Die Sirenen dröhnen in meinen Ohren, doch das bemerke ich kaum. Meine Aufmerksamkeit gilt der gewundenen Straße und den Autofahrern vor mir.
Scheinbar endlos schlängelt der Weg sich durch das Gebirge, vorbei an grünen Wiesen und dunklen Wäldern. Fast glaube ich, mich verfahren zu haben, als ich in der Ferne die Wohnanlage entdecke. Unruhig zappelt mein Kollege, Noah, neben mir.
Er ist neu, und da ich schon mehr als vier Jahrzehnte (und damit am längsten) in meinem kleinen Ort bei der Polizei arbeite, habe ich mich dazu bereiterklärt, ihn mitzunehmen und ihm so gut es geht zu zeigen, wie man sich in der Praxis verhält. Ich weiß, dass selbst ich bei meinen ersten Fällen nervös war, trotzdem kann ich mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. In meinem Augenwinkel sehe ich, wie mein junger Kollege sich wieder gerade hinsetzt und peinlich berührt zu Boden blickt. Ich bin nicht wirklich beliebt, weder in meiner Arbeit, noch privat, doch ich genieße die Einsamkeit. Die Stille, um über alles nachzudenken. Als ich anfing bei der Polizei zu arbeiten, hatte ich einen großen Freundeskreis mein Eigen nennen können, doch bald schon zog ich mich zurück. Viele meiner Bekannten rieten mir, mich mit etwas anderem zu beschäftigen, doch ich hatte damals schon zu viel Ungerechtigkeit gesehen, um einfach so aufzugeben. Nach und nach hörten sie auf, auf mich einzureden und schließlich verloren wir uns aus den Augen. Kopfschüttelnd halte ich den Wagen an und steige aus. Der Kies knirscht unter meinen schweren Stiefeln und entschlossen gehe ich auf die verängstigt aussehende Menschenmenge zu. Ich brauche ein paar Minuten, bis ich die vielen Leute dazu bringe, sich etwas zu beruhigen.
"Grüß Gott, mein Name ist Kommissar Grün, wer hat die Leiche gefunden?", beginne ich mit fester Stimme, und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir vor dem Anblick graut.
Kaum habe ich die Frage ausgesprochen, tritt eine gebückte, ältere Frau zwischen den Menschen hervor. Sie trägt noch ihr Nachtkleid. Zuerst verstehe ich sie nicht, weil ihre Stimme immer wieder abbricht, doch allmählich fängt sie sich und beginnt wieder von vorne.
"Ich...ich war das. Es.. es kam so plötzlich, dabei wollte ich mir nur ein... ein Glas holen."
"Können sie mich bitte dorthin führen?", unterbreche ich ihr gestammel.
Etwas zögerlich blickt sie mir in die Augen, doch dann geht sie langsam voraus. Ehe ich ihr folge, drehe ich mich um, und gebe Noah, der etwas abseits steht, ein Zeichen, um mir zu folgen. Ich weiß nicht, ob er hinter mir ist, aber ich schaue nicht mehr nach ihm. Wir umrunden das erste Wohnhaus, welches weiß gestrichen ist und relativ neu aussieht, und gehen zu einem etwas älteren. Zitternd nimmt die Frau ihren Schlüssel, sie braucht ein paar Anläufe bis sie es schafft die Tür zu ihrer Wohnung im Erdgeschoß zu entriegeln. Sofort steigt mit der Geruch von abgestandener Luft in die Nase, doch gleichzeitig ist da noch etwas anderes. Etwas, das ich schon viel zu oft in meiner Karriere als Polizist riechen musste. Blut. Ich deute der Wohnungsbesitzerin mir nicht zu folgen und durchstreife langsam die Räume, bis ich vor einer riesengroßen Blutlache stehenbleibe. Suchend blicke ich mich um, doch kann ich nicht erkennen, von wem diese stammt. Fast im gleichen Augenblick tropft etwas auf mein Gesicht und als ich es wegwischen will, erkenne ich, dass es Blut sein muss. Da fällt noch ein Tropfen auf mich herab. Dieses Mal direkt auf meinen ausgestreckten Zeigefinger. Regungslos schaue ich zu, wie der Tropfen langsam meine Handfläche hinunterrinnt und dort schließlich trocknet. Erst dann hebe ich meinen Blick. Was ich dann erblicke, lässt mir den Atem stocken: die Decke ist völlig eingeweicht und rot von dem Blut. Es hat sich ausgebreitet und nun ziert ein riesiger Fleck die einst so makellos weiße Tapete. Kurz wird mir schwarz vor Augen und das einzige das ich höre, sind die Tropfen, die am Boden aufkommen.