Schrecksenpost
Am nächsten Morgen, nach einer herrlichen Nacht voll friedlichem Schlaf, saßen wir bei einem Frühstück zusammen. Gesättigt von Honigbroten, pustete ich in den schwarzen Tee, der im Becher schwappte.
„He du, Hempelchen“, rief mich da jemand an. Diese Stimme kannte ich.
Pyrola kam zwischen den Steinen heran gestapft, schwer beladen mit vielen sperrigen Flechtkörben, die sie wie ein Lasttier mitschleppte. Ich schaute sie fragend an, nahm aber sonst nur stumm einen Schluck von dem heißen Gebräu. Es war doch noch viel zu früh am Tag, um mich ärgern zu lassen.
„Glotz nicht so. Ich muss einkaufen gehen und habe keine Lust, das ganze Zeug alleine hierher zurück zu schleppen. Steh auf und hilf mir“, forderte die Dicke und warf mir auch tatsächlich einen der Körbe vor die Füße.
Meine Güte, ich war auch schon mal höflicher um etwas gebeten worden, aber eigentlich durfte ich mich nicht beklagen. Es war so, wie die Zwillinge gesagt hatten, ich hockte in der Falle wie eine Ratte und das sogar freiwillig. Also seufzte ich nur stumm, nahm einen letzten, kräftigen Schluck und stand gehorsam auf, den Korb brav geschultert.
Mentha runzelte die Stirn und zog etwas verärgert die Schnauze kraus, was ich so noch nie bei ihr gesehen hatte. Die Zwillinge rollten überrascht mit den Augen.
Ulex wollte etwas sagen, vermutlich genau so wenig höflich wie die Worte von Pyrola, doch die kam ihm zuvor.
„Keine Angst, ich bring sie euch schon wieder zurück. Aber ich werde ganz bestimmt nicht dabei zusehen, wie das Hempelchen hier müßig herum hockt und unsere Vorräte plündert. Wer gut essen kann, kann auch gut schleppen“, keifte sie rau, obwohl er noch keinen Ton hatte verlauten lassen.
Dann ging sie davon, als wäre damit alles klargestellt, und nickte mir nur noch einmal ungeduldig zu, ihr zu folgen. Ergeben hob ich die Hände und schloss eilig zu ihr auf, bevor sich der Schreckser wieder aufregen konnte. Außerdem fand ich es doch ganz aufregend, das Viertel zu verlassen und ein wenig durch Atlantis zu streunen. Da bekam ich immerhin etwas zu sehen. Ich stellte mich auf einen längeren Marsch ein, da ich mich noch erinnern konnte, wie weit der Weg hierher gewesen war. Doch das sollte sich als Irrtum herausstellen.
Wir verließen das Viertel durch die Efeupforte in der verfallenen Mauer und schlugen uns bei der nächsten Gelegenheit nach rechts. Ein paar Gassen weiter, kaum mehr als ein paar Wegminuten entfernt, brandete schon ein Gebrumm durch die Straßen, wie es sonst nur direkt in der Stadt herrschte. Sofort verstopfe es wieder ganz fremd meine Ohren und gab mir das Gefühl, ein Geräusch nicht mehr vom anderen unterscheiden zu können. Dann wichen die eng stehenden Häuser zurück und ein Marktplatz öffnete sich vor uns, wie ich noch keinen gesehen hatte. Überrascht blieb ich stehen und blickte verwirrt dorthin zurück, von wo wir gekommen waren.
„Ja, da staunst du, was?“, meckerte meine Wächterin erheitert. „Glaubst du denn wirklich, ich hätte dich damals auf dem direkten Weg ins Viertel gebracht? Noch bin ich nicht senil.“
Beschämt und zornig zugleich umklammerte ich den Griff meines Korbes und trat hinaus in das unfassbare Treiben. Der Marktplatz war so groß wie das ganze, lächerliche Dörfchen, in dem ich aufgewachsen war. Weiß gepflastert und sorgfältig sauber gefegt, erstreckte er sich von hier bis an ein Ende, das ich noch nicht ausmachen konnte. Überall an den Rändern breiter Wege standen Buden, Marktstände und fahrende Karren in allen Formen und Größen. Dazwischen auch immer wieder schlichte Matten oder Teppiche, auf denen die Händler ihre Waren ausgebreitet hatten, die sie zum Verkauf anboten.
Ungläubig versuchte ich alles zu erfassen, was hier zu bekommen war, musste das aber schnell aufgeben. Hier gab es alles und noch viel mehr. Früchte und Gemüse, exotisch oder gewöhnlich, leuchteten auf den Auslagen in allen Farben um die Wette. Brote dufteten frisch gebacken, waren köstlich gefüllt oder aus seltsamem Korn gebacken. Handwerkswaren für alle Gewerke und Behältnisse aller Art wurden feilgeboten, zwergenklein und riesengroß. Es gab Unmengen an Gegenständen, die ich noch nie gesehen hatte und häufig etwas, das wohl Lebensmittel sein sollten, die aber nur von bestimmten Daseinsformen interessiert betrachtet wurden. Über all diesem bunten Wahnsinn lag das Geschnatter, das Geschrei und Gefeilsche aus unzähligen Kehlen in dutzenden Sprachen. Der Markt lebte. Eingeschüchtert tappte ich hinter Pyrola her, die sich energisch ihren Weg durch diesen ganze Wahnsinn bahnte, als wäre es nichts Besonderes. Mir aber waren all die vielen Beine, mit teilweise recht beeindruckenden Klauen daran, nicht geheuer.
Daher hielt ich mich nahe bei der Schreckse, die zwar dann und wann etwas patzig zu mir war, dafür aber eine gewisse Sicherheit vor Tritten und Knuffen bot.
Sie ging mit gemächlichen Schritten über den Platz, scheinbar gebrechlich auf ihren Stab gestützt, während ich die Körbe schleppte. Hier und da blickte sie in Auslagen, warf den Händlern ein paar Grüße zu und sah auch sonst ganz so aus, als würde sie hier in aller Ruhe ihre Einkäufe tätigen.
Wie ich schnell bemerkte, kaufte sie nur an gewissen Ständen auch wirklich etwas. Gemüse bei einer hutzeligen Schreckse mit einem Handkarren, ein Beutelchen Mehl bei einer anderen, hinter einer weiß bestäubten Tonne. Der Schreckser, den wir hier sogar fanden, hatte einen ganzen Stand voller Käseräder, von denen ein paar schon die Fliegen anlockten. An einem Obstkarren hielten wir besonders lange inne, während Pyrola die Ware eingehend prüfte und ordentlich um einen besseren Preis feilschte. Die Dicke war dabei die Einzige, die je das Wort ergriff. Ich stand irgendwo abseits in der Sonne, hielt die Körbe auf und ließ mich vom Getümmel auf dem Platz unterhalten. Am Ende wurden jedesmal einige Pyras gegen die frische Ware getauscht, wie überall. Doch ich sah noch mehr. Immer wieder kleine, eng gerollte Schriftstücke, die heimlich in Einwickelpapier geschoben wurden oder zwischen dem Gemüse versteckt waren. In den Löchern der Käseecke, die wir wegtrugen, waren es sogar gleich drei. Die belanglosen Plaudereien, die an den Ständen geführt wurden, waren in Wirklichkeit ernste Gespräche, nur leise gewispert, was sofort vom Rauschen des Markplatzes verschluckt wurde. Sonst nur Blicke und verständnisvolles Nicken, bevor bald schon eine freundliche Verabschiedung folgte.
Die dicke Schreckse stopfte mir auch die randvolle Obsttüte in meinen Korb, der jetzt schon viel zu schwer für mich war. Dabei betrachtete sie mich tadelnd und schob mich voran, weiter durch das Treiben. „Glotz meine Schwestern nicht immer so an“, verlangte sie harsch. „Sie werden sich ohnehin schon fragen, warum ich dich mit hierher bringe.“
Da hatte mich mein Eindruck also nicht getäuscht, es ging mehr vor sich, als es den Anschein hatte. Trotz Pyrolas Aufforderung warf ich noch einen letzten Blick zu der Schreckse am Obststand zurück. „Sind das Schrecksen von den anderen Versammlungsorten?“, frage ich nachdenklich und schob eine Papierrolle tiefer ins Karottengrün.
Pyrola umklammerte ihren Stab und starrte durchdringend auf mich herab, was mir eigentlich hätte Angst machen sollen. Doch ihr Blick war nicht so bohrend wie sonst und war da etwa ein Lächeln auf ihren Lippen? Wohl nicht, denn im nächsten Augenblick sah sie mich so an wie immer. Zornig und misstrauisch. „Schrei nicht so“, zischte sie mich an. „Du bist viel zu neugierig, Hempelchen, aber ja, das sind sie. Der Markt ist ein Weg für uns, untereinander Kontakt zu halten, neben anderen.“
Ihr Stock tappte auf den Steinen, als sie weiter voran ging und mir leider nicht noch mehr dazu sagte. Doch ich war jetzt schon neugierig geworden. „Wie die Schrecksenpost?“, wagte ich eine weitere Frage an die Dicke.
Davon wusste ich nur vom Hörensagen oder aus Erzählungen gewisser Freunde. Sogar die hatten mit solch einem Respekt davon gesprochen, dass ich es nie gewagt hatte, genauer danach zu fragen und womöglich in Geheimnissen zu stöbern, die mich nichts angingen.
Meine Kerkermeisterin schnaubte nur wild und ließ mich fürchten, jetzt zu weit gegangen zu sein. Sie schob mir nur ihren Stab hinter die Füße, um mich ein wenig anzutreiben und mich an den Rand des Platzes zu schieben. „Sprich nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst, dummes Ding.“
Jetzt stapften wir im Schatten der Häuser weiter, die den Platz säumten, noch weiter fort von all den vielen Ohren auf dem Marktplatz. „Natürlich nutzen wir auch die Schrecksenpost, es gibt nichts Zuverlässigeres oder Schnelleres. Aber das ist nicht ganz so einfach, wie du dir das jetzt vielleicht vorstellst. Dazu braucht es eine Gabe, die selbst unter Schrecksen sehr selten ist. Wir fordern schließlich niemals, wir bitten unsere geflügelten und bepelzten Weggefährten stets darum. Dazu braucht es ein gewisses Feingefühl.“
Mein Arme waren schwer und müde, dennoch wuchtete ich den Korb nochmal ein wenig höher und sah weiterhin interessiert zu Pyrola auf. Sie war heute wirklich ungewohnt gesprächig und ich wollte noch mehr hören. „Hast du diese Gabe auch?“, schnaufte ich angestrengt.
Die Dicke brummte unwirsch, legte einen ihrer Arme auf den Rücken und schien nachzudenken, ehe sie mir antwortete. „Ja, aber ich kann nur mit Tieren, mit denen auch etwas anzufangen ist. Wölfe und Adler und ähnlich majestätische Gestalten. Alles, was kleiner ist, läuft immer davon.“
Trotz meiner schmerzenden Glieder und meiner Kehle, die in der Hitze immer trockener wurde, konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Ich sah es geradezu vor mir, wie Schmiegehäschen und Wollhühnchen vor der Dicken und ihrem Gekeife zitterten. Zunächst aber einmal versagten mir meine Kräfte den Dienst und ich musste den Korb sinken lassen. Schwitzend und außer Atem stellte ich ihn mitten auf dem Weg ab, mein Magen knurrte. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht und warf einen Blick in den blauen Himmel. Die Sonne stand fast senkrecht über uns, es musste längst Mittag geworden sein. So lange waren wir also schon unterwegs.
Pyrola ging einfach weiter und war mir schon ein gutes Stück voraus, als würde es sie nicht im Mindesten kümmern, ob ich ihr nachkam. Hastig nahm ich den Korb wieder auf und wankte hinter ihr her, um aufzuschließen. Als mir das endlich gelungen war, musste ich überrascht feststellen, dass die Schreckse sich auf einer Bank niedergelassen hatte, die in einem etwas versteckten, schattigen Winkel stand. Aus der Mauer daneben ergoss sich ein klarer Wasserstrahl in ein kleines Steinbecken und plätscherte lustig. Sie hielt die Augen geschlossen, hatte das Gesicht in die Sonne gestreckt und bemerkte mich nicht einmal.
Japsend ließ ich mich kurzerhand auf den Steinboden zu ihren Füßen nieder und lehnte mich an die geschwungenen Beine der Sitzgelegenheit. Irgendwann begann Pyrola sich durch die Körbe zu wühlen, nahm ein Stück Käse an sich und etwas von dem frischen Brot. Auch mir wedelte sie damit auffordernd vor dem Gesicht herum, was ich dankbar annahm. Genüsslich stärkten wir uns an der einfachen, aber wirklich köstlichen Mahlzeit.
„Sag mal“, ergriff ich kauend wieder das Wort und schämte mich beinahe schon für meine Neugierde, „haben durch die Schrecksenpost alle von euch von dem Marsch erfahren und sind jetzt auf dem Weg hierher?“
In dieser Frage steckte nicht nur aufrichtiges Interesse, sondern auch eine kleine Hoffnung. Wenn dem wirklich so wäre, dann würde ich hier in Atlantis womöglich nicht nur ein Wiedersehen feiern können. Es gab da doch noch andere, die ich immer mehr vermisste.
Pyrola lachte nur schallend auf und nahm sich einen der Äpfel aus meinen Korb. Die Frucht knirschte saftig, als sie hinein biss. „Das wäre ein Traum, denn dann würde es niemand mehr wagen, sich uns in den Weg zu stellen oder uns nicht ernst zu nehmen“, rief sie voller Begeisterung. „Leider ein unmöglicher Traum. Schrecksen sind nun mal Wanderseelen, da ist es nicht ungewöhnlich, wenn uns Botschaften erst viele Monate später erreichen, oder überhaupt nicht. Manche von uns hausen auch an Orten, die sie sogar vor ihresgleichen geheim halten. Und Botschaften ohne Empfänger können nicht geschickt werden.“ So erklärte sie es mir und belächelte mich für meine merkwürdigen Einfälle.
Ich ließ eine Birne aus unseren Einkäufen einen Moment durch die Hände wandern und empfand trotz der wenigen Hoffnungen doch eine tiefe Enttäuschung. Dann würden sie es also auch nicht erfahren haben, denn der Platz war doch genau ein solcher Ort.
Nachdem wir auch unseren fruchtigen Nachtisch verspeist hatten, erhob sich Pyrola auch schon wieder und blinzelte kurz in die Sonne. „Es wird Zeit, dass wir zurück gehen. Die Einkäufe werden gebraucht und wir haben genug getrödelt.“
Schon hatte sie sich wieder ihren Stock geschnappt und war vorausgegangen, zurück über den Markt. Ich seufzte ergeben und streckte mich kurz, ehe ich den Korb wieder an mich nahm. Mir graute vor dem Weg, vor allem vor den Stufen hinter der Efeumauer. Wie sollte ich die im Ganzen nach unten schaffen? Mein Arme waren müde und ich konnte den Korb gar nicht mehr richtig packen, dennoch schleppte ich ihn weiter über die Pflaster. Ich wollte die Schreckse hier nicht verlieren, der Trubel war mir noch immer unheimlich und ich hatte Angst, nicht mehr zurück zu finden.
Zu meinem Glück schien aber auch die Dicke müde zu sein, denn sie ging nur noch langsam und mied das schlimmste Getümmel. Als wir endlich wieder in den Schatten der Gasse tauchten, durch die wir den Marktplatz betreten hatten, war ich doch am Ende. Ich stützte mich auf den Korb und schob mir beinahe zornig die Kappe aus dem roten Gesicht. Verdammt, wie konnten so ein paar Äpfel nur so viel wiegen? Das waren keine Früchte, sondern Wackersteine.
Da ich nicht ewig japsend hier herumstehen wollte, packte ich den Korb am Griff und schleifte ihn hinter mir her. Mein gesamtes Gewicht legte ich hinein, zog und zerrte aus Leibeskräften. Nun kamen wir noch langsamer voran und meine Kerkermeisterin verlor darüber die Geduld. Ich staunte nicht einmal darüber.
„Meine Güte, du bist ja wirklich ein ausgemachter Mickerling. Da kann ja sogar so ein altes Weib, wie ich eines bin, mehr tragen“, fuhr sie mich letztlich an und nahm den Korb beinahe mühelos auf. Dafür warf sie mir eine Umhängetasche mit dem Mehl, Kräuterbüscheln und einigen Tontöpfchen in die Arme. „Komm jetzt.“
Erleichtert hängte ich mir diese tragbare Last um und eilte an die Seite der Schreckse, was mir jetzt wieder deutlich leichter gelang. Ich genoss die Ruhe und den Frieden, von denen wir empfangen wurden, gleich als wir das Ruinenviertel betraten. Auch hier herrschte das Leben, doch in einem weicheren Takt als dort in den Straßen der Stadt. Wir waren wohl nicht die Einzigen gewesen, die Besorgungen getätigt hatten. Hier und da zogen noch andere durch die Straßen, beladen mit Taschen und Körben voller Waren. Manchmal wurde ein ganzer Karren über die verwitterten Straßensteine gezogen, worauf meist eine erfreute Begrüßung folgte. Noch immer trafen Schrecksen ein. Wie lange es bis zum Marsch wohl noch dauern würde?
Pyrolas Unterschlupf war offenbar ein altes, verfallenes Lagerhaus. In zwei der Wände waren steinerne Regaletagen gebaut worden, auf denen die Schreckse schon allerhand lagerte. Kisten und Tiegel, Tontöpfe und dickbauchige Gläser standen dicht an dicht. Auf dem Boden lagen ordentlich zusammengefaltete Decken und Matten, die ihr offenbar als Schlaflager dienten, und vor einem Fenster, das jetzt kaum mehr als ein Loch in der Wand war, standen alte Kisten, auf denen Messer zum Kräuterschneiden und ein Mörser samt Stößel lagen. Ich spähte neugierig hinaus und erkannte, wie gut man alles von hier im Blick hatte. Mühelos konnte ich von hier aus das Zelt der Ältesten sehen und auch, was in den alten Gassen vorging, war zu überblicken. In einer Ecke stand ein alter, dreibeiniger Topf.
„Hilf mir einräumen, dann verschwinde. Ich muss der Ältesten ihre Vorräte bringen, da kann ich dich nicht brauchen“, verlangte die Dicke und stellte mir doch wieder den Korb mit Äpfeln vor die Nase.
Ganz wie sie es verlangte und immer nur durch ungeduldige Anweisungen geführt, räumte ich die Einkäufe an ihren Platz und stellte dann die Körbe ineinander. Endlich war ich fertig - und todmüde.
Pyrola hatte sich die besten Stücke ausgesucht und lud sie sich jetzt fast andächtig auf die Arme. „Geh jetzt, sonst nörgeln deine Freunde nur wieder.“ Mit diesen Worten warf sie mich hinaus und stapfte zum Aquädukt davon, ohne sich noch einmal umzublicken.
Ich rieb mir seufzend die schmerzenden Arme und schlurfte zurück zum Lagerplatz der Schrecksen. Schon von weitem stieg mir der Geruch von leicht Angebranntem in die Nase und auch sonst herrschte hier eine merkwürdige Unruhe. Über einem Feuer brodelten noch die traurigen Reste einer Mittagsmahlzeit, aber die Schrecksen sahen nicht wirklich satt und zufrieden aus. Ulex hob alarmiert den Kopf und schaute sich fast hektisch um, als meine Schritte auf dem weißen Kies zwischen den Trümmersteinen knirschten. Er rollte erleichtert mit seinen verwirrenden Augen und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
„Visus, da bist du ja endlich wieder. Wir wollten gerade losgehen, um nach dir zu suchen. Warst du etwa die ganze Zeit mit Pyrola unterwegs?“, begrüßte er mich stürmisch.
Ich nickte matt, ließ mich seufzend zwischen den Vieren nieder und lehnte den Kopf gegen den harten Stein in meinem Rücken. „Mit ihr wird sogar Einkaufen zum Abenteuer“, scherzte ich. Und zur Kraftprobe - wieder rieb ich mir die schmerzenden Arme und auch mein Rücken würde es mir sicher schlecht danken.
Der stummen Mentha entging derweil keine meiner Bewegungen. Missbilligend schüttelte sie den Kopf und forderte mich auf, vor ihr Platz zu nehmen, indem sie dort auf den Boden klopfte. Zwar konnte ich mir nicht erklären, was sie nun vorhatte, kam der Bitte aber nach. Kaum hatte ich mich zurechtgesetzt, begann sie mit geschickten Fingern, mich zu massieren. Ganz vorsichtig nur und vermutlich hatte das nichts mit einer echten Schrecksenmassage zu tun. Dennoch war es das Allerherrlichste, was mir seit langer Zeit zuteil wurde. Ich seufzte genießerisch und unterschlug bequemer die Beine. Bitte niemals aufhören. Die Zwillinge zogen fast gleichzeitig die Schnauzen kraus, als sie mich so zerschlagen sahen, und ähnelten sich damit noch mehr als ohnehin schon, wenn das überhaupt möglich war.
„Das ist ungerecht“, quengelte die Rechte.
„Wir wollten den Tag mit dir verbringen“, beklagte sich die Linke.
Als müssten sie das auf der Stelle nachholen, kamen sie von beiden Seiten zu mir heran und legten sich bäuchlings auf die Matten. „Aber das macht nichts. Das holen wir heute Abend nach.“ Die Eine übernahm das Wort der Anderen.
„Du wolltest was von Atlantis sehen, wir werden dir was zeigen.“
Ich lächelte die beiden etwas weggetreten an, freute mich aber von Herzen darauf, sie alle endlich wieder eine Weile länger in meiner Nähe zu haben.