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Nach dem Prompt „Gewöhnliche Languste“ der Gruppe „Crikey!“
Weitere Inspiration: "Pelle und die Geschichte mit Mia", Kari Vinje, Vivian Zahl Olsen
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Langsam richtete Amulius sich auf und streckte den Rücken durch. Der Blick des alten Fischers wanderte über die Wellen, die gegen die melerische Küste spülten und unter der Sonne glitzerten, bewegt von dem leichten Regen, der niederging.
Dann beugte er sich wieder über das alte Netz, das beschwert von Algen, Fischen und Langusten aus dem Meer gezogen werden wollte. Handgriff für Handgriff, die Haut rau vom Salzwasser, holte Amulius den Fang ein.
"Papa?"
Er drehte sich um. Naka, seine Tochter, stand auf dem steinigen Strand.
"Hey, Kleines." Amulius' Stimme war rau. Er ließ das Netz zur Erde gleiten und trat zu dem Mädchen. "Konntest du doch nicht schlafen?"
Seine Tochter hielt die Decke noch umklammert, mit der sie sich eigentlich zum Mittagschlaf hatte hinlegen wollen. Jetzt reckte sie sie ihm entgegen. "Ist Mama nicht kalt?"
Amulius atmete tief durch, als der Kloß in seinem Hals wieder aufflammte, die Trauer wieder nach ihm griff.
Seine Frau war gestern beerdigt worden.
"Sie liegt doch einfach da, vielleicht ist das unbequem", fuhr Nakaria fort. "Können wir ihr nicht die Decke bringen?"
Amulius kniete sich vor seine Tochter und umfasste sanft ihre Hände. "Mama braucht die Decke nicht, Schätzchen."
"Aber ... friert sie nicht?"
Amulius zog das Kind in seinen Arm. Dann wandte er sich dem Fang zu. Die Langusten tummelten sich in Eimern, große Krebse mit langen Fühlern, die über die Wände ihres Gefängnisses tasteten.
"Naka ... du hast doch eine getrocknete Langustenhaut im Zimmer, ja?"
"Ja ..." Fragend sah sie ihn an. Das Mädchen saß jetzt auf seinem Knie, die Arme schutzsuchend um seinen Hals gelegt. Amulius stützte sie mit einem Arm und betrachtete mit ihr gemeinsam die Krebse.
"Du weißt, dass das nur die Hülle ist. Die Langusten streifen ihre Haut ab, wenn es für sie Zeit wird."
"Wenn sie größer werden." Naka nickte ernst.
"Und sie müssen das tun, weil ihre Haut sie sonst einengen würde. Nun, wir Elfen machen das so ähnlich, weißt du. Das, was da im Grab liegt, das ist nur noch die Hülle von Mama. Sie friert nicht und ihr ist auch nicht unbequem."
Naka runzelte die Stirn. Sie nickte langsam. "Aber ... wo ist dann Mama?"
Amulius strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. "Ganz wie bei den Langusten läuft es bei uns nicht. Mama ist jetzt unsichtbar, sie ist ein Geist. Sie musste zu den Göttern gehen, und da kann man nur hin, wenn man seinen Körper zurücklässt."
Naka sah lange auf die Krebstiere im Eimer. "Und ... ist Mama auch größer geworden?"
"Viel größer." Amulius lächelte. "Und sie ist jetzt gesund und kann sich wieder bewegen. Es geht ihr besser. Sie hat jetzt keine Schmerzen mehr. Sie wäre zwar gerne noch länger bei uns geblieben, so wie wir sie auch gerne länger bei uns gehabt haben, aber wenn die Götter rufen, muss man gehen. Da hat man keine Wahl."
"Sie weint jetzt nicht mehr?", fragte Naka leise.
"Nein, sie ist jetzt sehr glücklich." Amulius drückte seine Tochter fest. "Und sie sieht uns zusammen mit den Göttern zu und passt auf uns auf."
Naka sah zu den Wolken auf. "Langusten sind immer hübscher mit der neuen Haut."
Amulius vergrub das Gesicht im Haar seiner Tochter. "Ja, mein Schatz."
"Dann ... ist das gut." Naka lehnte sich an ihn.
Gemeinsam sahen sie den Wolken zu. Der schwache Regen strich über ihre Gesichter, kühl und sanft. Keiner von ihnen sprach ein Wort.