Die nächsten Tage gingen mir Harrys Worte nicht aus dem Kopf. War Draco Malfoy nun wirklich ein Todesser? Und was für einen Unterschied machte das für mich? Er war so oder so der Feind - mit seinem Stammbaum konnte er nichts anderes sein. Was sprach also dagegen, dass ich ihn für Harry etwas im Auge behielt?
Ich will nicht als Spionin benutzt werden, sagte ich mir wütend. Gleichzeitig interessierte mich Harrys Theorie genauso und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Und so kam es, dass ich Draco in den folgenden Tagen näher unter die Lupe nahm.
Was sich aufgrund unserer Gewohnheit, einander aus dem Weg zu gehen, als schwierig erwies. In der großen Halle saß ich am Slytherintisch genau am anderen Ende von Malfoy und seiner Gang bestehend aus Crabbe, Zabini und Pansy Parkinson, die ihn vergötterte.
Nach dem Frühstück hatten wir Zaubertränke zusammen mit den Gryffindors bei unserem neuen Zaubertrankmeister Horace Slughorn, der die unangenehme Art an sich hatte, seine Lieblingsschüler in privaten Partys um sich zu scharen. Mir war dieses vermeintliche Glück bisher missgönnt gewesen, worüber ich nicht traurig war. Doch ich hatte seit einiger Zeit bemerkt, dass er mich mit unverhohlenem Interesse musterte. Wie ein Sammler, der versuchte abzuwägen, ob ein Stück für seine Sammlung wertvoll sein würde oder nicht.
Heute verließ ich die Große Halle also kurz hinter Draco und ging in einigem Abstand hinter dem Trio her. Pansy, die das bemerkt hatte, warf mir über die Schulter gehässige Blicke zu. Ich ignorierte sie. Vor der Klassenzimmertür blieben wir stehen, offensichtlich war Slughorn noch beim Frühstück.
"Sieh nicht hin, Draco, aber dir klebt gleich Dreck am Umhang", sagte Pansy und nickte bedeutunsvoll in meine Richtung.
Malfoy wandte sich um und zeigte sein übliches arrogantes Grinsen. "Immer noch keine Freunde, Weasley?"
"Besser als sich die erstbesten Idioten um sich zu sammeln", entgegnete ich mit einem abfälligen Blick auf Crabbe und Pansy, die sofort rasend wurde: "Wie kannst du es wagen, du dreckige..."
Malfoy hob lässig eine Hand und sie verstummte so augenblicklich wie jemand, dem man die Zunge an den Gaumen gehext hatte. Er trat näher. "Offenbar muss man ihr zeigen, wo ihr Platz ist."
"Das wirst du schön bleiben lassen", ertönte Harrys Stimme. Ich wandte mich um. Er, Ron und die anderen Gryffindor-Schüler waren dazugekommen und beobachteten argwöhnisch die Szene. Die wenigsten von Harrys Mitschülern mochten mich, immerhin war ich eine Slytherin. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich Slytherins und Gryffindors nicht mochten. Die Freundschaft zwischen Harry und mir duldeten sie mit viel Missmut, weil ihnen nichts anderes übrig blieb und weil ich eine Weasley war.
Malfoys Grinsen wurde noch eine Spur abfälliger, soweit das überhaupt möglich war. "Ich wittere eine große Liebesgeschichte. Ihr würdet ein hübsches Paar abgeben. Tatsächlich hat Kim einige Ähnlichkeit mit deiner dreckigen Muggelmutter, Potter."
Es war wie ein innerer Impuls. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Harry den Zauberstab zog und tat es nur, um ihm zuvorzukommen, weil ich wusste, dass er sich schon genug Strafarbeiten für die kommenden Monate eingehandelt hatte. Trotz seiner ruhigen Ader schaffte Malfoy es immer, die richtigen Worte zu finden, um ihn aus der Reserve zu locken.
Ich zog meinen Zauberstab, richtete ihn auf Malfoy und sagte: "Stupor!"
Der rote Blitz explodierte regelrecht aus der Spitze meines Zauberstabes und erhellte den kompletten Kerker. Ich traf Malfoy genau an die Brust. Es schleuderte ihn mit aller Heftigkeit gegen die gegenüberliegende Wand. Pansy schrie wie am Spieß und rannte zu ihm. Er sah hasserfüllt zu mir auf, doch ehe er mehr tun konnte, waren eilige Schritte zu hören.
"Bei Merlins Bart, Ms. Weasley!" Natürlich musste genau in diesem Moment Slughorn kommen.
"Er hat meine Mutter beleidigt, Sir", beeilte sich Harry zu sagen und die Gryffindors sprangen ihm mit wild durcheinander gerufenen Schilderungen von Malfoys Schähungen bei.
Slughorn nickte, half Malfoy auf und vergewisserte sich kurz, dass ihm nichts fehlte, ehe er sich zu mir umwandte. Ich rechnete ganz fest mit einer Strafarbeit, aber...
"Ich kann mich nicht erinnern schon einmal einen solch kraftvollen Stupor gesehen zu haben, meine Liebe. Natürlich war der Zauber jetzt völlig unangebracht. Aber ich kann nicht ignorieren, dass Sie mich beeindruckt haben. Ich gebe kommende Woche ein kleines Abendessen mit einigen von Ihren Mitschülern. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns Gesellschaft leisten würden."
Ich war so erleichtert, dass ich keine Strafe erwarten musste, dass ich nur nickte, während mir die Slytherins hasserfüllte Blicke zuwarfen. An diesem Tag betrat ich, umrahmt von einer Traube lachender Gryffindors, das Klassenzimmer.
"Dem hast du es gezeigt. Und dann wirst du von Slughorn auch noch dafür belohnt. Sehr gut gemacht, Kim!", sagte Dean Thomas, Ginnys Freund, begeistert.
Sein Kumpel Seamus warf mir ein Grinsen zu und klopfte mir beifällig auf die Schulter, ehe er sich zu Dean und Ginny an den Tisch gesellte.
Ich arbeitete wie immer mit Ron und Harry zusammen. "Malfoys Gesichtsaudruck war klasse!", sagte Ron begeistert, der immer dann mit mir besonders zufrieden war, wenn ich etwas getan hatte, was mich von den Slytherins distanzierte.
"Das hättest du nicht tun müssen. Aber danke, Kim", sagte Harry und packte verlegen seine Zaubertrankzutaten aus.
Ich zuckte die Schultern. "Es hat gut getan."
"Sei aber vorsichtig die nächsten Tage", riet Harry besorgt. "Wie ich Malfoy kenne, wird das ein Nachspiel haben."
"Mir egal", erwiderte ich unwirsch. "Er macht mir so oder so das Leben zur Hölle."
Slughorn räusperte sich, um die Aufmerksamkeit seiner Klasse auf sich zu lenken. "Ich habe heute einen besonderen Trank vorbereitet und ich möchte, dass jemand nach vorn kommt, um ihn für mich zu identifizieren. Wie wäre es mit Ihnen, Miss Weasley?"
Ich schreckte hoch und seufzte innerlich auf. Ich hatte keine Ahnung von Zaubertränken. Dennoch blieb mir nichts anderes übrig, als zu Slughorns Tisch nach vorn zu gehen, auf dem ein kleiner schwarzer Kessel stand, der rosa Dämpfe in den Raum spuckte. Je näher ich trat, desto mehr waberten sie um mich herum und ich fühlte mich leicht benebelt. Fast war es, als würden aus den Dämpfen diffuse Hände nach mir greifen.
"Oho, wie ich sehe, sind Sie besonders offen für die Wirkung des Trankes. Nun, das sollte es eindrucksvoll veranschaulichen. Wollen Sie uns verraten, wonach der Trank für Sie riecht?"
Slughorns Stimme kam nur noch aus weiter Ferne. Wie hypnotisiert nahm ich einen tiefen Atemzug, weil ich gar nicht anders konnte. Sofort spürte ich, wie sich mein Blick verklärte. In meiner Brust flammte eine brennende Sehnsuch auf, die schmerzhaft schön war.
"Ich rieche so etwas wie Tau. Oder Eis. Frisches Eis, das den See überzieht. Und dahinter ist der sanfte Geruch von Feuer. Ein Holzscheit, das von den Flammen gefressen wird."
Die ganze Klasse starrte mich an, doch ich konnte nicht aufhören, wie eine Besessene die Dämpfe einzuatmen. Durch die rosa Wolken fiel mein Blick auf Dracos angespanntes Gesicht und in diesem Moment waren seine grauen Augen für mich das Schönste dieser Welt. Die Gefühle, die in mir aufkamen, waren in ihrer Heftigkeit kaum zu ertragen.
"Das sollte genügen!" Mit einem Ruck zog Slughorn mich von dem Kessel weg. Es war, als würde jemand einen Eimer Eiswasser über mir entleeren. Sofort war ich wieder klar und bemerkte mit Entsetzen, dass ich Malfoy noch immer anstarrte, dessen Lippen sich zu einem abfälligen Lächeln kräuselten. Atemlos spürte ich dem wilden Schlagen meines Herzens nach.
"Amortia ist der stärkste Liebestrank der Welt. Ihr habt gesehen, was allein ein paar Dämpfe davon mit unserer lieben Miss Weasley anstellen. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie einen Schluck davon nähme. Natürlich erzeugt Amortia keine echte Liebe. Es ist viel mehr wie eine starke Besessenheit. Doch er kann auch vorhandene unterdrückte Liebesgefühle an die Oberfläche treiben", erklärte Slughorn und wandte sich dann wieder mir zu. "Alles in Ordnung, Miss Weasley?"
"J-ja Sir." Erst da wurde mir bewusst, dass ich noch immer vor der Klasse stand. Zutiefst getroffen von dem, was ich gerade empfunden hatte, ging ich zu Harry und Ron zurück.
"Schön", sagte Slughorn und klatschte in die Hände. "Sie dürfen sich nun allesamt selbst an dem Trank versuchen. Ich möchte Sie allerdings warnen - keiner von Ihnen wird es schaffen, einen so kräftigen Trank wie diesen herzustellen, dennoch: wenn ich jemanden dabei erwische, wie er sich etwas davon abfüllt oder es einem Mitschüler unterjubelt, kann derjenige sein Blaues Wunder erleben. Legen Sie los. Sie haben vierzig Minuten."
"Mensch wäre das klasse, Harry. Wir könnten damit jedes Mädchen kriegen, das wir wollen", sagte Ron schwärmerisch.
"Du hast Slughorn gehört, oder? Keine Verwendung außerhalb des Unterrichts", erwiderte Harry und ging grinsend die Zutatenliste durch.
"Du brauchst so etwas ja auch nicht", beschwerte sich Ron. "Dir rennen sie schwarenweise nach, Auserwählter."
Ich starrte angestrengt auf die Zutaten und versuchte tunlichts zu vermeiden, noch mehr Dämpfe des Tranks einzuatmen, während ich mich fragte, warum mein Herz dennoch so raste. Warum spürte ich Harrys Nähe plötzlich so überdeutlich? Und auch Dracos Blicken war ich mir allzu sehr bewusst. Die Kluft aus schwarz und weiß in mir schwoll an und überlagerte mein ganzes Denken.
"Ron, das ist wirklich das Letzte, was mich jetzt interessiert. Ich habe heute meine nächste Stunde bei Dumbledore, schon vergessen?", sagte Harry leicht verärgert.
Die intensiven Gefühle rissen an meinen so schon stark beanspruchten Nerven und ich sagte heftiger als beabsichtigt: "Ich habe wohl keinerlei Anrecht mehr auf solch banale Informationen?"
"Ich habe es vorhin erst erfahren", erwiderte Harry beschwichtigend. "Ich wollte es dir erzählen, aber da kam uns Malfoy dazwischen."
Bei Erwähnung dieses Namens, kochte sofort wieder das Gefühl in mir hoch, das sich seit ich den Trank eingeatmet hatte, kaum mehr verdrängen ließ. Ich fühlte mich so elend, dass ich für den Rest der Stunde schwieg.
Am Ende der vierzig Minuten schritt Slughorn durch die Reihen und sah prüfend in jeden Kessel. Am Ende war es gerade der Tisch um Malfoy und seine Gang, der den meisten Applaus erntete. "Oho! Sie haben anscheinend ein besonderes Talent für Liebestränke, junger Mann. Nehmen Sie zehn wohlverdiente Punkte für Slytherin."
Wieder trafen sich unsere Blicke und mir fuhr ein Schauer den Nacken herunter.