Seite an Seite streiften zwei Füchsinnen durch den gerade erwachenden Wald. Es dämmerte bereits, die ersten Vögel begannen den Morgen zu begrüßen und einige Eichhörnchen waren schon aus ihrem Kobel geschlüpft. Die fleißigen Tierchen bereiteten sich auf den Winter vor und waren unaufmerksamer als sonst, doch die beiden Schwestern waren nicht hier, um zu jagen. Sie hatten sich schon zu so früher Stunde aus dem Bau gestohlen, um sich mit jemandem zu treffen und das stimmte beide ziemlich aufgeregt.
Vanadey, die Jüngere der beiden, deren Fell ein hübsches orange-braun aufwies, hatte dieses Treffen arrangiert. Sie beobachtete ihre Schwester, deren Körperbau ein wenig zierlicher und deren Fell um einige Nuancen dunkler war, amüsiert dabei, wie sie unruhig zu tänzeln begann.
„Wieso willst du mir denn nicht sagen, wer es ist?“ Keitha hatte diese Frage schon häufig genug gestellt, um zu wissen, dass die andere darauf nicht antworten würde, aber noch wollte sie nicht so recht aufgeben, zumindest einen kleinen Hinweis aus ihrer Schwester heraus zu bekommen.
Keitha war bereits aus dem Wurf des Vorjahres und hatte trotz dessen noch keinen Partner gefunden, sodass die Jüngeren nun langsam begannen, sie damit auf zu ziehen. Ihre Schwester behauptete, letztens jemanden getroffen zu haben, mit dem Keitha sich - zumindest ihrer Meinung nach - wunderbar verstehen würde und hatte ohne zu fragen dieses Treffen organisiert.
Am Anfang war die Ältere nicht sonderlich begeistert gewesen von der Idee, sich mit einem fremden Artgenossen zu treffen, mit dem Ziel, einen Partner zu finden, aber Vanadeys aufgeregte Vorfreude hatte ihren Widerwillen schnell dahin schmelzen lassen.
„Weil es sonst keine Überraschung mehr wäre", erklärte Vanadey plötzlich, sodass Keitha ihre Schwester überrascht ansah. Das war neu.
Eigentlich hatte sie vermutet, dass er zur Gruppe im Buchenhain gehörte, die im östlichen Teil des Waldes lebte - aber vielleicht kannte sie ihn ja auch?
"Habe ich ihn denn schon einmal gesehen?" Vanadey schwieg schon wieder und zog nur das Tempo an, in dem sie sich ihrem Treffpunkt näherten.
"Mach dir nicht zu viele Gedanken und lass es einfach auf dich zukommen." Unzufrieden drehten sich Keithas Ohren zur Seite doch sie erwiderte darauf nichts mehr. Ihre Schwester war schon immer so geheimnistuerisch gewesen und sie hatte sich langsam daran gewöhnt - zumindest ein wenig.
Sobald sie einen ersten Blicke auf die beinahe im Wald untergehende Ruine werfen konnten, spürte Keitha wie ihr Herz immer kräftiger schlug. Hätten sie nicht doch lieber einfach im Bau bleiben sollen?
Vor der Ruine, die vor ein paar Jahren eine große und mächtige Gruppe Wildkatzen beherbergt haben sollte, setzten sich die beiden Füchse schlussendlich und betrachteten das verfallene Bauwerk neugierig, aber auch voller Respekt.
Die Natur hatte sich längst an den Mauern zu schaffen gemacht, die nun von Moos und seltsamen, rötlich-braunen Pilzen bedeckt waren.
"Was denkst du - ist er schon hier?" Keitha sah sich aufmerksam um, doch sie bemerkte keinen Artgenossen.
"Ich weiß nicht", gab Vanadey unsicher zu und die beiden sahen sich an.
"Wir hatten nur besprochen, dass ihr euch hier treffen würdet, aber nicht wirklich festgelegt, wo genau." Vanadey schien einen Moment nachzudenken, dann wandte sie sich wieder an ihre Schwester.
"Vielleicht wartet er ja dort drinnen auf dich." Ihre Schnauze zeigte auf das verfallene Gebäude und Keitha zögerte. Verlassene Menschenbauten waren ihr nicht geheuer, aber dieses hier war schon seit Jahren sich selbst überlassen - was war also schon dabei?
"Du hast Recht, ich … werde einfach mal nachsehen." Dabei klang sie sicherer, als sie sich eigentlich fühlte, sodass Vanadey einfach nickte und sie beobachtete.
Also schlich die Ältere vorsichtig voran und schnupperte an den modernden Steinen, auf der Suche nach einer Fährte. Aus Versehen stupste sie dabei einen der seltsamen Pilze an, doch trotz des strengen Geruchs der nun freigesetzten Sporen meinte sie eine schwache, fremde Fährte zu erkennen.
"Ich glaube, er ist schon hier", teilte sie Vanadey mit und wagte sich trotz des unangenehmen Kribbelns in ihrem Pelz weiter voran.
Alte, unregelmäßige Treppenstufen führten sie tief ins Erdreich und bald schon vernahm sie nur noch das stetige Tropfen des Wassers und ihre eigenen leisen Schritte. Mit mulmigem Gefühl im Bauch hielt sie sich nah an der Wand und bemerkte gar nicht, dass sie mit ihren sachten Berührungen immer mehr Sporen freisetzte - erst als ihr ein wenig schwindlig wurde, fiel es ihr auf und sie hielt ab sofort mehr Abstand von den kleinen Gewächsen.
Sobald Keitha das Ende der Treppe erreicht hatte, war es so duster, dass sie den eingefallenen Durchgang nur noch schemenhaft erahnen konnte.
Behutsam schob sie sich an den feuchten Steinen vorbei und fand sich in einem großen Raum wieder, in dem sie kaum etwas erkennen konnte. Doch sehen musste sie auch gar nichts, denn sie hörte etwas. Was war das?
Auch ihre Nase half ihr bei dieser Frage nicht weiter, denn auch in diesem Raum herrschte der komische Geruch der Pilzsporen vor.
"Hallo?" Keithas Stimme zitterte und ihre verhaltene Frage wurde mit einem tiefen Grollen beantwortet, das ihr das Fell zu Berge stehen ließ.
"W-Wer bist du?", versuchte sie es erneut und wieder antwortete ihr nur der leise Hall ihrer eigenen Stimme.
Stattdessen bemerkte sie nun eine Bewegung am anderen Ende des Raumes - ein gewaltiger Schatten glitt an der Wand entlang und steuerte auf sie zu. Das wirkte nicht wie ein Artgenosse ...
"Halt, komm mir nicht zu nahe!" So langsam fühlte sie sich überhaupt nicht mehr wohl und wollte am liebsten zu Vanadey flüchten, aber die Kreatur schnitt ihr mehr und mehr den Weg ab.
Durch ihren Ausruf hielt das Wesen kurz inne, doch dann schlich es weiter auf sie zu, sodass Keitha immer mehr an die Wand zurückwich.
Mit jedem Schritt, den der Schatten näher kam, konnte sie seine Konturen besser erkennen und wurde sich damit auch immer mehr bewusst, dass dieses Wesen auf keinen Fall fuchsischer Natur war. Es hatte zu breite Schultern, zu lange Gliedmaßen und lediglich einen kurzen, schmalen Schwanz.
Bald schon drang ein fauliger Geruch zu Keitha vor, sodass sie sich vor Schreck nur noch näher an die Wand drückte, doch das fremde Wesen ließ nicht wie durch ein Wunder von ihr ab und so tat sie etwas, das sie eigentlich nie wieder hatte tun wollen - sie griff etwas an, was deutlich stärker wirkte als sie.
Mit einem gezielten Satz hatte sie nach der Stelle geschnappt, die einem Nacken am nähsten kam und schien sich doch lediglich in der Schulter verbissen zu haben. Die Kreatur zischte unnatürlich und schüttelte sich gewaltvoll, sodass die Füchsin sich nicht länger halten konnte.
Sie rollte über den Boden und rappelte sich doch schnell wieder auf, die Augen sofort wieder auf den Schatten fixiert.
Ihr Herz raste, als das Wesen erneut nur auf sie zu schlich, ganz so, als wäre sie eine Beute, der es sich eh schon sicher war und deren Qual es nun auskosten wollte. Keitha baute sich vor dem modernden Wesen auf und stieß ihr bedrohlichstes Knurren aus, um es auf Abstand zu halten.
Tatsächlich hielt der Schatten kurz inne, doch dann ging das fremde Wesen plötzlich zum Angriff über.
In ungeahnter Schnelligkeit hatte es Keitha umgeworfen und presste ihre Flanke nun mit seinen riesigen Pranken auf den feuchten Boden, dessen Kälte sich sofort in ihre Muskeln fraß.
"Nein, lass mich los!", bettelte sie, während sie sich unter dem Gewicht des Fremden wand und versuchte ihn abzuschütteln. Das Wesen reagierte nicht und sein fauliger Atem breitete sich erneut über ihr aus - ihr Magen protestierte.
Aus der Nähe konnte sie einige Dinge ausmachen, die ihr bisher noch nicht aufgefallen waren. Es hatte eine weiße Zeichnung auf der Brust und einen kräftigen, kurzen Kiefer, der eher an eine Raubkatze erinnerte. Seine Augen glühten ihr gelblich-grün entgegen, sodass sie vor Schreck zurückzuckte und ihren Kopf an der Wand anstieß.
Für einen Moment verschwamm plötzlich das Bild vor ihren Augen und das Wesen verwandelte sich in etwas, das ihr seltsam vertraut vorkam, doch der Moment war so kurz, dass sie darüber nicht lange nachdenken konnte.
Keitha spürte, wie die Krallen ihre Haut durchbrachen und sah nur noch eine Chance, um aus ihrer Situation zu entkommen. Sie gab ihren Kampf auf und ließ ihren Körper erschlaffen, sodass sie möglichen Attacken nun noch mehr ausgeliefert war.
Sie betete dafür, dass das Wesen sich nicht mehr mit seinem kompletten Gewicht auf sie stützen würde, wenn es doch bereits 'gewonnen' hatte und wollte vor Erleichterung am liebsten laut aufheulen, als die Pranken sie nur noch sporadisch unten hielten.
Die Augen zusammenkneifend sammelte sie ihre Kraft, bevor sie sich gegen die Kreatur stemmte und es zu ihrem Glück wirklich zum Straucheln brachte.
Keitha dachte an nichts anderes mehr, als an Flucht und schoss so schnell es ihr möglich war durch den engen Durchgang, der sie wieder ans Tageslicht führen würde. Hinter ihr hörte sie ein erbostet Brüllen und wünschte sich einmal mehr, heute morgen gar nicht erst aus ihrem Bau gekrochen zu sein.
Sie hörte, wie schwere Schritte sie verfolgten und dachte gar nicht erst daran, ihr Tempo zu verlassen als sie endlich ins Freie gelangte - sie raste einfach weiter.
In vollem Tempo prallte sie plötzlich mit etwas - oder jemandem? - zusammen und ging ziemlich unsanft zu Boden. Den Moment, den Keitha brauchte, um ihre Orientierung zurückzuerlangen, nutzte die Kreatur und warf sich erneut auf sie. Ein schmerzerfülltes Quieken entwich ihr, es sie gegen den Waldboden drückte.
Dieses Mal hatte das Wesen sie jedoch nicht so sicher an den Boden gepinnt, denn Keitha konnte aus ihrer Position noch immer nach ihm schnappen.
Natürlich wich die Kreatur ihren verzweifelten Angriffen ziemlich unbeeindruckt aus, doch als es plötzlich abgelenkt seinen Kopf zur Seite drehte, nutzte die Füchsin ihre Chance und schnappte nach seiner Kehle. Zwar erwischte sie nur die Seite seines Halses, doch das ohrenbetäubende Heulen, das das Wesen plötzlich ausstieß, verriet ihr, dass sie eine empfindliche Stelle gefunden hatte.
Keitha kam jedoch nicht dazu, sich mehr in ihrem Gegner zu verbeißen, denn irgendetwas traf sie so hart am Kopf, dass ihr kurz das Bewusstsein schwand.
Als sie kurz darauf wieder blinzelnd die Augen aufschlug, drehten sich die Baumwipfel über ihr für einen Moment und in ihren Ohren rauschte das Blut. Bald jedoch kam sie wieder so richtig zu sich und wurde von einem Knurren empfangen, sobald sie sich aufrappelte. So ganz sicher war sie noch nicht auf den Pfoten und so taumelte sie ein paar Schritte, bis sie das warnende Geräusch Vanadey zuordnen konnte, die sich zwischen ihr und der Kreatur aufgebaut hatte.
Keitha erstarrte auf der Stelle, als sie das Wesen jetzt erneut betrachten konnte, denn es sah nicht mehr so aus, wie noch kurz zuvor - es sah plötzlich wie ein Fuchs aus!
Das Knurren ihrer Schwester ebbte ab und ihre Ohren stellten sich aufmerksam auf. Nachdem sie Keitha noch einen Moment gemustert hatte, drehte sie sich wieder zum Fremden um und begutachtete seine Verletzungen.
Als Keitha langsam klar wurde, was eigentlich passiert war, fuhr ihr ein eiskalter Schauer über den Körper und Angst klammerte sich immer fester an ihr Herz. Hatte sie ihn ... umgebracht?
Immer noch stolpernd - dieses Mal allerdings aus einem völlig anderen Grund - eilte Keitha zu den anderen beiden und stupste den fremden Artgenossen an, der regungslos auf dem Boden lag.
"Nein, nein, nein ... !", murmelte sie und sah sich hektisch um. Was sollten sie nur tun? Sie waren viel zu weit von ihrem Bau entfernt, um Hilfe zu holen und noch dazu viel zu langsam, sollten sie versuchen, ihn die Strecke zu tragen.
"Keitha?" Sie zuckte zusammen, als ihre Schwester sie ansprach und sah sogleich aus geweiteten Augen zu ihr herüber.
"Du kennst dich doch mit Heilkräutern aus, oder?" Der verzweifelte Unterton machte es Keitha nur noch klarer, wie kritisch es um den fremden Fuchs stand, denn ihre Schwester war in beinahe jeder Situation optimistisch.
"J-Ja, na klar ..." Schon drehte sie den anderen beiden den Rücken zu und versuchte Silberlilien oder Froschkraut ausfindig zu machen.
Während Silberlilien schwer zu entdecken waren, gaben sie einen ganz eigentümlichen Geruch ab, der eigentlich nicht schwer zu erspüren war. Ihre Nase allerdings, die war noch immer von den Pilzporen desensibilisiert und so nahm sie die Gerüche um sie herum nur gedämpft war.
Dann das Froschkraut, das kannst du sehen, ermahnte sie sich, als ihr Herz immer mehr zu rasen begann. Die dunklen, leicht violetten Stängel waren in all dem Grün leicht auszumachen, doch Froschkraut war anspruchsvoll und wuchs nur an äußerst feuchten Stellen, an die trotzdem ab und zu die Sonne vordrang.
Keitha spurtete los und ignorierte dabei das Stechen in ihrer Pfote, das sie bei jedem Schritt aufs Neue durchfuhr. Irgendwo ganz in der Nähe musste eine Wasserkuhle sein, die zumindest mit regelmäßigen Regenschauern nie ganz trocken fiel.
Zum Glück entdeckte Keitha das leichte Schimmern des Wassers schon bald darauf und eilte humpelnd zur nur noch kläglich gefüllten Wasserstelle. Ihre Augen suchten fieberhaft nach dunklen Stängeln - und wurden an der linken Seite der Kuhle fündig. Ihr Herz machte einen Sprung und sie riss das Froschkraut hastig aus, den seifigen Geschmack auf ihrer Zunge einfach ignorierend.
Mit ihrem Fund kehrte Keitha so schnell wie mit ihrer schmerzenden Pfote möglich zu ihrer Schwester und dem Unbekannten zurück, der nun zumindest wieder bei Bewusstsein war.
Seine Flanke hob sich in kurzen, unregelmäßigen Abständen und das hellere Fell an seiner Kehle hatte sich bereits rötlich verfärbt. Sobald der Fremde sie bemerkte, fiepte er leise und versuchte aufzustehen. Erschrocken legte Keitha sich wo sie war flach auf den Boden und beobachtete, wie Vanadey ihn zu beruhigen versuchte.
Soblald der Fuchs sich nicht mehr bewegte, kam Vanadey zu ihr und nahm das Froschkraut an sich.
"Am besten auf einem Stein kurz zertreten und dann erst auf seine Wunde auftragen", erklärte Keitha der anderen leise. Ihre Schwester stupste sie dankbar mit der Schnauze an und eilte dann zum Verletzten zurück.
Da Keitha nicht einfach nur zusehen und warten konnte, entfernte sie sich wieder etwas und hielt Ausschau nach weiteren nützlichen Kräutern und blieb doch so nah, dass ihre Schwester sie jederzeit rufen könnte.
Nach einigem sehr frustrierenden Umherstreifen wurde sie sich bewusst, dass jemand sie beobachtete und begegnete dem Blick des Fremden als sie sich umdrehte. Für einige Momente sahen sie sich einfach nur an, dann näherte Keitha sich ihm behutsam. Dieses Mal blieb er ruhig und lediglich seine Blicke folgten ihr auf Schritt und Tritt. Erst als sie schon bei den beiden angekommen war, bemerkte sie, dass sich Vanadey versteift hatte und angespannt ins Unterholz starrte.
"Ich ... hatte auch jemanden ... mitgebracht", flüsterte der Fremde beinahe unhörbar, doch Keithas Ohren funktionierten im Gegensatz zu ihrer Nase noch wunderbar.
In der Tat wurde sie sich dem leisen Rascheln und Knacken bewusst, das aus mehreren Richtungen zu ihnen vordrang und auf eine Vielzahl von Tieren hindeutete. Alarmiert zog Keitha sich langsam vom Verletzten zurück und senkte unterwürfig ihren Kopf. Wie von selbst hatte sie sich vor Vanadey geschoben und machte damit den Fremden gegenüber sofort klar, dass sie ihre Schwester unter allen Umständen beschützen würde.
Es kostete sie einiges an Selbstbeherrschung, doch sie hielt das warnende Grollen zurück, das aus ihr vordringen wollte. Sie hatte nicht vor, die fremden Füchse zu bedrohen, sondern wollte ihnen klarmachen, dass sie keine Gefahr darstellten, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht anders aussah.
Mit jedem Schritt, den die beiden Schwestern sich zurückzogen, tauchten mehr Füchse aus dem Unterholz auf - es sah so aus, als sei die gesamte Gruppe gekommen. Keitha erkannte schnell, dass das älteste Männchen das Oberhaupt zu sein schien, denn es war den anderen immer einen Schritt voraus und hatte die beiden Schwestern fest im Blick. Ein kleinerer Fuchs huschte zum Verletzten und beschnupperte skeptisch das zertretene Froschkraut, das auf seiner Halswunde aufgetragen war.
"Keitha?" Vanadeys Stimme zitterte und erinnerte die andere zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder daran, dass ihre Schwester beinahe ein ganzes Jahr jünger war als sie selbst - das entfachte ihren Beschützerinstinkt nur noch mehr und es wurde immer verlockender einfach zu flüchten, um ihre Schwester in Sicherheit zu wissen.
Anstatt jedoch diesem Instinkt nachzugeben, ließ Keitha sich in sicherer Entfernung zu den fremden Füchsen nieder und achtete doch darauf, dass die anderen sie immer noch sehen konnten. Sie spürte bald darauf, wie Vanadey zu ihr kroch und sich gegen ihre Flanke presste. Ihre gelblich-braunen Augen waren weit aufgerissen und auf die anderen gerichtet, die sich mittlerweile um den Verletzten geschart hatten und aufgeregt miteinander redeten.
"Ich passe auf dich auf, keine Angst." Keitha stupste ihre Schwester mit der Nase an und leckte ihr über das Ohr.
"Sie sind nur besorgt aber sie werden uns nichts tun."
Wie als hätten sie Keithas leise Worte vernommen, näherte sich ihnen ein Mitglied der fremden Gruppe, sodass sie sich erhob und warnend ihre Lefzen hochzog. Der junge Fuchs schien wenig beeindruckt - wahrscheinlich aufgrund der mehr als deutlichen Überzahl seiner Familie - und betrachtete sie mit einer Mischung aus Skepsis und Neugier.
"Theon sagte, ihr könntet uns erklären, was passiert ist." Keitha brauchte eine Sekunde um zu verstehen, doch dann nickte sie und ließ ihre warnende Haltung erst einmal fallen.
Der Fremde deutete ihnen mit einer Geste seiner Schnauze ihm zu folgen und so ließen die Schwestern sich zögerlich in die fremde Gruppe führen. Einige Füchse wichen einen Schritt zurück, als sie näher kamen, sodass sie bis zum Oberhaupt vordringen konnten. Der Ältere musterte sie aus intelligenten Augen und wartete, bis die Füchsinnen sich vor ihm niedergelassen hatten.
"Also?" Mehr sagte er nicht, doch das musste er auch gar nicht. Schon seine Ausstrahlung sagte Keitha, dass sie seiner Aufforderung lieber einfach nachkommen sollte.
Also erzählte sie alles, was sie sich bisher zusammengereimt hatte. Sie begann damit, wie Vanadey ihm - Theon - begegnet war und mit ihm ein Treffen vereinbart hatte, wie die Schwestern sich gemeinsam zur Ruine begeben hatten und wie sie und Theon dann aufeinander getroffen waren. Keitha weihte ihn auch in ihre Theorie ein, dass die Sporen der Pilze an den Mauern zu ihren Halluzinationen geführt haben mussten und erklärte, dass Vanadey und sie Theon sofort so gut es ging versorgt hatten, sobald die Wirkung nachgelassen hatte.
Ihr Gegenüber nickte besonnen und musterte Theon dann nachdenklich.
"Ich möchte, dass ihr mitkommt." Keithas Ohren stellten sich überrascht auf und gleichzeitig überkam sie ein ungutes Gefühl.
"Keine Angst, ihr habt mein Wort, dass wir euch nicht verletzen werden. Theon hat es sich so gewünscht." Nun sah sie den verletzten Fuchs doch an, dessen Blick wieder auf ihr geruht hatte, sobald sie in Sichtweite gewesen war. Hasste er sie denn gar nicht dafür, dass sie ihn so zugerichtet hatte?
Unschlüssig drehte sie ihren Kopf zu Vanadey um, die unruhig die Füchse betrachtete, die unbemerkt hinter ihnen den Kreis geschlossen hatten - scheinbar war es gar keine Frage gewesen, ob sie mitkamen ...
Zwei Füchse halfen Theon auf die Beine und dann setzte sich ihre Gruppe auch schon langsam in Bewegung. Die Schwestern hatten keine andere Wahl, als den anderen zu folgen, denn die Nachhut drängte sie vorwärts.
Keitha beobachtete die anderen noch immer aufmerksam, als ein Jüngerer sich zu ihnen zurückfallen ließ.
"Ich bin Theons Halbbruder. Er hatte mich mitgenommen, sozusagen als Absicherung, falls etwas schief gehen sollte." Seine vor Lebendigkeit funkelnden Augen sahen abwechselnd zu ihr und Vanadey.
"Hatte nicht gedacht, dass wirklich etwas passieren würde und habe es beinahe nicht glauben können, als ich ihn am Boden liegend gesehen habe." Sein Blick wanderte zum Oberhaupt zurück, das sie aufmerksam beobachtete.
"Bin direkt zu unserem Vater gerannt - da konnte ich ja noch nicht ahnen, dass ich die Situation total missverstanden hatte." Jetzt setzten sich so langsam die letzten Puzzleteile in Keithas Kopf zusammen. Sein Halbbruder hatte ihn also gesehen und sofort Verstärkung geholt.
"Ich muss sagen, am Anfang war ich sehr skeptisch, aber jeder zweite Satz von ihm war, dass es nicht eure Schuld war und ihr ihm geholfen habt." Lautes Ausatmen ließ Keitha aufschauen und sie bemerkte Theons stechenden Blick in Richtung seines Halbbruders. Er humpelte mit zitternden Beinen voran, aber dass er sich schon über seinen Halbbruder ärgern konnte, hieß, dass er es sicher schaffen würde.
"Ich glaube, mehr sollte ich euch nicht erzählen." Seine Schnurrhaare zuckten und er schloss wieder zu seinem Vater auf, der sie mit einem strengen Blick bedachte.
Sie brauchten nicht lange bis sie zu einer Lichtung kamen, an deren Seiten Keitha nach einigem Suchen mehrer Baue erkannte. Zuerst wurden sie mit zwei Aufpassern einfach in der Mitte der Lichtung zurückgelassen, doch bald schon führte man sie in einen Bau. Sobald sie die engen Gänge entlang liefen, schlug Keitha der stechende Geruch der Silberlilie entgegen und nach zwei, drei weiteren Biegungen gelangten sie in eine kleinere Höhle, in der eine Füchsin Theon versorgte. Die beiden Aufpasser ließen sie allein und so wandte sich bald schon die Füchsin an sie, nachdem sie Theons Körper gründlich auf weitere Verletzungen untersucht hatte.
"Ihr habt das gut gemacht." Mit ihrer Schnauze deutete sie auf das mittlerweile erneuerte Froschkraut, das Theons Halswunde bedeckte.
"Hättet ihr ihn nicht so schnell versorgt, hätte es böse für ihn enden können." Die Füchsin musterte sie eine Weile, bevor sie Theon einen Blick zuwarf.
"Ich denke ich werde euch einen Moment mit meinem Sohn allein lassen können, oder?" Keitha konnte die Füchsin nur ungläubig anstarren. Sie waren der Grund für Theons Zustand und dann wollte seine Mutter sie einfach so mit ihm allein lassen? Sie verstand diese Gruppe einfach nicht ...
Die Füchsin schien zu erahnen, was Keitha beschäftigte, denn sie legte ihren Kopf schief und sagte: "So weit ich es bisher verstanden habe, war es ein Unfall und es ist allein euch zu verdanken, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht. Ich habe schon genug fremde Füchse getroffen, um mir ziemlich sicher sein zu können, dass ihr keine bösen Absichten hegt." Sie überprüfte noch ein letztes Mal seine Halswunde und dann verließ auch sie mit einem letzten Blick auf die beiden Schwestern den Bau.
Keitha fühlte sich unwohl, nun allein mit Theon zu sein, doch Vanadey schob sich einfach an ihr vorbei und ließ sich vor ihm nieder.
"Wie fühlst du dich?", fragte sie ihn und beschnupperte neugierig die Silberlilie, die auf den kleineren Wunden an seiner Schulter verteilt worden war.
"Könnte besser sein", gab er zu "aber zumindest bin ich jetzt wieder voll da." Sein Blick wanderte für einen Augenblick zu Keitha, bevor er wieder zu ihrer Schwester zurückkehrte.
"Die Ruinen waren wohl nicht der optimale Treffpunkt, hm?" Kurz herrschte betretene Stille, doch dann begann erst Vanadey und dann auch Theon zu lachen - er klang allerdings ziemlich heiser.
Wie konnten die beiden das nicht ernst nehmen? Ihr war auf jeden Fall nicht nach Lachen zumute.
Trotzdem näherte sie sich den beiden und ließ sich dann neben ihrer Schwester nieder, die sich sogleich gegen sie lehnte. Theons Blick fand sofort den ihren.
"Danke für die schnelle Hilfe. Du hattest mich ziemlich ordentlich erwischt." Keihta wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte.
"Tut mir leid, dass ich dich so zugerichtet habe." Theon schüttelte schnell den Kopf.
"Diese komischen Pilze haben meinen Verstand auch völlig vernebelt. Hätte ich ein wenig Erfahrung gehabt, hätte ich dich sicher auch verletzt." Die braunen Augen sahen ernst zu ihr hoch.
"Mein Vater wird sicher dafür sorgen, dass möglichst viele davon erfahren, wie gefährlich die Ruinen sind." Es tat gut, das zu hören.
Sie würde ihrer Familie wohl auch erzählen müssen, was passiert war, auch wenn ihr das Ganze ein wenig peinlich war ... Keitha stellte sich schon vor, wie so ein Gespräch wohl laufen würde, als sie sich bewusst wurde, dass Theon sie immer noch ansah.
"Ich würde mich gerne nochmal mit ... euch treffen", flüsterte er und Vanadeys unterdrücktes Lachen machte umso klarer, was Theon wohl eigentlich meinte.
Keitha durchlief ein komisches Kribbeln von den Ohrenspitzen bis hin zu den Pfoten und sie suchte für einen Moment nach den richtigen Worten.
"Wenn es für deine Familie in Ordnung ist, kann ich dich morgen besuchen kommen. Wir wissen ja jetzt, wo ihr lebt." Theons Augen begannen zu strahlen und Keihta freute sich zum ersten Mal seit einigen Monaten wieder so richtig auf den nächsten Tag.
Als die Schwestern durch den Buchenhain zurück zu ihrer Familie liefen, kam Vanadey nicht drum herum zu bemerken, wie beschwingt Keitha neben ihr her lief und dass sie die Schönheit der herbstlichen Buchen gar nicht richtig zur Kenntnis nahm. Stattdessen schienen ihre Gedanken noch immer um einen gewissen Fuchs mit hellen, braunen Augen zu kreisen.
Obwohl der Tag anders verlaufen war, als sie es geplant hatten, bereute Vanadey nicht, dieses Treffen arrangiert zu haben.
Auch wenn ihre Schwester sich dem vielleicht noch nicht ganz bewusst war, glaubte Vanadey, dass sich heute zwei weitere Seelen gefunden hatten.