Der Weltraum ist weit, doch mein Blick heftet sich an die künstliche Küste vor meinen Füßen. Eine Illusion, die mich aufrecht erhält.
All das Wissen, welches ich mir auf meine Reise zu diesem Ziel aneignen musste, verblasst im Angesicht der Erinnerung an ferne Zyklen meiner einstigen Heimat. Es lässt meine Augenlider sinken und schließen, während ich mich an den Geruch des Meeres erinnere.
Ich höre das Wasser, in meinen Ohren, an die Küste schwappen, an den Rand des Strandes fließen und in der tiefen Bucht von Mols Peak schäumen. Ich lausche der Erinnerung und grabe dort meine Fußspitzen in den feinen Sand von Limanda. Ich spüre beinahe den Wind auf meiner Haut.
"Wie kann ich dir helfen, Haban?"
Ihre Stimme berührt mich innerlich. Eine Hand, die sich dabei auf meine Schulter legt, holt mich aus meine Erinnerung heraus. Ihre Augen fixieren die meinen und ich erkenne, dass sie es ahnt.
Ich wende mich ihr zu, ziehe sie in eine Umarmung und schweige.
Es vergehen Augenblicke tiefer Verbundenheit, die sich nicht in Worte fassen lassen. Es ist auch gar nicht notwendig. Es ist alles was bleibt, nach allem was geschehen ist. Es ist alles was zählt, nach all der Reise, auf der Suche nach einer Lösung. Doch genauso weiß ich, dass all das hier eine Illusion bleibt. Es ist nicht das, was wir einst verloren haben. Es ist die Erinnerung daran, es ist das, was uns aufrecht erhält.
"Wir sind fast da, Aloï. Nach all der Zeit, in der wir uns davon entfernt haben. Wir sind wieder dort, wo unsere Reise begann. Zumindest die Sterne werden wieder dieselben sein, wie wir sie kannten."
Bedacht lege ich meine Stirn an ihre und horche unserem gemeinsamen Atem.
Es wird Zeit für mich, nach dem Kurs des Schiffes zu sehen und meinen vielleicht letzten Befehl zu geben. Es wird zeit, die Trümmer des fremden Kriegs zu beseitigen und den Platz unseres einstigen Planeten einzunehmen. Es bedarf dann nur noch der automatischen Orbitalsteuerung, in einer gleichmäßigen Bewegung zum restlichen Sonnensystem und die Illusion ist ein Stück greifbarer und echter.
Hier werden wir unsere Toten ehren und der Sonne übergeben. Der letzte Wunsch all derer, die den Weg nicht bis hier hin geschafft haben. Das einzige, was ich ihnen noch bieten kann.
Von den Sternen kamen wir und zu den Sternen kehren wir zurück.
Langsam löse ich mich von Aloï, meiner vertrauten und nächsten. Ich sehe ihren Blick weiter auf mir ruhen, lese Sorge in ihrem Glanz. Ich versuche mich an einem Lächeln, um ihre Emotion zu mildern, doch ich weiß, dass sie es ahnt. Und ich kann nichts dagegen tun, außer es leichter für uns beide zu machen.
Ich schultere gern die Last unseres Verlustes, wenn ich dafür das verloren geglaubte Lächeln hier und dort wieder erkennen darf. Ich schweige gerne, um für den einen oder anderen Moment, die Trauer aus den Gesichtern meines Volkes verschwinden zu sehen, wenn dafür, im Taumel einer neu entdeckten tieferen Verbundenheit, die Vergangenheit in Vergessenheit gerät. Wir sind eine Gemeinschaft, die näher zusammengerückt ist. Und ich schätze einen jeden einzelnen.
Eines dieser Momente, in denen wir vergaßen, dass all das hier nur eine Illusion ist, war die Geburt einiger weniger Kinder auf dem Weg hier her. Kinder, die nicht wissen was geschehen ist. Kinder, die uns wach und aktiv halten. Kinder, deren unbeschwertes Lachen und Gebären daran erinnert, was wirklich wichtig ist.
Ich weiß, dass es nicht genug neues Leben ist, um das vergängliche auszugleichen, doch das spielt keine Rolle. Wichtig ist nur dieser Moment. Der Moment der alles ist und immer schon alles war, was wirklich zählt. Das Hier und Jetzt.
Ich kenne die Richtung, weg vom Wasser, den Strand hinauf und vorbei an dem Abbild der einstigen Behausungen meines Volkes. Iglis smali, von der Natur gegeben und im Einklang mit ihr zu leben, waren unser aller Behausungen das, was das Meer uns gegeben hat. Und das Land, dass was das Meer in unzähligen Zyklen zu dem geformt hat, was es war.
Meine Füße kennen den Weg, dorthin wo einst mein eigenes Heim war. Der anmutige Durchgang fungiert jedoch lediglich des Übergangs, zwischen diesem Bild und dem Schiff. Ich erinnere mich an die wunderschönen Räume, die sich im inneren einer gigantischen Struktur ausbauen ließen. Es hatte eine ganze Generation gebraucht, um jedes Detail herzurichten und zu dessen Glanz und Anmut zu formen.
An der Schwelle des Torbogens halte ich inne. Erinnerungen streifen meine Gedanken. Ich sehe es beinahe vor mir. Der Tag der Gabe, eines von dreien im Jahr, in dem wir der Natur zurück gaben, was sie uns Tag für Tag geschenkt hatte. Das letzte mal, als ich diesen Torbogen mit leichtem Herzen durchschritten hatte.
Ein leichter Duft von Salz und Perlen, Sand und Hitze lag in der Luft. Perlmutt, schimmernd, kühl und glatt war der Boden unter meinen Füßen. Und ich hatte in diesem Moment nicht den Gedanken daran, wie vergänglich dieser Moment sein könnte.
Es braucht einen tiefen Atemzug, dass sich meine Füße lösen und ich meinen Weg fortsetzen kann. Selbst bei der Gewissheit einer Illusion, spüre ich innerlich den Übergang. Dort am Strand scheint es warm, es ist beinahe ein genaues Abbild von dem, was ich als unseren Planeten kannte. Hier, in diesem grauen Gang, ist es kühl und unnahbar. Ich kenne Sayouls Systeme, das Schiff, welches unser zu Hause geworden ist. Es ist für mich, trotz all den Drähten und Geräten, ein Lebewesen, welches uns aufrecht erhält, so wie wir es. Ein stetes Geben und Nehmen.
Ich bin einer der wenigen, die öfters diesen Teil des Schiffes aufsuchen. Ich erspare den anderen, den Abbruch der Illusion und führe, nur mit dem engsten Stab und ausschließlich mit freiwilligen, den Rest von Sayoul.
"Willkommen, Kaiser. Systeme ohne Vorkommnisse, Kurs 17-01. Voraussichtliche Ankunft in 7 Stunden, 27 Minuten und 17 Sekunden, nach alter Zeitrechnung."
Die Schiffssysteme grüßen mich stets mit einem Bericht, sobald ich die Schwelle überschreite, mit einer unermüdlich freundlichen Stimme. Es unterstreicht die lebendige Art, wie ich es wahrnehme.
Die geometrischen Muster, von Waben, Spiralen, Dreiecken und geraden Linien, die sich auf allen Oberflächen wiederfinden, fangen meinen Blick immer wieder ein und lassen mich bei jedem Schritt nur wenig zum grübeln kommen. Die ausladend großen Ausblicke begegnen mir erst, als ich den Kommandoraum erreiche.
Das gesamte Innere, ist stets gut beleuchtet, aber es ist anderes Licht als das, welches die Landschaft meiner Heimat geboten hat. So ist mein Griff in den Lederbeutel an meiner Hüfte, bereits reine Routine, um die Solarys Ocular vor meine Augen zu setzen und hinter die Ohren zu schieben. Der Rand des Gerätes, bestrahlt meine Augen mit der Frequenz meiner Heimatsonne und die durchsichtige Oberfläche der Linsen, bietet zusätzliche Funktion in Verbindung zum Schiff.
Eine sachte Berührung, an den stabilen Rand, genügt, um die drahtlose Verbindung und den HUD der Linsen zu aktivieren. Mein Blick aus dem Ausblick hinaus, wird sogleich durch Informationen ergänzt, die sich an die Punkte heftet und die Sterne und Konstellationen benennt.
"Melóhïneï, Kaiser, die Ankunft steht bald bevor. Ein letzter Sprung, mit einem Anlauf nahe der Korona der Heimatsonne und wir landen genau im Ring der Trümmer."
Zuuris ruhige Stimme nähert sich und ich brauche mich nicht umsehen, um zu wissen, dass er vom Flur her zu mir herantritt. Zu meiner linken bleibt er stehen, mit dem selben Solarys System, welches seine Augen in ein angenehmes Licht taucht.
Ich sehe sein Gesicht im Profil und seine leuchtenden Augen den endlosen Raum vor uns fixieren. Zuuri, stets pflichtbewusst, der einzige der noch mehr in diesem Schiffsteil zugegen ist, als ich.
Ich höre seinen gleichmäßigen Atem, im Einklang mit dem meinen und ich beobachte, wie er seine Hände vor sich verschränkt. Er wirkt nachdenklich und obwohl eine gewisse Vorfreude in seiner Aura schwingt, erkenne ich darüber hinaus etwas, dass ihn schweigsam beschäftigt. Worte, die unausgesprochen im Raum zwischen uns weilen. Worte, denen ich zu manifestieren helfen versuche.
"Wir geben nur für einen Moment die vollkommene Kontrolle ab. Unser ganzes Wissen steckt in diesem Schiff. Es wird funktionieren."
Sein Gesicht wendet sich mir zu und ich erkenne es in seinen Augen. Etwas, das sein Lächeln nicht gänzlich zu verstecken vermag. Doch er nickt mir nur respektvoll zu und schweigt.
Er hat gelernt, Verantwortung zu übernehmen und scheint sich mir in diesem Moment sehr zu ähneln. Das Ereignis der großen Katastrophe, hat manchen von uns die Unbeschwertheit zum Teil genommen und manche Momente der Offenheit erschwert. Wenngleich wir auch mit jedem Tag uns ein Stückweit davon erholen, haben die Ereignisse ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur körperliche Narben, sondern auch Seelische Eindrücke.
Weitere Schritte nähern sich und als ich mich nun endlich von der Weite des Weltraums abwende, erkenne ich Maari den Raum betreten, gefolgt von dem Rest der freiwilligen Mannschaft. Zusammen ergeben wir eine Gruppe von Neun Individuen. Mehr braucht es in dieser Phase der Reise gar nicht mehr, denn die meisten Systeme sind bereits auf autonomen Betrieb programmiert. Lebenserhaltung, Bewässerung unserer Nahrung spendenden Pflanzen, Recyclingkreislauf und der Betrieb der Motoren durch freie Energie sowieso.
Zuuri Novaah ist Leiter der primären Systeme, Maari Zhïmbel ist Leiter der sekundären Systeme. Seit Laenhis Tod, Zuuris einstig engst vertraute, sind sie beide zu einer Einheit verschmolzen. Wo der eine ist, ist der andere nicht weit.
"Melóhïneï, Kaiser. Alle Systeme sind bereit für den Sprung. Wir haben alle Parameter dreifach überprüft. Alle Bedingungen sind erfüllt."
Maari wirkt ein wenig überschwänglich und scheint den Raum in ein funkelndes Licht zu tauchen. Seine Aura ist von Vorfreude erfüllt und zieht seine Umgebung mit in einen Strudel aus Optimismus. Er ist einer der wenigen, die so wirken, als sei all das nur ein Albtraum gewesen, den sie nie haben wahrhaben wollen. Beinahe unberührt von den Folgen der Katastrophe, fast schon unschuldig unbefleckt, wie zu den Zeiten, als für uns das Paradies ein normal gegebenes Leben war.
"So soll es sein. Es wird Zeit, alle unsere Posten zu beziehen und trotz aller Gewissenhaftigkeit, uns stets auf unsere Wahrnehmung zu verlassen. Eine letzte Reise nach Hause, soll jetzt beginnen."
In einer fließenden Bewegung, hebe ich meine rechte Hand an meine Stirn, berühre für einen kurzen Augenblick die Oberfläche und ziehe sie zum altbekannten Gruß wieder von ihr weg.
Ich spüre, ohne es selbst sehen zu können, wie mein Körper reagiert und erkenne die fluoreszierenden Wellen durch die Gesichter, wie ein Spiegel um mich herum, ziehen, als sie den selben Gruß ausführen.
Ich spüre die Gemeinschaft um mich herum. Ich kann es förmlich greifen, wie sich ein Band knüpft. Jeder von ihnen kennt seine Aufgabe und jeder von ihnen ist gewillt, alles zu geben und alles dafür zu tun.
Mit einem Blick in die Runde, eine automatische Geste sich in einem Kreis aufzustellen, erkenne ich, dass wir alle noch die gleiche Kleidung tragen. Als wäre die Zeit still gestanden, seit dem Tag der großen Katastrophe. Einzig die dunklen Gewänder, die im Licht in allen Farben schimmern, ziehen wir uns, außerhalb der Illusion unserer Heimat, über.
Natürlich könnten wir die Parameter des Schiffs anpassen und die Temperatur erhöhen, aber die Luft ist für die passenden Bedingungen dadurch einfach zu trocken. Dafür haben wir alles auf den Bereich der Rekonstruktion konzentriert und mit einem Kraftfeld abgeschirmt, um dort die idealen Bedingungen schaffen und halten zu können.
Der Moment verfliegt nur allzu schnell, als sich die Wege aller Beteiligten wieder trennt und alle sich auf dem Weg zu ihren Posten machen. Dabei nutze ich den Moment, um zum zentralen Sitz im Raum zu gehen und meinen eigenen Überwurf anzuziehen, ehe die Wärme gänzlich aus meinen Körper entweicht. Der Stoff liegt dabei sehr weich auf der Haut und beschwert, auch trotz seiner ausladenden Kapuze, nicht.
Ich spüre, wie sich die Wärme meiner Haut hält und mich beinahe wie in eine Blase einhüllt. Eine Wärme, die mich kurz innehalten lässt, ehe ich meinen Platz auf diesen Stuhl einnehme.
Ein wenig Zierde aus Perlen, Perlmutt und feinen Verzierungen aus Goldenen Linien, lassen diesen Platz zu einer Art Thron werden. Doch sind diese nur eine blasse Erinnerung an das, was wir damals für Kunstwerke geschaffen haben. Nicht, dass ich daran festhalte. Es ist nur die Erinnerung an eine Zeit des Friedens.
Das dieser Platz eine Zierde trägt, war eine Überraschung der Gemeinschaft an mich und ist ein Ausdruck von Dankbarkeit und Respekt meiner Führung gegenüber. Ich fordere von niemanden, mich zu verehren, sich vor mir zu verbiegen oder zu verbeugen. Ich führe auch nur eine Funktion in der Gemeinschaft aus, ihr mit meiner Führung zu dienen. Ich diene ihnen, indem ich ihnen einen Weg weise.
Nach einer Weile trauter Stille, in der sich jeder seiner Aufgabe widmet, alle gegebenen Parameter stets im Auge zu behalten, beobachte ich durch den HUD meiner filigranen Solarys Ocular, wie wir uns dem Punkt des Sprungs nähern. Geduld liegt uns, dass wir vergessen, wie schnell oder langsam die Zeit vergeht. Zeit und Raum sind für uns ohnehin etwas anderes, wie für die meisten der Kulturen, denen wir auf unserer Reise begegnet sind.
Über dem Ausblick, der das nahende Sonnensystem friedlich einrahmt, erkenne ich die hinabzählende Zeitanzeige bis zum Sprung. Die geschwungenen Ziffern wirken dabei, als würden sie unentwegt ihre Form verändern, wie eine stetige Ebbe und Flut.
Es ist nur noch ein kurzer Zeitraum, bis wir den Punkt erreichen und wie als Erinnerung, summt die Stimme des Schiffs bestätigende Worte durch den Raum und an jeden, der dies zu hören vermag. Damit auch der Rest meines Volkes, jene im Raum der Rekonstruktion, vorbereitet ist.
"Ankunft am Punkt der Konvergenz. Automatische Systemsteuerung zum Sprung wird aktiviert. 10 Sekunden bis zum Sprung."
Es ist dieser Moment des Übergangs, der mich meine Hände um die Lehnen meines Stuhls greifen und meinen Atem flach werden lässt. Mit weit geöffneten Augen, fixiere ich den Ausblick vor mir, erkenne den raschen Eintritt in die Koronale Masse der Sonne und versuche der Bewegung zu folgen, als sich schier Zeit und Raum zu krümmen scheinen.