*[Stichwort: Schatz]
„Nicholas?“, rief Vincent Vicini verdutzt. Sein Besuch war von seinem Stuhl ihm gegenüber aufgesprungen und blickte dem plötzlichen Eindringling nicht minder verwirrt entgegen. Auch Vicini hatte sich halb erhoben und machte nach einem kurzen Moment der Verwirrung Anstalten um den Tisch herumzulaufen. Als er jedoch Nicholas Blick kreuzte, strafften sich seine Muskeln und er ließ sich beinahe in Zeitlupe wieder in seinen Sitz sinken. Mit einer knappen Handbewegung wies er seinem Gegenüber an den Raum zu verlassen. Eine Anweisung, der er sichtlich nur zu gerne nachkam. Zwar nicht ohne Nicholas missbilligend und auch ängstlich zu mustern, aber der beachtete den unbekannten Mann gar nicht weiter. Alles was er von ihm noch mitbekam war, wie er die angeschlagene Tür verschloss.
„Nun. Was kann ich für dich tun?“, fragte Vicini so ruhig, als wäre es völlig normal, dass man seine Tür auftrat.
„Du kannst mir das erklären!“, rief Nicholas aufgeregt, überwand die wenigen Meter bis zum Schreitisch und knallte das Schreiben auf diesen. Vicini sah es nicht einmal an, aber auf seinem Gesicht erschien ein geschäftliches Lächeln.
„Ich denke, dazu muss ich dir nichts erklären. Alles was du wissen musst steht darin und ich halte dich für schlau genug es auch zu verstehen.“
„Das kann nicht dein Ernst sein!“, fuhr Nicholas auf und wurde dabei noch eine Spur lauter als noch vor wenigen Minuten. Es war lange her, seit er sich das letzte Mal s vergessen hatte. Aber seiner Meinung nach hatte er jedes Recht dazu. „Du weißt was diese Sendung mir bedeutet! Sie ist mein ein und alles – mein Schatz, wenn du so willst! Wie kannst du glauben, dass ich das alles einfach so wegwerfen kann?“
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er ballte die Fäuste so heftig, dass sich seine Fingernägel in seine Handflächen gruben. Vicinis Maske begann sich etwas aufzuweichen und auf seinem Gesicht erschien tatsächlich so etwas wie ein mitleidiger Ausdruck.
„Ich kann verstehen, dass das schwer für dich ist, Nicholas.“ Er holte schnell einige Papiere hervor und legte sie vor seinem aufgebrachten Gegenüber ab. „Aber sieh es doch ein: Es rechnet sich einfach nicht mehr. Die Quoten sinken immer tiefer und die Einnahmen … Nicholas, die Leute wollen einfach andere Dinge sehen!“
Lachend fuhr Nicholas sich durch die Haare, sodass sie nun vollends zerzaust waren und fixierte Vicini dann mit einem scharfen Blick.
„Und jetzt sägst du mich einfach so ab? Nachdem ich dir all die Jahre geholfen habe deinen beschissenen Sender aufzubauen?“ Wütend schlug er auf den Tisch, stand auf und lief aufgebracht auf und ab. „Verdammt, Vincent! Ohne mich und diese Sendung würdest du immer noch in der Scheiße sitzen und von dem hier nur träumen!“
Nach all den Jahren in denen er sein Herzblut in „Vergessen & Verloren“ gesteckt und dem Sender somit Ruhm und Geld eingebracht hatte, sollte er nun einfach auf der Straße stehen? Abgespeist mit angeblichen schlechten Quoten, dabei war es kein Geheimnis, dass Vicini neuerdings den Hals nicht voll bekommen konnte.
Aber er würde sich nicht so einfach verdrängen lassen!
„Wer redet denn davon dich abzusägen?“, fragte Vicini süffisant. Er stand auf, goss zwei Gläser mit Whisky ein und setzte sich dann neben Nicholas auf die Tischplatte. „Ich wäre ziemlich dumm, wenn ich mein wichtigstes Gesicht einfach so rauswerfen würde, oder?“
Nicholas sah den Arm seines Chefs zucken und warf ihm einen warnenden Blick zu. Dieser verstand sofort und unternahm keinen zweiten Versuch ihn anzufassen. Er konnte selbst nicht sagen, was ihn eigentlich mit Vincent Vicini verbannt. Es war absolut keine Freundschaft und auch kein normales Angestellten – Chef – Verhältnis. Genaugenommen hasste und mochte er ihn zur gleichen Zeit. Weshalb er seine Macken hinnahm und ihn nur hin und wieder an die Grenzen in ihrem Verhältnis erinnern musste.
Nicholas war niemand bei dem Vicini es sich erlauben konnte so zu tun, als würde er ihm gehören. Von Anfang an hatte er klargemacht, dass er seine Spielchen bei ihm nicht treiben brauchte. Zwar hatte er es auch beim ihm versucht, um ihn mit miesen Tricks und Druck in sein Bett zu bekommen. Aber Nicholas‘ Faust hatte ihm eindrücklich in seine Schranken gewiesen. Etwas, was sich so beim ihm wohl nur wenige Männer oder Frauen getraut hatten. Es hatte jedenfalls ordentlich Eindruck gemacht.
„Das wäre es wohl“, antwortete Nicholas lauernd und nippte an dem Getränkt, wobei er seinen Gegenüber nicht aus den Augen ließ.
„Schön, dass du das auch so siehst!“, sagte er strahlend und fischte einen Bogen Papier von der anderen Seite des Tisches. „Denn ich habe das hier für dich! Ich bin sicher, dass du dich gut darin machst. Das wird DIE neue Sendung bei MK-TV und du wirst sie moderieren!“
Skeptisch nahm Nicholas das Blatt entgegen und stellte das Glas auf den Tisch. Als er es überflog weiteten sich seine Augen und schon nach wenigen Zeilen ließ er es ungläubig sinken.
„Das ist nicht dein Ernst!“
„Aber sicher!“, verkündetet Vicini, der tatsächlich nicht aussah, als hätte er nur einen schlechten Scherz gemacht. „Das ist Reality-TV. Ich sag dir, das ist die Zukunft. Die Leute werden …“
„Das ist ein riesiger Haufen gequirlte Scheiße!“, unterbrach Nicholas Vicini, der ihn fast schon beleidigt anblickte. „Ich meine, wer kommt auf so eine bescheuerte Idee zehn Leute in einen Wohnwagen zu stecken und das dann große Filmkunst zu nennen?“
„Es ist nah am Leben der Menschen, Nicholas! Und es ist vor allem voller Leben. Nicht so wie deine toten Orte. Die Menschen werden es lieben, denn es bietet ihn alles was sie wollen! Drama, Herzschmerz, Gerüchte und es ist ihnen so nahe, wie die olle Nachbarin, die sie heimlich so gerne beobachten.“
„Vergiss es!“, rief Nicholas und sprang auf. „Das ist Blödsinn. Absoluter Blödsinn!“
„Aber du hast doch gar nicht zu Ende gelesen!“
Ein hysterisches Lachen entrang sich Nicholas und er blieb stehen, nachdem er wie ein Tiger durch das Büro gerannt war.
„Ich habe genug gelesen!“, widersprach er. „Du willst zehn Idioten in einen Wohnwagen stopfen und die schmeißen sich nach und nach raus, bis nur noch ein Idiot da ist.“
„Ja und der gewinnt 500 000 $! Ist das nicht genial?“
„Wer hat dir eigentlich ins Hirn geschissen?“, fragte Nicholas entkräftet und ließ sich wieder in den Stuhl sinken. „In Ordnung. Du willst also „Vergessen & Verloren“ durch diesen Müll ersetzen, aber ich verlange einen Deal dafür.“
„Hm“, brummte Vicini und goss sich einen zweiten Drink ein. „Sprich weiter.“
Nicholas holte tief Luft und versuchte seine Stimme nicht zittern zu lassen, als er weiter sprach. Es war seine letzte Möglichkeit etwas für seinen größten Schatz in seinem Leben zu tun.
„Eine letzte Sendung. Du lässt mich eine letzte Sendung machen. Ich verspreche dir, sie wird unglaublich werden und alles davor übertreffen. Wenn dir die Quoten dann weiterhin nicht passen, werde ich dir diesbezüglich keine Widerworte mehr geben!“
Vicini drehte das volle Glas nachdenklich in seinen Händen und sein Blick glitt mehrmals über Nicholas, bevor er langsam nickte. Erleichtert wollte dieser aufatmen, wurde aber sofort wieder ins rechte Licht gerückt.
„Damit wir uns richtig verstehen“, begann Vicini. „Du bekommst von uns alle nötigen Genehmigungen, aber den Rest der Sendung zahlst du aus eigener Tasche!“