Die Halloweenparty
Ich sitze in meinem Zimmer und blicke aus dem Fenster. Es regnet, seit Tagen schon. Die Welt ist grau in grau. Sie passt sich perfekt an mein Innerstes an. Da ist auch alles grau, seitdem Marco mit mir Schluss gemacht hat. Er geht jetzt mit Franziska. Sein Ernst? Mit diesem Blondchen? Ich seufze.
In dem Moment klopft es an meine Zimmertür. »Jasmin, komm, Essen ist fertig«, höre ich die Stimme meiner Mutter.
Ich seufze erneut und kneife kurz die Augen zu, ehe ich antworte. »Ich hab keinen Hunger.«
»Du musst aber was essen. Du isst seit Tagen wie ein Spatz.«
»Na und?«, brumme ich.
»Schätzchen, ist es etwas immer noch wegen diesem Marco? Du musst darüber hinwegkommen.«
Ich schnaufe. Das sagt sie so leicht. Hatte sie jemals Liebeskummer gehabt? Ich bezweifle es. Schließlich kennen sie und Papa seit der Schulzeit und sind seitdem auch ein Paar. Ich glaube daher nicht, dass sie jemals einen anderen geliebt hat – und schon gar nicht verlassen wurde. Noch dazu ohne Vorwarnung, von jetzt auf gleich. Unfassbar! Was bildet sich dieser Idiot eigentlich ein?! Und dann nicht mal persönlich, nein, ich bekam eine lächerliche Nachricht auf mein Handy:
Hi Jasmin, wir hatten zwar eine tolle Zeit, aber es ist aus zwischen uns.
Kein Grund, warum er Schluss machte, nichts. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch noch nicht, dass er eine andere hat. Das durfte ich dafür am nächsten Tag in der Schule live und in Farbe miterleben: Die beiden knutschend an unserem Platz. Bei diesem Anblick war etwas in mir zerbrochen, einfach kaputt gegangen – vermutlich mein Herz. Erstaunlich, dass es überhaupt noch schlug.
Dabei habe ich an dem Morgen noch gedacht, ich könnte noch mal mit ihm jeden. Ihn fragen, was sein Problem sei. Aber wie es aussah, hatte er kein Problem. Ich war ihm mittlerweile vollkommen egal. Er sah mich nicht einmal mehr an. Nur gut, dass er eine Klasse über ihm war und ich ihn somit nicht auch noch im Unterricht ständig sehen musste. Nicht auszudenken! Es war so schon eine Qual, jeden Morgen aufzustehen und mir zur Schule zu schleppen. Mir ist jeden Morgen kotzübel und jedes Mal hoffe ich, ihm nicht über den Weg zu laufen – oder Franziska. Auch sie ist zum Glück in der Parallelklasse. Ihr Glück, sonst wäre ich ihr längst an die Gurgel gesprungen.
Es klopft noch einmal an der Tür. »Jasmin?«
Ich seufze abermals und gleite von der breiten Fensterbank, schlurfe zur Tür und öffne sie.
»Himmel, wie siehst du denn aus?«
»Danke, Mama, ich hab dich auch lieb.«
»Entschuldige, aber … hast du heute schon mal in den Spiegel geschaut? Du siehst aus, als würdest du zur nächsten Halloweenfeier gehen wollen.«
Vielleicht gar keine schlechte Idee. Halloween war in zwei Tagen und ich hatte schon länger eine Einladung von Conny bekommen. Dann bräuchte ich mir wenigstens keine Gedanken mehr um ein Kostüm machen. Bei dem Gedanken muss ich grinsen.
»Was ist so witzig?«, wundert sich meine Mutter.
»Ach nichts, aber ich glaube, du hast mich auf eine gute Idee gebracht. Danke. Was gibt es denn zu essen?«
Meine Mutter hebt die Augenbrauen und sieht mich prüfend an. »Hähnchenpfanne süß-sauer.«
Chinesisch, das ist gut, ich liebe chinesisches Essen. Wahrscheinlich hat sie es genau deshalb gemacht, damit ich etwas esse. Also gut, irgendwann muss das Leben ja mal weitergehen, nicht wahr?
Nach dem Essen rufe ich Conny an. »Hi Conny, sag mal, muss es eigentlich ein aufwändiges Kostüm sein, um an deiner Party teilzunehmen?«
Conny lacht. »Ach Quatsch, nein. Was Schlichtes reicht auch. Hauptsache, du kommst und wir haben alle Spaß. Moment mal, heißt das etwa, du bist dabei?« Sie wusste, wie es mir ging – logisch, sie ist meine beste Freundin -, und ich hatte ihr schon gesagt, dass ich nicht wüsste, ob ich Bock auf eine Party hätte.
Ihre Reaktion ließ mich schmunzeln. »Ja, ich denke, das heißt es wohl.« In der nächsten Sekunde musste ich mein Handy vom Ohr weghalten, denn Conny quietschte mir regelrecht ins Ohr. Dass sie sich so sehr darüber freuen würde, dass ich komme, hätte ich nicht gedacht. Immerhin kommen massig Leute. Sie hatte fast die ganze Klasse eingeladen und noch mehr und jeder durfte auch noch jemanden mitbringen. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wie die alle jemals in ihren Partykeller passen sollten.
Apropos, ich hatte ihr vor dem Aus angeboten, ihr bei den Vorbereitungen für die Party zu helfen. »Wann willst du denn alles vorbereiten? Erst am Samstag oder schon vorher?«
»Nein, alles am Samstag zu machen, wäre ein bisschen knapp. Im Grunde habe ich sogar jetzt schon angefangen, den Raum zu schmücken und ein bisschen Deko zu basteln. Willst du vorbeikommen und es dir anschauen?«
Ein bisschen Ablenkung konnte sicherlich nicht schaden, also sagte ich zu und machte mich auf den Weg.
»Wow! Das sieht fantastisch aus, richtig gruselig.« Staunend sehe ich mich um. Der Partyraum ist überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Überall hängen Spinnweben und Lichterketten in den Farben orange, grün und lila. Vereinzelt gibt es Totenköpfe, Kürbisse, Spinnen und anderes gruselige Zeugs. »Aber das sieht doch schon so gut wie fertig aus. Was willst du denn da noch basteln?«
»Ich möchte noch Schildchen für das Buffet basteln. Denn die Speisen sind ja schließlich nicht irgendwas. Zu trinken gibt es zum Beispiel unter anderem Glubschaugenbowle und Knochenputzer.«
»Wie bitte? Was soll das denn sein? Klingt ja eklig.«
Conny kicherte. »Das soll ja auch eklig klingen. Und glaub mir, es sieht auch richtig eklig aus – zumindest auf den Fotos, die bei den Rezepten abgebildet sind. Ich hoffe nur, es schmeckt besser, als es aussieht.«
Wir gehen hinauf in ihr Zimmer, wo sie mir einen Hefter zeigte, in dem sie all die Rezepte gesammelt hatte, die sie für die Party zubereiten wollte. Was waren eine ganze Menge. »Wann willst du das denn alles machen?«
»Na, ein wenig kann man schon am Freitag vorbereiten. Die Bowle zum Beispiel, die muss noch ordentlich über Nacht durchziehen, damit die Litschis richtig schön eklig wie Augen aussehen. Auch die Backwaren können schon am Freitag in den Ofen. Alles andere dann ab Samstagvormittag. Aber keine Panik, meine Mutter hilft uns auch. Und Gwen wollte auch noch vorbeikommen und mithelfen. Unsere Küche ist zum Glück groß genug, dass wir uns nicht alle auf die Füße trampeln.
Der Abend bei Conny hat mir wirklich gutgetan. Mittlerweile freue ich mich wieder richtig auf die Party. Dennoch wollte ich bei meiner Kostümwahl bleiben. Denn ich hatte nichts anderes. Ich brauchte einfach den struppigen Zombie. Vielleicht konnte ich mir ja noch etwas dunklen Lidschatten von meiner Mutter ausleihen, um meine Augen noch ein wenig toter als tot aussehen zu lassen. Als Kostüm an sich werde ich einfach eine Jeans mit Löchern nehmen und ein altes Schlafshirt. Die sind eh immer besonders weit und wenn ich das auch noch etwas zerpflücke, müsste es eigentlich gehen.
Schließlich war der Tag der Party. Zu viert stehen wir schon seit gestern in der Küche. Gwen und ich haben gleich bei Conny übernachtet, das war einfach praktischer.
»Wohin mit den abgerissenen Fingern?«, rief Gwen, die gerade zu uns in den Partykeller kam und eine Platte mit Wiener Würstchen in den Händen hielt, die zu abgerissenen Fingern mit viel Blut umfunktioniert wurden und dank der Mandeln als Fingernägeln richtig widerlich aussahen.
»Stell sie einfach hier hin. Da ist noch Platz.« Conny deutete auf die entsprechende Stelle auf dem Buffettisch.
Gerade rechtzeitig, ehe der erste Gast kam, waren wir mit allem fertig und auch umgezogen.
Als ich als Letzte aus dem Bad kam, musterte Conny mich von oben bis unten. »Uh, Jasmin, klasse. Schlicht, aber gut.«
»Nicht wahr? Passend zu meinem Gemütszustand.« Ohje, die ganze Zeit über hatte ich daran kaum denken müssen – meist nur abends im Bett, wenn die Gedanken eh Karussell fuhren. Ich schluckte und versuchte, den Gedanken wieder wegzuschieben. Heute war Party angesagt, kein Grund, traurig zu sein.
Nach und nach kamen alle Partygäste und der Raum im Keller füllte sich immer mehr. Die Musik war laut – Conny hatte sich für düstere Musik entschieden, damit die passende Stimmung aufkam. Obwohl kaum mehr Platz war, tanzten einige in der Mitte des Zimmers. Alle hatten Spaß und waren ausgelassen. Es gab die verrücktesten Kostüme genauso wie stinklangweilige von der Stange. Eine kunterbunte Mischung eben. Nur gut, dass Conny zuvor gesagt hatte, dass die Kostüme unbedingt unheimlich sein müssen, sonst wäre am Ende noch jemand als Pikachu erschiene.
Ich saß die meiste Zeit auf dem Ledersofa und beobachtete das Treiben von hier aus. Nebenbei schürfte ich ein Glas Bowle. Die war wirklich lecker. Mal sehen, ob ich mich später auch an den Knochenputzer traue, wobei der echt aussieht wie schon mal gegessen.
Auf einmal setzt sich jemand neben mich. Ich kann nicht erkennen, wer es ist, denn die Person trägt eine Maske. Eine voll gruselige Kürbismaske, bei der der Mund sich mit bewegt. Echt abgefahren!
»Hi!«, sagt die Person dumpf.
»Hi!«
Ich kann nicht mal erkennen, ob es sich hierbei um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Aber ist ja auch vollkommen egal.
»Coole Party, oder?«
Ich nicke. »Ja, das stimmt. Warst du schon mal auf einer Halloweenparty? Für mich ist das hier jedenfalls die erste.«
»Für mich auch. Na dann, auf einen tollen Abend.« Der Kürbiskopf hält mir sein Glas zum Anstoßen entgegen. Es enthält tatsächlich Knochenputzer.
»Wie schmeckt das Zeug?«
»Erstaunlich gut. Magst du mal probieren?«
»Gern.« Ich greife nach dem Stohlhalm und sauge fest daran. Das Zeug ist richtig zähflüssig dank der Banane. Aber es stimmt, es schmeckt wirklich nicht schlecht. Hätte ich bei der Konsistenz und der Farbe nicht vermutet.
Eine ganze Weile unterhalte ich mich noch mit dem Kürbiskopf, ohne zu wissen, mit wem ich es da eigentlich zu tun habe. Aber eins steht fest: Ich amüsiere mich an diesem Abend wirklich gut. Aus diesem Grund nehme ich mir vor, das Kapitel Marco endlich abzuschließen. Es kann ja nicht angehen, dass ich wegen diesem Typen vollkommen zerbreche. Ich muss irgendwann auch mal wieder nach vorn schauen.
Genau das mache ich auch am nächsten Montag. Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ob ich Marco und seinem Flämmchen heute begegne, mache ich mich auf den Weg zur Schule.
Conny ist schon da und sieht mich ganz verwundert an. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Was soll denn mit mir passiert sein?«
»Ich weiß nicht, aber irgendwie siehst du heute anders aus.«
»Nicht mehr wie ein Zombie, meinst du?«
Conny lacht. »Na komm, Halloween ist ja auch vorbei.«
»Eben«, sage ich nur und setze mich neben sie.
Kurz darauf betritt Timo die Klasse. Er ist erst seit einem Monat bei uns, weil er mit seiner Familie zu uns in den Ort gezogen ist. Sein Blick fällt auf mich und er lächelt. Warum lächelt er mich an? Er kommt näher.
»Hi, hast du die erste Halloweenparty deines Lebens gut überstanden?«
Ich brauche einen Augenblick, bis ich begreife. »Du? Du warst der Kürbiskopf?«
Er nickt. »Ganz genau.« Ohne ein weiteres Wort geht er zu seinem Platz hinüber, der auf der anderen Seite des Klassenzimmers lag.
Ich schaue ihm verblüfft hinterher. Bisher hatte ich kaum zwei Sätze mit ihm gewechselt. Nie hätte ich vermutet, dass er hinter der Maske stecken würde.
»Was war das denn jetzt?«, raunt mir Conny zu.
Also erzähle ich ihr von der Party. Dass während sie mehr auf der improvisierten Tanzfläche unterwegs war, ich mit unserem Neuen tolle Gespräche geführt hatte.
»Und? Läuft da was zwischen euch?«
Erschrocken sah ich sie an. »Was? Nein, ich kenne ihn doch im Grunde gar nicht.«
Sie grinst schief. »Dann lernt ihr euch eben kennen.«
Mein Blick wandert noch einmal zu Timo hinüber. »Mal sehen, vielleicht machen wir das tatsächlich. Wenn er mich denn kennenlernen möchte.«