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Nach dem Prompt „Ringelnatter“ der Gruppe „Crikey!“
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Ohne sich zu rühren sah Kiros die Schlange an. Das Tier lag auf den sonnigen Steinstufen und rührte sich nicht. So weit, so gut. Aber Kiros sollte Wein aus dem Keller holen, und nun lag ihm die Schlange auf dem schmalen Pfad im Weg.
"Also, jetzt haben wir ein Problem", sagte er zu ihr. "Ich möchte nur eben hier durch und dann ..."
"Du kannst sprechen?!", unterbrach ihn die Schlange.
Mit einem Quieken sprang Kiros zurück. "Du kannst ...?!" Er sprach es nicht zu Ende, weil er über einen erhabenen Stein stolperte und auf dem Hosenboden landete.
Die Schlange hatte sich zusammengeringelt und den Kopf gehoben, und musterte ihn ähnlich panisch wie er sie.
Verwirrt strich er sich über die Stirn. "Du kannst reden?"
"Klar kann ich reden!", sagte die Schlange. "Wieso kannst du reden?"
"Na, ich ..." Kiros zögerte. "Keine Ahnung. Was reden wir überhaupt? Rede ich die Schlangensprache oder du die Menschensprache?"
"Gute Frage." Das Tier legte den Kopf schief. Langsam beruhigten sie sich beide. "Hast du schon mal mit anderen Schlangen gesprochen? Ich nämlich noch nie mit Menschen."
"Nein." Kiros schüttelte den Kopf. "Du bist die erste. Na ja, angesprochen vielleicht. Ich rede manchmal mit Dingen, die mir Angst machen."
"Warte. Wir machen dir Angst? Aber du bist doch der Trampel."
"Ich bin was?", fragte Kiros empört. Er verstand die Situation zwar nicht, aber er wusste, dass er sich nicht von einem Reptil beleidigen lassen würde.
"Na, so nennen wir euch mit Beinen. Ihr trampelt überall herum und könntet auf uns drauftreten. Der Schwager eines Bekannten eines Bekannten wurde zertrampelt!"
"Das tut mir leid."
"Sollte es! Ihr Trampler seid echt gefährlich und nie guckt ihr nach unten!"
"Ich gucke ständig", protestierte Kiros. "Ihr seid viel gefährlicher mit eurem Gift!"
"Gift? Unser Gift ist gar nicht gefährlich für euch große Trampler!"
Kiros stutzte. "Oh. Echt?"
"Wie, was hast du denn gedacht?" Die Schlange sah ihn aufmerksam an.
"Ähm ... also ..." Kiros stand langsam auf und rieb den Dreck von seinen Händen. Er wollte seine Angst nicht zugeben. Vorsichtig machte er einen Schritt auf die Kellertür zu, dann stockte er wieder.
"Du ... beißt mich also nicht?"
"Ha! Du ... du großer Trampler hast Angst vor mir!" Triumphierend sah die Schlange auf. "Du hast Angst vor mir!"
"Ja. Ja, okay? Schlangen sind halt giftig", brummte Kiros. "Darf ich jetzt bitte in den Keller, ohne gebissen zu werden?"
"Nur, wenn du nicht auf mich drauftrittst", sagte die Schlange und kroch an die Seite.
"Das lässt sich machen." Kiros stieg an der Schlange vorbei, welche den Weg in Richtung Garten hinaufkroch. Kiros stemmte die Kellertür auf. Dahinter kam der dunkle, kühle Raum zum Vorschein.
Dann stutzte er.
"Äh, eines noch", rief er ihr nach.
Die Schlange sah zurück und züngelte. "Ja?"
"Treffen ... treffen wir uns wieder? Ich meine, ich habe noch nie mit einer Schlange geredet und ..."
"Ich bin während der warmen Stunden im Garten", versprach das Tier. "Ruf mich einfach."
"Ich muss noch ein bisschen arbeiten, aber dann komme ich." Kiros lächelte.
"Bis dann." Damit glitt die Schlange in das hohe Gras.
Kiros hob die Hand und winkte ihr hinterher.