bewegen. Diese Tage genießen wir, denn wenn sie in ihre Depression rutscht, sind das sehr harte Tage. Sie will dann nur noch sterben, weint viel und wird schnell wütend. Feiertage sind immer sehr kritisch und können so was schnell auslösen. Wir haben Glück, sie ist nicht in ihre Depression gerutscht.
Früher einmal war sie Quantenphysikerin. Sie war hochbegabt und hatte dementsprechend ein sehr hohes Allgemein- und Fachwissen. Durch Ihre Krankheit, hat dies leider abgebaut. Erstaunlicherweise hat sie immer wieder "klare Momente" wo sie wieder auf viel Wissen zugreifen kann.
Sie bekam von uns ein Buch, welches hauptsächlich Bilder enthielt über Natur. Sie hat sich sehr darüber gefreut. Da sie am 24.12 nicht zum Abendessen da sein würde, bekam sie das Geschenk schon jetzt. Eine Frau, die Schwester von einem Bewohner, beugt sich von hinten zu ihr rüber und schaut, was sie bekommen hat. "Oh schön! Ein Bilderbuch, ganz toll!" sagt diese Frau, in einem Ton, als würde sie mit einem kleinen Kind reden. Man merkt wie Frau Blab das nicht wirklich gut auffasst. Aus dem nichts prustet sie in einem etwas lauterem Ton los: "Junge Frau. Ich könnte Ihnen hier aus dem Stegreif einen Vortrag über die verschiedenen Bereiche der Quantenphysik halten und ich bin mir GANZ sicher, Sie würden rein GARNICHTS verstehen!" Alles ist still. Die zehn Sekunden ruhe wirken wie eine Minute. Dann sagt Frau Blab: "Aber ja, schöne Bilder, das stimmt. Hm hm." und nickt dabei. Die Frau schaut geschockt zu Frau Blab, die sich wieder auf ihr Buch konzentriert, dann schaut sie zu uns. Wir nicken. Sie nickt und geht wieder zu ihrem Verwandten.
Im Büro am Abend reden wir noch mal darüber. Wir lachen. Unsere Leitung fragt in einem ruhigen, ernsten Ton was wir denn jetzt da draus lernen könnten? Ohne zu überlegen schoss mir ein "Dont Fuck with Frau Blab" aus dem Mund. Alle lachen. Selbst meine Leitung.