*[Stichwort: treten]
Nicholas stellte die Dusche ab, trat hinaus in die dichten Nebelschwaden, die durch das Bad zogen und begann schnell sich abzutrocknen. Als er damit fertig war, zog er die Stirn in Falten und roch übertrieben an sich. Er hatte immer noch das Gefühl stark nach Rauch zu riechen und wenn er ehrlich war, rief das auch in ihm Übelkeit hervor. Nie wieder würde er eine Zigarette anfassen schwor er sich, während er sich mit Aftershave einrieb.
So würde es gehen, dachte er sich und stopfte seine Kleidung im Wäschekorb ganz nach unten. Er hatte die Waschmaschine vielleicht lieber anstellen sollen, aber das wäre ihm dann doch zu verdächtig gewesen. Ein lockeres Lächeln aufsetzend lief er zur Badezimmertür und erstarrte, kurz bevor er diese öffnete.
“Ach Mist”, fluchte er. “Beweismaterial!”
Hier stand er - vollkommen nackt. Er hatte vorgehabt sich in Ruhe im Schlafzimmer anzuziehen. Aber was wenn Janice gleich ins Bad wollte und die Schachtel oder den Brief fand? Es stand außerfrage, dass er die beiden Dinge einfach so hierlassen konnte. Aber wohin damit?
Seufzend öffnete er den Eimer, der nichts enthielt, außer der leeren Zigarettenschachtel und warf den Brief dazu. Dann nahm er ihn raus und verknote ihn.
“Also gut”, murmelte er, wie ein Verbrecher, der seine Mordwaffe verstecken wollte. “Wohin damit?” Zuerst packte er ihn in den Schrank mit den Handtüchern. Aber wenn Janice ein neues Handtuch brauchte hielt dieses Versteck keine zehn Sekunden. Im Mülleimer lassen? Nein, seine Freundin hatte viel was darin landen könnte. Taschentücher, Kosmetikpads, Abschminktücher, Wattestäbchen, der tausendste leere Lippenstift, Tampons und Slipeinlagen - urgs - Wie konnte eine einzige Frau so viel Müll produzieren?
Wenn sie diese Dinge auch alle mit auf ihren Expeditionen mitnehmen würde, benötigten sie jedes mal ein extra Flugzeug. Mehr als einmal hatte Nicholas sie daher damit aufgezogen, ob sie eine Zwillingsschwester hatte, die sie dann in die Lost Places schickte. Denn die Janice hier und die in ihren Abenteuern unterschieden sich extrem. Aber genau das mochte er an ihr.
Sie war die wunderschöne Frau, mit der Mann angeben konnte und die trotzdem ordentlich was im Hirn hatte. Außerdem war sie sich für kein Abenteuer zu schade. Also: Perfekt gestylt hier und in der Wildnis die erste auf der wackeligsten Ruine.
Nein, er brauchte ganz klar ein anderes Versteck. Unentschlossen drehte er sich mit dem Beutel in der Hand um die eigene Achse, bis sein Blick zum Fenster fiel.
Das war wohl die beste Variante, auch wenn die Wiederbeschaffung nicht so einfach werden würde. Vom Badfenster aus blickte man direkt auf das Dach des Geräteschuppens im Garten. Und dieser wurde so nahe an das Haus gebaut, dass dazwischen nur ein schmaler Spalt war. Wenn der Beutel dazwischen landete, brauchte er sich für ein paar Minuten keine Sorgen machen.
“Nur nicht aufs Dach”, murmelte Nicholas, während er sich nackt so weit es ging aus dem Fenster lehnte und den Beutel schließlich fallen ließ.
Pfeifend verließ er das Bad und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer. Aber er kam nicht weit, weil ein unerwartetes Gewicht sich plötzlich von hinten an ihm klammerte.
“Guten Morgen!”, hörte er Janice leise in sein Ohr raunen. “Wo willst du denn hin?”
Grinsend drehte Nicholas sich um und nahm seine Freundin in den Arm. Bei ihrem Anblick wurde sein Lächeln noch breiter. Sie trug nur ein Shirt von ihm, unter dem sich ihre Brüste reizvoll abzeichneten und ihre blonde Mähne stand in wilden Locken ab. Fest schlangen sich ihre Arme um ihn und er fühlte ihre Lippen, die sanft an seinem Hals knabberten. Sie machte es ihm nicht gerade leicht, aber es gab wichtige Dinge, die er erledigen musste.
“Zum Schlafzimmer”, sagte er, bis ihm klar wurde, dass man das missverstehen konnte. In Janice’ Augen leuchtete es unheilvoll auf und schon sekunden später gingen ihre Hände auf Wanderschaft. Nicht das ihn das sonst gestört hätte, aber … “Janice, jetzt nicht.” Fast schon gegen seinen Willen schob er sie von sich und warf ihr einen um Verzeihung heischenden Blick zu. “Ich habe etwas dringendes zu erledigen!”
Schnell ging er sich anziehen, bevor er es sich anders überlegen würde. Aber Janice folgte ihm stur und musterte ihn skeptisch.
“So? Was denn?”, kam es schnippisch von ihr. “Was kann wichtiger sein als ich?”
Nicholas seufzte tief.
“Nichts, aber ich muss noch etwas für die nächste Expedition klären. Vicini hat mich vorhin angerufen.”
Zweifelnd folgte ihr Blick ihm, als er das Schlafzimmer verließ.
“Und für Vincent hast du so viel Aftershave aufgetragen?”, fragte sie lauernd. Entgeistert blickte Nicholas sie an, bis ihm klar wurde, was sie ihm gerade vorwarf.
“Was? Nein!”, begehrte er auf. “Das ist für dich. Aber ich muss nun einmal jetzt kurz zu ihm und dann machen Wir uns einen schönen Tag. In Ordnung?”
Ein paar Sekunden musterte sie ihn noch mit fest zusammengepressten Lippen, dann stieß sie die Luft aus und seufzte. “Toller Freitag morgen. Und Frühstück?”
Zweifelnd ging Nicholas Blick zum Bartisch, der gedeckt mit Leckereien lockte. Aber er hätter dort eh keinen Platz mehr, denn ihre Katzen Napoleon und Bonaparte hatten es sich bereits auf den Hockern bequem gemacht.
“Nachher”, sagte er knapp, drückte Janice einen Kuss auf und verließ schnell das Haus. Nachdem er es unbemerkt in den Garten geschafft und den Beutel aus dem Spalt befreit hatte, ohne steckenzubleiben, machte er sich auf den Weg zum Sender.
Bei MK-TV angekommen lächelte er den Damen an der Rezeption zu und ging direkt weiter. Der Sicherheitsmann winkte ihn direkt durch, aber er zeigte ihm trotzdem seinen Ausweis. Es war eine vollkommen unnötige Sache, aber sie amüsierte ihn jedes Mal aufs Neue. Man kannte sein Gesicht hier. Hatte er MK-TV zusammen mit Vicini aufgebaut, dennoch hielt er gerne jedem seinen Ausweis hin. Wozu hatte er das Ding sonst?
Vor Vincent Vicinis Büro endete dann die Freundlichkeit jedoch.
Sobald Laura, Vicinis Assistentin, ihn erblickte, sprang sie auf und trat ihm in den Weg.
“Es … tut mir leid, Nicholas”, meinte sie stotternd und ihr war deutlich anzusehen, wie unangenehm ihr das war. “Aber Mr. Vicini empfängt heute keinen Besuch.”
Seine Finger verkrampften sich wütend um den Brief, als er der armen Laura mit einem zerknirschten Blick begegnete und versuchte an ihr vorbeizukommen. Keinen Besuch? Das war lächerlich. Erstens war er nicht irgendein Besuch - sondern das Gesicht von MK-TV - und außerdem hatte er gesehen, wie jemand vor wenigen Minuten das Büro von Vicini betreten hatte!
Nicholas nickte verständnisvoll, wodurch Laura erleichtert seufzte. Dann drehte er sich wie zum gehen um, nur um im nächsten Moment an Laura vorbeizustürmen und die Tür zu Vicinis Büro aufzutreten.