Kapitel 3
Ich bin keine Diva!
„Hey Mausi!“ Tina fiel mir sofort um den Hals, als sie mich sah und ich fühlte mich sogleich um drei Jahre zurückversetzt, als wir uns jeden Tag vor der Schule so begrüßt haben. Seltsam, dass man – sobald man eine Arbeit hat – sich keine Zeit mehr für diese kleinen Dinge nimmt. Das stundenlange Telefonat letzte Nacht hatte das Eis bereits wieder gebrochen. So machten wir einfach da weiter, wo wir bei unserer Abschlussfeier aufgehört hatten.
„Wie geht es dir?“, fragte ich gut gelaunt.
„Super natürlich.“, antwortete sie lachend. „Ich tanze immer noch und trete jetzt sogar für Geld auf größeren Veranstaltungen auf. Hochzeitsfeiern, Betriebsfeste – diese Dinge. Aber das ist ja nichts gegen dich! Damit stellst du alle in den Schatten.“
Ich kratzte mich verlegen am Kopf. „Das ist eigentlich nicht meine Absicht.“
„Nein, natürlich nicht. Das passt auch nicht zu dir. Trotzdem ist es so.“, erwiderte sie fröhlich. „Das hätte dir niemand je zugetraut!“
Ich wusste, dass sie die Worte nicht böse meinte, dennoch versetzten sie mir einen Stich. War ich wirklich so unscheinbar gewesen? „Ich wusste aber immer, dass du irgendwann aus deiner Schale brichst. Du hast dich immer in dich selbst zurückgezogen und oft traurig gewirkt. Jetzt habe ich das Gefühl, einen ganz neuen Menschen vor mir zu haben.“
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut es tut, das zu hören!“, erwiderte ich ehrlich. „Wie wäre es, wenn du heute bei mir übernachtest? Genau wie früher! Heute kommt die Fernsehübertragung der Casting-Zusammenschnitte.“
„Da fragst du noch? Liebend gern! Aber jetzt wird erst einmal geshoppt bis uns Hören und Sehen vergeht. Wir wollen ja, dass du alle in Berlin umhaust.“ Einmal mehr fragte ich mich, warum ich nicht schon eher wieder Kontakt zu ihr aufgenommen habe.
Kaum im Kaufhaus angekommen, steuerte sie sofort auf einen Schuhladen zu.
„Sollten wir nicht zuerst das Outfit aussuchen?“, fragte ich zweifelnd. Sie wischte meinen Einwand einfach mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. „Das wird um die Schuhe herum aufgebaut. Du brauchst hohe Hacken, wenn du eine Diva sein willst.“
„Ich bin keine Diva!“, widersprach ich. „Außerdem kann ich darauf nicht laufen.“
„Das bringe ich dir bei.“ Es war, als wären all meine Einwände Luft für sie und sie steuerte zielstrebig auf das Regal mit den High Heels zu. Ich sah ihr skeptisch dabei zu, wie sie eine Auswahl für mich zusammenstellte und erkannte mich in keinem dieser Schuhe wieder. Andererseits wurde mir auch klar, dass ich meine Turnschuhe vom Vorsingen in München gewiss nicht in Berlin auf der größeren Bühne sehen lassen durfte. Genauso wenig wie die ausgewaschenen Jeans und das uralte Shirt.
Zum ersten Mal betrachtete ich mich selbst als eine Außenstehende. Vielleicht hatte ich unbewusst mit meiner Nachlässigkeit selbst dafür gesorgt, dass ich ja keinem Mann ins Auge fiel, der mir gefiel.
„Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“, holte Tina mich energisch in die Realität zurück. Und ohne meine Antwort abzuwarten, hielt sie mir ein halbes Dutzend Schuhe vor die Nase – hochhackig, versteht sich.
„Anprobieren!“, befahl sie, als ich sie nur verständnislos ansah.
„Die meisten davon gefallen mir nicht einmal!“, protestierte ich.
„Willst du nun reich und berühmt werden oder nicht?“, fragte sie ungeduldig.
„So weit denke ich noch gar nicht.“, log ich stur, aber natürlich durchschaute sie mich sofort. „Alle, die bei DerTraum teilnehmen denken so weit - und jetzt zieh sie endlich an!“
Ich ergab mich. Mit Tina hatte man noch niemals gut streiten können. Sie hatte immer schon die besseren Argumente gehabt. Oder ihre entwaffnende Herzlichkeit.
Ich wählte einen Schuh aus, bei dem ich glaubte, dass ich am ehesten darin laufen könnte. Also schob ich meinen Fuß in eine enge rosa Sandalette mit niedlichen Riemchen und fand sogar Gefallen daran, als er erst einmal richtig saß.
„Und jetzt aufstehen!“, ermunterte sie mich unermüdlich weiter, damit ich ja nicht auf den dummen Gedanken kam, mir einen der hübschen Ballerinas auszusuchen, die gerade in meinem Blickfeld aufgetaucht waren.
Ich erhob mich vielleicht etwas zu schnell, um diese ganze peinliche Sache hinter mich zu bringen, wodurch sie nur noch peinlicher wurde. Ich verlor für einen Moment das Gleichgewicht, sodass ich wild mit den Armen durch die Luft rudern musste, um mich auf den Beinen zu halten. Tina lachte. Ich fand es weniger amüsant.
„Du musst dich gerade hinstellen. Kopf nach oben, Brust raus. Merkst du, dass es besser geht?“
Natürlich, das war ja auch nur logisch, aber ich war nun einmal kein Mensch, der mit hoch erhobenem Haupt durch das Leben ging. Das würden mich dann wohl oder übel die Schuhe lehren.
„Ja, sie gefallen mir sogar, wenn ich sie so an mir sehe.“, erwiderte ich und drehte mit mutiger Entschlossenheit das Preisschild um. Das Herz sank mir in die Hose. „Achtzig Euro!“
Was natürlich nicht viel für ein Paar guter Ausgeh-Schuhe war. Und trotzdem leider viel zu viel für jemanden, der gerade seinen Job geschmissen hatte und ach sonst nur billige Massenware kaufte.
„Hör mir jetzt mal gut zu, Fay. Du bist meine Freundin und ich hab dich lieb, aber dein Planungswahn treibt sicher jeden in den Wahnsinn. Und am allermeisten dich selbst! Von jetzt an wird nicht mehr geplant. Neuer Plan: Kein Plan! Klar?“, fuhr Tina streng zwischen meine Gedanken.
„Glasklar.“, sagte ich kleinlaut und schluckte. Was hatte ich jetzt noch zu verlieren… außer meiner Würde, meinem Stolz, meiner Anonymität…
„Jetzt da rein!“, bestimmte Tina aufgedreht, als wir – mit dem Schuhkarton bewaffnet – den Laden verließen und deutete dabei auf eines meiner Lieblingsgeschäfte.
Nach einer weiteren Stunde verzweifelter Ausbrüche meinerseits und Beruhigungsversuchen ihrerseits hatte ich mein Outfit buchstäblich in Sack und Tüten. Es bestand aus einer legeren Röhre, einem hauchzarten rosa Spaghetti-Trägershirt mit rosa Pailletten und einem weißen Loop-Schal aus demselben Stoff. Alles harmonierte selbstverständlich perfekt mit meinen neuen Schuhen. Um ehrlich zu sein, konnte ich es gar nicht mehr erwarten, dieses Outfit spazieren zu führen. Ein Gefühl, welches gänzlich neu für mich war.
An der Kasse traf mich der Schlag. Dreihundert Euro? Wie konnte nur jemand so viel Geld an einem Tag für Klamotten ausgeben?? Wie konnte ich an einem Tag nur so viel Geld für Klamotten ausgeben? Früher hatte ich mich über solche Leute immer abwertend geäußert. Ich nagte nervös an meiner Unterlippe, als ich der breit lächelnden Kassiererin meine EC-Karte über den Tresen schob und betete zu all meinen Engeln, dass ich noch so viel Geld haben würde.
Doch bevor die Frau die Karte auch nur berühren konnte, hatte Tina die Summe in bar über den Tresen geschoben. Ich wusste nicht, worüber ich mehr schockiert war: dass jemand so viel Geld mit sich herum schleppte oder dass sie mir jetzt auch noch Almosen gab.
„Jetzt guck mich nicht so an, Fay. Wenn du eine berühmte Sängerin bist, will ich in jeder Rede erwähnt werden.“
Ich sagte ihr nicht, dass berühmte Sängerinnen kaum Reden hielten, sondern bedankte mich auf dem ganzen Weg bis zu meinem Elternhaus zurück immer wieder bei ihr, was sie fast zur Weißglut trieb.
„Meinetwegen gib es mir irgendwann zurück, wenn dein Seelenheil davon abhängt. Wie jemand sich über ein so großzügiges Geschenk nicht einfach freuen kann, wird mir immer ein Rätsel bleiben.“, ließ sie schließlich Dampf ab. „Ich bin, wie gesagt, Tänzerin auf größeren Bühnen, Herzchen. Ich putze keine Toiletten oder so.“
„Das hab ich auch nie gedacht, aber ich hab wohl nicht verstanden, wie erfolgreich du mittlerweile bist. Entschuldige.“ Ich musterte ihr verärgertes Seitenprofil. Es dauerte lange bis man sie so sehr zur Weißglut getrieben hatte und ich versuchte, sie mit einem Seitenhieb zu besänftigen. „Vielleicht sollte ich ja jetzt ein Autogramm von dir einfordern.“
„Halt bloß die Klappe.“, sagte sie, lächelte aber schon wieder.
„Bist du bald fertig?“, fragte ich nervös, als wir uns zwanzig Minuten später in meinem Zimmer befanden und sie mir den Inhalt irgendwelcher Dosen, Tuben und Töpfchen ins Gesicht schmierte. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich eine zentimeterdicke Zementschicht auf dem Gesicht.
„Jetzt warte doch mal!“, entgegnete Tina entschieden.
Als sie mir endlich den Spiegel gab, war ich hin und weg. Das war immer noch ich – was ich nicht erwartet hatte – nur eintausendmal besser. Meine Haut war ebenmäßig und strahlend. Auf meinen Wangen lag ein sanfter Hauch von Rosa. Meine Lippen funkelten in einem verführerischen Beeren-Ton. Und meine Augen mit den langen Wimpern wirkten riesengroß.
„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich begierig. Schließlich konnte ich nicht bis zum zweiten Vorsingen im Sitzen schlafen und mein Gesicht nicht mehr waschen.
„Der Trick ist, ziemlich viel Make-up zu verwenden und es so aussehen zu lassen als würdest du gar keins tragen.“, erwiderte sie und teilte schließlich ihr ganzes Wissen in diesem Bereich mit mir. Ich hörte ihr genau zu und versuchte, mir alles zu merken. Sie ließ mir netterweise sämtliche Utensilien da, da ich selbst außer Wimperntusche, Abdeckstiften und Lidschatten nichts besaß. Sie schien sich dagegen jeden Morgen ein ganzes Drogerieregal ins Gesicht zu schmieren.
„Und was mache ich mit meinen Haaren? Du weißt, darin bin ich noch ungeschickter als in Sachen Schminke.“
Sie winkte ab. „Das ist alles Übungssache. Du hast schöne lange Haare. Wir machen folgendes…“ Sie nahm sich eine Bürste und klemmte sich die Spangen zwischen die Zähne, während sie mir einen Seitenscheitel zog. Dann fixierte sie meine Haare mit den Spangen und etwas Haarspray an meinem Hinterkopf, sodass meine gesamte Mähne nur über meine linke Schulter floss. Es wirkte elegant und lässig zugleich.
„Du bist eine Magierin!“, schwärmte ich begeistert und sah mir ihr Werk im Spiegel an. So schwer sah es wirklich nicht aus. Es wirkte verspielt und romantisch wie das rosa Top, passend zu dem Song.
„Jetzt musst du nur noch den richtigen Gang drauf kriegen!“, sagte sie ausgelassen und stellte mir die neuen Schuhe vor die Füße, sodass ich direkt hinein-schlüpfen konnte. „Aufstehen!“
„Du sollst nicht schon wieder anfangen, mich herumzukommandieren.“, warnte ich, während ich wacklig auf meinen Beinen hin und her wankte.
„Was habe ich dir über deine Haltung gesagt?“, erinnerte sie mich streng und ging somit einfach über meinen Einwand hinweg. „Du liebe Güte! Jetzt sag mir bloß nicht, dass du solche Schuhe nie zuvor in deinem Leben getragen hast!“
„Das versuche ich dir schon den ganzen Tag beizubringen!“, regte ich mich auf.
„Tja… das kriegen wir schon irgendwie hin. Halt dich am besten erst einmal an meinem Arm fest.“
Es war erniedrigend! Ich fragte mich, ob ich die einzige Frau in meinem Alter war, die noch niemals auf Highheels gelaufen ist. Also umkrallte ich ihren Arm, und sie ließ sich auch dadurch nicht aus der Ruhe bringen, obwohl ich mir sicher war, dass das schrecklich geschmerzt haben musste. So begannen wir langsam vorwärts zu gehen, dabei schwankte ich gefährlich hin und her.
„Weißt du, was dein Problem ist?“, fragte sie schließlich.
„Die hohen Schuhe?“, stellte ich die sarkastische Gegenfrage.
„Nein.“, erwiderte sie geduldig. „Dein Mangel an Selbstvertrauen.“
„Das ist ja mal ganz was Neues.“, gab ich zähneknirschend zurück, da ich es nicht mehr hören konnte. Hätte ich es ändern können, so hätte ich das doch sofort liebend gern getan!
„Du bist jetzt nicht mehr das kleine Mauerblümchen. Sieh dich doch an!“ Sie deutete auf den großen Spiegel, der in eine Tür meines Kleiderschranks eingelassen war. Von dort sah eine zweifelnde Frau in hohen Schuhen und einem Dreihundert-Euro-Outfit zu mir zurück.
Jetzt knipste Tina meine Schreibtischlampe an und stellte sie so ein, dass sie mir mitten ins Gesicht strahlte. „Und nun stell dir vor, dass wir nicht mehr allein hier sind. Und jetzt lauf!“
Ich atmete tief durch und dachte daran, dass ich die letzten Tage schon weitaus Schlimmeres hinter mich bringen musste. Mit jedem Schritt wurde ich sicherer, obwohl ich schon jetzt wusste, dass dies niemals Alltags-Schuhe für mich sein würden.
Ich war so auf meine Aufgabe konzentriert, dass ich nicht bemerkte, wie Tina die Musik für Without You einschaltete. Als ich die ersten Töne vernahm, blieb ich irritiert mitten im Raum stehen und drehte mich zu ihr um. Schon hatte sie mir ihre Haarspray-Dose in die Hand gedrückt. „Hier, dein Mikro. Beweg dich einfach zur Musik und sing!“
„Was? Jetzt?“, fragte ich unbehaglich.
Sie verdrehte die Augen. „Ich höre es doch im Fernsehen sowieso. Jetzt hab dich nicht so und mach!“
Ich begann gerade noch rechtzeitig, um den Einsatz nicht zu verpassen. Meine Stimme vermischte sich mit der von Mariah Carey. Und während ich sang, fiel wieder alle Anspannung von mir ab. Die Schuhe vergaß ich einfach. Bei dem Lied musste man sich ja auch nicht viel bewegen.
Sie klatschte Applaus, als ich geendet hatte, das Geräusch klang schrecklich mickrig. „Siehst du? Du kannst das alles bereits! Vielleicht wurde es dir in die Wiege gelegt und du hast es nur vergessen. Versuch aber noch, etwas mit deinen Händen zu machen, während du singst.“
Ich seufzte. „Du solltest da teilnehmen. Du weißt viel mehr als ich.“
„Ja, aber du kannst viel mehr als ich. Wenn du erst einmal genügend Selbstvertrauen hast, wirst du noch viel mehr aus dir rausholen können.“, erwiderte sie zuversichtlich.
Am Abend machten wir es uns wie früher auf meiner Schlafcouch vor dem Fernseher bequem. Ich fühlte mich als wäre ich um zehn Jahre zurück gereist und gleichzeitig als hätte man mich Lichtjahre in die Zukunft versetzt, weil so vieles anders war.
„Jetzt bin ich aber gespannt.“, sagte Tina und rieb die Handflächen aneinander wie jemand, der einen großen Skandal wittert, als sich die Werbepause ihrem Ende zuneigte. Es war Viertel nach acht. Inzwischen hatte ich mich wieder von den Tonnen Make-up und den unbequemen Sachen befreit. Gleich würde ich mich vielleicht zum ersten mal im Fernsehen sehen. Das heißt, wenn sie mich für interessant genug hielten, gerade meinen Part auszustrahlen. Oh Gott. Weiter durfte ich gar nicht denken. Ich wusste nicht, ob ich nicht lieber vergessen werden wollte.
„Hier sind wir zurück bei DerTraum.“, begrüßte ein mir wohlbekannter Reporter die Zuschauer. Selbst jetzt hatte ich das unangenehme Gefühl, dass er mich durch meinen Fernseher hindurch direkt beobachten konnte – bis auf den Grund meiner Seele.
„Der Typ klebte mir ständig an den Hacken!“, sagte ich genervt.
„Das ist so aufregend. Jetzt sehen wir den Typ im Fernsehen, der dir dort noch auf den Geist gegangen ist. Eigentlich würden wir jetzt ganz normal gucken und nur einen Reporter sehen, aber jetzt bist du mittendrin statt nur dabei, was?“
Ich öffnete den Mund, obwohl ich nicht so recht wusste, was ich dazu sagen sollte, wurde aber von meiner Antwort entbunden, da Tina schon wieder voll und ganz im Fernsehgeschehen gefesselt war.
„…Noch Unzählige bangen hier um ihr Schicksal.“, sagte der Moderator weiter, und die Kamera schwenkte von einem Mädchen, das völlig aufgelöst weinend auf dem Boden saß weiter zu Nicolás und mir, während wir uns angeregt unterhielten und nichts davon mitbekamen.
„Hey, hast du das gesehen? Hast du gesehen? Das warst du!“, kreischte Tina und packte mich freudig bei den Schultern, ehe wir uns – beide laut kreischend – in die Arme fielen.
„Und was war das für ein heißer Typ neben dir? Da lässt man dich einen Tag in die große weite Welt und du reißt so etwas auf.“
Ich lachte verlegen über ihre Ausdrucksweise. So sah ich mich ganz bestimmt nicht. „Ein echt netter Kerl, aber wir sind nur Freunde.“
Damit verlor das Gespräch für sie wieder seinen Reiz, und sie wandte sich erneut dem Bildschirm zu, wo uns gute zwanzig Minuten lang gezeigt wurde, wer weiterkam und wer nicht, bis mein Herz erneut ins Stocken geriet. Da war ER! Ich war mucksmäuschenstill und betete, dass Tina es mir gleich täte, damit ich mir seinen Auftritt in Ruhe ansehen konnte. Und tatsächlich verweilten wir in einvernehmlichem Schweigen.
„Sascha.“, begrüßte ihn Holger und es wurden nicht mehr Worte verloren. Vielleicht machte ihn die Gitarre so interessant für den Juroren, doch ich hatte sofort das Gefühl – genau wie bei mir selbst auch schon – dass Holger ihn einfach sofort von Grund auf mochte. „Dann lass mal hören.“
Er sang We Believe von Good Charlotte und es war völlig um mich geschehen. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er so etwas durch einen Fernsehbildschirm mit mir machte, wo mein kaltes Herz nach Jahren wieder für jemand anderen zu schlug?
„Fantastisch.“, unterbrach Holger ihn und sprach somit aus, was ich dachte. „Der Song heißt ja „Wir Glauben“, und ich zumindest glaube, dass du in diese Sendung passt wie das Salz in der Suppe. Ich freu mich schon, mehr von dir zu hören!“
„Du hast so eine gefühlvolle Art aus einer Rocknummer etwas so Emotionales zu machen, ohne dass es zur Ballade mutiert. Das ist einzigartig. Von mir auch ein ja.“, sagte Stefanie begeistert. Daniela sagte nur noch: „Dreimal ja.“
Er jubelte freudig auf - und meine Augen vor dem Fernseher strahlten.
Gleich danach wurde Nicolás eingeblendet, obwohl ich wusste, dass er eigentlich vor Sascha dran gewesen ist, was wahrscheinlich keine Rolle spielte. Tina verfiel sofort in ihren Schmachtblick. Erschrocken fragte ich mich, ob ich vor wenigen Sekunden noch genauso dagesessen hatte.
Nicolás betrat ganz lässig den Raum und begrüßte die Jury mit seinem einmaligen schiefen Grinsen und einem liebevollen „Tagchen!“ Ich wusste, dass Stefanie ihm bereits aus der Hand fraß, seinem Blick nach zu urteilen, wusste er das auch. Mein Grinsen wurde breiter.
Er sang ein italienisches Lied, das mir nichts sagte, aber höchstwahrscheinlich hätte ich auch so nicht auf die Zeilen oder auch nur auf die Melodie geachtet. Er sang mit seiner wundervollen heißeren, gefühlvollen Stimme und da ich auch nur eine Frau war, schaltete sich mein Kopf komplett aus bis er geendet hatte. Für mich hatte er den Sieg ab diesem Zeitpunkt schon in der Tasche. Er wirkte schon ganz wie ein Star, vielleicht weil er sich schon wie einer fühlte. Ich konnte nichts mehr mit ihm und dem jungen Mann verbinden, mit dem ich eine Pizza geteilt hatte, obwohl er noch genau derselbe war, der er auf der anderen Seite der Tür gewesen ist.
Wie es das Schicksal wollte, kam nach Nicolás ich an die Reihe und ich dankte allen Göttern, dass man gerade mich nach zwei so talentierten, tollen Kandidaten noch zeigte. Tina krallte sich in meinen rechten Oberarm und flüsterte nur: „Fay!“
Mich überlief eine Gänsehaut am ganzen Körper. Meine Stimme hörte sich fremd an, ganz anders als ich sie sonst in meinen Ohren höre. Nur das nervöse Lachen nach jeder Antwort meinerseits war mir mehr als nur vertraut.
Als ich mit dem gelben Zettel die Tür wieder verließ, sahen Tina und ich uns gleichzeitig an. Ich glaube, in diesem Moment wusste ich, dass unsere Freundschaft gerade eine neue, tiefere Ebene erreichte. Niemals würde ich diesen Moment vergessen und mit wem ich meinen ersten Fernsehauftritt angesehen hatte. „Es ist so weit.“ Ihre Augen leuchteten vor ehrlicher Freude. „Dein Leben verändert sich jetzt.“