Es gibt so viel zu diesem Stichwort zu sagen. Mein gesamtes Leben, wenn man so will. Doch wieso? Nur, weil die Gesellschaft es mir vorschreiben will, wie ich zu sein habe? Predigten hört man nahezu von Geburt an: Sei du selbst! Es ist dein eigener Weg, den du gehen musst! Selbst Abwegiges, wie etwa: Gott hat jeden Menschen eigens geschaffen. Doch aus welchem Grund erzählen wir uns diese Heucheleien, wenn es letztlich doch nicht akzeptiert wird? Entschuldigt diese untypische Geschichte, aber ich muss etwas loswerden, ehe mein Bruder wieder nach Hause kommt. Ehe meine Mutter wieder lautstark durch die Wohnung schreit, weil schon wieder etwas neben der Gefriertruhe oder gar im Kühlschrank liegt, und meinem Vater die Schuld gibt, unabhängig davon, ob sie es eigentlich selbst war.
Doch vermag es mein Verstand nicht zu verstehen, dass der Mensch nach Individualität schreit, letztlich aber keine Toleranz dafür zeigen kann. Erlaubt sind Floskeln, wie "diese dummen Ausländer", oder Kommentare darüber, wie Dortmund, Bayern oder irgendein anderer Fußballverein gespielt hat, gerne in der Kombination mit dem Wort WIR, als hätte genannte Person irgendetwas damit zu tun gehabt, stumpfe Angeberei, welch glorreiche Tat vollbracht wurde, und stumpfe Diskussionen über das Wetter. Nichts anderes wird geduldet. Natürlich unterscheidet es sich ein wenig, je nach dem, um welche Gruppe es sich handelt. Wozu also reden wir davon, ein Individuum zu sein, wenn das Einzige, was es uns einbringt, Groll und Hass sind? Die Folge: Pillen, durch die wir wieder "klar im Kopf" werden sollen, damit Nummer 24601 funktioniert, wie vorgesehen. Alles, was sich von der Norm unterscheidet, ist krank und benötigt Hilfe. Wie konnte sich unsere Gesellschaft zu so etwas entwickeln? War es Geld? Neid? oder Gier?
Und schon erschallt die laute Stimme meiner Mutter und durchdringt jegliche Ruhe. Das Eis lag im Kühlschrank anstelle des Eisfachs. Es ist so vorhersehbar und langweilig. Würden wir alle der Norm folgen, wäre die Menschheit nie aus den Höhlen heraus gekrochen. Was für unsere Welt vermutlich sogar besser gewesen wäre.
Meine Eltern sind wütend auf mich und ich muss mir zum Glück keine Sorgen machen, von Ihnen unterbrochen zu werden. Sie ignorieren mich, denn gestern habe ich in der Schule eine einwöchige, wie sie es nennen, "Sperre" bekommen, als ich es gewagt hatte, mich gegen die drei Jungs zu wehren, die auf mich eingetreten hatten, als ich am Boden lag. Ich sei das Problem, da ich immer derjenige bin, der in diesen Prügeleien landet. Natürlich kann ich etwas dafür: Ich bin anders. Die Wahrheit interessiert aber keinen, nur die eigene Version. Was soll man also machen? Was kann einem helfen, wenn man sich in solchen Situationen wiederfindet, außer, sich selbst zu belügen und zu versuchen, ein Teil von etwas zu werden, was man nicht sein will oder kann?