„Hä, dein Dad hat doch gestern meine Mum geheiratet? Wo warst du denn da und wo lebst du, dass du das nicht mitbekommst?“, fragte Elodie und lachte. Mir dagegen gefror das Blut in den Adern. Obwohl ich nicht wirklich wusste, was das war, ich hatte mir die Formulierung aus einem Buch abgeschaut. Mein Dad- geheiratet? Gestern? Ohne mir IRGENDWAS davon zu sagen? Mir rutschte das Glas aus der Hand und es zerschellte auf dem Küchenboden. Weder Elodie noch ich schenkten ihm Beachtung. „Was ist los mit dir? Alles gut?“, fragte die pinke Pest und klang einen Moment lang wirklich besorgt. Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte weglaufen, raus hier, weg von den Leuten hier, weg von all den Lügen. Doch meine Beine bewegten sich nicht von der Stelle, mein Mund war ausgedorrt. Elodie kam näher. „Du wusstest doch, das sie heiraten, oder?“
Ich schüttelte wieder den Kopf. Plötzlich funktionierte mein Mund wieder.
„Nein, verdammt! Ich wusste es nicht! Ich wusste gar nichts! Er hat mich die ganze Zeit belogen!“, schrie ich das Mädchen an.
Dann drehte ich mich um und rannte raus.
Ich knallte die Haustür hinter mir zu. Meine Füße trugen mich wie von selbst zu unserer Wohnung. Ich fummelte den Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss auf. Der muffige Geruch schlug mir entgegen, als ich endlich stehenblieb. Was jetzt? Ich brach zusammen und vergrub den Kopf in den Händen. Mein Vater und ich waren nie gut miteinander klargekommen, aber ich hatte immer gehofft, das würden wir hinkriegen. Irgendwie.
Die Tür öffnete sich und jemand legte mir die Hand auf die Schulter.
„Hey.“, murmelte Elodie.
„Alles gut.“, wehrte ich ab.
„Wo ist eigentlich deine Mom? Kannst du zu ihr?“, erkundigte sich die pin… Elodie. Vielleicht sollte ich aufhören mit den Beleidigungen.
„Sie ist abgehauen.“, entgegnete ich knapp.
Mit den Raben durchgebrannt.
„Geh sie doch suchen. Ich könnte dir helfen!“, bot Elodie an.
Ich zuckte nur die Schultern.
„Lass mich allein.“, sagte ich und stand auf.
Niemand sollte meine Tränen sehen. Vor allem nicht dieses Mädchen dort. Weil sie perfekt wirkte. Weil sie keine Probleme hatte. Weil sie nicht wusste, dass sie mein Leben zerstört hatte. Und weil ich es ihr auf gar keinen Fall zeigen wollte.
Also ging ich in mein Zimmer und schloss die Tür ab.
Ich fiel in mein vertrautes Bett und vergrub das Gesicht in meinem Kissen. Weitere ungeplante Tränen liefen mein Gesicht hinab und versickerten im Kissen. Das war einfach alles so unfair! Andere Kinder in meinem Alter hatten Freunde, eine Freundin, eine glückliche Familie, eine Zukunft. Was hatte ich? Eine Stiefmutter, die ich nicht wirklich kannte, einen Vater, der mich anlog, … und eine nervige Stiefschwester.
„Alex?“, rief sie zuckersüß und klopfte an meine Tür.
„Ja…“, brummte ich.
„Ich habe etwas gefunden, was dir vielleicht helfen könnte, deine Mutter zu finden.“, flötete meine… Schwester. Stiefschwester.
„Toll, aber ich weiß noch nicht mal, ob ich sie wirklich finden will. Vielleicht ist sie genau so schlimm wie i…“
Beinahe hätte ich „ihr“ gesagt, doch ich verbesserte mich schnell, um sie nicht zu verletzen. Immerhin gab sie sich Mühe.
„… mein Vater. Vielleicht trinkt sie, oder nimmt Drogen, oder ist einfach ein totaler Arsch. Vielleicht fährt sie fette Autos, die schlecht fürs Klima sind, vielleicht nennt sie mich immer noch Alexa, vielleicht will sie mich nicht. Liegt ja anscheinend in der Familie.“, fuhr ich also fort und rollte mich im Bett herum.
Elodie gab noch nicht auf.
„Vielleicht ist sie aber auch total nett, und das Familienmitglied, das du brauchst.“
„Ich denke drüber nach.“, murmelte ich.
Teils, um sie abzuwimmeln, teils, weil ich hoffte, dass Elodie recht hatte.