Unauffällig beobachtete Alec, wie Magnus seine Kräuter und Fläschchen und was auch immer ordnete. Er konnte es noch immer nicht glauben, dass er jetzt hier war. Dass der Hexenmeister sich tatsächlich für ihn entschieden hatte. Er nahm das nächste Blatt von dem Stapel, aber so richtig konzentrieren konnte er sich nicht darauf. Arbeit vom Institut mitzubringen, damit sie Zeit zusammen verbringen konnten, obwohl sie arbeiteten, war ihm wie eine gute Idee vorgekommen, aber die Wahrheit war, dass er bis jetzt erst einen Bruchteil von dem erledigt hatte, was er normalerweise im gleichen Zeitraum schaffte. Wieder schielte er zu Magnus und zuckte ertappt zusammen, als er direkt seinen Blick traf.
„Stimmt etwas nicht, Alexander?“
Alec schüttelte den Kopf. „Ich schau dich nur gerne an.“
Magnus lächelte und kam zu ihm herüber. „Und ich küsse dich gerne.“ Er lehnte sich über den Tisch, brachte dabei Alecs sorgfältig geordnete Stapel durcheinander, aber der Kuss hielt Alec erfolgreich davon ab, sich darüber zu beschweren.
Dennoch löste er sich nach einer Weile. „Ich ... Ich muss weitermachen.“
Magnus warf theatralisch die Hände in die Luft. „Sogar die Mundi haben zwischen den Jahren frei.“
Alec blinzelte ihn verwirrt an. „Zwischen den Jahren?“
„Die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester.“
„Oh.“ Er hatte nicht gewusst, dass es da eine Bezeichnung für gab. Und wenn er ehrlich war, dann hätte er Weihnachten ohne Magnus total vergessen. Der Oberste Hexenmeister von Brooklyn hatte sogar das Institut geschmückt, sämtliche Proteste vonseiten Alec absolut ignorierend. Magnus lachte leise und widmete sich dann wieder seinen Mixturen. Auch Alec konzentrierte sich wieder auf seine Dokumente. Oder zumindest versuchte er es, aber ihm spukten andere Gedanken im Kopf herum. „Weißt du, was ich schon immer mal machen wollte?“, platzte es schließlich aus ihm heraus. Sofort hatte er Magnus‘ ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Was?“
„Ich ...“ Plötzlich kam ihm sein Wunsch dumm vor und er senkte den Blick. Er hörte, dass Magnus seufzte, und es tat ihm leid, wie oft er den Hexenmeister an den Rand der Verzweiflung brachte. Aber er hatte einfach immer Angst, etwas falsch zu machen und Magnus am Ende zu verlieren.
„Sag es mir.“ Magnus‘ Stimme klang ganz sanft, als er seinen Kopf auf Alecs Schulter legte und seine Arme um ihn schlang. Alec hatte gar nicht gemerkt, dass sein Freund hinter ihn getreten war. Aber er genoss die Umarmung, er liebte es, dem anderen Mann so nahe zu sein.
„Es ist bestimmt dumm“, murmelte er und legte seinen Kopf in den Nacken.
Magnus lachte leise und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Nichts, was du dir wünschst, ist dumm“, flüsterte er und brachte Alec so zum Lächeln. Wenn er doch auch immer das Richtige sagen könnte, es würde so vieles einfacher machen.
„Aber albern.“ Er schloss die Augen. „Vergiss es einfach.“
Magnus seufzte schon wieder und schnipste mit den Fingern. Der Stuhl, auf dem Alec saß, rutschte ein Stück nach hinten, so dass Magnus sich bequem auf seinen Schoß setzten konnte. Er legte seine Arme um Alecs Nacken und zog ihn sanft, aber bestimmt in einen weiteren Kuss. „Nichts, was du dir wünschst, ist albern. Und falls doch, kann ich dir das erst sagen, nachdem du mir deinen Wunsch verraten hast.“
Die Logik war bestechend, fand Alec. Er legte seinen Kopf auf Magnus‘ Schulter. „Ich ... Ich wollte schon immer einen Kuss um Mitternacht. Zum Jahreswechsel.“ Er wartete, wartete darauf, dass Magnus ihn auslachen würde.
Aber sein Freund umarmte ihn nur noch etwas fester. „Dann werden wir das tun“, versprach er und Alec konnte das sanfte Lächeln, das nur für ihn bestimmt schien, beinahe hören.
***
„Aufgewacht, wir haben viel vor!“
Müde rollte Alec sich zusammen und blinzelte Richtung Wecker. „Magnus, es ist noch nicht einmal sieben Uhr morgens“, beschwerte er sich gähnend und zog sich die Decke über den Kopf. „Wir wollten doch heute ausschlafen, damit wir um Mitternacht zum Times Square können.“
„Irgendwo ist immer Mitternacht.“ Magnus zog die Decke ein Stück nach unten und präsentierte Alec neben einem strahlenden Lächeln ein Tablett mit einem leichten Frühstück. „Komm schon, hopp, hopp.“
Alec stöhnte, stand aber gehorsam auf. Im Institut war es sowieso normal, um diese Uhrzeit aufzustehen, nur an Feiertagen galten andere Regelungen. Und Silvester gehörte da normalerweise dazu. Dass ausgerechnet Magnus, der gerne lange schlief, heute so früh munter war, wunderte Alec doch sehr.
Nach einer schnellen Dusche schlüpfte er in die Sachen, die Magnus ihm rausgelegt hatte. T-Shirt und dünne Stoffhose erschienen ihm zwar etwas zu kühl für die aktuelle Jahreszeit, aber sein Freund hatte sich bestimmt was dabei gedacht.
„Endlich!“ Magnus wirkte aufgeregt und vorfreudig und sah immer wieder auf die Uhr.
Alec folgte seinem Blick. „Wo willst du denn so eilig hin? Um zehn vor acht morgens?“
„Das wird eine Überraschung!“
Das Portal, das der Hexenmeister öffnete, war nicht ganz so überraschend. Alec griff nach Magnus‘ Hand.
Sie landeten neben einem Fluss, zumindest nahm Alec das an. Er konnte das Wasser plätschern hören und Stimmengewirr, aber es war beinahe völlig dunkel. „Wo sind wir?“
Magnus legte ihm einen Arm um die Hüfte und drehte ihn halb herum. „In Sydney“, erklärte er. „Auf einer Yacht im Hafen. Von hier aus haben wir einen perfekten Blick auf das Feuerwerk.“
„Sydney“, wiederholte Alec ungläubig. „Wieso sind wir in Sydney?“
Magnus lachte. „Ich wollte dir deinen Wunsch erfüllen, Alexander. Und das so oft wie möglich.“
Sprachlos zog Alec seinen Freund näher an sich und gab ihm einen langen Kuss.
Magnus lächelte unter seinen Lippen und drückte ihn sanft ein Stück von sich weg. „Es ist noch nicht Mitternacht“, erinnerte er ihn leise.
„Egal!“ Alec zog Magnus wieder dicht an sich und küsste ihn erneut. Mitternacht oder nicht, das war ihm in diesem Moment völlig egal. Magnus hatte ihm zugehört, hatte seinen Wunsch ernstgenommen und machte jetzt das Unmögliche möglich. Alec war klar, dass sie die nächsten Stunden von Zeitzone zu Zeitzone porten würden, und er hatte überhaupt nichts dagegen.
Als der Countdown begann, löste er sich für einen Moment von Magnus, suchte seinen Blick. „Ich liebe dich“, flüsterte er.
„Und ich liebe dich“, erwiderte Magnus ebenso leise.
Und dann küssten sie sich erneut. Pünktlich zum Jahreswechsel, genau so, wie Alec es sich gewünscht hatte.