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Nach dem Prompt „Dunkle Lackporling“ der Gruppe „Crikey!“
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Im Gebirge von Akijama, so erzählt man sich, steht ein großes Anwesen. Hoch oben auf einem Gipfel, um den die Winde brausen, in einem Gebiet, so unwegsam, dass nur die mythischen Kristalldrachen diesen Ort erreichen konnten.
Dort, heißt es, wohnt der Sammler.
Sein Haus ist uralt. Die Wände sind von rotem Holz und weißem Papier, das so fest in die Rahmen gespannt wurde, dass kein Sturm daran rütteln kann. Die Schindeln sind schwarz wie die Nacht. Ein Zauber liegt über dem Haus, sodass keine Schneeflocke sich auf das Dach setzt, und kein kalter Wind in den Innenhof dringt. Dieser Innenhof ist so groß, dass ein Wald aus Kirschbäumen hier blüht, und dazwischen liegen Wiesen mit grünem Gras und klare Teiche inmitten gewundener Wege, erstrecken sich geharkte Sandflächen und blühen Beete in einem immerwährenden Frühsommer. Rosa Blätter treiben im warmen Wind, der hier vorherrscht.
Das Haus ist nicht verlassen. Zu jeder Zeit huschen Diener leise durch die Flure, von Zimmern mit Terrarien und Aquarien zu Ställen, in denen die verschiedensten Tiere stehen. Sie alle tragen Wunden, die von einer Welt außerhalb der Shōji-Wände stammen, und hier versorgt werden. Dauerhaft leben hier nur wenige Wesen: Die Kirschbäume, natürlich, oder die Karpfen in den klaren Teichen des Gartens, und dann noch die Bilder, die jeden verfügbaren Flecken der unzähligen Wände in endlosen Gängen und Zimmern über alle drei Ebenen des Palastes bedecken.
Denn ja, das Heim des Sammlers ist ein Palast. Er trägt viele Namen: Sicheres Heim und Zuflucht, die Sammlung und das Museum, Heim des ewigen Frühlings und Hafen der Heilung. Welchen Namen sein Herr ihm gegeben hat, und in welcher Sprache, ist unbekannt.
Nur wenig weiß man über den Hausherrn, und doch sehr viel. So lebt er mit seiner Familie dort oben, mit Frau und vielen Kindern, doch ist es unklar, ob es ihre leiblichen oder adoptierten Kinder sind, denn sie haben in den Legenden vielfältige Gestalten und Fähigkeiten, ohne dass man sie je gesichtet hätte. Auch über seine Frau weiß man wenig mehr als dass sie viele Talente hat und von besonderer Schönheit ist. Ebenso kriegt er oft und viel Besuch von Freunden, denn sein Heim bietet zahllose Gästezimmer und Räume für gemeinsame Aktivitäten, und doch weiß man nicht, welcher Art seine Freunde sind. Ob es Erdwesen sind, und nicht vielleicht doch Götter und Träume.
Wenn man ihn sieht, den Sammler, so nie in seinem Haus, das ein gewöhnliches Erdwesen nicht erreichen kann. Nur wenn man eingeladen wird, kann man es betreten, und der Sammler lädt nur jene ein, die seine Hilfe benötigen und zugleich keinem anderen Gast Schaden zufügen.
Nein, wenn man ihn sieht, dann in den Wäldern und Wiesen, an den Küsten und Klippen, auf Hügeln und in Hainen. Überall in der Eisenwelt kann man ihn antreffen, wenn er aus seinem Heim gereist ist. Dann erblickt man eine murmelte Gestalt, groß gewachsen und bunt gekleidet in Erinnerungen und Geschenke, die er sammelt. Menschlich in Gestalt, vielleicht auch elfisch, ist er doch kaum zu sehen. Seine Kleidung klimpert und raschelt, summt und brummt, klappert und rieselt, und ihm folgt ein Duft nach getrockneten Blüten und Kräutern. Seine Kleidung ist über und über behängt mit Federn, die dankbare Vögel zurückließen, und Steinchen, die ihm andere Tiere für seine Hilfe überreichten, mit Knochen von Beutetieren, die Katzen und ähnliches angeschleppt haben, mit Zweigen und Nüssen, Blättern und Blumen, und vielfältigen kleinen Objekten aus dem Besitz von allen Kulturen, die wohl die ein oder andere Elster von einem Sims stahl.
So hört man ihn gut, wenn er in der Nähe ist, und das Klimpern und Rascheln, Summen und Brummen, Klappern und Rieseln übertönt beinahe seine Stimme. Denn der Sammler ist nicht still. Er redet und murmelt, lacht auf und grübelt, während er durch die Wälder oder Wiesen, Küsten oder Klippen, Hügel oder Haine streift. Dann grüßt er hier ein Moos wie einen alten Freund und neigt dort das Haupt vor einem Baum, winkt einem Säugetier oder hält die Hand einem Insekt hin.
Mit allen Lebewesen des Planeten ist er Freund, sie alle kennt er bei ihrem Namen und weiß noch manches mehr über sie zu berichten. Sieh nur, wie er hüpft und springt, all die Lebewesen erkennt, groß wie klein, und sie alle mit der gleichen Liebe grüßt, wenn auch jedes auf eine Weise, die es nicht erschreckt.
Jedoch sind nicht alle Tiere einander Freund. Und was tut man, wenn man die Fliege im Spinnennetz sieht? Oft, so muss ich sagen, grüßt er sie beide, gratuliert der Spinne zu ihrem Jagdglück und spricht der Fliege Trost zu. Denn das heilige Lied von Jäger und Gejagtem ehrt der Sammler als Gesetz.
Nur manchmal, da nimmt er ein verletztes Tier auf, oder einen kränkelnden Farn, oder eine hungernde Spinne, und er bringt sie in sein Heim im Gebirge und pflegt sie gesund. Für jedes Lebewesen hat er ein Plätzchen, wo sie heilen können, ehe er sie zurück in ihre Heimat bringt.
Er behält nur ihre Geschenke - und er sammelt die Erinnerungen. Von jeder Tier- und Pflanzenart, von Pilzen und Korallen und allem, hat er eine Zeichnung auf dickem, handgeschöpftem Papier, gefertigt mit kunstvoller Feder und leuchtenden Farben, zugleich realistisch und auf eine Weise strahlend, als wäre das Lebewesen ein Gott. Jede Zeichnung fertigt er selbst an, und wenngleich sie genau das Tier oder die Pflanze zeigt, so zeigen die Farben auch des Sammlers Liebe zu jedem einzelnen und lassen uns die Welt mit seinen Augen sehen. Eine Welt, wo jedes Wesen einzigartig und besonders ist.
Eines Tages, so sagt er, wird er jedes lebende Wesen an seinen Wänden gesammelt haben.
Sieh nur, wie die bunte Gestalt durch den Wald hüpft! Klimpernd und klappernd, grüßend und lachend. Dann hält der Sammler, kommt zur Ruhe. Sein Blick hat einen Freund gefunden, der seiner Sammlung noch fehlt. Er geht in die Hocke, neigt den Kopf.
Vor ihm, auf der Wurzel einer toten Tanne, wächst ein Pilz mit glänzendem Schirm, rotschwarz mit weißem Rand, ein wenig bucklig. Wer hätte diesem Pilz Beachtung geschenkt, der sich weder als Speisepilz noch als Gift eignet? Doch der Sammler kniet nieder. Er holt eine Leinwand hervor, legt die Farben vor sich aus und beginnt mit der ersten Zeichnung. Mit dünnem Stift für die erste Skizze, dann zieht er die diese fester nach.
"Ganoderma carnosum, mein Freund", sagt er dabei leise. "Wie schön du heute bist!"
Ein weiteres Lebewesen für die gewaltige Sammlung dieses Wesen. Wer er ist und woher er stammt, weiß man nicht, noch, wozu er all die Lebewesen sammelt. Er ist eine der unerklärlichen Mächte in unserer Welt - doch wir wissen, dass er wohlmeinend ist.