Noch während die letzten Töne des Horns verklangen, kam Leben in das Lager. In voller Montur strömten die Soldaten aus ihren Baracken und wandten sich den Ställen zu, um in Windeseile ihre Pferde aufzuzäumen. Viel Zeit hatten sie dazu nicht, in nur wenigen Augenblicken hatten sie anzutreten. Denjenigen, der sich auf seinem Pferd als letzter seiner Turma in die Reihen fügte, erwartete nicht nur der Spott seiner Kameraden, sondern auch etliche Extraarbeiten. Es gab kaum einen Reiter in diesem Kastell, der das nicht schon einmal mitgemacht hätte, und so hatte jeder von ihnen eine diebische Freude daran, wenn es wieder mal einen anderen erwischte, der morgens in aller Frühe von seinem Hauptmann über den Hof gescheucht würde. Zum Beispiel, um die Privatlatrinen des Präfekten zu säubern.
Nach und nach füllten die Berittenen nun den Campus, reihten sich auf, selbstverständlich und präzise wie die Perlen in einem phönizischen Armband. Die Pferde verharrten folgsam, mit gesenktem Kopf kauten sie auf dem Gebiss. Schaum stand in ihren Maulspalten und tropfte in schweren Flocken zu Boden. Pferde und Männer atmeten feine Wolkenschleier aus, die ein wenig durch die kühle Morgenluft schwebten, unschlüssig, ob sie sich verlieren oder mit den Nebelschlieren verbrüdern sollten, die vom feuchten Boden emporstiegen.
Vor ihnen, in der Mitte des Platzes saß der Kommandant auf seinem absolut ruhig stehenden Rotschimmel. Man hätte meinen können, die beiden seien aus Stein gemeißelt, hätte nicht das wache Ohrenspiel des Pferdes sein durchaus lebhaftes Temperament verraten.
Dies würde einer der letzten großen Ritte vor dem Winter werden. Der Rest des Herbstes bestand aus dem üblichen, täglichen Drill, der in kleinen Gruppen im Kastell oder auf den angrenzenden Flächen durchgeführt wurde. Schnelle, kleine Reit- und Kampfübungen, die Beweglichkeit, Kraft und Gehorsam von Ross und Reiter noch einmal stärken würden, bevor Eis und Schnee des Winters die Männer und Tiere zu lähmender Untätigkeit verdammten.
Der Präfekt sprach nun zu den Reitern, ermahnte sie zur Disziplin und rief die Götter um Schutz für das anstehende Manöver an. Dies würde kein spielerischer Ausritt werden. Er führte über Meilen in schwieriges Gelände. Reiter und Pferde mussten Flüsse durchschwimmen, Hänge herabrutschen, Felsen und Moore überwinden, all dies, ohne Rücksicht auf die schwere Montur, Nässe oder Kälte. Es wären nicht das erste Mal Verluste zu beklagen gewesen.
Araco hörte nur mit halbem Ohr hin. Zu lebhaft waren die Erinnerungen an die letzte Nacht, zu sehr spürte er noch die Blessuren, die ihm der Barbar zugefügt hatte. Die Haut an seiner Schulter war unter dem ungeheuer wuchtigen Schlag aufgeplatzt. Sein Kehlkopf fühlte sich an, als wäre ein Pferd darauf getreten, und an seinen Rippen, wo sich die – mittlerweile blauschwarz verfärbten – Prellungen befanden, pulsierte es dumpf. Es war nichts Ernstes, er hatte schon schlimmere Verletzungen erlitten und in ein paar Tagen wäre der Schmerz vergessen. Was ihm mehr zu schaffen machte, war, dass er nicht wusste, wie dieses Zwischenspiel für ihn ausgehen würde. Decurio Tarquinius hatte Einfluss, und wenn er darauf drängte, war eine Versetzung in den Norden wohl das Wahrscheinlichste. Zur Infanterie. Araco fröstelte plötzlich und zog die Paenula noch etwas enger um sich.
Polidoxus regte sich unter ihm, mit einem schweren Seufzen wölbte der Hengst den Hals, seine Schultermuskeln unter dem onyxschwarzen Fell zitterten. Araco verlagerte sein Gewicht und konnte seinen Kameraden gerade noch davon abhalten, ungeduldig mit dem Huf zu scharren. Dies wäre ein Verstoß gegen die Disziplin gewesen, und wenn er im Moment eines nicht wollte, dann war es weiter aufzufallen.
Doch konnte er es seinem Pferd nicht verübeln. Der Rappe spürte die Anspannung seines Reiters. Wenn Araco in dieser Nacht auch in den Augen mancher eine Heldentat verübt haben mochte – er hatte Befehle missachtet. In der allgemeinen Aufregung über den Barbaren hatte der Decurio Mico zwar nicht verprügelt, aber er hatte nicht damit hinter dem Berg gehalten, dass dies übel für sie beide ausgehen würde.
Die Decuriones gaben nun das Zeichen zum Aufbruch, und ließen ihre Pferde antreten. Araco, der als Duplicarius an der rechten Außenseite ritt, trieb Polidoxus etwas an, um beim Linksschwenk die Formation zu halten.
»Veranius!«
Wie vom Donner gerührt verhielt er sein Pferd, und wandte sich pflichtschuldig dem Präfekten zu, der seinen Namen eher gebrüllt als gerufen hatte. Er hatte die Strafe ja erwartet, aber so bald? Noch vor dem Manöver?
Der Kommandant machte eine ungeduldig wedelnde Bewegung mit der Hand. »Ihr nicht! Bringt Euer Pferd in den Stall und meldet Euch in meiner Schreibstube.« Der Präfekt wandte sich im Sattel um und seine Augen glitten über die Reihen der Reiter. »Aelius«, rief er dem Duplicarius der dritten Turma zu. »Ihr ebenfalls!«