III) Ein märchenhafter Auftritt
Mein Auftritt ist gelungen. Vor Schreck habe ich den Blumenstrauß fallen lassen und starre zurück. Mindestens genauso überrascht wie die Leute, die mich anschauen. Ich bringe keinen Ton heraus. Zeit für meinen Abgang, aber ich bin wie festgefroren. Als würden unsichtbare Ranken mich an Ort und Stelle halten. Mein Gesicht muss glühen wie die Rosen, die ich an den Rankgittern bewundert habe. Ich könnte nicht erschrockener sein als Rotkäppchen vor einer Horde Wölfe. Wo war mein Prinz auf seinem Pferd, um mich zu retten?
Natürlich war mein Leben weder ein Traum noch ein Märchen. Die Realität schmeckte bitter. Selbst schuld, schalt ich mich. Was musste ich auch so neugierig sein.
Wenn ich nur auf der Stelle tot umfallen könnte, wie Schneewittchen, dann wäre mein Leiden wenigstens erlöst. Ich schließe die Augen, weil mir kein anderer Ausweg einfällt. Meine Beine sind genauso gelähmt wie meine Gedanken.
Zeit für meinen Abgang. Nichts wie weg. Na endlich, der Fluchtinstinkt setzt doch ein.
Ehe ich mich umdrehen kann, greifen Hände nach mir. „Da bist du ja endlich.“
Die Stimme klingt weder böse noch überrascht, eher seltsam vertraut. Ich drehe mich um und schaue in mir bekannte blaue Augen. Vergissmeinnichtblau mit einem Sprenkel grün. Ich kenne diese Augen und diese Hände habe ich schon hundertmal heimlich beobachtet, während sie mir eine Staude verpackt haben.
„Chris“, entfährt es mir. Wenigstens habe ich meine Stimme wieder gefunden, wenn ich schon nicht alle Sinne beisammen habe.
„Florentine.“ Ein Lächeln breitet sich in dem sonnengebräunten Gesicht aus. Wie immer trägt er einen Dreitagebart. Aber heute steckt er nicht in einer grünen Arbeitshose mit schwarzer Fleecejacke, sondern trägt Hemd und Jeans. Der ungewohnte Anblick verschlägt mir die Sprache. Schon wieder bringe ich keinen Ton hervor.
Die Hand auf meinem Oberarm zieht sich zurück, greift kurz darauf nach meiner Hand, er beugt sich zu mir hinunter und flüstert mir etwas zu.
„Spiel einfach mit.“ Sein Atem kitzelt in meinem Ohr. Mir wird heiß. Obwohl die Scheinwerfer noch gar nicht an sind, tritt mir der Schweiß auf die Stirn. Er führt mich hinter sich her zu einem der Stehtische.
„Das ist Florentine. Meine Begleitung.“ Er grinst in die Runde. Fremde Gesichter nicken mir zu. „Sie hat den Parkplatz nicht gefunden.“ Er tippt auf sein Handy, das sich in der Hosentasche abzeichnet. „Ich habe deine Nachricht gerade erst bekommen. Tut mir leid, sonst wäre ich dir entgegen gekommen.“
Ich verstehe gar nichts mehr. Er muss mein Gefühlschaos bemerken. „Wir holen uns mal etwas zu trinken.“ Er zieht mich am Arm mit sich, fort von der Gruppe.
An einem Buffettisch greift er nach zwei Limoflaschen. „Oder magst du lieber ein Bier?“ Ich schüttle den Kopf.
„Dir hat es ganz schön die Sprache verschlagen.“ Er grinst und seine Augen leuchten.
„Wie kommst du hierher?“ Er führt mich zu einer leeren Bierbank am Ende des Festplatzes.
„Das ist eine lange Geschichte“, stöhne ich und setze mich.
„Ich mag lange Geschichten. Warte kurz. Bin gleich wieder da.“ Er lässt mich einfach zurück, geht zu seinen Kollegen zurück. Vielleicht hat er etwas vergessen. Oder ist das meine Strafe. Würde mir recht geschehen. Als ich wieder schaue, steht er nicht mehr bei den anderen.
Kurz überlege ich, mich davonzuschleichen. Wahrscheinlich wäre das das Klügste. Gerade als ich mich erheben will, taucht er vor mir auf. Er hat etwas mitgebracht. In der rechten Hand hält er einen Pappteller mit Häppchen und in der linken einen Strauß Blumen. Er hat die Stängel notdürftig zusammengeklaubt. „Du hast da etwas verloren.“ Er stellt den Teller neben mich und überreicht mir den Blumenstrauß, den ich verlegen annehme.
„Danke“, murmele ich und ignoriere meine brennenden Wangen.
„Schon gut. Und jetzt schuldest du mir eine Erklärung.“ Er hört mir aufmerksam zu, unterbricht mich kein einziges Mal, während ich ihm mein Abenteuer schildere. Dann fällt mir etwas ein. Ich greife in meine Jackentasche und ziehe die blaue Blume heraus. Sie ist hart geworden und kalt wie Eis. „Was ist das für eine Sorte?“
„Frostminze“, sagt er. „Etwas ganz Besonderes. So wie du.“ Er schaut mich einfach an aus seinen eisblauen Augen und ich schmelze dahin.
Entweder ist das ein Traum oder mein Leben hat sich unbemerkt in ein Märchen verwandelt. Während wir uns noch eine Weile unterhalten, flirten und lachen, werden die Lichterketten, Fackeln und Lampions entzündet. Die Grillen zirpen. Aus den Lautsprechern ertönt leise Musik im Hintergrund. Es ist alles perfekt. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Mein Traumprinz reitet zwar nicht auf einem weißen Pferd, aber wenigstens kam er zu meiner Rettung. Das zählt auch. Als Dankeschön verspreche ich ihm ein Date auf der offiziellen Eröffnungsfeier. „Dieses Mal crashst du bitte nicht die Party, sondern kommst durch den Haupteingang.“ Er lacht und es klingt wie Musik in meinen Ohren. „Und ich verspreche, dass ich die Blumen für dich selbst besorge.“ Das klingt nach einer Abmachung.
Jetzt wird es mir noch schwerer fallen, die restlichen Tage bis zur Eröffnung abzuwarten. Aber wenigstens weiß ich jetzt, worauf ich mich freuen kann.