40 Jahre zuvor
Es war früh am Morgen. Die Sonne verbreitete bereits eine wohlige Wärme. Eine Wohltat nach den vielen dunklen und kalten Tages des vorangegangenen Winters und viel zu feuchten Frühlings. Magdalena lief an der Hand ihrer Mutter Ursula durch den kleinen Marktflecken Heubach am Fuße der Burg Grimmlingen in der Nähe von Fürth. Noch hatten viele Bewohner des Dorfes ihr Tagwerk noch nicht begonnen. Nur Ursula war mit ihrer Tochter bereits auf dem Weg zur Burg. Schon kurz nach Sonnenaufgang erschien ein Bote des Burgherrn an ihrer Tür, überbrachte eine Order und mahnte sie zur Eile. Der Burgherr mochte ungern auf seine Untergebenen warten, ließ er wie nebenbei verlauten.
Interessiert schaute sich das fünfjährige Mädchen um. Alles war neu für sie - und interessant. Daher war sie neugierig wie schon lange nicht mehr. Die ungewohnte Umgebung schüchterte sie zwar noch etwas ein, aber das würde sich garantiert bald ändern, wenn sie Spielkameraden gefunden hatte.
„Nun komm schon“, mahnte Ursula ihre Tochter und schritt etwas schneller voraus. Die Kleine hatte Mühe, der Mutter zu folgen.
„Lass mich doch ein wenig schauen, Mutter. Als wir gestern hier ankamen, war es schon fast dunkel. Da konnte ich gar nicht sehen, wo wir sind, wer unsere Nachbarn sind, ob die vielleicht auch Kinder haben, mit denen ich spielen kann“, maulte das Mädchen. Es war ganz aufgeregt und wollte am liebsten die neue Umgebung sofort erkunden. „Außerdem frage ich mich, woher der Herr weiß, dass wir angekommen sind.“ Die kleine tat wie oft, recht altklug, was ihrer Mutter gar nicht passte.
„Magdalena! Mäßige dich!“, schimpfte Ursula mit dem Mädchen. „Wir müssen tun, was uns der Herr befiehlt! Jetzt erwartet uns erst einmal unser Herr. Den dürfen wir auf keinen Fall warten lassen. Später kannst du dich immer noch im Dorf umschauen und alles auskundschaften.“
„Ich habe aber keine Lust, zur Burg zu gehen. Viel lieber würde ich mir Spielkameraden suchen“, maulte Magdalena weiter. „Auf der Burg ist es garantiert ganz langweilig für mich.“
„Der Herr will uns sehen. Du hast doch gehört, was uns sein Bote übermittelte“, erklärte Ursula dem Kind. Sie war inzwischen etwas ungehalten über das unmögliche Betragen ihrer Tochter. Doch als sie an den Boten denken musste, der sich als Nickel vorgestellt hatte, klopfte ihr Herz vor Freude. Vom ersten Augenblick an war sie ihm wohlgesonnen. Obwohl sie ihn noch nicht kannte, kam es ihr vor, als würde sie ihn schon lange kennen. Ob er auch so fühlte? Ursula hoffte es. Aber jetzt mussten sie sich sputen, zur Burg zu kommen.
„Aber…“, doch Ursula schnitt Magdalena das Wort ab. „Kein Wort mehr! Tu, was ich dir sage! Dass du immer wiedersprechen musst!“ Ursula sah die Kleine streng an. Ohne auf sie zu achten, ging sie weiter. Magdalena folgte ihr lieber. Sie kannte ihre Mutter gut genug. Kam sie ihren Befehlen nicht nach, würde sie ihr eine Strafe aufbürden, eventuell sogar eine heftige Maulschelle. Ihre Mutter war viel strenger, als ihr verstorbener Vater, der seiner Tochter oft genug etwas durchgehen ließ. Doch das war leider Vergangenheit.
Während Magdalena trotzig neben ihrer Mutter lief, näherte sich ein Junge, der die Beiden interessiert anschaute. „Seid ihr neu hier?“, wollte der kleine Naseweis wissen. „Ach, was frage ich so dumm! Ihr seid ganz bestimmt die Neuen in der Kate am Wald. Ich habe euch gestern dort gesehen“, stellte er altklug tuend fest. „Mein Vater, der Dorfschulze, hat es auch beim Abendmahl erzählt.“
„Wir sind wirklich neu hier“, rief Magdalene ihm zu. Sie wollte noch nach seinem Namen fragen, kam aber nicht mehr dazu.
„Wir haben jetzt keine Zeit zu palavern“, mahnte Ursula ihre Tochter erneut und ging einfach weiter, ohne den Burschen zu beachten. Der sah ihnen nur kopfschüttelnd hinterher.
Magdalena gab es auf. Schon jetzt hatte sie erkannt, wann sie verloren hatte. Trotzdem wagte sie es, noch einmal zurück zu schauen und dem Bengel einen Blick zuzuwerfen. Ehe sie ihrer Mutter eilig folgte, winkte sie ihm nochmals kurz zu. Als ihr Ursula versprach, später noch ins Dorf gehen zu dürfen, wenn sie artig wäre, hüpfte ihr Herz vor Freude.
Der Weg hinauf zur Burg war für das Mädchen sehr anstrengend. Trotzdem ließ sie sich die Erschöpfung nicht anmerken. Als sie endlich den steilen Aufstieg geschafft hatten, vermochten sie ihre kleinen Füße fast nicht mehr tragen. Liebend gern hätte sie sich irgendwo ins Gras gesetzt und sich ausgeruht.
Am Burgtor wurden sie aufgehalten. Dem Wachmann erklärte Ursula, der Herr würde sie erwarten. Ihr wurde der Weg erklärt und schon durften sie passieren. Magdalena staunte über die riesigen Mauern, zwischen denen ein schmaler Weg entlangging, der zu einem Hof führte. Plötzlich war es gar nicht mehr so langweilig, wie sie angenommen hatte. Von überall her kamen andere Gerüche. Aus dem Stall konnte man das Quieken von Schweinen hören, die wohl gehalten wurden, um die Menschen auf der Burg zu ernähren. Dort trieb ein Mädchen ein paar Gänse vor sich her. Der Ziegenhirte scheuchte seine Tiere aus einem Möhrenbeet, wo sie sich gütlich taten. Ein Hund verfolgte eine Katze, die unverhofft stehenblieb, den viel größeren Verfolger anfauchte und mit ausgefahrenen Krallen ohrfeigte.
Eben kam ein Knecht aus einem kleinen Gebäude. Er erblickte die Frau und das Mädchen, kam näher und fragte nach deren Begehr. Ursula sagte ihren Spruch auf.
„Der Herr unterrichtet gerade seine Knappen im Schwertkampf“, teilte der Knecht Ursula mit und befahl der Frau, ihm zu folgen. Er ging ihnen zum Innenhof voraus, von wo bereits lautes Geschrei und die Geräusche zusammenschlagender Holzschwerter zu hören war. Der Herr stand inmitten einer Schar schwitzender Jungen verschiedenen Alters, die mit den Schwertern aufeinander eindroschen. Mit geübtem Auge beobachtete er jede noch so kleine Bewegung seiner Schützlinge. Er ging zu einem und korrigierte dessen Haltung, schimpfte oder lobte auch. Das alles lautstark genug, damit es alle hören konnten.
„Wartet hier“, beschied der Knecht Ursula und begab sich zu seinem Herrn. Dort angekommen, nahm er seine Mütze ab und berichtete. Der Herr schaute auf und blickte zu den Ankömmlingen. Ursula knickste und nickte ihm entgegen. Nachdem der Knecht Bericht erstattet hatte, sagte der Herr etwas zu ihm. Dann kam der Untergebene zu Ursula und Magdalena. „Ich soll Euch zur Herrin bringen. Der Herr hat jetzt keine Zeit für euch“, sagte er zu ihr. „Also folgt mir.“
Schweigend liefen Ursula und Magdalena neben dem Knecht und schauten sich weiterhin um. Sie kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Doch zum noch mehr Schauen kamen sie nicht, der Knecht schien es eilig zu haben. Schon kurze Zeit später erreichten sie die große Halle, in der Gäste empfangen wurden. Der Mann sprach eine der Mägde an, die geschäftig hin und her liefen.
„Die Herrin ist oben in ihrer Kemenate“, antwortete sie. „Ich gehe sogleich und melde die Ankömmlinge.“ Sie blickte zu Ursula. „Wartet hier“, sagte sie zu ihr und eilte flink wie ein Wiesel davon.
„Ihr braucht mich nun nicht mehr. Die Magd wird sich weiterhin um euch kümmern“, meldete sich der Knecht zu Wort.
„Vielen Dank für Eure Hilfe“, bedankte sich Ursula höflich. Der Knecht nickte nur und entfernte sich.
Wenig später kam die Magd zurück. „Die Herrin fühlt sich nicht wohl. Eigentlich empfängt sie an solchen Tagen niemanden. Doch sie macht heute eine Ausnahme, da du erst neu ins Dorf gekommen bist und sie dich und deine Tochter kennenlernen möchte. Daher soll ich euch zu ihr in die Kemenate bringen“, erklärte die junge Frau. „Kommt bitte mit.“ Sie führte Ursula und ihre Tochter eine schmale Treppe nach oben. Ursula wunderte sich, warum sie nicht die große Treppe nach oben nahmen. Doch die Magd lachte nur darüber und meinte, diese wäre nur für die Herrschaften und deren hochwohlgeborenen Gäste gedacht. Mägde und Knechte müssten die Dienstbotentreppe nehmen.
Im Obergeschoss angekommen, sahen sie einen langen Gang, von dem links und rechts Türen abgingen. Ihre Begleiterin ging zielstrebig auf eine Tür zu und klopfte.
Von drinnen hörten sie ein „Herein“. Die Magd öffnete die Tür, ließ die Besucherinnen kurz warten und betrat die Kammer der Herrin. Sie meldete die Ankunft der neuen Dorfbewohnerinnen, die daraufhin ebenfalls eintreten durften.
Ursula betrat mit Magdalena an der Hand den düsteren Raum. Obwohl es bereits Frühsommer war und für die Tageszeit recht warme Temperaturen herrschten, war der Fensterladen geschlossen. An der Wand steckten in einem Leuchter mehrere brennende Kerzen und erhellten die Kammer. Auf dem Bett konnte Ursula die Burgherrin sehen. Sofort wandte sie sich dieser zu und knickste artig. Magdalena machte es ihrer Mutter nach, blieb aber schüchtern im Hintergrund.
„Du bist also die Neue im Dorf“, ließ die Burgherrin nach einer Weile von sich hören. „Ich bin Helena von Grimmlingen. Sag mir deinen Namen.“
„Mein Name ist Ursula und das ist Magdalena“, erwiderte Ursula und knickste erneut.
„Die Kleine ist deine Tochter?“, wurde sie gefragt.
Ursula schob Magdalena nach vorn, damit Helena von Grimmlingen sie ansehen konnte. „Sie ist meine Tochter und fünf Jahre alt“, erwiderte Ursula.
„Hübsch, die Kleine“, stellte Helena ganz verzückt fest. „Falls der Herr mir eine Tochter schenken sollte, könnte sie deren Spielgefährtin und später deren Zofe werden.“ Die Kleine gefiel ihr sehr.
„Ihr seid gesegneten Leibes?“, fragte Ursula interessiert.
Helena von Grimmlingen lächelte. „So es der Herr will“, erwiderte sie. „Aber erst muss ich meinem Gatten einen Erben gebären. Danach können Töchter kommen.“ Zärtlich strich sie über ihren noch wenig gewölbten Leib.
Ursula lächelte bei diesem Anblick. So kannte sie es von ihrer Schwangerschaft mit Magdalena. Damals hatte sie oft ihren immer größer werdenden Bauch gestreichelt, als könne das Kind die Liebe, die sie für es empfand bereits spüren. Schwangere Frauen waren seitdem für sie immer sofort zu erkennen. Sie hatte aber auch gehört, dass die Burgherren darauf Wert legten, dass die Gattinnen ihnen Erben schenken. Doch weiter kam sie mit ihren Überlegungen nicht.
„Sag, wo kommt ihr her? Dein Dialekt klingt mir so fremd“, fragte Helena.
„Wir kommen aus dem Schwäbischen“, antwortete Ursula. Ein schmerzlicher Stich durchfuhr sie, als sie an ihre Heimat und ihren verstorbenen Gatten denken musste. Schnell schob sie die unguten Gedanken weg und konzentrierte sich darauf, der Herrin Rede und Antwort zu stehen.
„Ein weiter Weg bis hierher. Warum bist du nicht im Schwäbischen geblieben?“
Vor dieser Frage hatte sich Ursula gefürchtet und hoffte, die Herrin würde sie nicht stellen. Doch sie war der Ansicht, zu lügen würde sie nur in schlechtes Licht rücken. So blieb sie lieber bei der Wahrheit. „Mein Ehemann ist vor einem knappen Jahr gestorben. Nach dem Trauerjahr wollte mein Vater mich neu vermählen, damit ich versorgt bin und ihm nicht auf der Tasche liege. Ich aber weigerte mich, den Mann, der als gewalttätig galt, zu ehelichen. Daraufhin verstieß mich mein Vater. Meine Mutter wollte dies verhindern, aber leider konnte sie nichts ausrichten. Mein Gemahl hat mir zum Glück genügend hinterlassen, dass ich es wagen konnte, meine Heimat zu verlassen. So bin ich hierhergekommen. In Heubach entdeckte ich eine leerstehende Hütte, die mir gefiel. Der Dorfschulze überließ sie mir gerne gegen einen kleinen monatlichen Obolus.“
„Das tut mir leid mit deinem Gatten“, sagte Helena. „Ich hoffe, du wirst dich hier schnell heimisch fühlen und bald einen Mann finden, der auch deinem Kind ein guter Vater sein wird.“
„Das wünsche ich mir sehr“, erwiderte Ursula. „Doch bis dahin muss ich allein für meine Tochter und mich sorgen.“ Sie blickte zu Helena, die sie immer noch interessiert musterte.
„Uns ist gerade eine Küchenmagd verstorben. Du kannst sie ersetzen, wenn du magst. Im Dorf haben wir leider noch niemanden gefunden.“
„Das ist sehr gütig von Euch“, entgegnete Ursula erfreut. „Trotzdem würde ich lieber im Dorf bleiben, wenn Ihr erlaubt. Ich bin nicht gerade begabt in der Küche.“
„Wie du willst“, antwortete Helena. „Du kannst dich jederzeit an mich wenden, falls du dich doch anders entscheiden solltest. Ich werde ganz bestimmt hier in der Burg eine Aufgabe für dich finden.“
„Herzlichen Dank, Herrin“, sagte Ursula erneut und knickste. „Vielen Dank auch, dass Ihr mich trotz Eurem Unwohlsein empfangen habt. Ich kann Euch meine Hilfe während Eurer Schwangerschaft anbieten.“
„Du kennst dich aus?“, wollte Helena erfreut wissen.
„Aber ja“, entgegnete Ursula. „Ich kann Euch behilflich sein, Euer Kind auf die Welt zu bringen und Euch die Schwangerschaft erträglicher machen. Manche Frauen fühlen sich unwohl, vor allem in der ersten Zeit, dem kann ich vorbeugen“, gab sie zu.
„Du bist eine Kräuterkundige?“ Ursula bejahte es. „Sehr schön. Ich werde meinen Gemahl bitten, dich rufen lassen, wenn es soweit ist. Die alte Hebamme ist mir zuwider. Sie möchte ich nicht an mich heranlassen. Die alte Hexe hat keinen guten Ruf und könnte mir mehr schaden als behilflich zu sein. Ich muss meinem Gatten einen gesunden Erben zur Welt bringen.“
„Vielen Dank für Euer Vertrauen.“ Ursula freute sich sehr, dass ihre neue Herrin ihre Dienste in Anspruch nehmen wollte.
„Ob ich Vertrauen in dich haben kann, werde ich erfahren, wenn es soweit ist“, wehrte Helena ab und setzte sich auf. „Doch nun lass mich allein. Ich bin müde und möchte mich ausruhen.“
„Sehr wohl, Herrin“, erwiderte Ursula. „Ich werde Euch später ein paar Kräuter bringen lassen. Die als Aufguss getrunken, werden sie Euch wohltun“, versprach sie noch, ehe sie mit Magdalene die Kemenate verließ.
„Mutter, werden wir nun öfter auf der Burg sein?“, plapperte Magdalena auf dem Weg zurück ins Dorf.
„Ich hoffe es“, sagte Ursula zu ihrer Tochter. „Herrin Helena wird hoffentlich weiter gesegneten Leibes sein und ihrem Gatten einen Erben schenken. Damit haben wir einige Zeit ein Auskommen. Die hohen Damen verlangen während einer Schwangerschaft meist sehr viel mehr nach einer Hebamme, als die Frauen einfacher Leute“, erklärte sie Magdalena noch.
„Aber Mutter, die Herrin sagte doch, ich könne die Spielgefährtin ihrer Tochter werden.“ Magdalena zog enttäuscht eine Schnute. Am liebsten wäre sie sofort zurück zur Burg gerannt, um die Herrin zu bitten, doch bald ein kleines Mädchen zur Welt zu bringen. Ihre Mutter lachte aber nur darüber und meinte, dies müsse sie schon der Herrin und deren Gemahl überlassen. Sie selbst hätte da keinen Einfluss darauf.
„Meine Kleine, es tut mir so leid, dir das so sagen zu müssen“, tröstete Ursula ihr Kind. „Bei den Herrschaften ist es etwas anders als bei uns einfachen Leuten. Den Hochwohlgeborenen sind Söhne lieber als Töchter, die meist nur Geld kosten.“ Es tat ihr im Herzen weh, der Kleinen das so erklären zu müssen. Sie konnte nur darauf hoffen, dass die Burgherrin ihr Versprechen hielt und Magdalena später in ihre Dienste treten konnte. Damit hätte sie eine Sorge weniger.
Zurück im Dorf bemerkte Ursula einige Frauen, die sich unter der Dorflinde versammelt hatten und den neuesten Tratsch austauschten. Sie ging zu ihnen.
„Gott zum Gruße“, sagte Ursula zu ihnen, als sie näherkam.
„Dir ebenso“, grüßten die Frauen. „Du bist die Frau, die die Kate am Dorfrand bezogen hat“, fragte eine, die anscheinend als Anführerin der Gruppe galt.
„Die bin ich“, erwiderte Ursula und nannte ihren Namen. „Das ist meine Tochter Magdalena“, stellte sie nun auch noch ihr Mädchen vor.
„Ich bin Gundula“, stellte sich die Anführerin vor und nannte auch noch die Namen ihrer Freundinnen, die sich Ursula interessiert anschauten. „Womit verdienst du deinen Lebensunterhalt?“, wollte sie dann wissen. „Wie ich vom Dorfschulzen vernommen habe, bist du ohne männliche Begleitung gekommen.“
„Das stimmt. Leider ist mein Gatte verstorben. Nun bin ich allein auf mich gestellt“, gab Ursula gerne Auskunft. Dass sie vor einer erneuten Vermählung geflohen war, verschwieg sie lieber. „Ich stelle Salben und Heilmittel aus Kräutern her. Vor allem Frauen liegen mir am Herzen. Ihnen stehe ich bei, wenn sie Kinder unter dem Herzen tragen und diese zur Welt bringen“, erzählte sie weiter. Sie nahm an, alle Frauen hier waren noch jung genug, um Kinder bekommen zu können und sah einige von ihnen sogleich als potentielle Kundinnen.
Gundulas Augen leuchteten auf. „Eine wie dich können wir hier im Dorf gut gebrauchen. Die nächste Hebamme wohnt zwei Wegstunden von hier entfernt. Ehe sie da ist, ist es meist schon zu spät. Außerdem ist sie schon sehr alt und ist nur noch selten dazu zu bewegen, einen so weiten Weg zu einer Gebärenden zu gehen“, erwiderte sie erfreut. „Die Alte soll eine Hexe sein“, flüsterte sie Ursula zu. „So etwas möchten wir nicht im Dorf.“ Auch die anderen Frauen nickten daraufhin zustimmend.
„Dass die alte Hebamme eine Hexe sein soll, hörte ich bereits von Herrin Helena“, antwortete Ursula und bot im gleichen Atemzug den Frauen ihre Hilfe bei Schwangerschaft und Geburt an. Sie plauderten noch eine Weile, ehe Ursula sagte: „Doch nun muss ich gehen. In und um meine Kate ist noch viel zu tun. Sie war wohl sehr lange unbewohnt und ist dementsprechend schmutzig.“ Sie verabschiedete sich und wollte schon weitergehen.
„Leb dich gut ein“, sagte Gundula. „Wenn du Hilfe brauchst, schicke deine Kleine zu mir. Mein Gatte und ich wohnen dort drüben.“ Sie zeigte auf eine stattliche Hütte, vor der Beete angelegt waren, auf denen sogar Blumen blühten.
„Herzlichen Dank, Gundula“, erwiderte Ursula und bedeutete Magdalena, ihr zu folgen. Die Frauen schauten ihr tuschelnd nach bis sie mit ihrer Tochter um die nächste Ecke bog.