Nach seinem Schulabschluss hatte Enzo sich fest vorgenommen einige Monate im Ausland zu verbringen. Endlich eine Sprache täglich anwenden, ein anderes Land erkunden, Erfahrungen sammeln und reisen. Ja, im Großen und Ganzen ging es ihm vor allem darum möglichst viel von der Welt zu sehen und das so schnell wie möglich. Sein Leben genießen, bevor der Ernst des Lebens beginnt und ihn für immer gefangen nimmt.
Enzo verließ also seine Heimat und kam zu einer Familie, die er als Erntehelfer unterstützen wollte. Dies sollte seine erste Station von vielen sein. Sein Ziel: Weiterziehen und anderen Familien für einen Platz zum Schlafen und gutes Essen helfen. Als Erntehelfer, Babysitter, Tierpfleger, als Nachhilfelehrer, Handwerker, eben als alles, was ihm das Leben seines Traumes ermöglichen würde. Nach drei Wochen als Erntehelfer plante er die Familie zu verlassen, bei der seine Reise begann. Seine Zeit war knapp und es gab noch so viel zu entdecken.
Eines Abends erzählte die Mutter seiner Gastfamilie von einer schweren Dürre vor vielen Jahrzehnten. Ihr Vater sei gerade einmal sieben Jahre alt gewesen, an sie selbst war noch gar nicht zu denken.
„Obwohl mein Vater erst sieben Jahre alt war, hat er diese schwierige Zeit nie vergessen. Keiner aus unserem Dorf würde das je tun. Die Dürre zerstörte die komplette Ernte. Bisher hatten wir nie Probleme mit zu wenig Wasser. Jahr um Jahr war unser Dorf mit einer reichen Ernte gesegnet. Das dies ein großes Geschenk war, erkannte keiner. Wir waren es ja gewohnt, dass unsere Ernte prächtig ausfiel und die Zeit bis zur Ernte reibungslos verlief.
Damals jedoch zogen sich die Risse über jeden einzelnen Zentimeter des Bodens, wo all die Jahre zuvor die Samen sprossen. Täglich liefen mein Großvater und mein Vater über unser Feld. Sie liefen über nichts anderes als harten Staub. Kein Wind trug ihn fort, kein Wind brachte ihnen die ersehnten Regenwolken, kein Wind verirrte sich in das dürre Land.“ sie wollte zu ihrem Wasserglas greifen, hielt jedoch inne, bevor ihre Hand das Glas umfasste. Nach einem tiefen Atemzug, in dem sie auch ihre Hand wieder in ihren Schoß gleiten ließ, setzte sie ihre Erzählung fort. Ob sie das mit dem Wasserglas absichtlich getan hatte?
„Das Dorf war verzweifelt. Die Ältesten trafen sich und tagten und die Jüngsten taten es ihren Vorbildern gleich. Die Mütter ließen ihre Kinder machen, warum auch sollte man ihnen ihr Spiel gerade in so schwierigen Zeiten verbieten?“ sie sah Enzo in die Augen und hob die Augenbrauen. Dieser zuckte mit den Achseln.
„Richtig. Und hätten sie es ihnen verboten, hätte das Dorf noch viele weitere Jahre in Dürre leben müssen.“
„Die Kinder haben die Ernte gerettet?“ fragte Enzo erstaunt.
„Na und ob. Sie brachten die Regenfrau zu uns ins Dorf.“ nun strahlten ihre Augen. „Sie brauchte uns bei den Regen zu rufen.“
Enzo starrte sie an. Er hatte schon von Ritualen wie dem Regentanz gehört, aber nie vermutet, dass dies hier praktiziert wurde. „Ihr tanzt damit der Regen kommt? Ist das nicht bloß ein Aberglaube?“
Sie schüttelte den Kopf. „Manche Dinge hinterfragt man nicht. Es geht auch gar nicht darum für Regen zu tanzen. Die Idee der Kinder schien damals völlig absurd. Keiner hier glaubte daran, den Regen rufen zu können. Trotzdem versuchten sie es. Und auch heute treffen sich die Leute aus dem Dorf einmal im Monat um den Regen zu rufen.“
„Aber ihr habt doch genug Regen.“ sprach Enzo seinen Gedanken aus.
„Deshalb rufen, tanzen und beten wir weiterhin. Als Zeichen unserer Dankbarkeit.“ Als sie nun nach dem Wasserglas griff, nahm sie es wirklich in die Hand und führte es zum Mund. Enzo war beeindruckt von der Geschichte, auch wenn er nicht wusste, wieviel davon er glauben konnte.
Seine Pläne hatte er geändert. Enzo blieb bis zum Ende seiner Reise an diesem Ort und entdeckte so eine ganze Welt innerhalb eines kleinen Dorfes.