Ionel hatte ihn darauf vorbereitet, dass die Händlerkarawane oder diese seltsamen Vollmondnächte nicht das einzig Ungewöhnliche hier oben im Norden waren. Trotzdem schreckte Seld heftig zusammen, als am frühen Mittag eine Geräuschkulisse zu ihm vordrang, die er fast als musikalisch bezeichnen wollen würde.
Es klang städtisch und irgendwie rief es ferne Erinnerungen an viel zu lange Abende in Wirtshäusern in seinem Kopf hervor. Bis vor einigen Jahren hatte er es noch sehr genossen, diese zu besuchen, inzwischen aber schätzte er sein ruhiges Leben weitaus mehr. Er war älter geworden.
„Ah, wie erwartet, fünf Tage nach Vollmond.“ Ionel nickte zufrieden und das Lächeln, das sich nun auf seinen Lippen ausbreitete, war ein gänzlich anderes, als in den vergangenen Tagen - freundlich, ja fast euphorisch.
Seld zog die Augenbrauen zusammen und ließ den Stein zu Boden sinken. Sie langte ihm bereits bis zu den Knien. Einige Reihen noch und sie würden an anderer Stelle ihrer Arbeit nachgehen müssen.
„Komm, Seld!“, rief er ihm zu. Ionel verschwand ungewöhnlich schnell und anders als das letzte Mal, ließ er seinen Stoffbeutel mit dem Mittagsmahl zurück. Seld verstand nicht warum. Es duftete immer herrlich und er hatte zu beneiden gelernt, was Ionel täglich zu sich nahm.
Dieses Mal zwängte sich Ionel nicht durch die engen Gassen der Häuser, um zum Marktplatz zu gelangen. Dieses Mal sprang er eilig über die Mauer, die das Dorf umgab und verschwand zwischen Schnee, Bäumen und sanften Hügeln. Seld hatte Mühe, ihm zu folgen, erkannte aber schnell, dass die Fußspuren in dieselbe Richtung führten, aus der auch die Musik kam.
Sie erinnerte ihn entfernt an Laute einer Trompete. Vielleicht eine Spur zu ungerade, vielleicht wurden viel zu viele Töne nicht richtig getroffen. Aber eine Ähnlichkeit war da, die ihn an gute alte Zeiten erinnerten.
Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen und fast wäre er in Ionel gelaufen, als dieser abrupt stehen blieb und mit einem Kopfnicken zu einem der Hügel deutete. Ein Pfad schlängelte sich von ihm herab.
„Pass auf, da kommt er gleich hinunter.“ Er legte einen Finger an seine Lippen. Seld brannten dennoch viel zu viele Fragen auf der Zunge, die er nicht hinunterschlucken konnte.
„Wer?“
„Der letzte Pinguin der Karawane“, flüsterte Ionel leise. Er verzog verärgert das Gesicht, als die Musik für einen Augenblick aussetzte und schüttelte den Kopf.
„Aber das heißt, dass wir hier auch völlig umsonst waren...“
Und warum sollte der letzte Pinguin der Karawane so viele Tage nach den anderen eintreffen?
Seld war verwirrt. Vielleicht mehr als das.
„Oh nein.“ Ionel schüttelte den Kopf und seine Mine hellte sich wieder auf, als die Musik von neuem einsetzte und auf dem Hügel ein kleiner Pinguin erschien. Den Schnabel hielt er hoch in die Luft und schwenkte ihn, als sei es ein Musikinstrument. Es irritierte Seld weit mehr, als die Händler mit ihren Schlitten.
Ein Band war um seinen Kopf geschnürt, das Seld stark an ein Tuch erinnerte und ein großer Sack, der doppelt so groß war, wie das kleine Tier war am Rücken befestigt.
Seld wäre versucht gewesen, den Pinguin, der ihm kaum bis zur Mitte seiner Waden reichte als niedlich zu bezeichnen, wäre da nicht das Schwert an seiner Hüfte gewesen.
„Dieser hier verkauft keinen Fisch und wo die anderen nachlässig sind, verteidigt er seine Ware mit seinem Leben. Außer, du stellst ihm ein kleines Abenteuer in Aussicht.“
Ionel zwinkerte ihm zu und holte etwas aus seiner Tasche, um es hoch in die Luft zu werfen. Pulver und Sand, den sie beim Bau der Mauer verwendeten. Er stieß eine Reihe tiefer Töne aus und stampfte so heftig auf den Boden, dass Seld es durch seine Sohlen spüren konnte. Rascheln, dann warf Ionel zwei Steine quer über den Weg, die schnell verschwanden.
Als der Staub verflogen war, stand der kleine Pinguin vor ihnen und starrte sie aus großen Augen an. Erneut wirkte das Tier weitaus niedlicher, als es eigentlich war. Etwas, was Seld Gefahr nennen mochte, glomm in seinen Augen.
Er öffnete seinen Sack und zum Vorschein kam fein säuberlich geschnittener Fisch umhüllt von weißen Körnern, die er in der Stadt als Reis kennengelernt hatte.
„Göttlich“, entkam es Ionel und er beugte sich hinab.