Er holte das kleine Leinenpäckchen aus seinen Habseligkeiten hervor. Meine Füße wollten nicht stillstehen, als ich an den Inhalt dachte, der mich aus dieser Welt in eine schönere katapultieren würde. Nervös rieb ich mir die schmerzenden Augen, die letzte Dosis war zu lange her. Feinkörnig rieselte der goldgelbe Sand vom Päckchen durch seine Finger. Beste Qualität, das erkannte ich sofort.
„Woher hast du den?“
„Kommt direkt aus Maskas“, erwiderte er.
„Red keinen Stuss. Wer geht denn da schon freiwillig hin?“
Er zuckte mit den Achseln. Eigentlich war es mir auch egal. Solange das Zeug nicht gepanscht war, interessierte mich seine Herkunft recht wenig. Ich steckte ihm die letzten Edelsteine zu, im Austausch gegen ein mickriges Häufchen, das er in meine Hand rieseln ließ. Schon merkwürdig, wie viel zermahlene Magie wert war.
Mein Zeigefinger zitterte, als sich seine Spitze in die Körner drückte. Mit dem Mittelfinger schob ich das rechte Augenlid herunter, um sie darunter zu platzieren. Dann war das Linke dran, noch bevor der Schleier aus Tränen den Sand aufspalten und verteilen würde.
„Hast es wohl direkt vom Sandmann, hä?“, feixte ich, nachdem ich mich gegen den Baumstamm sinken ließ und auf das Einsetzen der Wirkung wartete.
Sein Gesicht wurde ernst.
„Darüber macht man keine Späße. Weißt du überhaupt, wer das ist?“
„Man hört so einiges...“, murmelte ich träge.
Ich spürte deutlich, wie der Sand durch meinen Blutkreislauf gepumpt wurde, die Muskeln entspannte und den Verstand vernebelte. Gleich wäre ich weg.
„Er ist der mächtigste Mann in Maskas, gefürchtet und geachtet bei seinesgleichen“, hörte ich ihn durch den Nebel sagen. „Es heißt, er habe die Sandformel vom Tod persönlich bekommen, damit er den Schlaf zu seinem Bruder machen konnte. Und in den Tiefen von Maskas Sümpfen hat der Sandmann mit eben dieser Formel den Traumsand erschaffen, um sich an der Menschheit zu rächen, die ihn und seine Sippe seit jeher ausbeuten. In seinem Labor hortet er Säcke voll davon, so viel, dass er die ganze Welt in einen ewigwährenden Schlaf versetzen könnte. Doch stattdessen verteilt er ihn an seine Gefolgschaft - ausgehungerte, magere Traumfänger wie er selbst einer ist – damit sie ihn den Menschen geben, die bereitwillig jeden Preis dafür zahlen. Dem Sandmann jedoch sind Edelsteine und Erz einerlei. Was ihn antreibt, ist der stete Hunger. Unzähligen Männern, Kindern und Frauen lauert er im Schlaf auf, reißt ihnen die Schönsten aller schönen Träume brutal aus dem Leib, um sie in seinem gierigen Schlund verschwinden zu lassen. Und die, die er nicht verspeist, füllt er in Sanduhren, damit sie sich für alle Zeit in ihren gläsernen Gefängnissen winden. Seine Regale sind brechendvoll von unbeendeten Träumen, die im Todeskampf nach ihren Schöpfern schreien und letztlich doch vom Sandmann verschlungen und zersetzt werden.“
Er machte eine kurze Pause. Meine Augen waren bereits komplett geschlossen, hinter ihnen breiteten sich die Sümpfe Maskas aus, dunkel und schauderhaft, durchsetzt mit den kläglichen Schreien ihrer Opfer. Ganz nah an meinem Ohr hörte ich ein Wispern:
„Träum was schönes, kleiner Mensch.“