*Kapitel 5*
Harry sah angespannt in Malfoys unentschlossenes Gesicht und wartete. Hatte er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt? Hatte er Malfoy überrumpelt? War er ihm mit seinem Angebot zu Nahe getreten und hatte die Signale schlicht falsch gedeutet? Eigentlich hatte er den Eindruck gehabt als hätte sich auch Malfoy ziemlich wohl bei ihm gefühlt. Bis auf die kleinen Anzüglichkeiten, die der Blonde vermutlich nur losgelassen hatte, um Harry zu ärgern, war ihre Zeit zu zweit sehr angenehmen gewesen. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was schon groß dabei sein sollte. Sie hatten sich eben weiter entwickelt und Harry gefiel es, mit Malfoy Zeit zu verbringen. Dass er Malfoy attraktiv fand, versuchte er zu verdrängen. Ganz abgesehen davon war er dennoch an einer Freundschaft mit dem ehemaligen Slytherin interessiert.
In der vergangenen Woche hatten sie so einige sehr gute Gespräche gehabt, die ihn teilweise sogar ein wenig an die Gespräche zwischen Hermine und ihm erinnerten und dennoch so ganz anders waren. Natürlich noch lange nicht so locker und vertraut wie mit Hermine, doch auf eine gewisse Art und Weise erfrischend. Lebhaft. Neu.
Von sich selbst aus hatte Mafloy ziemlich wenig über sein Leben erzähl, es sei denn, Harry hatte ihm eine konkrete Frage gestellt. Viel mehr Gefallen schien er aber an Harrys Erzählungen zu haben. Harry hatte kein einziges Mal das Gefühl gehabt, dass Malfoy sich langweilte, wenn Harry ihm ausführlich von seinen Erlebnissen in Hogwarts berichtete. Im Gegenteil sogar. Er hatte ihm aufmerksam, und wie Harry behaupten würde, auch ziemlich wissbegierig, zugehört und dann seine Kommentare dazu abgegeben. Das eine oder andere Mal hatte er Harry sogar seine Bewunderung ausgesprochen.
Und nun standen sie hier. Harry ertappte sich dabei, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute und schallt sich sofort einen Narren. Wieso war er nervös? Er hatte doch keinen Grund dazu. Würde Malfoy seine Hand ausschlagen, würden sie einfach neutral weiter trainieren. Er würde Malfoy nicht fallen lassen, nur weil dieser nicht mit Harry befreundet sein wollte und er würde sich natürlich weiter darum bemühen, Malfoys Lage zu entschärfen. Entweder würde er jetzt also einen neuen Freund dazu gewinnen, oder es würde alles so bleiben, wie es war.
Natürlich stimmte der Gedanke Harry ein wenig traurig. Malfoy war ein toller Gesprächspartner und er war sich sicher, dass sie noch mehr Gemeinsamkeiten hatten als die Liebe zu Quidditch und den Krieg.
Wieso aber war Malfoy so ausgerastet? So ein unwirsches, ungestümes Verhalten passte nun wirklich nicht zu der malfoyschen Contenance, die er sonst an den Tag legte. Was wollte Malfoy ihm nicht sagen?
Harrys Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück als er aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie Malfoy seine Hand ausstreckte und Harrys zögerlich schüttelte. Erfreut blickte er in die stahlgrauen Augen, die ihn mit einer Mischung aus Misstrauen, Resignation und Neugier betrachten.
„Also schön, Potter… du weißt offenbar nicht, worauf du dich da einlässt.“ Malfoy zog seine Hand wieder zurück und Harry vermisste unwillkürlich die Wärme, die von ihr ausgegangen war. Doch er lächelte und legte den Kopf schief.
„Nenn mich doch Harry. Du sagtest, du bist erwachsen geworden, dann lass uns auch ganz erwachsen die Vornamen benutzen“, sagte er neckend zu Malfoy… Draco, dessen Mundwinkel leicht zuckten.
„Na gut, HARRY, dir ist klar, dass eine Freundschaft zu einem Todesser nicht so einfach ist, wie es sich anhört?“
„Oh, ich denke, das kriege ich schon geregelt. Ich hab schließlich einen großen bösen Zauberer getötet.“ Harry zwinkerte ihm gut gelaunt zu und machte eine einladende Handbewegung Richtung Wohnzimmer. Er wollte noch nicht, dass Draco ging. Er wollte wissen, warum Draco so komisch gewesen war. Doch dieser sah ihn merkwürdig nachdenklich an.
„Nur ist es schwerer, sich einem Freund in den Weg zu stellen als einem Feind.“
Harry stockte. „Das hat Dumbledore am Ende des ersten Schuljahres gesagt.“
Draco lächelte schief. „Vielleicht solltest du den Rat des alten Mannes beherzigen, Harry. Sonst hast du mich ab jetzt nämlich an der Backe.“
Harry hob abwehrend die Hände. „Bleib cool, Draco. Ich hab dir ja keinen Antrag gemacht. Es ist nur eine Freundschaft. Ganz locker und zwanglos.“ Er wurde rot. Schon in der Bibliothek waren zwei Dinge sehr schnell sehr deutlich geworden. Zum einen, dass Harry wirklich furchtbar schlecht darin war, seine Gefühle zu verbergen und zu lügen, und zum anderen, dass Draco offenbar sehr gut darüber Bescheid wusste, wie es in Harrys Innerem aussah. Oder zumindest eine Vermutung hatte. Doch diese reicht dem ehemaligen Slytherin offenbar, um mit Harry seinen Schabernack zu treiben.
Nun umspielte ein Grinsen Dracos Lippen und er trat ein Stück näher an Harry heran, sodass dieser seinen Geruch aufnehmen konnte und leicht erschauderte. Verdammt.
„Schade. Wer würde nicht gerne einen Antrag vom großen Helden bekommen.“ Damit drückte er Harry seinen Umhang in die Hand und schlenderte tatsächlich wieder ins Wohnzimmer als wäre nichts gewesen.
Überrumpelt und wahrscheinlich ziemlich bescheuert drein blickend stand der Held im Flur und sah seinem neuen Freund hinterher, welcher es sich schon längst wieder am Esstisch gemütlich gemacht hatte.
Wenig später saßen sie gut gesättigt auf dem Sofa vor Harrys Kamin. Er hatte das Essen wieder von Kreacher erwärmen und ihnen danach Tee bringen lassen. Sie hatten es sich auf Harrys Sofa gemütlich gemacht und hatten geredet, so wie sie es all die Tage zuvor gemacht hatten. Zwischenzeitlich war ihre rege Diskussion über den neusten Besen, dem Phönixfeder 2002, nur unterbrochen worden, als Knox mitten ins Wohnzimmer appariert war und Harry lautstark und stolz wie Merlin persönlich darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Garten nun vorerst gnomfrei sei. Nur wenige Sekunden darauf war wiederum Kreacher erschienen, der Knox am Ohr gepackt und ihn angeschnauzt hatte, dass er seinen Herrn mit so etwas nicht zu belästigen habe.
Draco neben ihm hatte die ganze Zeit leise gelacht. Zweifellos hatte er Spaß an den chaotischen Zuständen im Hause Potter. Harry war ein wenig rot geworden und hatte sein Gesicht hinter seiner dampfenden Tasse versteckt. Er mochte seine Elfen ja irgendwie, doch er war sich sicher, dass sie sich das bei einem Draco Malfoy im Haus nicht getraut hätten.
Doch nun, nachdem die Elfen sich verzogen hatten, saßen sie hier und unterhielten sich über Harrys Beruf als Auror und Dracos Beruf als Fluchbrecher. Im Prinzip waren ihre Berufe gar nicht so verschieden. Oft hatten Fluchbrecher und Auroren sogar gemeinsame Einsätze. In diesen Genuss waren Draco und er zwar noch nicht gekommen, doch Harry konnte sich schon vorstellen, dass ein Einsatz mit ihm und Draco, die sich um die Rangordnung stritten, sicherlich alles andere als amüsant war. Harry schmunzelte ob des Bildes und griff nach einem Keks.
Draco zog missbilligend eine Augenbraue in die Höhe. „Sag mal, du bist ja schlimmer als das Wiesel damals. Hast du auch was anderes im Kopf außer Essen, Harry?“
Harry bekam unwillkürlich eine Gänsehaut. Diese Art wie Draco seinen Namen aussprach… täuschte er sich, oder schwang jedes Mal ein Hauch eines Flirtens mit, wenn Draco ihn beim Vornamen nannte? Nein, sicherlich bildete Harry sich das ein. Das wäre ja wohl ein sehr großer Zufall, wenn auch Draco in dieser Art an ihm interessiert war. Natürlich bestand noch die Möglichkeit, dass Draco ihn damit wieder auf den Arm nehmen wollte, wie er es in der Bibliothek getan hatte. Doch er verdrängte den Gedanken wieder.
Harry zuckte die Schultern. „Seit ich essen kann, was ich will, mache ich mir da keine großen Gedanken mehr drum. Das Leben ist zu kurz, um darauf zu achten, ob man nun ein Stück Kuchen mehr oder weniger gegessen hat.“
Den Hauch von Bitterkeit in seiner Stimme hatte er zu verdrängen versucht, doch er hatte kläglich versagt. Auch Draco schien das bemerkt zu haben, denn er sah ihn aufmerksam an. Harry hatte innerhalb dieser Woche feststellen müssen, dass Draco nicht nur ungeheuer intelligent, sondern auch ziemlich empathisch war. Eine gefährliche Mischung, wie Harry fand. Draco wusste genau, was er sagen musste, um seinen Gesprächspartner aus dem Konzept zu bringen, sah aber ebenso gut, wenn jemand etwas auf dem Herzen hatte.
„Gab es je einen Zeitpunkt, an dem du nicht essen konntest, was du wolltest?“ Er schien ehrlich interessiert.
Harry leckte sich über die Lippen. „Nun, meine Verwandten, bei denen ich aufgewachsen bin, waren nicht gerade… großzügig zu mir, was das Essen anging.“ Dann überlegte er. „… oder in Bezug auf alle anderen Lebenslagen.“
Er erntete einen verständnislosen Blick von Draco. „Das verstehe ich nicht. Hätten sie dich nicht verehren müssen, weil du den Dunklen Lord besiegt hast? Zwei Mal? Jeder Zauberer verehrt dich.“
Harry seufzte. „Nur, dass sie keine Zauberer sind.“ Nun sah Draco ernsthaft schockiert aus und Harry fühlte sich bemüßigt, seine Erklärung weiter auszuführen. „Die Familie meiner Mutter bestand aus Muggeln. Ich bin bei ihrer Schwester und deren Ehemann aufgewachsen. Und nicht nur, dass sie keine Zauberer sind, sie verabscheuen die Zauberei und das haben sie mich spüren lassen. An jedem einzelnen Tag, obwohl ich die ersten elf Jahre nicht mal wusste, dass es die Zauberwelt gibt, geschweige denn, dass ich ein Zauberer bin. Sie haben mich trotzdem bestraft und ich wusste nicht mal, warum.“
„Was? Du verarscht mich, Potter!“ Draco runzelte die Stirn. „Sie haben dir nie erzählt, dass du ein Zauberer bist?“
Harry zuckte die Schultern. „Wäre Hagrid nicht gekommen, hätte ich es wohl nie erfahren.“
„Waren sie wirklich nie nett zu dir?“
„Naja, nach meiner Auffassung nicht, nach ihrer Auffassung schon und was du unter Nettigkeit verstehst, weiß ich nicht.“ Er grinste verlegen.
„Wieso hat Dumbledore dich dort gelassen? Er war ein mächtiger Zauberer, er wusste sicher, wie sie dich behandelt haben!“, sagte Draco empört und irgendwie fand Harry das süß. Sicherlich regte Draco sich nur auf, weil er nicht nachvollziehen konnte, wie niedere Muggel einen Zauberer so behandeln konnten, aber dennoch, irgendwie schmeichelte es Harry.
„Er meinte, dass die Verwandtschaft zu meiner Tante, mich vor Voldemort schützt. Blutsverwandtschaft und so. Das war wohl alles, was ihn interessiert hat.“ Seine Stimme hatte wieder diesen bitteren Unterton angenommen, den er einfach nicht schaffte, zu unterdrücken. Er hatte es Dumbledore nie ganz verziehen, dass er ihn dort gelassen hatte. Bei Menschen, die ihn gehasst und nie verstanden hatten.
„Willst du meine Meinung hören, Potter? Ich denke, dass dies für ihn einfach der bequemste Weg war“, sagte Draco und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mit ein bisschen gutem Willen hätte er eine andere Lösung gefunden, da bin ich mir sehr sicher.“
Harry schob die Unterlippe vor und zuckte die Schultern. „Ich denke, niemand wusste so wirklich, welches Dumbledores Beweggründe waren.“
Sie schwiegen eine Weile und Harry ärgerte sich ein wenig. Draco hatte einen Knopf in ihm gedrückt und unwillkürlich sah Harry all die Momente vor Augen, in denen er Dumbledore in Frage gestellt, ja ihn sogar irgendwie gehasst, hatte. Momente, die ihn hin und wieder verbittert zurückließen, wenn sie wieder aus seinen Gedanken verschwanden. Ja, wer konnte schon wissen, was Dumbledore gewollt hatte?
„Es ist doch faszinierend“, sagte Draco plötzlich in die Stille hinein. „Ich hab mir dein Leben vor und während Hogwarts immer ganz anders vorgestellt.“
Harry zog eine Augenbraue in die Höhe, etwas, was Draco in Perfektion beherrschte, bei ihm jedoch wahrscheinlich ziemlich ungeschickt aussah. „Wie hast du es dir denn vorgestellt?“
„Naja, mit haufenweise Dienern in einem großen Manor, umgeben von zaubernden Verwandten, die dich allesamt anhimmeln und dir die Füße küssen. Dass du in den Ferien nachhause kommst und sie dir jeden Wunsch von den Augen ablesen und dass ihr kleiner Held die Ferien richtig genießen kann. Einen kleinen verzogenen Bengel.“
„Also hast du dir dich vorgestellt“, schlussfolgerte Harry und lächelte provokant. Draco klappte einen Moment lang der Mund auf, bis er sich wieder gefasst und den Mund geschlossen hatte. Mit so einem Konter hatte er offenbar nicht gerechnet.
Harry seufzte und schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe die Ferien gehasst, wenn ich bei ihnen war. Wirklich Ferien hatte ich nur bei den Weasleys. Irgendwann werde ich dir mal ganz genau erzählen, was bei meinen Verwandten so los war. Das reicht wirklich nicht für einen Abend.“
„Wie kommst du darauf, dass ich ‚irgendwann‘ auch noch hier sein werde?“
„Wir sind doch jetzt Freunde, Draco. Da wäre es doch eigentlich sinnvoll, wenn die Freundschaft länger als ein paar Wochen besteht, meinst du nicht auch?“ Harry zwinkerte ihm zu und erwischte Draco dabei, wie er leicht rosa um die Nasenspitze wurde. Irgendwie fand er das unglaublich niedlich. Verlegenheit war etwas, das man nicht oft bei Malfoys sah.
Draco schnappte sich einen Keks und drehte ihn in den Händen. Er schien mit sich zu ringen. „Harry, ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist mit dieser Freundschaft.“
„Hm? Warum? Ich ging davon aus, dass du unsere gemeinsame Zeit auch als angenehm empfindest.“ Dass Harry die Zeit nicht nur als angenehm empfand, verschwieg er natürlich. Er würde sich vor Draco nur blamieren und das musste nun wirklich nicht sein. Das sanfte Ziehen im Bauch wenn er Draco ansah, verfluchte er nebenbei. Den ehemaligen Slytherin attraktiv zu finden, war eine Sache, sich in ihn zu verlieben aber eine ganz andere. Dazu würde es garantiert nicht kommen, das nahm Harry sich fest vor. Es würde in einem Drama enden, da war er sich sicher.
„Da hast du sogar Recht, Potter. Ich bin aber immer noch ein Todesser und wenn man uns zusammen erwischt, dann bist du in Gefahr. Ich will nicht schuld daran sein, wenn dir was passiert.“ Draco hatte wohl schneller gesprochen als ihm lieb gewesen war, denn er schnappte leise nach Luft und sah Harry mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an.
Doch Harry grinste nur. „Du machst dir Sorgen um mich, Malfoy?“
„Schnauze, Potter!“
Harry gluckste amüsiert, fühlte sich insgeheim aber sehr geschmeichelt. „Keine Sorge, Draco. Ich bin Auror und stell dir vor: Ich habe Voldemort besiegt. Es gibt nichts, was die Todesser tun könnten, was mich in die Knie zwingt.“ Es klang selbstbewusster als er sich fühlte, doch er wollte Draco ein wenig beruhigen. Draco würde sich sonst wieder von ihm entfremden. Obwohl er ein sehr guter Auror war, hatte er im Kampf gegen Voldemort immer Hilfe gehabt. Er fühlte sich lange nicht so mächtig, wie die Medien ihn immer darstellen wollten. Dumbledore ebenbürtig? Mächtiger als Voldemort? Auch wenn er vielleicht ein höheres Magielevel besaß als die meisten anderen Zauberer, doch er würde sich selbst nie mit Dumbledore auf eine Stufe stellen. Er unterdrückte ein verächtliches Schnauben.
„Na? Plötzlich so selbstbewusst, junger Auror?“, fragte Draco und legte den Kopf schief.
Harry schluckte, als diese unglaublich klaren, grauen Augen ihn fixierten, verschmitzt, aber nicht abgeneigt. Harrys Blick wanderte zu den Lippen des ehemaligen Slytherin und er fragte sich unwillkürlich, ob sie wohl so weich waren, wie sie aussahen. Verärgert senkte der den Blick. Er sollte sich diese kleine Schwärmerei, und nichts anderes war es, schleunigst aus dem Kopf schlagen. Für eine fragile, neue Freundschaft war es sicherlich nicht dienlich, dass Harry seinen neuen Freund am liebsten ins Schlafzimmer zerren würde.
Innerlich schalt er sich einen Narren. Draco war nicht schwul. Oder? Harry versuchte sich zu erinnern, ob etwas Derartiges jemals in der Presse gestanden hatte. Als herausgekommen war, dass er, Harry, bi war, hatte er fasst die ganze Titelseite eingenommen. Nicht, weil es so empörend war, dass er auch auf Männer stand, sondern weil ihm plötzlich Affären mit Mitschülern und Freunden angedichtet wurden, unter anderem mit Ron und sogar Severus Snape. Harry war wirklich froh, dass Snape das nicht mehr mitbekommen hatte. Egal, ob er Harry bis dahin nur beschützt hatte, er hätte ihm den Kopf abgerissen.
„Harry? Hey, Potter! Hast du mir zugehört?“ Harrys Gedanken glitten wieder ins hier und jetzt und er schien etwas merkwürdig drein zu gucken, denn Draco stöhnte genervt. „Und ich dachte, als Auror muss man eine höhere Aufmerksamkeitsspanne als eine Fliege besitzen.“
Harry räusperte sich und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. „Entschuldige bitte, ich bin etwas… abgeschweift.“
Draco grinste kokett, was Harry nur noch mehr verwirrte. „Ach? Was war denn so spannend?“ Sein Grinsen wurde noch breiter, als er Harrys rote Wangen sah und er winkte ab. „Schon gut, ich will gar nicht wissen, wer in deinen kleinen schmutzigen Gedanken herumschwirrt.“ Er schüttelte sich. „Nicht, dass ich heute Nacht nicht schlafen kann, weil du mir von irgendwelchen Sexfantasien mit der kleinen Weasley erzählt hast.“
Harry wusste, dass Draco es nicht böse gemeint hatte, doch der Stich, den ihm Ginnys Erwähnung versetzte, war doch schmerzhaft und auch die Art und Weise, wie Draco sprach, trug nicht gerade zu Harrys Wohlbefinden herbei. Er konnte die Sticheleien Dracos inzwischen wirklich gut ab, schließlich war es immer noch Draco Malfoy, mit dem er da sprach und ohne einen bissigen Spruch auf den Lippen würde Harry etwas fehlen. Doch Ginny hatte ihn schwer enttäuscht und obwohl er sie schon lange nicht mehr liebte, tat ihr Verrat weh. Die Erinnerung schmerzte ihn, obwohl er nichts mehr für sie empfand und manchmal verfluchte er sich dafür, dass es ihn immer noch so tangierte.
Draco schien bemerkt zu haben, dass er etwas Falsches gesagt hatte, denn er sah Harry stirnrunzelnd an. „Frauen sind anstrengend“, sagte er also nur und lächelte Harry entschuldigend an.
Eine richtige Entschuldigung in Form von Worten kam einem Malfoy sicherlich nicht so einfach über die Lippen. Doch Harry konnte damit leben, denn er sah es in Dracos Augen und in dessen zerknirschten Blick. Also begnügte er sich damit, wortlos zu nicken, an einem Keks zu knabbern und seinen düsteren Gedanken nachzuhängen. Bilder, die er erfolgreich verdrängt hatte, tanzten fröhlich vor seinem inneren Auge und erinnerten ihn an die Demütigung. Draco hatte es an einem Abend geschafft, mehr wunde Punkte zu drücken als in der gesamten Woche davor.
„Kreacher?“, fragte Draco plötzlich in die peinliche Stille hinein, die entstanden war. Verwundert sah Harry erst Draco und dann Kreacher an, der sofort erschienen war und sich zuerst vor Harry und dann vor Draco huldvoll verbeugte und förmlich strahlte.
„Was kann Kreacher für Mister Malfoy tun, Sir?“ Harry konnte richtig gehende Leidenschaft im Gesicht des alten Hauselfen erkennen. Er schien sich über alle Maßen darüber zu freuen, Dracos Wunsch erfüllen zu dürfen.
„Bring uns eine Flasche Feuerwhiskey und zwei Gläser.“ Er beugte sich ein wenig in Harrys Richtung und grinste schelmisch. „Wir müssen die Weiber aus dem Kopf kriegen.“
Und Harry konnte sich nicht erinnern, wann er Draco Malfoy das letzte Mal so dankbar gewesen war.