Die letzten Sonnenstrahlen warfen ihr Licht über die Hügel am Horizont. Verzaubert beobachtete ich das Schauspiel vom Rücken des Pferdes aus. Wie in den letzten Tagen üblich saß ich hinter Ramon auf dessen weißen Schimmel. Remus hatte ich seit dem Tag als er mir gesagt hatte, dass er mich mochte, nicht mehr gesprochen. Stattdessen hatte er seinen Bruder als Babysitter abkommandiert und der hielt mich Pflichtbewusst bei Laune.
Links von mir ritt Emanuel mit seiner Schwester Hope hinter sich auf einem braunen Hengst. Genau wie Ramon trug auch er sein Schwert an einem Gürtel um der Hüfte.
Vor zwei Tagen war Hope mit ihm aufgetaucht und seitdem wich er mir nicht von der Seite. Das Geschwisterpaar war seltsam anhänglich geworden. Doch ich beschwerte mich nicht.
„Ist das nicht schön?“ hauchte Hope und betrachtete mit glänzenden Augen den Sonnenuntergang.
Langsam zog die Dämmerung in das Land während Remus uns durch die Wüstenlandschaft immer weiter nach Norden trieb. Die Temperaturen sanken und immer mehr Hügel kesselten uns ein. Am Horizont erblickte ich eine Bergkette.
Nach einigen Tagen, wo ich immer mehr bemerkte das sich die Landschaft um uns immer stärker verändert beschloss ich Ramon zu fragen.
„Wohin führt uns Remus?“ platzte es aus mir heraus.
Ramon schluckte. „Du bist zu Aufmerksam“
Ich rollte mit den Augen. „Dachtest du, oder besser gesagt du und dein Bruder, dass ich es nicht mitbekomme, wenn sich Berghänge am Horizont zeigen? Er sagte zu mir, wie ziehen Richtung Schattenturm aber die Berge stimmen nicht. Also, wohin geht die Reise?“
„Wohin glaubst du das wir ziehen?“
Ich schaute zu dem Berghang am Horizont. Wir zogen Richtung Skyland, das war ich mir sicher. Es gab ein Tor um nach Skyland zu kommen, das Engelstor, doch das war von Engelskriegern bewacht und nur wer eine schriftliche Erlaubnis vorweisen konnte, durfte es passieren. Das Engelstor fiel daher aus.
Dann gab es noch zwei Pässe. Einer lag südlich des Tores und hieß ‚Teufelspass‘, er hatte spitze Berghänge und wurde viel genützt da es der kürzeste Weg nach Skyland war. Dort war der Schattenturm, das eigentliche Ziel unserer Reise. Doch da wir nach Norden zogen schloss ich auch ihn aus. Blieb also nur ein Pass übrig. Kalter Schauer lief mir über meinen Rücken.
„Der Schneepass“ keuchte ich als ich die weißen Spitzen in der Ferne sah. Dahinter lag die Skyland High. Und der sogenannte Pulverturm, ein alter Außenposten der Engelskrieger. Der einzige Unbewachte Weg nach Skyland. Und der gefährlichste.
„Ja, ich bin auch nicht sonderlich begeistert“ warf Hope mit einem besorgten Blick auf die Bergreihe ein.
„Denkt Remus wirklich das er dort das Schwert findet?“ Ungläubig sah ich auf Remus Rücken am Anfang der Kolonne. Wir ritten gerade in einem gemächlichen Schritttempo.
„Nein, aber er glaubt das sich dort unsere Gegenspieler eingenistet haben“ antwortete Ramon skeptisch.
„Das heißt, du glaubst es nicht“ stellte ich fest.
Er schüttelte den Kopf und sah beklommen zu den Bergen hoch.
„Ich denke wir laufen geradewegs in eine Falle“
Ich nickte nachdenklich. Das befürchtete ich auch. Aber wie sollten wir es verhindern?
„Hast du Remus von deiner Befürchtung erzählt?“
Ramon knirschte mit den Zähnen.
Ich seufzte. „Du musst es ihm sagen“
„Du weißt genauso gut wie ich wie Remus ist, Raven. Denkst du ihm kümmert was wir denken?“
„Er führt uns geradewegs in den Tod“
„wir sind im Krieg. Da sterben nun mal Leute“ meldete sich Emanuel hinter uns zu Wort.
„Im Kampf“ wiedersprach ich ihm. „Hier laufen wir direkt in den Tod“
„Lass gut sein, Raven“ murmelte Emanuel. „Remus hat mit Sicherheit einen Plan“
Zähneknirschend schaute ich nach vorne wo der Hauptmann der Garde ritt. Einer plötzlichen Eingebung folgend sprang ich vom Rücken des Pferdes. Verwirrte Aufrufe drangen an mein Ohr während ich durch die scheuenden Pferde nachvorne an die Spitze der Kolonne lief.
Als ich Nachtschattens Flanke erkannte mobilisierte ich meine letzten Reserven und platzierte mich neben dem Pferd.
„Was ist dein Plan?“ rief ich.
Remus wandte sich erschrocken zu mir. Auf seinem Gesicht erkannte ich Verblüffung und Ärger. Er ließ die Kolonne anhalten.
„Was machst du hier? Geh zurück zu Ramon“ zischte er.
„Erst wenn du meine Frage beantwortet hast“ Sturköpfig sah ich zu ihm hoch.
Seine Augen funkelten zornig zu mir herunter.
„Na schön“ fauchte er und ließ sich von Nachtschattens Rücken gleiten.
Seine Hand schloss sich schmerzhaft um meinen Oberarm und zog mich von der Kolonne weg. Zielstrebig steuerte er einen der Felsklüfte an. Als wir schließlich außer Sichtweite der anderen hinter einem der Felsen waren stieß er mich wütend von sich. Schmerzhaft stieß ich mit meiner Schulter an den harten Felsen. Der Metallene Geruch von Blut drang an meine Nase. Trotzig richtete ich mich wieder auf und sah ihm ins Gesicht.
„Was soll das werden?“ knurrte er. „Willst du meine Entscheidungen Anzweifeln? Ich bin der Hauptmann der Garde! Nicht du!“
„Du sagtest wir würden zum Schattenturm reiten“
Einen kurzen Moment ertappte ich ihn, wie er sich innerlich windete doch dann wurden seine Augen wieder dunkel und hart.
„Ich habe meine Meinung geändert“ fauchte er aufgebracht.
Trotzig trat ich einen Schritt auf ihn zu. „Du hast also spontan entschlossen uns in den Tod zu führen“
„Also stellst du meinen Befehl in Frage? Glaubst du es fiel mir leicht?“
„Ich möchte wissen, warum du dich dazu entschieden hast? Was hat dich dazu geführt?“
„Das hat dich nicht zu interessieren“ wehrte Remus ab.
„Du führst deine gesamte Garde in den Tod“ erinnerte ich ihn. Unsere Blicke trafen sich.
„Die Garde ist nicht wichtig“ antwortete er abweisend. „Du bist wichtig und du musst zum Pulverturm“
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich war der Grund. Wegen mir sollten Menschen sterben. Schon wieder.
Ich schüttelte abwehrend den Kopf. „Nein, dass kannst du vergessen“
„Was kann ich vergessen?“
„Wegen mir stirbt niemand mehr“ zischte ich bedrohlich. „Ich verlasse die Garde. Heute noch“
„Du verlässt die Garde?“ Remus gluckste erheitert. Auf seinem Gesicht erschien ein lächeln. „Und wo gedenkst du hin zu gehen? Nachhause zu Daddy? Darf ich dich daran erinnern das du gesucht wirst? Rebellen verfolgen uns, und dein vermeintlicher anderer Daddy sucht dich übrigens ebenfalls“ Er trat näher bis sein Gesicht bedrohlich nahe über mir schwebte. Seine rechte Hand fuhr sanft über meine Wange. „Er will deinen Kopf haben Späher mir ausgerichtet. Du bist in Skyland also nicht sehr willkommen“
Ich schluckte hart und hob mein Kinn. „Das war ich nie“
Sein Blick strich sanft über mein Gesicht. „Ich lass dich trotzdem nicht gehen. Dein Vater hat dich mir anvertraut und ich befolge meine Befehle. Du wirst das gefälligst auch machen“
„Das heißt fünfhundert Mann sollen in den Tod reiten wie gejagtes Tier?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht zu lassen“
Sein Blick wurde hart und seine Hand wanderte mit hartem Griff zu meinem Hals. Plötzlich drückte er zu und das Atmen viel mir schwer.
„Muss ich dich daran erinnern wer hier der Hauptmann der Garde ist?“
„Ich bin die Tochter Luzifers“ erinnerte ich ihn keuchend.
Sein Griff lockerte sich ein wenig, blieb aber an meinem Hals. Ich schnappte nach Luft.
„Glaub nicht, dass du deswegen Befehlsgewalt hättest. Du bist nur ein Gast. Über meine Garde befehle ich“ knurrte er bedrohlich und ließ mich schließlich los. Atemlos sank ich in mir zusammen.
„Wir reiten weiter. Mach das du zu Ramon zurück kommst“ befall er verärgert und drehte sich zum Gehen.
„Ich hoff dein Plan ist gut“ rief ich ihm hinterher.
Remus drehte sich verwirrt um.
„Das hat dich nicht zu interessieren“
Ich rappelte mich hoch und ging auf wackeligen Beinen zu ihm. „Wenn ich schon sterben muss, würde ich doch gern wissen auf welcher weiße“
Sein Blick war unverwandt auf mich gerichtet als ich mit erhobenem Haupt an ihm vorbei zur Garde schwankte.
Ramon, Emanuel und Hope erwarteten mich schon mit besorgten Blicken.
„Was sollte das werden? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wolltest du uns umbringen?“ fauchte Ramon.
„Jetzt beruhig dich, Ramon. Ich hatte doch nur einen kurze Taktikunterhaltung mit deinem Bruder“ beruhigte ich ihm und lächelte aufmunternd.
Doch meine Aufmunterung schien nicht zu wirken. Im Gegenteil, sein Gesicht wurde Rot und Adern wurden auf seinem Hals sichtbar.
„Eine ‚kleine‘ Unterhaltung?“ fauchte er und zeigte mit seinem Zeigefinger auf meinen Hals. „Das sieht man an den Striemen an deinem Hals. Raven, er ist der Hauptmann und er entscheidet wo wir hingehen, ob es dir passt oder nicht“
„Es passt mir aber nicht, wenn Unschuldige sterben müssen“ zischte ich.
„Wir sind im Krieg. Da sterben nun mal Menschen. Muss ich dich immer daran erinnern?“ warf Emanuel ein.
„Er führt uns auf die Schlachtbank. Wollt ihr sterben wie eine Horde Schafe?“ erinnerte ich sie. „Ich habe Skizzen gesehen. Der Weg führt durch eine Art Schlucht bis zum Schneetor. Dort sind die Wände bis zu sechs Meter hoch. Sie können uns dort drin niedermetzeln wie die Tiere“
Meine drei Freunde traten nach meinen Worten unruhig umher. „Umdrehen können wir aber auch nicht“ stellte Hope fest. „SI treiben uns direkt in den Pass“
„Wir könnten uns aufteilen“ bedachte Emanuel nachdenklich. „Gibt es einen anderen Weg auf den Pass?“
„Vielleicht gibt es einen der nicht direkt zum Schneetor sondern hinauf auf die Felswände? Wir brauchen eine Karte“ stellte Ramon säuerlich fest während er sich auf seinen Hengst schwang. „Und die hat alle Remus“
„Wir brauchen diese Karten“ stellte ich bestimmt fest als Ramon mich hinter sich auf das Pferd zog und die Kolonne sich langsam in Bewegung setzte.
„Ich glaube du das wird nicht mehr so ein großes Problem darstellen“ murmelte Ramon, seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt vor uns in der Kolonne gerichtet.
„Warum?“ wollte ich wissen. Er zeigte nach vorne und ich folgte seinem Blick.
„Ich glaube du hast ihn überzeugt, kleiner Rabe“
Aus der Mitte der Kolonne funkelten mir zwei dunkelbraune Augen entgegen, sein Mund bildete ein sanftes lächeln und er nickte mir zu. Ja, ich hatte Remus überzeugt.