Am nächsten Morgen erwachte Sam von einem lauten Donnern. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wo er war, im zweiten fürchtete er, jemand stehe vor der Tür und wolle seinen Vampir holen, und im dritten erinnerte er sich, dass abruptes Aufsetzen am Tag nach einem Rausch ziemliche Kopfschmerzen verursachte.
Dann wiederholte sich das Geräusch, erzeugte erneut pochende Schmerzen in seinem Kopf. Erst da erkannte er es endlich. Draußen tobte ein heftiges Gewitter, der Wind schlug die Fensterläden gegen die Fassade des Gasthauses, immer wieder übertönt von Donnergrollen.
Mit einem gequälten Stöhnen ließ Sam sich zurück in die Kissen sinken. Erst da bemerkte er, dass Damian wach war und ihn ansah.
„Guten Morgen“, sagte der mit einem spöttischen Funkeln in den Augen.
Sam knurrte ihn missmutig an. „Hast du etwa keine Kopfschmerzen?“
Das melodische, leise Lachen des Vampirs milderte seine schlechte Laune, doch er hatte nicht vor, das allzu bald zuzugeben.
„Meine Art heilt schnell, Sam. Erhol dich noch ein bisschen. Ich werde einen Boten zum Hexenzirkel schicken und ausrichten lassen, dass deine Freunde dich heute nicht erwarten sollen.“
Der Hexer wollte etwas erwidern, doch der zarte Kuss, den Damian ihm vor dem Aufstehen auf die Stirn gab, ließ ihn die Worte vergessen.
„Bleib nicht zu lang weg“, bat er stattdessen.
Damian schenkte Sam ein Lächeln und zwinkerte ihm aufmunternd zu, bevor er sich auf den Weg hinunter in den Schankraum machte.
Das Gewitter und die noch recht frühe Stunde erzeugten gähnende Leere im Gasthaus. Niemand stand hinter dem Tresen und die Laternen waren nicht entzündet, sodass es allein Damians Vampirsicht zu verdanken war, dass er nicht gegen einen der herumstehenden Tische oder Stühle stieß, während er sich auf die Tür zur Küche zubewegte. Dort hielten sich mindestens zwei Personen auf: Ein schmaler Lichtstreifen drang unter dem Türblatt hindurch und das gute Gehör des Vampirs nahm eine leise Unterhaltung über das Wetter und dessen Konsequenzen für das Gästeaufkommen wahr.
Höflich klopfte Damian an, bevor er die Küche betrat. Die beiden Wirtsleute unterbrachen erschrocken ihr Gespräch, lächelten aber, als sie ihren Gast erkannten.
„Ich wünsche Euch trotz des Wetters einen guten Morgen“, grüßte der Wirt. „Was kann ich für Euch tun, mein Herr?“
Damian mochte die beiden. Ihr Gasthaus mochte nicht zu den besten der Stadt zählen, doch die Wirtsleute waren freundliche, ehrliche Leute, die seine Sonderwünsche ohne viel Federlesen möglich zu machen versuchten. Samantha hätten sie gefallen. Er war gespannt, was Sam von ihnen halten würde.
„Auch Euch einen guten Morgen“, antwortete er. „Ich habe zwei Anliegen. Habt ihr vielleicht jemanden hier, der sich trotz des Wetters durch einen Botengang ein paar Groschen verdienen möchte?“
Die beiden wechselten einen Blick.
„Möglicherweise ist unsere Tochter interessiert“, erwiderte der Wirt. „Ich hole sie, bittet wartet einen Augenblick.“
Seine Frau sah ihm hinterher und lächelte Damian dann freundlich zu. „Was ist Euer zweites Anliegen?“
„Ich hätte gerne einen weiteren Krug Wasser und eine Kleinigkeit zu Essen. Ein Apfel wäre schön.“
„Das ist gar kein Problem. Gebt mir eine Minute.“
Während sie einen Kanten Brot, zwei Eier, ein wenig Käse und den gewünschten Apfel auf einem Teller anrichtete, kam der Wirt mit der Tochter zurück, einem dunkelhaarigen Mädchen von vielleicht zwölf Jahren, die sich bereits unter einem dichten Wollmantel verbarg. Damian bezweifelte, dass der sie vor dem Regen schützen würde, sagte aber nichts dazu.
Er zückte einige Münzen, die die Augen der Wirtstochter aufleuchten ließen, und gab ihr seine Instruktionen. „Bitte geh für mich zum Hexenzirkel und richte aus, dass Sam sich noch nicht wieder gut fühlt und heute nicht kommen wird.“ Hoffentlich kam seine Botschaft sicher an. Er konnte es nicht wagen, sich persönlich im Stammsitz derer blicken zu lassen, die Vampire jagten, doch er wollte unbedingt vermeiden, dass sich Hexen vor seiner Zimmertür versammelten, weil sie nach einem der ihren suchten.
Die Wirtstochter überraschte ihn positiv, als sie seine Worte sorgfältig wiederholte, bevor sie ihren Lohn entgegennahm und die Küche eifrig verließ.
Der Wirt lächelte Damian an. „Sie macht das nicht zum ersten Mal“, erklärte er stolz. „Ihr könnt euch auf sie verlassen.“
Der Vampir bedankte sich höflich und trug den Krug Wasser sowie das Frühstück hinauf zu Sam.
Der lag immer noch im Bett und schien wieder in einen leichten Schlaf gefallen zu sein.
Damian stellte Krug und Teller ab und setzte sich auf die Bettkante. „Alles in Ordnung?“
Sam riss die Augen auf, entspannte sich aber, als er den Vampir erkannte. „Bei den Göttern, hast du mich erschreckt!“ Kurz lächelte er, bevor seine Miene ernst wurde. „Ist Anschleichen auch eine Fähigkeit deiner Art?“
Damian nickte. „Viele von uns sind sehr gut darin, ja. Es lag jedoch nicht in meiner Absicht, dich zu erschrecken.“ Er wollte das Thema wechseln und deutete auf den Teller. „Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht.“
Sam bedankte sich, setzte sich auf und machte sich mit Heißhunger über Frühstück und Wasser her.
Damian gefiel es, ihn dabei zu beobachten. Er selbst aß zwar nicht, hatte aber immer Freude daran gehabt, Samantha beim Essen zuzusehen. Der sichtliche Genuss, den sie empfand, wenn sie verschiedenen Nahrungsmittel kostete, hatte sie stets bezaubernd aussehen lassen – besonders, wenn sie hingebungsvoll die Augen schloss und einem bestimmten Geschmack nachspürte. Sie beim Einnehmen einer Mahlzeit zu beobachten war für Damian fast ebenso sinnlich wie das Essen für sie sein musste. Er hatte stets bedauert, es nicht wirklich nachvollziehen zu können.
Sam ließ sich bei Weitem nicht so viel Zeit mit seinem Frühstück wie Samantha das immer getan hatte. Lag das daran, dass er hungrig war, oder war es einer der Unterschiede zwischen seinem jetzigen und seinem früheren Selbst? Damian freute sich darauf, es herauszufinden.
„Isst du nie?“, fragte der Hexer, sobald er seine Mahlzeit beendet hatte.
Damian schüttelte den Kopf und lächelte Sam vielsagend an. „Mein Geschmack ist ausgesprochen ... exquisit.“
Der kicherte. „Das nehme ich als Kompliment!“ Er legte dem Vampir eine Hand in den Nacken und zog ihn für einen sanften Kuss zu sich.
Es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis Damian sich ganz dem Gefühl hingab, das Sams zärtliche Lippen auf seinen erzeugten. Er erwiderte den Kuss, ließ es geschehen, dass Sam ihn mit sich aufs Bett hinunterzog und öffnete sich der behutsam um Einlass bittenden Zungenspitze. Eine ganze Weile lagen sie da, völlig in ihren Liebkosungen verloren, bis Damians Lippen sich auf Sams zu einem Lächeln verzogen.
Der öffnete die Augen und sah den Vampir neugierig an. „Was?“, fragte er lächelnd.
„Ich habe noch nie einen unrasierten Mann geküsst“, gestand Damian. Dann schmunzelte er. „Es gefällt mir. Es bedeutet, dass du die ganze Nacht bei mir warst. Ich habe das vermisst.“
Das letzte Wort lenkte Sams Konzentration auf eine wichtige Frage. Er sah seinem Vampir forschend in die Augen. „Du hast heute Nacht behauptet, ich wäre wiedergeboren.“
„Ja“, antwortete Damian schlicht. Er konnte Sam nicht dabei helfen, es zu verstehen. Das waren Hexendinge, nichts, wobei er mit Erklärungen dienen konnte.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
Ja, wie konnte er das? Der Vampir nahm sich Zeit, über seine Antwort nachzudenken. Sanft streichelte er dabei über die Wange des Menschen, den er liebte.
„Du hast sehr viel mit ihr gemein“, antwortete er dann. „Einige Äußerlichkeiten wie deine roten Haare, teilweise deine Gestik und sogar Mimik. Du magst viele Dinge, die sie auch mochte.“ Er seufzte. „Das könnte natürlich alles Zufall sein.“ Dann sah er Sam tief in die Augen. „Aber ... Ich weiß es einfach, Sam. Ich fühle es. Geht es dir nicht auch so?“