Sie war eingekesselt. In alle Richtungen standen sie, dicht an dicht - es würde kein Entrinnen geben, selbst, wenn sie sich bewegen könnte. Und doch stand sie stolz und schön in ihrer Mitte, als ginge sie all das, was hier geschah, schlichtweg nichts an.
"Was gibt es denn da so Interessantes zu sehen?"
Kryptilds Stimme erklang derartig nah an seinem Ohr, dass er vor Schreck einen Satz zur Seite machte, was durch seine hockende Position in einem wenig eleganten Sturz auf den Boden endete.
"Hoppla, immer mit der Ruhe!" Kryptild sah leicht besorgt auf ihren Schüler hinunter. Ein wenig schämte sie sich nun für den Spaß, den sie sich mit ihm erlaubt hatte. Sie wusste genau, dass er es nicht ertrug, wenn man ihm zu nahe kam, doch ihn so gedankenverloren auf dem Boden hockend vorzufinden hatte sie zu sehr gereizt, als dass sie sich hätte zurückhalten können. Also hatte sie sich dicht zu ihm gebeugt, als sie die Frage stellte.
Es war wirklich unhöflich von ihr gewesen. Doch der junge Mann, der sich betreten den Staub von den Beinkleidern klopfte, schien sich mehr über sich selbst als über sie zu ärgern, und fürs Erste wollte sie es dabei belassen.
"Also?" Sie sah ihn mit fragendem Blick an, trat aber nicht näher zu ihm. Sie hatte es ohnehin schon übertrieben.
Er räusperte sich verlegen, bevor er antwortete. "Ich ... Eigentlich nichts. Ich war nur von den Pflanzen fasziniert, die dort drüben wachsen."
Sie warf einen Blick auf die Stelle, auf die er gedeutet hatte, und lächelte.
"Du meinst die große Blume mit den prächtigen Blütenblättern?"
"Auch", bestätigte er. "Aber die Pilze, die in einem Kreis um sie herum wachsen, haben mich noch mehr fasziniert. Wie kommt es, dass sie einen so perfekten Ring formen?"
Sie bedeutete ihm, sich ihr für einen Spaziergang durch den weitläufigen Garten des Perainetempels anzuschließen.
Während sie nebeneinander her gingen, legte sie sich die Worte zurecht, um seine Frage zu beantworten.
"Pilze sind strenggenommen keine Pflanzen", begann sie dann. "Du erinnerst dich, wie sich Pflanzen charakterisieren lassen?"
Er nickte und rezitierte: "Sie brauchen Wasser, Licht und etwas, in dem sie mit ihren Wurzeln Halt finden. Falls das, worin sie sich verankern, nicht genügend Nährstoffe enthält, muss man diese zusetzen."
"Sehr gut", lobte sie ihn. "Und wo ist nun das Problem mit den Pilzen?"
Er lächelte leicht. "Sie brauchen keine Sonne", stellte er mit leichter Überraschung in der Stimme fest.
"Genau so ist es. Sie wachsen sehr oft an schattigen Orten - vorwiegend deshalb, weil es dort auch oft beständig feucht ist."
Er konnte die Ungeduld, zu der seine Neugier ihn verleitete, nicht länger unterdrücken. "Und warum wachsen sie in einem perfekten Kreis?"
"Immer mit der Ruhe. Dazu kommen wir gleich", ermahnte sie ihn lächelnd. "Was genau sind Pilze?"
Er runzelte verwirrt die Stirn und dachte nach. Sie gab ihm Zeit, denn es gefiel ihr, wenn er selbst auf Antworten zu seinen Fragen kam. Oft wusste er längst Bescheid und hatte nur die Zusammenhänge noch nicht erkannt.
Doch dieses Mal gab er nach einiger Zeit auf. "Ich weiß es nicht", murmelte er kopfschüttelnd. "Wenn sie keine Pflanzen sind - was sind sie dann?"
"Sie bestehen aus sehr vielen sehr dünnen Fäden", klärte sie ihn auf. "Man sieht sie nur selten. Aber wenn du darauf achtest, kannst du beim Umgraben im Garten sicherlich die eine oder andere Schaufel voll Erde finden, die von sehr feinen, langen, zarten Fäden durchzogen ist. Das ist der eigentliche Pilz!"
"Der eigentliche Pilz?" Verwunderung spiegelte sich in seinen Zügen. "Was ist dann das, was um die Blume herum wuchs?"
"Die Frucht!" Es war ein schwieriges Thema, das wusste sie selbst. Wie sollte man verstehen, dass es Leben gab, das man kaum sehen konnte? "Es ist wie bei einem Apfelbaum - wir essen nur die Äpfel. Bei einem Pilz essen wir auch nur die Frucht. Der Rest ist die eigentliche Pflanze, oder hier, der eigentliche Pilz."
Nun sah sie Verärgerung in seinen Augen aufblitzen. "Das ist ja alles interessant, Kryptild - aber was hat es mit dieser Kreisform auf sich?"
Er sollte dringend an seiner Ungeduld arbeiten. Soweit sie jedoch hörte, hatten weder sein Kampflehrer noch sein theologischer Mentor Probleme mit seinem Hang, Dinge überstürzt anzugehen. Machte sie etwas falsch?
Seufzend verdrängte sie den Gedanken und konzentrierte sich auf eine Antwort.
"Ein Pilz im Boden wächst gleich schnell in alle Richtungen. Und offenbar bildet er nur ganz am Rand seiner Ausdehnung Früchte. Wenn also ein Pilz an einer Stelle in den Boden gelangt, breitet er sich aus und bildet nach einer Weile seine überirdischen Früchte, die dann einen nahezu perfekten Ring bilden."
Doch er war mit ihrer Antwort immer noch nicht glücklich, das konnte sie deutlich sehen. Langsam wurde ihr sein intensiver Blick ein wenig unheimlich.
"Was ist?", fragte sie ihn also direkt. "Was hast du nicht verstanden?"
"Warum", sagte er mit leichter Verzweiflung in der Stimme, "Warum umzingeln die Pilze die Blume?"
Nun war ihr alles klar. Sie lachte, bevor sie es ihm erklärte. "Die habe ich heute Morgen da rein gepflanzt. Ich fand die Kombination hübsch!"
"Oh." Betreten blickte er zu Boden. "Und ich dachte, die Pilze erwürgen sie, ähnlich wie Efeu das manchmal mit Bäumen tut."
Ah! Endlich verstand sie. Sie unterdrückte den Instinkt, ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter zu legen, und lächelte. "Nein. Nicht alles, was du lernst, lässt sich auf andere Dinge übertragen. Keine Sorge. Efeu ist, was das angeht, recht einzigartig in unserer Gegend."