Ein dunkler Hauch hing über Hogwarts seit dem Tag, da Voldemort zurückgekehrt war. Und es wurde mit jedem Jahr schlimmer. Ich hasste ihn aus ganzem Herzen. Schon allein deshalb, weil er mich, als ich nur ein Baby war, meiner Familie entrissen hat. Den Grund dafür kenne ich heute noch nicht. Es hat etwas mit einer Prophezeiung zu tun, so viel habe ich im Gespräch mit dem Schulleiter herausfinden können. Eine Prophezeiung, die von dem Dunklen erzählt, das ich in mir trage. Anscheinend fühlt sich Voldemort auf irgendeine Weise dazu hingezogen. Albus Dumbledore befürchtet, ich könnte seine größte Waffe werden. Und ich weiß, er traut mir nicht. Ich kann es ihm nicht verübeln, ich bin eben eine waschechte Slytherin.
Als Weasley-Tochter ist das allein schon eine große Sensation. Im negativen Sinne natürlich. Mom und Dad und meine Geschwister sprachen es nie aus, doch wenn sie sich unbeobachtet fühlten, sah ich einen Hauch der Sorge und Angst in ihren Zügen, wenn sie mich ansahen. So wie man eine tickende Zeitbombe ansieht. Mein Zwillingsbruder Ron war der Schlimmste. Durch unsere besondere Verbindung, wie sie bei Zwillingen üblich ist, schien er stets zu spüren, was wirklich in mir vor sich ging, egal wie sehr ich es vor aller Welt verbergen konnte. Das war auch der Grund, warum wir uns nicht sonderlich gut miteinander verstanden.
Mit seinem besten Freund Harry war es anders. Harry war ein Mensch, der immer nur das Gute in allem sah und bedingungslos vertraute. Was mir von nutzen war, auch wenn ich es nie ausnutzte.
Doch seit einigen Monaten bekam ich ihn nur selten zu Gesicht. Etwas ging vor. Er nahm Einzelstunden bei Dumbledore und jeder wusste insgeheim, dass es etwas mit den Schlagzeilen im Tagespropheten zu tun hatte. War Harry Potter wirklich der Auserwählte, der Voldemort zu Fall bringen sollte?
Ich glaubte nicht daran, das das noch möglich war. Ich wusste nicht, woran ich wirklich glaubte. Vielleicht war mir das alles egal, solange es mich nicht persönlich betraf. Doch dieses Jahr zeigte mir auf schmerzhaft intensive Weise, wie persönlich ich in die Geschehnisse verwickelt war.
"Hey Weasley, haben deine Gryffindor-Freunde heute keine Zeit für dich?", ertönte eine dunkle Stimme hinter mir.
Ich befand mich im Gemeinschaftsraum der Slytherins, was selten genug der Fall war, da allein die Tatsache, dass ich Rons Schwester war reichte, um mich im Ansehen der Reinblüter nach ganz unten zu katapultieren. Der andere Grund war Draco Malfoy, der keine Gelegenheit ausließ, mich lächerlich zu machen, nur weil ich mit seinem Erzfeind befreundet war.
Seine Schmähungen gegen mich waren nicht der einzige Grund, warum ich mich in seiner Gegenwart unwohl fühlte. Wenn Draco Malfoy bei mir war, spürte ich überdeutlich die unsichtbare Linie in mir, die schwarz und weiß von einander trennte. Ich spürte, wo ich eigentlich herkam und wo ich herkommen sollte. Ich spürte, dass da etwas in mir war, das keiner verstand. Und wusste dass es das war, was allen, die mich liebten solche Angst bereitete. Und das Voldemort begehrte.
Etwas Dunkles regte sich in mir. Eine Wut gepaart mit einem verzweifelt starken Sehnen, das für mich kaum beherrschbar war. Und wenn ich wie jetzt in Dracos Augen sah, konnte ich in ihnen den Widerhall derselben Dinge lesen. Das machte es nicht besser.
"Das hier ist auch mein Gemeinschaftsraum, Malfoy", zischte ich ungehalten zurück und sprang aus dem dunklen Ledersessel am Feuer auf. "Wenn du meinen Anblick nicht ertragen kannst, dann halte dich fern von mir!"
Draco kam mir so nahe, dass ich zu ihm aufsehen musste. Der ganze Slytherin-Gemeinschaftsraum schien den Atem anzuhalten, als er höhnisch zu mir herunter grinste. "Du gehörst hier nicht hin. Im Grunde, weiß niemand, wohin du wirklich gehörst. Auch du selbst nicht, oder? Es ist als wärst du überall irgendwie falsch. Selbst bei deiner netten Blutsverräterfamilie."
In solchen Situationen, da die Welt jeden logischen Gedanken in mir ausschaltete, zeigte sich, dass ich in einem Waisenhaus der Muggel aufgewachsen war, denn anstatt eines Zauberbanns benutzte ich meine Fäuste, um mich zur Wehr zu setzen.
Doch nach sechs langen Jahren tiefster Feinseligkeiten kannte Draco mich. Und zwar erschreckenderweise besser als jeder sonst auf dieser Welt. Er fing meine Hände in der Luft ab und hielt sie fest. Ich spürte deutlich, wie das Blut in meinen Venen kochte, wie sie hart gegen die Innenfläche seiner Hände pulsierten. Ein kaltes, manisches Glimmen ergriff von seinen Augen Besitz. "Warte nur ab, Weasley. Niemand kann vor dem fliehen, wohin er wirklich gehört. Absolut niemand!"
Ich riss mich von ihm los und zischte ungehalten: "Was weißt du schon? In deinem Leben gibt es nur das Dunkle!"
"Völlig richtig", sagte er leise, wandte sich aprubt ab und verließ den Gemeinschaftsraum.
Ich spürte die Blicke der anderen auf mir und fühlte mich hundeelend. Eigentlich sollte ich Draco hassen. Er triezte mich und meine Familie wie auch Harry bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Das Problem an der Sache war, dass ich die Dunkelheit und Trauer in ihm spürte. Und sie zutiefst verstand.
Der Sonntag war noch lang. Um mich abzulenken beschloss ich, hinunter zum Quidditchfeld zu gehen und Harry beim Training mit seiner Mannschaft zuzusehen. Ich selbst spielte als Jägerin für mein Haus, aber selbst Quidditch machte in letzter Zeit keinen Spaß mehr, da diese verwirrenden Gefühle in mir an die Oberfläche trieben.
Ich war die einzige auf den Rängen. Der eiskalte Herbstwind hielt die meisten Schüler im Schloss. Ich beobachtete Ginny, die als Jägerin das Glanzstück der Gryffindormannschaft war, während Ron seine Sache als Hüter eher schlecht als Recht machte. Harry tat sein Bestes, um ihn bei Laune zu halten. "Dein Problem sind nur die Nerven, Ron! Du kannst das! Komm schon, konzentrier dich!"
Ginny schoss unbarmherzig auf unseren Bruder zu und versenkte den nächsten Quaffel in den Ringen. Ron sah aus, als würde er gleich einen Tobsuchtsanfall kriegen oder in Tränen ausbrechen. Beides war möglich. Ich hatte seit geraumer Zeit das Gefühl, dass es ihm nicht so gut tat wie er hoffte, den beliebten Harry Potter als besten Freund zu haben. Ich sah deutlich, wie er sich bemühte, mitzuhalten und durch ähnlich überragende Leistungen aufzufallen. Und wie es ihm immer wieder misslang und ihn zunehmend frustrierte.
"Gut, das reicht für heute", sagte Harry gnädig, der wohl ähnliches bemerkte. Er winkte mir kurz zu als er mich sah und bedeutete mit einer Handgeste, dass ich auf ihn warten sollte, ehe er und die Mannschaft sich in den Umkleidekabinen umziehen gingen.
Ich zog meinen Mantel enger an mich, stand auf und wanderte auf dem Feld umher, um mich etwas zu wärmen. Die Luft war so schneidend kalt, dass es sich anfühlte wie von einem wütenden wilden Tier ins Gesicht gebissen zu werden. Eine Kälte, die ungewöhnlich für Anfang Oktober war. Es war als ob die Natur spürte, wie Voldemort an Kraft gewann und sich für den drohenden Krieg wappnete.
Ich beobachtete wie einer nach dem anderen aus den Umkleidekabinen der Gryffindors kam und zum Schloss zurück ging. Harry kam als letzter heraus und schlenderte, seinen Besen geschultert, in meine Richtung. Ich lief ihm langsam entgegen. In Harrys Gegenwart hatte ich ähnliche Gefühle wie bei Draco. Wieder spürte ich die Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß. Nur dass die hellen Gefühle in Harrys Beisein aufleuchteten wie ein Sonnenstrahl an einem jungen Morgen. Und ich fühlte mich weniger verquer. Wir lächelten einander an, ehe wir automatisch zusammen den Weg zum Schloss zurück einschlugen.
"Wo ist Ron?", wollte ich wissen.
"Der wollte etwas allein sein. Er hatte heute keinen guten Tag."
"Harry, er hat nie einen guten Tag im Quidditch. Ich weiß, es sollte mich nicht interessieren, aber du hättest ohne ihn eine weitaus bessere Mannschaft."
"Ron braucht nur etwas mehr Selbstvertrauen", entgegnete Harry in seiner unbeugsamen Loyalität.
Ich schüttelte den Kopf, wechselte aber das Thema. "Wie war deine letzte Stunde bei Dumbledore?"
Er zuckte die Achseln, als wisse er nicht Recht, was er davon halten sollte. "Interessant. Er nimmt mich mit in Erinnerungen über Voldemort. Wie er als Kind war. Und zu was er damals schon im Stande war. Ich meine, es ist nicht so, dass es mich nicht interessiert, aber ich weiß nicht, wie mir das helfen soll..."
Zu überleben. Er sprach es nicht laut aus, doch der Satz hing so deutlich über uns, dass er beinahe drohte, sich als Mauer zwischen uns zu manifestieren.
"Außerdem benimmt Malfoy sich komisch", sagte er plötzlich.
"Inwiefern?", wollte ich aufhorchend wissen.
Wieder ein Schulterzucken seinerseits. "Er kommt ständig zu spät zum Unterricht, trägt kaum mehr seine Schuluniform, reibt sich den linken Unterarm."
Ich sah ihn scharf an. "Willst du damit andeuten, dass er jetzt ein Todesser ist?"
"Komm schon, Kim! Sein Zuhause ist deren Hauptquartier. Seine Eltern sind Todesser, alle in seiner kranken Familie. Und die Art, wie er durch die Schule schleicht will mir nicht gefallen."
"Du siehst Gespenster", sagte ich, konnte die Gänsehaut, die mir bei seinen Worten über die Arme gekrochen war, jedoch nicht ganz abschütteln.
"Ist dir nichts aufgefallen? Ich meine, du als Slytherin..."
Ich fuhr zu ihm herum und funkelte ihn an. Er hatte meinen wundesten Punkt getroffen, dabei war ich froh, dass ich in Harrys Gegenwart meist vergessen konnte, welchem Haus ich angehörte. "Ich als Slytherin könnte das ja mal für dich checken. Ja, warum denn nicht?"
"Sorry, so war das nicht gemeint", murmelte er, doch als wir schweigend das Schloss betraten wusste ich nur zu gut, dass es genauso gemeint gewesen war.