Mit lauten Schritten kämpfte sie sich entlang des Weges, der schon gar nicht mehr zu erkennen war. Sie spürte die Kälte in ihren Knochen, durch den Schnee, der sich kniehoch neben sie auftürmte und selbst ihre edlen Stiefel, waren längst durchgeweicht. Fest umschlang sie ihren Körper mit ihren Armen, um sich vor der Kälte zu schützen, obgleich es nicht wirklich zu helfen schien. Durch den eisigen Wind war ihr ihre fein gestrickte Wollmütze bereits vor die Augen gerutscht, doch sie traute sich nicht, ihre Hände aus den Handschuhen zu befreien, um sie wieder nach oben zu schieben. Sie wagte einen Blick zurück und schaute den Berg hinauf, den sie bisher schon herabgestiegen war, froh darüber, im Moment nicht auf der anderen Seite zu sein.
Schleunigst setzte sie ihren Weg fort, fest ihr Ziel im Auge, hinter dem die Sonne am Himmel stand. Vor ihr sah sie ein Bergdorf, mit vielleicht nicht einmal zehn Häusern und doch erhoffte sie sich ein kleines Kaminfeuer und eine dampfend heiße Tasse Kaffee. Bei dem bloßen Gedanken daran überkam sie ein Schauer und sie spürte einmal mehr den kalten Wind, der über ihren erkalteten Nacken strich. Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht, versuchte die warme Atemluft aufzufangen und der Kälte in ihren Lungenflügeln zu umgehen, die ihr bei jedem Atemzug schmerzten. Fast sofort beschlug ihre Brille und verrutschte von ihrer Nase. Sie bleib stehen, schob ihre Brille zurück an ihren Platz und wartet einen Moment, in der Hoffnung, gleich wieder klar sehen zu können.
Durch ihre Unachtsamkeit merkte sie das dumpfe Grollen nicht, was vom Berg herkam und auch nicht die Welle aus glänzendem Schnee, die bedrohlich auf die zurollte. Wie eine hellweiße Wolke bewegte sie sich rasend schnell den Hang hinab. Erst als die Lawine nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, drehte sie sich um, erschrak und versuchte, zur Seite zu laufen, doch es war bereits zu spät, der weiche Schnee unter ihren Füßen löste sich, sie verlor das Gleichgewicht und es riss sie mit in die Tiefe. Verzweifelt griff sie mit ihren Armen nach Halt, doch sie überschlug sich lediglich mehrfach, knallte dann wenige Sekunden später mit dem Kopf auf einen Felsvorsprung und ihr wurde schwarz vor Augen.
Als sie das nächste Mal zu Bewusstsein kam, lag sie still am Abhang. Aus der Ferne hörte man Sirenen und das typische Geräusch eines Hubschraubers, der die Luft um seine Rotorblätter aufwirbelte. Sie öffnete die Augen. Der Schnee hatte sich gelichtet und sie konnte den gefrorenen Boden sehen. Ihre Brille lag wenige Meter entfernt zerbrochen am Boden und sie blickte nur starr gerade aus, geradewegs auf eine kleine gelbe Pflanze, Krokusse, wenn sie nicht alles täuschte. Sie verschwendete keinen Gedanken an die warme Blutspur, die sich den Weg von ihrer Stirn zum Boden suchte, sondern starrte weiter auf die kleine Blume vor ihr und verzog ihr Gesicht zu einem Lächeln und das letzte, was sie hörte, waren Menschen, die nach ihr riefen, bevor sie erneut das Bewusstsein verlor.