„Sie können den armen Mann doch nicht einfach ignorieren!“
Kalt starrte ich auf den Bildschirm und betrachtete eines der unzähligen Selbstgespräche, die der Mittedreißigjährige mit sich führt. Der rote Knopf der Sprachanlage blinkte mehrere Male auf und nahezu hysterisch will der Neue mich dazu bringen, ihm zu antworten.
„Es war ein Unfall. Eine Kollegin, in die er unglücklich verliebt war, hat er unter einem Vorwand zu sich eingeladen. Als sie seine Gefühle nicht erwidert hat, sondern in einen Lachkrampf ausbrach, hat er sie gegen eine Kante gestoßen. Als sein Versuch es zu vertuschen fehlschlug, wurde er bei uns eingeliefert und sein Zustand wird seither jeden Tag schlimmer. Er redet mit ihr, nicht mit uns. Ein Trauma, wenn du es genau wissen willst.“
Ein verwirrter Laut kam aus den leicht geöffneten Lippen des Neuen.
„Wie wurde er überführt und, viel wichtiger, was sollte der Lachkrampf?“
Neue Mitarbeiter in einer psychiatrischen Anstalt neigen oft dazu, zu tief einzutauchen, und sind der Meinung, jedem helfen zu können. Eine nervige Eigenschaft. Erwartungsvoll verschlang der junge Arzt jedes meiner Worte.
„Er war ihr Chef, und kein beliebter. Außerdem, nun ja, war sie lesbisch. In einer Durchsuchung fand ein Detektiv, der von ihrer Freundin angeheuert wurde, einen Haarbüschel von ihr. Laut Kramers Aussage hatte sie seine Einladung aber nie angenommen. Die Forensik bestätigte ihre DNA und noch am selben Tag fanden die Polizisten ihre zerstückelte Leiche in einer Kühltruhe.“
Genervt tippte ich immer wieder auf mein Handy, in der Hoffnung, dieses Gespräch binnen der nächsten Minute abzuwürgen und dann endlich wieder mit meinem Sofa vereint zu sein. Zwei freie Tage am Stück sind für Mediziner wie Weihnachten für jeden anderen, nur, dass Genanntes bei uns jährlich dem Weltuntergang gleicht.
„Tiefkühltruhe? Er hatte wohl zu viele Filme gesehen.“ Ein dämliches Lachen formte sich auf dem Gesicht meines Gegenübers und ich hatte nur darauf gewartet, dass er noch anfangen würde zu grunzen.
„Wie auch immer, ich mache dann Feierabend. Melde dich bei Frau Rau, sie hat bestimmt Arbeit für dich. Nachdem du neu bist.“ Aggressiver fuhr ich fort, "Das ist die mit dem geilen Arsch, um es mit deinen Worten zu sagen. Sie stand neben dir, als du die Sprachnachricht versendet hast."
Das Gesicht des Neuen lief stark rot an und stotternd versuchte er jämmerlich vom Thema abzulenken.
„Ich wusste gar nicht, dass es bei uns so etwas wie Detektive noch gibt. Der scheint ja was von seinem Job zu verstehen. Bis Montag dann und schönes Wochenende.“
„Dir auch“, erwiderte ich zähneknirschend, ehe ich die Klinik endlich verließ.
Auf der Heimfahrt kam ich nicht weit. Nach kaum mehr als der halben Strecke endete meine Fahrt an einer Straßensperre. Ich stellte mein Auto fast legal am Gehweg ab und eilte zum Unfallort. Der Gedanke im Hinterkopf als Arzt vielleicht helfen zu können, denn es war noch kein Krankenwagen in Sicht. Aber leider wurde ich nur von zwei großen Decken am Straßenrand empfangen. Von der Seite vernahm ich eine weibliche Stimme, die mit einem Polizisten diskutierte.
„Sie sind vor einer Minute gekommen! Sie können das gar nicht beurteilen“, verkündete der Gesetzeshüter barsch.
„Ich habe es Ihnen doch erklärt. Es war kein Unfall sondern Mord durch den ehemaligen Liebhaber der Frau, der inzwischen über alle Berge ist. Achten Sie doch auf die Bremsspuren, also wenn Sie welche finden sollten zumindest.“