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Nach dem Prompt „Ananas-Seewalze“ der Gruppe „Crikey!“
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Du hättest auf sie hören sollen. Du hättest auf sie hören sollen.
Ihre Gedanken hämmerten im Takt ihres schlagenden Herzens auf Yessa ein.
Du hättest auf sie hören sollen. Du hättest auf sie hören sollen.
Die gleichen Worte, die auch ihr Vater rufen würde, begleitet von Schlägen auf ihre Schwanzflosse, wenn sie heimkehrte.
Du hättest auf sie hören sollen. Du hättest auf sie hören sollen.
Falls sie heimkehrte.
Du hättest auf sie hören sollen. Du hättest auf sie hören sollen.
Sie hätte auf ihre Mutter hören sollen.
Nun war es natürlich zu spät. Wie immer schaltete sich ihr Gehirn erst ein, wenn sie bereits in der Patsche steckte. Die Tipps, wie sie es hätte vermeiden können, hätte sie vorher gebrauchen können.
Sie hätte eine Waffe mitnehmen können. Es gab genug scharfkantige Steine auf der Hochebene bei den Korallenfarmen.
Sie hätte zuerst Hilfe holen sollen. Einen Trupp Erwachsene.
Sie hätte die dumme Seewalze vergessen können. Was machte es schon, wenn eine vom Plateau unter den Wellen in die Klamm stürzte? Dann wäre die Ernte eben geringer ausgefallen. Sie hätten es überlebt.
Aber Yessa hatte nicht nachgedacht. Und jetzt saß sie hier. Im kalten Wasser, das am Grund der Schlucht bereits merklich dichter war, in den Schatten, die für ihre Augen undurchdringlich waren.
Aber nicht für die Augen des Räubers, der über ihr vorbeizog. Sie konnte seine schillernden Seiten sehen und seinen Schatten vor dem Licht von der Oberfläche.
Ein Speerfisch. Es war eine Art großer Barracuda, den sie bisher nur auf Bildern gesehen hatte. Ein Menschenfresser, natürlich. Zähne wie jener, die dort oben aus dem langen, spitzen Maul ragten, hatten schon unzählige Kinder das Leben gekostet.
Yessa hielt so still sie konnte, nur ihre Gedanken schrien.
Du hättest auf sie hören sollen. Du hättest auf sie hören sollen.
Ja, das hätte sie.
Der Speerfisch machte einen Bogen. Seine Flanken schillerten mit einem Muster, das an die breiten, mit Widerhaken versehenen Speerköpfe der Jäger erinnerte. Seine Augen schimmerten blass. Nur Yessas Flossen rührten sich, flatternd und ängstlich.
Er kam zurück. Der Speerfisch hatte sie gewittert.
Langsam sank sie zu Boden. Sand und Kies hatten sich am Fuß der Klippe gesammelt und stießen nun kalt gegen ihre Schuppen. Algen waberten in der schwachen Strömung. Neben ihrem Arm bemerkte sie die Seewalze, grau und schuppig, für die sie in die Tiefe geschwommen war. Sie hätte um ein Haar gelacht.
Das Tier regte sich nicht mehr. Frische Ernte. Und ihr Todesurteil.
Langsam, um keine Wellen zu verursachen, hob sie den Kopf. Wasser strömte durch ihre flatternden Kiemen. Der Speerfisch kreiste träge über der Schlucht.
Er wusste, dass sie hier war. Und sie konnte nicht an ihm vorbei nach oben schwimmen. Nur ausharren, bis er sie schließlich entdeckt hatte.
Etwas kitzelte ihren Rücken. Wellen trafen ihre Haut und die Schuppen. Langsam, ganz langsam drehte Yessa die Muschelohren nach hinten.
Etwas bewegte sich hinter ihr.
Oben ruckte der Speerfisch herum. Dann wirbelte Staub auf. Yessa spürte, wie etwas sie in den Rücken traf und nach unten drückte, auf den Kies. Sie schloss die Augen und wartete darauf, dass Zähne in ihr Fleisch drangen.
Aber nichts geschah. Da war nur dieses Gewicht auf ihr, und das Streicheln wie von vielen Flossen.
Wie lange sie so lag, wusste sie nicht. Doch schließlich zog sich der Schatten über ihr zurück.
Yessa riss den Kopf sofort herum und spähte in die Schlucht. Aber der Speerfisch war nirgendwo mehr zu sehen.
Hatte er aufgegeben? War das möglich?
Sie wirbelte herum, zu der anderen Kreatur.
Langsam weiteten sich ihre Augen. Zunächst hatte sie nur Gestein gesehen. Ungewöhnlich schuppiges Gestein. Und dann wurde ihr klar, dass sie auf ein Wesen starrte. Eine graue Seewalze, wie jene, die sie heute auf den Feldern geborgen hatte, da ihr Leben zu Ende gegangen war.
Diese Seewalze war allerdings ein wenig größer. Wie ein Wal im Vergleich zu Forellen.
Noch während Yessa sie anstarrte, zog sich die riesige Walze wieder zurück in die Schatten. Als wäre sie nie da gewesen. Als wäre es ein Traum gewesen.
Yessa fuhr zusammen. Sie riss die kleinere Seewalze an sich und schwamm mit hastigen Flossenschlägen hinauf. Eine weiße Spur aus Luftbläschen bildete sich unter ihr. Ihr Rücken kribbelte, sie rechnete jederzeit damit, dass der Speerfisch aus dem Nichts erscheinen und sie jagen würde.
Aber er tauchte nicht auf. Mit flatternden Kiemen erreichte sie das Hochplateau.
Die Gärten ihrer Familie!
Sie schwamm dem Haus entgegen, die Seewalze an ihre Brust gedrückt, den Korb mit der restlichen Ernte vergessen. Nach Hause, zu ihrer sicheren Koje, ihrer Mutter, dem Ärger, der sie sicherlich erwarten würde.
Sie freute sich darauf.