Ragath. Was für eine interessante Stadt, wie anders als Punin sie doch ist. Wir haben hier doch gleich ein paar Tage lang Halt gemacht, obwohl es nur etwas über drei Tagesreisen von Punin entfernt liegt - zumindest, wenn auf der Reise alles normal verläuft. Wir haben aber schon jetzt deutlich länger gebraucht. Mir ist das einerlei, Hauptsache unterwegs, fort von meinem Vater!
Das Leben im Handelszug ist so völlig anders, als ich es von zu Hause gewohnt bin. Die körperlichen Anstrengungen machen mir nichts aus, aber der allmorgendliche Anblick so vieler teils attraktiver Leute um mich herum, die sich all ihrer Kleidung entledigen ... ich schüttle unwillig den Kopf, um die unbehaglichen Gedanken zu vertreiben. ‘Bleib fokussiert, unterdrücke die Emotionen’, ermahne ich mich, und bitte erneut Phex darum, meine Schritte zu lenken.
Kaum habe ich das Gebet im Stillen beendet, spüre ich auch schon, wie jemand mir auffordernd auf die Schulter schlägt. Sofort kocht eine mir unverständliche Wut in mir hoch, und ich fahre herum, bringe einen Schritt Abstand zwischen mich und den jungen Händler, der wie ich mit diesem Zug reist. Ich hasse es, angefasst zu werden - zu Hause wusste das jeder.
Er runzelt nur kurz irritiert die Stirn, kommentiert mein Verhalten aber nicht. "Komm, schließ dich uns an! Hier gibt es einen Rahjatempel, den es zu besuchen gilt!"
Die drei anderen hinter ihm johlen fröhlich, ganz offenkundig haben sie bereits den Großteil des Nachmittags in einer Taverne verbracht, und planen den Abend nun mit weiteren Ablenkungen zu verkürzen.
Ein Rahjatempel ... alleine die Vorstellung lässt meine Handinnenflächen schweißnass werden. "Ich muss mich noch um meine Esel kümmern", winke ich ab und lege dem mir am nächsten stehenden Tier eine Hand auf seine weiche Nase. Es ist der kleinste, gerade mal alt genug, um mit Lasten beschwert werden zu können.
"Oh, so ein Winzling, kein Wunder, dass du dir um den besondere Sorgen machen musst", höhnen die anderen. "Hat er einen Namen? Winzig? Kurzbein? Dummkopf?"
Der Spott ärgert mich. Der kleine Esel ist immer ganz vorne mit dabei, auch, wenn er sich besonders anstrengen muss. Ich mag ihn sehr, er kämpft sich durch alle Widrigkeiten - ein bisschen wie ich. Alfons heißt er, aber ich gehe nicht auf den Spott der anderen ein und stelle mich schützend vor das Tier.
Glücklicherweise verlieren die anderen sehr schnell das Interesse am Spott, so begierig sind sie auf den Besuch im Tempel. Ich suche weiter nach Ausflüchten, aber erst, als sie mich aufziehen, ich sei wohl noch Jungfrau und außerdem ein Feigling, gewinnt mein Stolz die Oberhand über die Vorsicht und ich schließe mich ihnen widerstrebend an.
Was, bei Phex, soll ausgerechnet ich in einem Rahjatempel? Das kann doch nicht sein Fingerzeig sein, auf den ich gehofft hatte!
Die anderen vier Händler verschwinden sehr schnell mit einigen interessierten Geweihten in diversen Räumlichkeiten - eine von ihnen nimmt sogar gleich zwei meiner Reisegefährten mit sich.
Ich drücke mich möglichst unauffällig in der hintersten Ecke des Empfangsraums herum und betrachte sehr interessiert die Malereien. Hohe Kunstfertigkeit, eindeutig. Das Haus der Göttin der schönen Künste ist sehr würdig dekoriert, und ich bewundere jeden Pinselstrich, um Rahja zu beweisen, dass ich ihre Gaben an die Welt ehre.
Je später der Abend wird, desto leerer wird der Raum - inzwischen könnte ich die Malereien vermutlich nachzeichnen, wenn ich gelernt hätte, einen Pinsel zu führen.
Dann bin ich endlich allein, so dass ich mich zur Tür schleichen kann - den Tempelvorsteher, einen ausgesprochen schönen, dunkelhaarigen Mann mit freundlichen Augen, der im Schatten einer Säule neben der Tür lehnt, hatte ich allerdings glatt übersehen.
Er spricht mich höflich, aber neugierig an, da er mich wohl schon den ganzen Abend beobachtet hat. Er sagt mir direkt ins Gesicht, dass mit mir doch irgendwas nicht stimme, und lädt mich freundlich zum zwanglosen Reden ein.
Warum interessiert er sich dafür? Ist er der Seelenheilkundige des Tempels und sucht nach jemandem, dem er sich zuwenden kann? Mit mir ist alles in Ordnung, ich benötige niemanden! Zunächst will ich ablehnen, aber als mir klar wird, was die anderen sagen würden, wenn ich viel früher als sie zurück im Lager bin, scheint mir ein ruhiges, abgeschiedenes Zimmer zum einfach nur Reden doch sehr verlockend, und ich nehme die Einladung vorsichtig an.
Was kann schon passieren? Ich muss ihm nichts erzählen, das ich nicht preisgeben will.
Er erkundigt sich nach dem Handelszug, und je mehr Wein wir auf den sehr bequemen Sitzkissen leeren, desto mehr berichte ich, nicht nur darüber, sondern auch über das Leben in Punin und den Vergleich zu jetzt. Er ist ein aufmerksamer Zuhörer und ein ebenso aufmerksamer Gastgeber, sodass mein Becher nie leer wird, obwohl ich viele Gedankenpause mit einem Schluck überbrücke. Meine Aufmerksamkeit lässt immer mehr nach, und so entschlüpfen mir doch einige Details, die ich eigentlich nie zu erzählen beabsichtigte, zuletzt das Unwohlsein, das mich beim Anblick meiner nahezu bis völlig unbekleideten Reisegefährten ereilt.
Irgendwann, als ich nicht weiterspreche, fragt er: "Du hast viel berichtet. Sicherlich verstehst du, dass mich als Rahjageweihten aber auch die Themen der körperlichen Freuden interessieren, darum verzeihst du sicher, wenn ich dich bitte, mir davon zu erzählen."
Ich winke ab: "So etwas hätte mich nur abgelenkt. Außerdem gehe ich nie wieder in so eine Falle." Ja, selbst vom Resultat meines einzigen Versuchs, mich mit einem anderen Menschen zu vereinigen, habe ich ihm berichtet.
Zwischen seinen Brauen bildet sich eine Sorgenfalte. "Es mag ja sein, dass du dich gerne auf deine Ziele konzentrierst, aber deine körperlichen Bedürfnisse lassen sich nicht ewig unterdrücken. Sie werden sich negativ auf dein Urteilsvermögen auswirken, wenn du sie vernachlässigst - genau wie es mit Schlaf, Hunger und Durst auch ist."
Natürlich muss er unrecht haben, immerhin bin ich es, der entscheidet, welchen Regeln ich folgen möchte, und dank des vielen Weines sage ich ihm das auch unverblümt ins Gesicht. Essen, Wasser, Schlaf und Luft zum Atmen - mehr brauche ich nicht.
"Glaub mir ... du würdest dich bedeutend wohler in deiner Haut fühlen, wenn du ab und an die eines anderen Wesens spüren würdest. Zu welchem Geschlecht fühlst du dich hingezogen?"
Die Frage stürzt meinen Geist in noch tiefere Verwirrung, als der Wein es ohnehin bereits getan hat. "Ist das nicht gleich? Ich meine ... das wäre doch eine Einschränkung, die ... sollte man, wenn man rahjagefällig handeln möchte, nicht alle Wesen schätzen?"
Wie mein Unverständnis auf meinem zeigt sich seine Überraschung auf seinem Gesicht. "Tatsächlich? So empfindest du? Das ist ungewöhnlich. Da wurdest du von Rahja so beschenkt und verweigerst ihre Gabe?"
Jetzt wird mir langsam ein wenig mulmig zumute ... frevle ich der Göttin etwa? Ich stelle die Frage.
"Du frevelst dir selbst", schmunzelt der Tempelvorsteher und legt mir eine Hand auf die Schulter, während er mir in die Augen sieht.
Unwillkürlich zucke ich zurück. Die plötzliche Bewegung löst Schwindel in meinem Kopf aus, ich schwanke leicht und versinke wieder in dem großen Kissen. Seine Hand an meiner Schulter lockert ihren Griff, als ich mein Gleichgewicht wiedergefunden habe. Seine Berührung stört mich aber nicht, Verblüfft starre ich auf meine Schulter hinab.
Er nimmt die Hand nicht fort, sondern massiert sanft meine Schulter, sodass sich die Verspannung langsam löst. Der Alkohol vertreibt nicht nur meine Konzentrationsfähigkeit, sondern offenbar auch meine Vorsicht und Abneigung gegenüber körperlicher Nähe.
"Glaub mir, Bruder, du solltest dringend Rahjas Gaben genießen. Du bist hier in ihrem Tempel - uns kannst du vertrauen."
Woher weiß er, dass ich den Zwölfen diene ...?
Der Gedanke verschwindet vollkommen aus meinem Kopf, als eine weitere Geweihte sich hinter mich kniet und mit ihren Fingern verführerisch durch mein Haar fährt. Oh, das meint er mit 'uns'.
Je stärker der Alkohol wirkt, desto besser gefällt es mir, hier zu sein. Außerdem … Phex fordert Mut von seinen Getreuen, und ich habe ihm schon oft bewiesen, dass ich seiner Hilfe würdig bin. Und die Geweihten hier folgen ganz sicher Rahjas Geboten - sie werden mich ganz sicher sofort in Frieden lassen, wenn ich das wünsche, genau, wie die Göttin es befiehlt.
Ich schließe also die Augen, lasse vorsichtig meine Ängste und Zweifel los und gebe mich dem Wohlgefühl hin, das die vier Hände zunächst an meinem Oberkörper, dann überall hervorrufen, bis ich selbst mit zitternden Händen meine Kleidung öffne und ihnen Zugang zu meiner Haut gewähre.
Von diesem Zeitpunkt an habe ich nur noch Erinnerungsfetzen in meinem Kopf, wie aus einem Buch herausgerissene und vollkommen durcheinandergewirbelte Seiten: Heiße Haut, die ich mich meinen Händen erkunde, angespannte Muskeln, feuchte Lippen, das unfassbare Gefühl, in den Körper eines anderen einzudringen, das wohlige Stöhnen aus meiner eigenen und den anderen Kehlen und die leise Anfeuerung, bevor ich mich in einer Explosion von Wonne keuchend zurückfallen lasse und das Spiel nach kurzem Atemholen von vorne beginne. Ich weiß auch noch, dass es nicht lange dauerte, bis meine zitternde Passivität in begierige Aktivität umschlug, als wüsste mein Körper ganz genau, was er wie zu tun hatte; mein Kopf war völlig leer, während ich die anderen Körper an meinem genoss. Wer da was war, weiß ich nicht mehr und es ist mir auch völlig gleichgültig. Auch, wann mich die Erschöpfung übermannte, kann ich nicht sagen. Bei Rahja, ich bedauere es inzwischen, dass ich mich nicht an die Details erinnern kann!
Am nächsten Morgen erwache ich mit leichten Kopfschmerzen eng an den Rücken der vor mir liegenden nackten Geweihten geschmiegt, der hinter mir schlafende Tempelvorsteher hat den Arm um uns beide gelegt.
Ich leiste im Stillen Abbitte bei Rahja für meine unglaubliche Torheit. In der Tat fühle ich mich, als sei ich von einem großen Druck befreit - leise lachend muss ich zugeben, dass genau das vermutlich der Fall ist.
Das Lachen weckt die beiden anderen. Der Geweihte hat gestern offenbar wesentlich weniger Wein getrunken als ich, denn er wirkt sofort hellwach, als er sich aufsetzt und mich offen lächelnd ansieht. "Und? Wie fühlst du dich?"
Diesmal ist mein Lächeln ehrlich und entspannt. "Sehr gut, abgesehen von den Nachwirkungen des Weins. Ich danke euch ... Ich verspreche, zukünftig nicht so nachlässig mit meinen Bedürfnissen umzugehen."
Sein Grinsen lässt die verwirrt aussehende, verschlafene Geweihte mit den Schultern zucken - sie hat unser gestriges Gespräch wohl nicht mitbekommen. Seit wann war sie eigentlich im Raum? Ich habe auch daran keine Erinnerung.
Plötzlich realisiere ich, wie gefährlich nah mir die beiden sind … Nein. Sie dienen Rahja. Geweihten kann ich vertrauen. Doch trotz dieses Wissens kehrt das Unwohlsein, das die Nähe zu anderen Personen in mir auslöst, langsam zurück - ich muss hier weg.
Eilig erkläre ich, dass ich längst hätte fort sein müssen und suche unter den belustigten Blicken der beiden entspannten Geweihten hastig meine Kleidung zusammen und ziehe mich schnell an, bevor ich voll neuer Energie zurück zum Handelszug eile.
Was für eine Nacht! Ich danke zuerst Rahja, dass sie meine Schritte geführt hat und dann Phex, dass er ihr den Vortritt ließ: Von nun an kann ich mich sicherlich viel besser auf meine Aufgabe konzentrieren, so er sie mir denn offenbart. Ich darf nur nicht vergessen, gelegentlich Rahjatempel aufzusuchen - denn dass auch Nichtgeweihte ihre Berührungen ohne Hintergedanken verwenden, glaube ich nicht.