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Es hatte geschneit. Erst gestern Abend hatten wir das Grundstück von Oma räumen. Mit meinem Freund Markus stand ich auf dem Hof und fing an die Einfahrt mit dem Schneeschieber zu bearbeiten.
„Olivia!", rief Markus hinter mir. Ich drehte mich um und …. Paff!
Ich hatte einen Schneeball mitten ins Gesicht bekommen. Markus lachte, weil ich den Schnee aus meinem Gesicht entfernen musste. Aber er lachte nicht lange, kurz darauf hatte er einen dicken Schneeball im Gesicht. Es war ein Wunder, dass ich getroffen hatte. Zielen und Werfen war nicht gerade meine Paradedisziplin. Ein blindes Huhn findet manchmal auch ein Korn. Markus schien gerade eines gefunden zu haben, (denn) ich hatte noch einen Schneeball abbekommen. Jetzt ging es erst richtig los und eine riesige Zwei-Personen-Schneeballschlacht war im Gange. Am Ende lag Markus, mit seinem Gesicht in einem großen Schneehaufen und ich saß auf seinen Rücken. Schnell drehte er sich um und er saß auf mir und seiften mich mit sauberem Schnee ein. Das Gemeine daran war, dass er mir eine ganze Ladung Schnee unter meine dicke Jacke schob. Nachdem wir zu Atem gekommen waren, machten wir uns daran Omas Grundstücks weiter von den Schneemassen zu befreien. Nach knapp 1 Stunden wurde uns kalt und Oma kam aus dem Haus. „Danke, Olivia und Markus. Das habt ihr gut gemacht. Ich hätte Euch gern geholfen, nur meine Knochen spielen nicht mehr mit. Ich habe Euch heißen Tee mit Honig mitgebracht“, sagte Oma und stellte die rote Emaille-Kanne mit den passenden Bechern auf den kleinen Tisch im Hof. Der Tee schmeckte uns und jedes Mal, wenn wir Schnee räumten, oder andere Arbeiten auf Omas Grundstück machten, kam sie mit dieser Kanne zu uns. Immer die gleiche Sorte Tee mit Honig.
Die Jahre vergingen und es kam die Zeit, wo Oma nicht mehr aus dem Hause kommen konnte, aber immer, wenn wir dort waren, gab es Tee, in diese Kanne und in diesen passenden Becher.
Eines Tages traf sich die ganze Familie auf dem Grundstück. Es war ein trauriger Anlass. Wir begleiteten Oma auf Ihren letzten Weg, auf dieser Welt.
Meine Mutter hatte das Grundstück geerbt und ich verbrachte noch einige Jahre in diesem Haus. Auch meine Mutter wurde älter und es wiederholte sich, dass meine kleine Familie (Ich bin seit 12 Jahren verheiratet und habe 2 Kinder) sich mehr um das Grundstück kümmerte. Die rote Kanne mit den passenden Bechern sind seit Omas Tod verschwunden und in Vergessenheit geraten.
Heute bin ich mit meiner Familie wieder im Haus, denn meine Mutter will sich von einigen Dingen trennen, welche seit Jahren nutzlos auf dem Dachboden, den Keller, in der Garage und im ganzen Haus verteilt waren.
Alles wird für einen Trödelmarkt durchgesehen und aussortiert. Was haben wir (dabei) nicht alles gefunden? Spielsachen von mir, Zeichnungen und Bilder, Kinderbücher, Fachbücher aus meiner Berufsausbildung und noch vieles mehr.
Auf dem Dachboden versteckt in einer Ecke, unter einer riesigen Ansammlung von alter Kleidung, stand eine alte Truhe, wie sie früher die Frauen und Mädchen mit in die Ehe brachten. In solchen Truhen wurden die Aussteuer bzw. Mitgift gelegt. Die Truhe war aus Eichenholz mit Eisenbeschlägen. Neugierig öffnete ich diese Truhe und finde zuerst ein Umschlag, welcher in altdeutscher Schrift mit den Worten "Für Olivia zur Hochzeit" beschrieben war. Ich hatte zwar Schwierigkeiten mit der Schrift, aber ich konnte die Schrift lesen:
„Meiner geliebten Enkelin Olivia zu Deiner Hochzeit.
Ich habe diese Truhe extra für Dich gepackt. Es ist heute Dein Tag. Dieser Tag ist der Beginn Deiner eigenen Familie und ich hoffe das Du unendlich viele Jahre so glücklich bist wie an diesem heutigen Tag. Schaue Dir die Dinge, welche ich für Dich eingepackt habe, an. Es sind teilweise Dinge, die Du kennst, auch Dinge die Du als Ehefrau gut brauchen kannst. Sollte ich an Deinem heutigen Tag, nicht mehr bei Dir sein können, behalte mich tief in Deinem Herzen?
Deine Oma Charlotte.“
Mit vielen Tränen in den Augen fange ich an die Truhe auszupacken. Es sind Handtücher, ein Besteckkasten mit Silberbesteck, ein edles Tafel- und ein Kaffeegeschirr, Bettwäsche und ganz unten liegt ein Karton, welcher extra verschnürt ist. Ich öffne den Karton und unter viel Zeitungspapier finde ich eingepackt, was ich lange Zeit nicht mehr gesehen habe. Die rote Emaille – Kaffeekanne, zwei große rote Emaille-Becher, vier kleine rote Emaille-Becher mit der Aufschrift Urenkel eins, zwei, drei, vier und eine rote Vorratsdose mit der Aufschrift Tee.
In der Vorratsdose ist kein Tee, sondern ein weiterer Zettel mit den Worten
"Du hast diese Kanne und die großen Becher geliebt"
Und noch etwas ist in der Vorratsdose. Ein Sparbuch der Post. Die letzte Eintragung war vor 17 Jahren mit einer Summe von 12500 DM. Hatte ich am Tag meiner Hochzeit geweint, weil meine Oma nicht mehr unter uns war, weinte ich jetzt noch mehr. Nach einer Stunde, wo ich weinend neben der Truhe gesessen habe, kam Markus und meine Tochter Samantha auf den Dachboden, weil sie mich vermissten. Markus konnte seine Tränen auch nicht verstecken. Samantha kannte ihre Uroma nicht, sie merkte aber, dass sie für mich eine ganz besondere Frau gewesen sein musste.
Danke Oma! Diese Kanne mit Ihren Bechern wird einen besonderen Platz in unserer Wohnung bekommen!