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Ihr namenloser Retter griff mit so kräftigen Schritten aus, dass Tom und Sagar Probleme hatten mit ihm Schritt zu halten. Anstatt zurück in den Wald zu laufen und einen neuen Weg zu suchen, lief er tiefer in die Höhle hinein. Tom fragte sich, ob es wirklich klug war, dem Fremden zu trauen und zum anderen, ob der wirklich wusste, wo er eigentlich hin wollte. Gab es diese Kommunikationstation, von der er sprach, wirklich?
»Was meinst du, Sagar?«, wandte er sich mit gesenkter Stimme an seinen Ehemann, mit dem er, seit er ihren gemeinsamen Sohn auf die Welt gebracht hatte, verheiratet war. »Können wir ihm trauen?«
Sagars dunkle Augen verdüsterten sich noch weiter, während er seine Augenbrauen zusammenzog und permanent die rechte Hand am Griff seines Säbels hatte. Dieser stammte noch von der Erde, es war ein Familienerbstück und deswegen Sagars Lieblingswaffe. Neben dem Dolch, den Tom nun einsatzbereit in der Hand trug. Der dunkelhäutige Mann stieß ein Grunzen aus, zuckte dann mit den Schultern und seufzte.
»Ich weiß ehrlich nicht, welche Wahl wir haben. Folgen wir einem Fremden, der sich über diese Gobbins auskennt, oder rennen wir allein ziellos in der Gegend herum und laufen Gefahr eben Opfer dieser zu werden? Wenn du mich fragst, beides keine guten Optionen.«
»Ja«, stimmte Tom zu und fühlte sich schuldig. Wieder einmal. Denn schon wieder hatte er Sagar in eine schlicht unmögliche Situation geführt. Seit sie einander begegnet waren, war dies sozusagen eine Tradition bei ihnen. Tom brachte sich in Lebensgefahr und Sagar spielte den strahlenden Held, der ihn retten musste. Diesmal vor anscheinend vor sexwütigen, kleinen, grünen Männchen. »Warum waren die nur mir gegenüber so … angetan?«, fragte Tom, holte das fremde Alien ein und hielt ihn auf.
Der wirbelte mit einer schnellen Bewegung herum und blickte Tom an, als würde er ihn gerade zum ersten Mal sehen. Wie bei der Begegnung vorhin am Eingang der Höhle, lehnte er sich nach vorne und schnüffelte auffällig an Tom. Dann verzog er die Lippen und schüttelte sich, dass Tom nun auch an sich roch. Gut, er roch nicht taufrisch nach Rosen, aber so schlimm nun auch wieder nicht.
»Stinke ich?«, wandte er sich Hilfe suchend an Sagar. Der brauchte gar nicht erst an seinem Mann zu riechen, um zu wissen: »Nein, du riechst immer sexy!«
»Sexyzz!«, zischte das Alien, verzog wieder die Lippen und klimperte mit den langen Wimpern. »Genau dazz Problemzz! Du riechenzz nach vielenzz Babyzz!«
»Was?!«, entfuhr es Tom. »Das kann nicht sein! Wir haben verhütet! Das stimmt doch, Sagar! Erzähl es ihm! Ich bin nicht schwanger!« Verzweifelt tastete er an seinem Bauch entlang und hoffte inständig, dass nicht doch etwas schief gegangen war. Er erinnerte sich noch genau an den Schock vom letzten Mal. Vor genau sechs Jahren erfuhr er, dass er dabei war ihr erstes Kind zu bekommen und der Gedanke, hatte seine gesamte Welt ins wanken gebracht.
Die Probleme, die er vorher als groß erachtet hatte, konnte er nun nur noch belächeln. Gerade zu lächerlich war es gewesen zu denken, dass er ein Problem hatte, in den 1920er Jahren festzustellen, dass er homosexuell war. Die Erkenntnis hatte ihn dermaßen geschockt, dass er nach einem »Heilmittel« gesucht hatte. Ha! Ein Heilmittel!
Seine Lösung des Problems war es gewesen, dass er die Isolation gesucht hatte. In der Ruhe von allem, wollte er nach sich selbst suchen und hoffte so sein heterosexuelles Ich zu finden. Ja, gefunden hatte er wirklich etwas. Nicht das, was er erwartet hatte, aber genau das, was er gebraucht hatte.
Sein Weg hatte ihn also nach Indien geführt und dort traf er ihn: Den Mann zum niederknien! Muskeln aus Stahl, wunderschön gebräunte Haut und ein Lächeln, das ihm sofort die Kleidung ausgezogen hatte. Sein heterosexuelles Ich konnte ihn mal, als er sich in den Armen dieses Mannes wiederfand und den besten Sex seines Lebens hatte. Nur zu gut erinnerte er sich an den Abend des 10. Juni 1921, als er um 19Uhr43 dem Trommeln der Regentropfen auf dem Dach von Sagars Hütte zuhörte und bewunderte, wie schön sie mit dem Klatschen von dessen Haut auf seinem Po harmonierten.
Ein Seufzen entfuhr ihm. Wie schön war doch dieser Moment gewesen, verglichen mit dem Chaos, das folgen sollte. Oder dem Irrsinn, in dem er sich gerade befand.
»Nein, Gobbinzz Babyzz!« Der Außerirdische maß Tom, als wäre der vollkommen debil. Was er nicht war, aber verstehen wollte er es trotzdem nicht. Aber Sagar bekam einen bösen Verdacht. »Willst du damit sagen, die wollen ...« Er zeigte auf seinen Mann. »... mit ihm und dann ...«
»Ihr wissenzz nichtzz über Gobbinzz? Wazz ihr machenzz dann hierzz?!« Jetzt schüttelte er den Kopf, an eben den er sich auch fasste.
»Wir sind abgestürzt!«, fuhr Tom auf. Er hatte sich das hier doch nicht ausgesucht! »Weil irgend so ein Volltrottel auf uns geschossen haben muss!« Für eine Sekunde glaubte Tom einen Ausdruck der Schuld auf dem Gesicht des Mannes zu sehen, aber er war so schnell wieder weg, dass er sich da nicht sicher war. Stattdessen nickte er dann, holte einen Trinkschlauch hervor und nahm schmatzend einen großen Schluck. Tom und Sagar bot er auch etwas an, aber die lehnten ab, nachdem sie nur daran gerochen hatten. Es erinnerte an eine Mischung aus Alkohol und Dreck und Durchfall konnten sie sich nicht leisten.
»Kurzz setzenzz. Pause. Ichzz erklärenzz!« Obwohl ihnen dabei unwohl war, sich in dieser gefährlichen Umgebung auf den Boden zu setzen, wo die Müdigkeit vielleicht nach ihnen griff, folgte sie der Anweisung. »Gobbinzz Bewohner von Gobbin!« Ja, so viel war ihnen auch klar gewesen. »Gobbinzz einfach. Aber Gobbinzz degeneriert. Könnenzz nicht selber Lebenzz machenzz. Nur gebenzz Samenzz.« Beim letzten Satz entfuhr Tom ein Würgen, weil er leider wieder zu deutlich die Geschlechtsteile der kleinen, grünen Männchen im Kopf hatte. »Gobbinzz also brauchenzz andere zum machenzz und gebärenzz. Dazz allezz.«
»Na ganz toll!« Tom sprang auf und rannte aufgebracht hin und her. »Ich glaub das nicht! Die wollen mich als Brutkasten?!«
»Erzz und ichzz sicher«, sagte der Außerirdische und deutete auf Sagar und sich. »Aber angreifenzz und tötenzz, wennzz nicht haben kannzz … Brutkasten.« Das letzte Wort sprach er langsam und genauso aus wie Tom. Also, ohne das ständige Zischen, das seine Sprache begleitete und einem fast Kopfschmerzen bereitete. »Aber ichzz guter Jae'Ga! Ichzz tötenzz Großen und holen mir Phallolinga!«
»Du holst dir was?«, brachte Sagar hustend hervor. Auch Tom war stehen geblieben und starrte stirnrunzelnd auf die beiden herab.
»Großeszz Phallolinga!« Dabei glänzten die Augen des Außerirdischen und er begann versonnen zu lächeln. »Viele Gefährtenzz für Jae'Ga dannzz!« Also Tom und Sagar immer noch nicht verstehen wollten, zeigte er auf seine Körpermitte und machte eine ausladende Handbewegung mit beiden Händen. »Von großeszz Gobbinzz!«
»Das ist abartig! Einfach nur abartig!«, erklärte Tom, der sich nun wirklich übergeben musste. »Also, wie kommen wir nun zu dieser Kommunikationstation?«, fragte er hastig, weil er immer mehr Gründe bekam hier so schnell wie möglich abzuhauen. Sagar nickte. Er sah das ganz wie Tom, aber da war noch etwas Wichtiges, das sie tun mussten.
»Wir haben und noch gar nicht vorgestellt«, sagte er. »Ich bin Sagar und das ist Tom.«
Der Außerirdische maß sie mit einem analytischen Blick und schüttelte den Kopf. »Dazz traurige Namenzz!« Dann stand er auf, hob die Arme über den Kopf und bildete damit eine Form, die an einen Tropfen erinnerte. Als er die Arme in einem großen Kreis zu seinen Seiten führte, rief er aus: »Jae'Ga!« Damit schossen die Arme wieder nach oben. »Dazz guter Namenzz! Großeszz Bedeutung!«
»Mein Name bedeutet Ozean«, erzählte Sagar, in der Hoffnung Jae'Ga so beeindrucken zu können. Und tatsächlich sprang der wieder auf und führte die Arme in Wellenform vom Körper weg.
»Sagarzz!«, sang er dabei. »Starkezz Namenzz!« Für Toms Namen hatte er nur ein Achselzucken übrig und dann war ihre Pause vorbei. Was keiner schlimm fand, denn nach den neuesten Erkenntnissen wollte keiner hier länger verweilen. Tom am allerwenigsten.
Nun noch achtsamer um sich blickend, lief er hinter Jae'Ga her. Er und Sagar hatten ihn in die Mitte genommen, wo er sich nicht sicher, aber immerhin etwas besser fühlte. Tom seufzte tief. Ihm drängte sich der Verdacht auf, dass er verflucht war.
Wobei er sich in Gedanken direkt korrigieren musste: Die Entdeckung seines wahren Ichs war keine Heimsuchung gewesen, auch wenn sie ein Schock war. Aber auch, wenn es sein Leben aus der Bahn geworfen hatte, so hatte er doch etwas gewonnen gehabt. So wie bei bisher beinahe jeder großen »Katastrophe« in seinem Leben.
Die vermeintlich böse Homosexualität hatte ihm einen Gefährten fürs Leben gebracht und die Entdeckung, dass er – Tom – selbst ein Außerirdischer war, eine Familie. Davor hielt Tom sich für einen Waisenjungen aus den Straßen Londons. Erdenbürger, selbstverständlich. Aber dieses Weltbild wurde am 21. Januar 1922 durch eine Magenverstimmung zerstört.
Die Übelkeit war so schlimm, dass er selbst dem wunderschönen Sex mit Sagar nichts mehr abgewinnen konnte. Er war launisch, ja gar zickig und nahe am Wasser gebaut, dass es ihn wunderte, wie tapfer Sagar zu ihm hielt. Dieser pflegte ihn hingebungsvoll, dachten sie doch, dass die Malaria Tom nun dahinraffen würde. Das tat sie nicht. Eher führte die »Malaria« dazu, dass er nach weiteren Wochen schrecklichen Heißhunger bekam und in die Breite ging. Spätestens jetzt würde Sagar ihn doch verlassen!
Aber tat er nicht. Selbst dann, als es immer absurder wurde, sah Sagar nur seine große Liebe und die Chance auf ein ganz besonderes Wunder. Dass er dieses bekommen würde, wusste er ab dem 04. März 1922. Es war der Tag, an dem Sagars Hütte durch ein Raumschiff zerstört wurde.
Toms Familie hatte ihn nämlich endlich gefunden, nachdem sie ihn vor 22 Jahren bei einem Ausflug vergessen hatten und sich beim besten Willen nicht entsinnen konnten, auf welchem Planeten das wohl gewesen sein könnte. Daher hatten sie alle Familienmitglieder eingepackt und zogen durch das All, bis sie auf der Erde fündig wurden.
Hätte es das Raumschiff, als absoluten Beweis, nicht gegeben, dann hätte er ihnen kein Wort geglaubt. Erst recht nicht, als er sich aus erster Hand über das Volk der Yalanthaner informieren konnte. Ein Yalanthaner, das war es, was er war – kein Mensch. Optisch sahen sie zwar aus wie Menschen, aber es gab einiges an Eigenheiten, was sie betraf.
Gut war es schon einmal zu wissen, dass es nicht zwei, sondern drei Geschlechter gab. Da war das übliche: Männchen und Weibchen, um es mal platt auszudrücken, und dann war da noch das, was Tom war. Etwas dazwischen. Sie hatten bis heute keinen Namen dafür, weil sich ständig drüber gestritten wurde, aber die biologischen Fakten waren, dass er – Tom – sowohl Kinder machen, als auch bekommen konnte. Was auf Yalantha regelrecht gefeiert wurde und überhaupt, lobten sie jede Form von Liebe und holten nicht die Mistgabeln raus, weil zwei Männer sich liebten.
Das waren schöne Aussichten, fanden Tom und Sagar, weswegen sie sich entschieden, dass sie Yalantha mit eigenen Augen sehen wollten. Außerdem war die Erde einfach noch nicht reif für einen schwangeren Mann … äh … Yalanthaner.
Tom entfuhr ein tiefer Seufzer. Da fühlte er Sagars Hand in seiner und lächelte. »Du weißt, dass ich nicht zulassen werde, dass sich eines dieser Dinger mit dir paart?!«
»Ich weiß«, gestand er, während sich seine Wangen rot färbten. »Ich musste an unsere Geschichte denken und daran, welches Glück ich habe, so einen Mann wie dich gefunden zu haben. Ich hoffe nur, wir kommen wirklich von hier weg.«
Darum machte er sich ziemliche Sorgen. Jae'Ga führte sie immer tiefer in den Berg hinein und hier sah nichts danach aus, dass es nur irgendwie Technologie beherbergen konnte, die sie mit der Außenwelt verband. Wer konnte ihnen schon versichern, dass Jae'Ga sie hier unten nicht mit Absicht in die Irre führte, um sich dann auch von ihnen eine Art Trophäe zu holen?
Tom ballte die Fäuste, er hatte definitiv zu viel mitgemacht in seinem Leben, um jetzt blind diesem Außerirdischen zu folgen! »Weißt du überhaupt, wo du hin musst?«, fuhr er ihn an. »Wo soll es denn in diesem trostlosen Felsen eine Kommunikationstation geben? Sollten wir nicht eher aus den Höhlen raus?«
»Achzz, TomTom weißzz den Wegzz besser?«, zischte Jae'Ga beleidigt. »Ich viertezz Jahr aufzz Gobbin! Wir gehenzz Gang bizz hintenzz, dann Treppe, hochzz zzu Spitze vonzz Berg!«
Das ergab schon irgendwie Sinn, weswegen Tom sich etwas kleiner machte und ein schlechtes Gewissen bekam, dass er Jae'Ga so misstraute. Man konnte es ihm aber nicht verübeln. Immerhin war eine Horde ungehobelter Grüner hinter ihm her, die ihm alle ein Kind anhängen wollten. Wer würde denn da nicht aus der Haut fahren?
»Du achtenzz auf deine Zungenzz!«, sagte Jae'Ga und richtete Toms Zungenkette, damit sie ihm säuberlich über den Schultern drapiert war. Er hatte sie im Laufen immer weiter runter geschoben, bis sie fast zu Boden fielen. Die Dinger waren aber auch ekelig und Tom hatte keine Lust den Geruch permanent in der Nase zu haben.
»Tut mir leid, Jae'Ga«, entschuldigte Tom sich, während Sagar sich nervös umblickte.
»Sollten wir nicht besser weitergehen?« Seine Stimme war nur ein raues Flüstern, in dem deutlich Angst mitschwang. Ein Gefühl, das sich nun auch in Toms Magengrube wieder deutlich ausbreitete. Seltsame Geräusche erfüllten die Höhle. Tom wusste nicht, ob es sich um ein normales Phänomen handelte, oder ob es vielleicht von kleinen, grünen Füßen auf sandigem Steinboden herrührte. Ihm fröstelte.
»Gehen wir weiter, Jae'Ga«, verlangte Tom und schob den Außerirdischen regelrecht von Ort und Stelle. Dabei wiederholte er pausenlos im Kopf, dass schon alles gut gehen würde. Sie mussten ja nur noch eine Treppe hoch und würden dann nach Hilfe rufen können. Das war machbar! »Ja, das ist machbar!«, sagte Tom sich immer wieder im Stillen. Er schaffte es sogar für einige Minuten daran zu glauben, bis es plötzlich neben ihm raschelte. Als er erschrocken herumfuhr starrte er auf eine Felsspalte, die sich plötzlich aufgetan hatte. Er war sich sicher, dass die Felswand eben noch massiv neben ihm gelegen hatte. Viel erschreckender war aber das fratzige Gesicht, dass ihn plötzlich daraus angrinste.
»Sagar!«, schrie er noch, aber das bewahrte ihn nicht vor den langfingrigen Händen, die blitzschnell nach ihm griffen und ihn in den Felsen zogen.