SiXTY MiNUTES-Challenge, Prompt vom 03.06.2020:
»Mondscheinprinzessin / -prinz«
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Es trappelt und rappelt, als wir durch das dichte Unterholz schleichen. Es ist schon spät und die Luft umschmeichelt uns wie ein kühler Hauch. Eine wunderschöne Nacht, klar und hell. Die Sterne sehen auf uns herab.
»Komm schnell«, ruft mir Ani mit gedämpfter Stimme zu, »schau, Mama!«
»Leise«, flüstere ich, als ich sie endlich einhole und mit einer Hand nach ihrem Arm greife, »du weißt doch, im Wald machen wir keinen Lärm.« Es sollte eine Rüge sein, doch ich kann mich nicht dazu bringen, mit unserer lockeren Stimmung zu brechen.
Umso vorsichtiger bin ich, auf dem Weg zu der kleinen Lichtung, die sie sich heute Nacht unbedingt ansehen wollte. Ich war nie von der Idee begeistert, mir diesen Ort näher anzusehen. Doch ich weiß, wie wichtig er ihr ist. Er musste ihr ja unbedingt davon erzählen, nicht wahr? Ich seufze und lasse mich neben meinem Mädchen in das frische Gras sinken.
Unsicher versuche ich mich auf den Ausblick zu konzentrieren, doch die Angst, hier draußen angegriffen zu werden, ist um ein Vielfaches präsenter als das Bild vor mir. Wir sind allein, ich sollte mir weniger Sorgen machen. Es wird schon alles gut gehen, wir sind nicht weit weg von unserem Haus.
Ich reagiere halbherzig auf ein Zupfen an meinem Kleid und sehe nach unten, wo mir zwei graue Augen entgegenblitzen. Das Licht der Monde verfängt sich in ihrem freudigen Schimmern und glitzert mir überschwänglich entgegen. Ich kann nicht anders, als ihr breites Grinsen zu erwidern.
»Ist es so schön, wie du gedacht hast?«
Sie nickt so schwungvoll, dass ihr blassrotes Haar zu flattern beginnt. Nicht mehr lange und sie werden noch blasser werden. Wo sie wohl stehen bleiben? Mein Blick fällt auf eine meiner eigenen langen Strähnen, die über meiner Schulter hinabhängt. Tiefes Rot, rot wie Blut. Und doch wird ihres nie dunkler sein als ein zartes Rosa.
Ich atme tief ein und versuche den Knoten zu unterdrücken, der sich in meiner Kehle bildet. Wie ähnlich sie ihm wohl erst sehen wird, wenn sie groß geworden ist? Ähnlich genug, dass wir es nicht mehr verstecken können. Dabei ist es jetzt schon so offensichtlich, wer sie ist, was sie ist. Wie die pinke Mähne im Licht der unserer Monde strahlt.
Sanft streiche ich ihr ein paar verirrte Strähnen zurecht. »Jetzt bist du eine echte Mondscheinprinzessin«, stelle ich fest.
»Echt?« Sie strahlt sogar noch ein bisschen mehr.
»Ja.« Wie die Prinzessin die du schon immer gewesen bist.
Und ich frage mich, warum mich diese Erkenntnis so traurig macht.