Er hatte schon von Schnee gehört. Er hatte es sich jedoch nicht wirklich vorstellen können: gefrorener Regen, aber nicht in Form von Eiskügelchen, sondern als feine, leichte Kristalle, die sanft zur Erde schwebten.
Zuhause in Punin hatte es seit seiner Geburt nicht geschneit, vielleicht sogar länger. In einem besonders kalten Winter war das Wasser draußen in Eimern und Fässern gefroren, was ihn damals unglaublich fasziniert hatte.
Jetzt stand er da und starrte mit derselben Faszination auf die Schneeflocken, die sich auf den Satteltaschen seines Esels sammelten. Es waren tatsächlich winzige Sterne – an Kristalle erinnerten sie ihn jedoch nicht. Doch sie waren unfassbar filigran, zart ... und lösten sich in sehr kleine Wassertropfen auf, wenn sein Atem sie streifte.
Er richtete sich wieder aus der gebeugten Position auf, die er eingenommen hatte, um die hauchzarten Flocken genauer in Augenschein nehmen zu können. Auf seinem Umhang schmolzen sie überraschend schnell.
„Lass uns weitergehen“, sagte er zu Alfons, seinem treuen Esel, der stoisch stehengeblieben war, während sein Herr sein Gepäck angestarrt hatte. „Wir müssen einen Unterschlupf finden. Es wird für mich einfach zu kalt, um hier draußen zu übernachten.“ Auch die Tiere des Waldes schienen sich verzogen zu haben. Kein Vogel sang, kein Geräusch war zu hören, außer dem gelegentlichen Brechen von Ästen, wenn die gemächlich ansteigende Schneelast zu schwer wurde. Sie mussten dringend hier weg.
Wie zur Bestätigung wirbelte ein kurzer Windstoß ihm weitere Flocken ins Gesicht, die seine Nasenspitze noch tauber werden ließen. Er benötigte einen Schal oder einen warmen Hut – am besten beides. Die ledernen Handschuhe, die er trug, halfen auch nicht viel gegen die klammen Finger. Als Almadani war er einfach nicht an die Temperaturen hier in Tobrien, das viel weiter nördlich lag als Almada, gewöhnt.
Als sich der Waldweg, dem er und Alfons schon eine Weile folgten, gabelte, wusste er nicht mehr weiter. In welcher Richtung lag eine Stadt, ein Dorf, eine Siedlung oder wenigstens irgendein Unterschlupf? Er war inzwischen durchnässt und fror erbärmlich – trotz Alfons‘ Wärme würde er weitere Nächte hier draußen nicht überstehen.
Mit klammen Fingern fischte er eine Münze aus seiner Geldkatze – selbst die war so kalt, dass sie fast an seiner Haut haften blieb. Zitternd ließ er sich auf ein Knie nieder und senkte demütig den Kopf.
„Herr Phex“, wandte er sich an seinen Gott, „Ich bitte dich um einen Rat. Es ist kalt und wird immer kälter. Ich, dein ergebener Diener, benötige einen Schutz vor der Witterung, weiß jedoch nicht, wohin ich mich wenden soll. Bitte zeig mir den Weg – bei Kopf nehme ich den linken, bei Zahl den rechten Pfad. Führe mich und meinen Esel zu einem Unterschlupf und gewähre uns so unser Leben.“
Er wollte die Münze werfen, doch sie entglitt seinen steifen Fingern einfach und rollte ein, zwei Schritt weit davon. Fluchend erhob er sich, wollte sie aufheben und es erneut versuchen, doch dann hielt er inne. Sie war nach rechts gerollt, und sie zeigte Zahl. Und sie war direkt vor einem hinter einem Baum verborgenen Wegweiser liegengeblieben.
„Perainefurten“, las er leise, als er die Münze in seine Tasche steckte und aufstand. Einen eindeutigeren Hinweis konnte er kaum bekommen.
Von neuer Energie erfüllt wandte er sich lächelnd zu seinem Esel um. „Komm, Alfons – wir gehen nach Perainefurten! Phex selbst hat uns den Weg gewiesen – wir werden es sicher schaffen!“