Am nächsten Tag war das herbeigesehnte Match Gryffindor gegen Ravenclaw. Der Himmel zeigte sein schönstes blau, als wir in der Großen Halle frühstückten. Die Aufregung an den Tischen der beiden rivalisierenden Mannschaften schwappte auch bis zu uns Slytherins hinüber und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sehr Harry damit beschäftigt war, Ron in Schach zu halten, damit dieser sich nicht permanent übergeben musste. Ein Blick von mir hinüber zum Gryffindortisch bestätigte meine Vermutungen.
Meine Sicht wurde allerdings von jemandem versperrt, der genau vor mir zum Stehen gekommen war. Ich sah auf und sah direkt in Draco Malfoys überhebliches Gesicht. Und war sofort auf der Hut, als er auf den freien Platz neben mir deutete. "Darf ich?"
Restlos verwirrt starrte ich ihn an. Tatsächlich war er so spät, dass die meisten Plätze besetzt waren und ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich neben mich zu setzen. Aber seit wann fragte er um Erlaubnis?
Er wartete nicht, bis ich sie ihm gab, sondern ließ sich entspannt neben mir nieder und begann zu frühstücken, während er sich ab und an mit Zabini unterhielt, der zusammen mit Pansy uns gegenübersaß, die mir mörderische Blicke zuwarf.
Ich versuchte, alle so gut es ging zu ignorieren und wünschte mal wieder, ich hätte mich einfach zu meinen Geschwistern und Harry setzen können. Gedankenverloren biss ich in mein Toast und brach sofort in heißeres Husten aus. Es war, als hätte ich in eine Chilischote gebissen. Der gesamte Slytherintisch grölte vor lachen. Jetzt war klar, warum Malfoy sich neben mich gesetzt hatte. Mit vor Schmerz tränenden Augen, tat ich das erstbeste, was mir einfiel, griff meinen Becher und trank ihn bis zur Neige aus - das Brennen verschwand augenblicklich aus meiner Kehle, dafür auch mein klarer Verstand. In den ersten Sekunden nahm ich es entsetzt wahr, einen Augenblick später war es mir völlig egal.
Mein Sichtfeld verschwamm, alles wurde unscharf. Alles bis auf die Konturen des wundervollen Jungen neben mir. Der starrte mich aus seinen verblüffend grauen Augen belustigt an und ich spürte, wie sich mein Mund wie von selbst zu einem entrückten Lächeln verzog. Mein Herz schlug schmerzhaft schnell in meiner Brust. Ich nahm weder wahr, wo wir uns befanden, noch dass uns hunderte von Schülern sehen konnten. Ich folgte einfach diesem unaufhaltsamen Ziehen, das immer drängender wurde, als ich nach seiner Krawatte griff und ihn zu mir heranzog. Schockiert stellte ich fest, dass er sich losriss und laut durch die Halle rief: "Lass deine Finger von mir, Weasley!"
Ich sah zu ihm auf, denn er hatte sich erhoben. Irgendetwas schien mir zu entgehen. Das konnte er so nicht meinen. In meinem Universum ergab sein Verhalten keinen Sinn. Ich erhob mich ebenfalls und als er sich mit einem spöttischen Blick daran machte, die Halle zu verlassen, folgte ich ihm ohne zu Zögern.
Draußen in der Eingangshalle wartete er schon auf mich. Alles an ihm schien mir erstrebenswert - von seiner kühlen abwehrenden Haltung über seine distanzierten grauen Augen bishin zu dem spöttischen Lächeln auf seinem Mund. "Du bist wirklich anfällig für diese Dinge, oder?"
Verwirrt sah ich ihn an und trat dann zu ihm, da es mir körperlichen Schmerz bereitete, weiter als einen halben Meter Abstand zu ihm zu haben. "Was meinst du?", fragte ich heißer.
Es geschah innerhalb von Sekunden. Er wirbelte herum, presste mich gegen die kalte Steinmauer und drückte mir endlich, endlich seine wundervollen Lippen auf den Mund. Ich fiel sofort in den Kuss ein. Es war wie eine Droge. Alles drehte sich. Das Blut rauschte heiß durch meine Adern. Ich wollte nicht, dass er je damit aufhörte. Doch er hörte auf, sah noch einmal zu mir herunter und flüsterte rau: "Rache ist süß, Weasley."
Dann ließ er mich allein. Als ich mich daran machte, ihm zu folgen, tauchten Harry, Ron und Ginny auf, die mich festhielten.
"Dieses miese Schwein! Wir müssen sie zu Slughorn bringen. Der hat mit Sicherheit das Gegenmittel parat.", hörte ich jemanden sagen, doch die Worte ergaben keinen Sinn. Ich wollte einfach nur wieder zu Draco und kämpfte heftigst gegen den Griff an, der mich festhielt.
"Ich kriege sie so nicht hier weg."
"Wenn wir nicht schnell machen, blamiert sie sich vor der ganzen Schule noch mehr. Wir müssen sie schocken."
Danach wurde alles dunkel.
Ich erwachte im sonnendurchfluteten Krankenflügel, allein und orientierungslos. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie ich hierhergekommen war, doch in meinem Kopf war nur ein Strudel aus zusammenhanglosen Bildern. Mein Gesicht fühlte sich unnatürlich heiß an und ich hatte das beunruhigende Gefühl, etwas wichtiges verpasst zu haben.
"Ah, Sie sind wach, gut gut"
Ich wandte mich um und sah mich der Krankenschwester Madame Pomfrey gegenüber. "Was ist passiert?"
"Jemand hat Ihnen einen Liebestrank verabreicht und Ihr Körper hat sehr stark reagiert. Unverantwortlich, dass so etwas in Hogwarts möglich ist. Professor Slughorn wird sich erklären müssen. Natürlich hatte er sofort das passende Gegenmittel parat."
Ich hatte Mühe, mit ihr mitzuhalten. Nur langsam fügten sich die einzelnen Bilder in meinem Kopf zu zusammenhängenden Gedanken zusammen. Dann durchfuhr es mich heiß und kalt. "Draco Malfoy!"
Die Lippen der Krankenschwester kräuselten sich wütend. "Sie können sicher sein, dass dieser Flegel eines Jungen ausreichend bestraft wird. So etwas kommt leider immer wieder vor. Die Macht von Liebestränken wird viel zu sehr unterschätzt. Man sollte Schüler so etwas einfach nicht lehren!"
Meine Gedanken rasten. Wut, Scham und endlose Verwirrung wechselten einander ab. Die ganze Schule hatte mit angesehen, wie ich mich vor Draco Malfoy zum Affen gemacht hatte. Ob Liebestrank oder nicht - das würde zweifelsohne einen Eindruck hinterlassen, der mich noch lange verfolgen würde.
Aber etwas passte nicht ins Bild. Etwas, das nichts damit zu tun hatte, dass ICH einen Liebestrank geschluckt hatte. ER hatte MICH geküsst. Und das zu einem Zeitpunkt, da wir vollkommen allein gewesen waren. Warum zur Hölle?
"Wenn Sie sich wieder besser fühlen, können Sie gehen. Schnappen Sie etwas frische Luft, draußen ist herrliches Wetter. Das wird Ihnen gut tun."
Erst da fiel es mir wieder ein. "Das Quidditch-Spiel! Ich muss sofort los."
Wieder machte Madame Pomfrey ein Gesicht, als hätte ich etwas erwähnt, dass ihrer Meinung nach an dieser Schule nicht gebilligt werden sollte, doch sie sagte nichts, und ich nutzte die Gelegenheit, aus dem Bett zu steigen. Ich spürte, dass ich wackelig auf den Beinen war, darum ließ ich mir Zeit, die Geräusche, die von den Ländereien durch die Gänge wehten, sagten mir, dass das Spiel längst in vollem Gange war.
Aber ich hatte mich geirrt, das Spiel war zuende. Als ich zum Quidditchfeld hinunter schlenderte, kamen mir scharenweise Schüler in rot-gold oder blau-schwarz entgegen. Letztere mit ziemlich griesgrämigen Mienen, weshalb ich mir zusammenreimen konnte, wer das Spiel gewonnen hatte. Die Gryffindors zogen laut feiernd ins Schloss ein. Einige Schüler, die mich sahen, brachen spontan in Lachanfälle oder Getuschel aus und ich spürte, wie heiße Wut auf Draco Malfoy in mir aufstieg.
Ich wartete in der Nähe der Umkleidekabinen auf Harry, Ron und Ginny. Meine Schwester war die Erste, die hinaustrat. Sie riss die Augen auf, als sie mich sah. "Kim, du bist ja schon entlassen."
"Nun, ich war schließlich nicht todkrank", erwiderte ich mürrisch.
Ron und Harry kamen mit dem Rest der Mannschaft aus der Kabine. Alle starrten mich an. Harry schaltete zum Glück schnell und sagte deutlich: "Gut gemacht, Leute. Wir sehen uns gleich im Gemeinschaftsraum."
"Wie gehts dir?", fragte Ron vorsichtig, als die anderen außer Hörweite waren.
"Ich habe mich vor der ganzen Schule an Malfoys Hals geworfen", sagte ich finster.
"Das werden die auch irgendwann wieder vergessen", sagte Harry in tröstendem Ton.
Ich sah ihn ungläubig an. Gerade er sollte es besser wissen. Wahrscheinlich war er längst so an all das dumme Gerede gewöhnt, dass es ihm überhaupt nichts mehr ausmachte. Aber ich hasste den Gedanken daran, dass die Leute glaubten, ich wäre in Malfoy verliebt. Und noch mehr, dass er mich vor der ganzen Schule abgewiesen hatte. Um mich dann heimlich in den dunklen Gängen zu küssen.
Eigentlich hatte ich fest vorgehabt, ihnen davon zu erzählen, doch plötzlich war ich nicht mehr so sicher. Was, wenn ich es mir tatsächlich nur unter der Wirkung des Trankes eingebildet hatte? Rückwirkend betrachtet schien dieser Kuss einfach unlogisch. Draco hasste mich.
"Kommt es oft zu irgendwelchen - wie soll ich sagen - Nebenwirkungen bei Liebestränken?", fragte ich vorsichtig.
"Na ja, du wirfst dich jedem Arschloch an den Hals", sagte Ron.
Ich seufzte gereizt auf. "Ich meine neben den offenkundigen Reaktionen."
"Nicht, dass ich wüsste", erwiderte Ginny. "Soweit ich weiß, hat man danach keine Erinnerung mehr an das, was unter Trankeinfluss geschehen ist. Wieso fragst du?"
Nun starrten mich alle an, aber ich hatte keine Lust auf noch mehr von Rons speziellen Kommentaren und nahm mir vor, die seltsame Erinnerung als Traum abzutun und zu vergessen. "Nur so", sagte ich daher schnell.
"Möchtest du dich der Feier anschließen?", fragte Harry.
"Ich habe euch noch gar nicht beglückwünscht", sagte ich schnell. "Ich freue mich, dass ihr es geschafft habt. Dann treten wir bald gegeneinander an. Ich glaube, ich möchte mich heute lieber nicht der Feier anschließen."
"Du kannst dich nicht ewig verstecken, Kim", sagte Ginny ernst.
"Lass sie", sagte Harry, ehe ich etwas erwidern konnte und wandte sich dann mit einem typischen Harry-Blick mir zu. Es war so ein Blick, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er mein Elend zutiefst verstand, ohne Worte. Mein Herz schmolz. "Wir sehen uns später."
So trennten sich unsere Wege und ich machte mich schwerenherzens allein auf den Weg, in den Slytheringemeinschaftsraum. Wo ich natürlich schon erwartet wurde. Der harte Kern der Slytherins lümmelte wie ein Rudel Wölfe am Feuer und wartete auf mich. Kaum war ich eingetreten, ging die Show los.
Malfoy rief in meine Richtung: "Ich wollte dir wirklich nicht dein kleines Herz brechen, Weasley."
Ich starrte ihn an, sah auf den sanften Schwung seiner Lippen und es durchfuhr mich eiskalt. Das war kein Traum gewesen und auch keine Einbildung. Da war mir plötzlich völlig egal, wie viele Ohren uns zuhörten. "Als du mich draußen vor der Halle geküsst hast, hatte ich tatsächlich den Eindruck, es wäre andersherum."
Die Slytherins um ihn brachen in johlendes Gelächter aus und machten sich über meine "Hirngespinste" lustig, nur Pansy sah verunsichert zwischen uns hin und her. Ich beobachtete Draco genau. In der ersten Sekunde riss er überrascht die Augen auf, dann brach er ebenfalls in lautes Gelächter aus. "Die Wirkung des Tranks ist bei dir wohl ziemlich durchschlagend. Ich würde dich nicht einmal anfassen, wenn du das letzte weibliche Wesen der Welt wärst!"
Natürlich glaubte mir keiner, aber das war egal. Ich kannte die Wahrheit. Und die war zutiefst bestürzend. Da mir klar war, dass ich in dieser Situation nicht mehr aus Malfoy herausbekommen konnte, wandte ich mich ohne ein weiteres Wort ab und stieg die Treppe zu den Mädchenschlafsälen hoch.