„Erzählen Sie mir etwas über ihre Kunst“ – bat ich den alten Herren. Seine Knochen wären über die Jahre ermüdet, das merkte man ihm an. Seine Hände waren schwach geworden, aber er ließ es sich nicht nehmen zu malen. Ich bewunderte ihn. So lange habe ich ihn beobachtet, wie er seine Werke schuf. Durch die große Scheibe seines Ateliers, hinter den vielen Leinwänden, sah man ihn. Und nun sitze ich bei ihm.
„Nun, was soll ich ihnen erzählen, junge Dame? In meinem Alter gibt es eine Menge Erinnerungen, aber ich kann mich weiß Gott nicht an alle erinnern. Dafür habe ich meine Bilder. Sie sind mein Gedächtnis.“ – er wedelte mit seinem ausgestreckten, knochigen Zeigefinger von einem seiner Kunstwerke zum Anderen.
„Nur zu, sehen sie sich um, wo sie sich nun endlich herein getraut haben.“ fügte er hinzu, als ich nicht direkt antwortete. Seine Kunst war wunderschön. Kein Bild glich dem Anderen. Keiner konnte sagen, welchen Stil er verfolgte. Er hatte recht, es ist wie in einem Gedächtnis – jede Erinnerung ist einzigartig.
„Sie malen also das, was sie erleben?“ fragte ich abwesend, um das Gespräch am laufen zu halten.
„Aber natürlich. Wie wollen sie etwas malen, dass sie nicht erlebt haben? Sie müssen eine Verbindung zu dem Bild aufbauen, sonst bleib es ein wenig Farbe auf einer Leinwand.“ Er lächelte. Doch er lächelte nicht mir zu. Es wirkte, als würde er all die Leute belächeln, die genau das nicht geschafft hatten. Die Farbe auf der Leinwand zu einem Kunstwerk werden zu lassen.
„Darf ich mich umsehen?“ fragte ich.
Dieses Mal galt sein lächeln wirklich mir. „Deshalb sind sie doch hier. Nur zu! Sehen sie sich um.“
Es waren unzählige Werke, die er im Laufe seines Lebens angefertigt und zum Leben erweckt hatte. Ich besah eines nach dem anderen und fühlte mich schuldig, weil ich keinem meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken konnte. Es waren so viele und ich wollte sie sehen, bevor ich ging. So viele Jahre hatte ich gebraucht um in diese Welt einzutreten und nun war meine Zeit fast rum. Es war beeindruckend. Was mochte dieser Mann nur alles erlebt haben?
Meine Gedanken kreisten noch eine Weile und meine Hände tasteten sich immer weiter vor, bis Beide gleichzeitig an einem Bild hängen blieben. Zu sehen war eine Frau. Sie stand in einem Fluss mit wenig Wasser und einem Sieb in der Hand. In dem Sieb war Sand und wenn man genau hinsah, dann schimmerte etwas ganz leicht in einem goldenen Ton. Die Augen der Frau waren ganz sicher darauf geheftet, auch wenn man es nicht genau sehen konnte. Man spürte die Anstrengungen dieser Frau und die Hoffnung in ihrem Herzen. Sie war eine Goldsucherin. Vielleicht die einzige ihrer Zeit. Ich wusste nicht viel über das Goldsuchen, aber ich konnte mir vorstellen, dass Frauen es nicht taten. Möglicherweise war deshalb niemand außer ihr an diesem Ort. Galt er schon als ausgebeutet?
„Sie haben dort eines meiner besten Werke gefunden. Gefällt es Ihnen?“
„Ja, sehr.“ Sagte ich atemlos.
„Wissen sie, diese Frau erinnert mich an sie.“ sagte er in einer sanften Stimme zu mir. „Es gehört ihnen.“
Ich konnte nicht glauben, was er gerade sagte. Ich hatte keine Worte um zu antworten. Und ich musste es auch nicht, denn er sagte: „Sie haben mich gefunden, wo andere schon aufgehört haben zu suchen, sind sie jahrelang dabeigeblieben. Und sie haben dieses Bild unter all den anderen gefunden. Sie sind wie die Goldsucherin, die ich einst kannte.“
An diesem Tag hatte also nicht nur er mir ein Geschenk gemacht.