Aufgabe 1:
Erkennen und Annehmen
Per Handschlag wurde die Wette zwischen mir und Mario vereinbart und er überreichte mir den Zettel mit den Aufgaben.
Okay, Aufgaben war vielleicht etwas zu viel gesagt, es war mehr oder weniger, ein Ablaufplan der Zwischenziele aufzeigte, die ich zu lösen hatte, bis am Ende die Aufgabe gelöst war. Mario schien außer sich vor Freude, dass ich die Wette angenommen hatte, faltete vor Begeisterung die Hände zusammen und rieb sie sich. Ich nahm den Zettel entgegen und steckte ihn in meine Jeans, ohne ihn zu lesen.
Wir schlenderten noch eine Zeit lang unter der heißen Sonne nebeneinander her, als mir langsam der Geduldsfaden riss. Immer wieder fragte ich mich, für was für ein Mädchen Mario sich entschieden hatte. Welches sollte ich erobern? Nun es müsste kein Problem darstellen, ein Mädchen innerhalb von drei Monaten so weit zu bringen, dass sie sich mit Haut und Haaren in mich verliebte. Ich wäre nicht ich, wenn ich ein weibliches Wesen nicht rumkriegen würde und drei Monate waren dafür einfach eine lachhaft lange Zeit. Ich war ja nicht eingebildet, oder so, aber ich sah nun mal sehr gut aus. Frauen flogen auf mich und ich hatte noch nie ein Problem, sie in mein Bett zu bekommen. Damen konnten mir einfach nicht widerstehen. ›Ich bin ein Mann und Männer sind bekanntlich Jäger und Sammler‹. An einer festen Beziehung war mir noch nie gelegen, mich interessierte es nur, die Ladys zu erobern, um auf meiner Erfolgslatte eine weitere Kerbe hinzuzufügen. Ein Mädchen, eine Frau, egal, wenn ich sie wirklich wollte, hatte ich sie noch am selben Tag an der Angel und im Bett. Eigentlich war es egal, für wen er sich entschieden hatte. Mario hatte die Aufgaben gestellt und ich gab mich damit zufrieden.
›Nun gut, Wette ist Wette und ich, Samuel A. J. Höllesing, bin der Meister der Wetten‹. Es war noch nie der Fall, dass ich eine Wette verloren hatte und ich würde auch diese gewinnen.
»Also, welches Mädchen. Welches soll es sein? - Ich weiß, dass du dir schon ein Mädchen ausgesucht hast und ich finde es von dir ziemlich blöd, dass ich sie dazu bringen soll, sich in mich zu verlieben. - Es reicht doch, wenn ich sie flachlege und was ist, wenn sie gar nicht mein Typ ist?«, versuchte ich die Situation etwas aufzulockern, denn ich sah, dass Mario selbst nervös war.
»Seit wann machst du dir Gedanken darüber, ob du einem Mädchen das Herz brichst. Das ist dir so was von Jacke wie Hose!«, entgegnete mir Mario. Ich verdrehte nur die Augen.
Jepp, er hatte recht. Mir war es wirklich egal, wie sich das Mädchen fühlte. Die Frauen hier in dieser Stadt schauten auch nur auf das Geld meiner Eltern und warum sollte ich es nicht ausnutzen. Etwas Spaß im Leben hatte einem noch nie geschadet.
Die Sonne brannte höllisch und ich war schon gewillt mein T-Shirt auszuziehen, nur um etwas Erleichterung zu spüren. Wäre aber nicht so gut gewesen, denn dann wäre ich, bevor ich mich versah, in einer Arrestzelle der Polizei gelandet. Okay, also wegen eines ausgezogenen T-Shirts wäre ich wohl nicht gerade abgeführt worden. Allerdings ging ich vor einiger Zeit eine Wette ein, die von mir verlangte, nur mit einer Unterhose bekleidet, durch den Park zu laufen. Dabei hatte mich leider die Polizei erwischt und nun hatte ich eben diese Auflage, so wenig Haut zu zeigen, wie möglich. Als wäre das für mich ein Hindernis, also zog ich das Shirt aus.
Mario schlenderte einfach weiter, ohne die vorbeigehenden Mädchen zu beachten. Er schien auch nicht sonderlich zu suchen und so stieg meine Nervosität stetig an.
Bis zu diesem einen Moment als Mario einem Mann die Hand gab. Meine Nerven explodierten und einzig und allein der Gedanke ›Das ist doch ein Witz‹ hielt mich davon ab, in dem Augenblick auszurasten.
Dieser musterte mich kurz mit einem durchdringenden Blick und nickte mir zu. Dies reichte schon aus, um zu wissen, dass ich ihn nicht leiden konnte. Es wirkte sehr herablassend. Unnahbar und arrogant in einem. Er und ich, wir waren uns zu ähnlich. Danach ging er einfach weiter.
Mario ließ sich nicht weiter stören und ging zu einem Eiswagen. Kaufte sich ein Eis und schlenderte, wie er es schon die ganze Zeit tat, zurück.
»Wer war dieser Typ?«, rutschte es mir heraus. Er blickte mich nur an, schüttelte leicht den Kopf und nahm einen Bissen von seinem Eis, was mich erschauern ließ. Ich konnte es auf dem Tod nicht ausstehen, von einem Eis abzubeißen. Geschweige denn einem dabei zuzusehen, wie er von seinem Eis abbiss. Ein Eis leckte man. Und zwar genüsslich.
Da meinte er nur; »Deine Eroberung! - Ach und zieh dir das Shirt wieder an. Wir sind hier im Gebiet der Reichen und Schönen, - falls du es noch nicht mitbekommen hast. - Herrgott ist das Eis teuer. 1,20 für eine Kugel und schmecken tut es auch nicht, …«
Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Laut Wette sollte es ein Mädchen sein, das Mario per Händeschütteln auswählte, aber das, das war definitiv kein Mädchen. Das war ein Mann und ein gut aussehender noch dazu, wie ich zugeben muss. Nicht dass ich was für Männer übrig hätte.
Ich suchte die Spucke in meinem Mund, die mir auf fatale Weise abhandengekommen zu sein schien.
Mario stand stumm neben mir und noch immer weigerte er sich, seinen Blick von mir zu nehmen. Dies war die Herausforderung und irgendwie kam mir mein bester Freund nicht mehr so schüchtern und unbedarft vor. Sein Gesicht wurde nicht rot und er trat auch nicht von einem Fuß auf den anderen. Er stand einfach nur da und starrte mich an. Irgendwann, nach ewig langen Sekunden fand ich meine Stimme wieder und polterte los.
»Sag mal spinnst du? Ein Kerl?« Er zuckte nur mit den Schultern.
»War da nicht irgendwas von einem Mädchen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nie! Ich sagte, dem Erstbesten dem ich die Hand schüttle und er war halt eben gerade da.«
»Mir kommt das wie ein abgekartetes Spiel vor. Du und er, ihr habt das doch geplant!« Mario schüttelte erneut den Kopf.
»Der Typ weiß nichts davon. Ach Sam, wenn dir die Wette zu schwierig ist, … ich freue mich auf deinen Wetteinsatz, morgen … auf dem … Pausenhof.«
Er funkelte mich an. Nein das war pure Herausforderung. Pure eiskalte Berechnung. Mario forderte mich zu einem doofen Wetteinsatz heraus, der die Peinlichkeit in Person war. Damit jeder wusste, dass ich eine Wette verloren hatte. ›Nein! Ich bin der Meister der Wetten und ich werde nicht klein beigeben und doch, …‹
»Ein Kerl?! Ich glaube, du spinnst wirklich! Ein Kerl, ein Typ, einer mit einem Gestänge da unten, … nee. Das kannst du nicht von mir verlangen.«
Er zuckte wieder nur mit den Schultern und meinte, dass er sich ein Plätzchen im Schatten suchen würde.
Und mich ließ er einfach in der prallen Sonne zurück und ich glaubte sogar, dass sich meine Körpertemperatur um mehr als zehn Grad erhöht hatte. Ein Kerl! War das denn zu fassen. Nein. Nie und nimmer!
Ich winkte ab und setzte mich zu ihm in den Schatten. Mein Shirt zog ich mir wieder an.
Aber was sollte ich machen? Den Schwanz einziehen? Das war ein Ding, das nun mal gar nicht ging. Ich gab nicht einfach auf. Egal, wie schwierig oder ekelhaft die Wette auch sein mochte. Aber einen Typen flachlegen? Was hatte sich Mario nur dabei gedacht? Wenn es nur flachlegen wäre, damit hätte ich vielleicht noch umgehen können, ein Loch war ein Loch, auch wenn mir feuchte und nasse Eingänge lieber waren. Aber gleich erobern?! Dass derjenige mir sozusagen gleich einen Heiratsantrag machte?! Oh Herr im Himmel.
Dieser und jener Gedanke huschten durch meinen Kopf und ich studierte erneut den Zettel.
Noch einmal las ich mir die Aufgaben durch und ein zweites und ein drittes Mal. Aber die Aufgaben änderten sich nicht, also faltete ich den Zettel wieder zusammen. Als ich aufblickte, schleckte Mario immer noch an seinem Eis.
Ein Kerl! Das war pure Berechnung, so gemein. So gern ich Mario als Freund auch hatte, aber es gab Grenzen und diese hatte er gewaltig überschritten.
»Noch kannst du es dir ja überlegen, aber sei gewiss, wenn du kneifst, dass ich dich dann morgen, wie ein Huhn gackernd, über den Pausenhof rennen sehen will. Entweder das und alles ist vergessen, oder du schaffst es in drei Monaten, dass der Typ dir mehr oder weniger aus der Hand frisst«, beantwortete er meine Gedanken, so als ob er sie gelesen hätte.
»Wer ist dieser Kerl überhaupt und warum gerade er? Warum überhaupt ein Kerl?«
»So viele Fragen, auf die es keine Antworten gibt. Ich sage einfach mal, … das Schicksal hat entschieden.«
»Du spinnst doch echt, ey!«
Wieder zuckte er nur mit seinen Schultern und ließ mich alleine zurück.
Als ich daheim ankam, hatte ich immer noch keinen Plan. Die einfachste Lösung wäre, die ganze bescheuerte Wette in den Wind zu schießen. Nur dann müsste ich am nächsten Morgen wie ein gackerndes Huhn über den Pausenhof hüpfen und immer wieder vor mich hin jodeln: »Ich habe die Wette verloren. Ich habe die Wette verloren. Mario hat gewonnen. Mario hat gewonnen. Mario ist der King.« Nee, ein absolutes No Go.
Was war noch mal Marios Wetteinsatz, wegen dem ich überhaupt erst die Wette angenommen hatte? Die komplette Staffel von Star Wars Animation in 3-D. Ein Jahresabo für ›World of Warcraft‹ und vier Kästen Bier.
Schon allein dieser Einsatz ließ mich erkennen, dass Mario mich besser kannte, als mir lieb war. Nein, mehr noch, er hatte mich an der Angel. Er wusste, dass mir meine Eltern ›World of Warcraft‹ gesperrt hatten. Dass ich schon lange die komplette Staffel der animierten Star Wars Serie haben wollte, sie mir aber wegen notorischen Geldmangels nie leisten konnte. Und vier Kästen Bier. Nun ja, davon hatte Mario auch etwas. Und ich? Ich sollte als gackerndes Huhn über den Pausenhof hüpfen. Mein Wetteinsatz war im Gegensatz zu Marios Einsatz sehr gering, aber diese Peinlichkeit. Diese öffentliche Zurschaustellung, dies ging absolut nicht, nie und nimmer. Wer war ich denn? Der Depp vom Dienst oder was?
Der Abend kam und ich hatte meine Hausaufgaben immer noch nicht erledigt, die mir in der Regel aber auch scheißegal waren. Mario machte sie immer, er brauchte es zu lernen. Ich nicht. Ich hätte, wenn ich gewollt hätte, meinen Abschluss schon seit über zwei Jahren in der Tasche haben können, aber ich wollte nicht.
Damals wollte ich Mario nicht alleine lassen, denn er wurde immer von irgendwelchen Typen aus höheren Klassen gemobbt. Und er sah zu der Zeit, mit seinen vierzehn Jahren, nicht gerade wie ein gestandener Mann aus. Okay, er sah noch immer genauso schmächtig aus, wie damals. Und trug noch immer diese unmögliche Brille. Obwohl ich ihn schon öfters gefragt hatte, warum er keine Kontaktlinsen benutzte. Er meinte dann nur, dass er sie nicht verträgt.
Mein Handy klingelte und ich blickte auf das Display. Mario!
»Dass du dich überhaupt noch traust anzurufen!«, schnauzte ich ihn an.
»Hey, mal langsam. Ich habe nur eine Frage. Immerhin mache ich für dich die Hausi mit, die du dann nur noch abzuschreiben brauchst.«
»Ja, wenn sie denn richtig wären. Also schieß los!«
Wie üblich hatte er immer beim gleichen Fach seine Probleme und wir telefonierten ungelogen noch eine ganze Stunde und diskutierten über den Stoff.
»Hast es jetzt endlich geschnallt oder soll ich wieder von vorne anfangen!«, schnauzte ich ihn wieder an. Auch wenn ich es eigentlich nicht wollte, so war ich doch noch sauer auf ihn.
»Ja ich glaube, ich habe die Aufgabe kapiert. Danke Sam.«
»Passt schon. - Ach Mario – Kikeriki, …!«
»Was du gibt auf????«, schrie er begeistert ins Telefon und ich, ich atmete resigniert ein.
»Einen Hühner-Sam, das wird ein Schauspiel. Yeah … gewonnen, gewonnen!«, er legte auf. Kurz schüttelte ich mich und war im nächsten Moment nicht nur wütend auf mich selbst. Ich hatte tatsächlich eingestanden, dass ich die Wette als verloren anerkannte. Mit anderen Worten, am nächsten Morgen hüpfte ich gackernd über den Pausenhof. Welche Ironie des Schicksals. Aber eigentlich war dies definitiv ein totales No Go.
Ich schloss die Augen und mir war, als ob sich ein dunkler, bohrender und stechender Blick tief in meine Seele brannte.
Ich schreckte hoch.
»Scheiße, ich kenne diesen Typ!«, rief ich. Aber leider wusste ich nicht woher.
Da war es endgültig mit meiner Nachtruhe vorbei. Immer wieder sah ich diese Augen und wälzte mich von einer Seite auf die andere.
Das letzte Mal, als ich auf meinem Wecker blickte, war es bereits weit nach Mitternacht und es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten würde, dass ich in dieser Nacht geschlafen hätte.
Ziemlich gerädert stand ich auf und schlurfte in die Küche. Nicht anders als erwartet, stand nur die Haushälterin am Herd und bereitete das Frühstück vor.
»Guten Morgen!«, murmelte ich und setzte mich an den Tisch.
»Guten Morgen Sam! Dein Frühstück ist gleich fertig. Heute gibt es Spiegeleier auf Brot.«
»Hmm, Strammer Max!«
Sie nickte und stellte mir auch gleich den Teller hin.
»Ela, weißt du, wann meine Eltern heimkommen?«
Sie schüttelte den Kopf und ich schnaubte resigniert.
Da waren sie schon über zwei Wochen unterwegs. Und das Beste, sie hatten es nicht einmal für nötig gehalten, mich an meinem Geburtstag anzurufen. Der war letzte Woche. Nur Ela und Mario hatten daran gedacht und eine kleine Feier organisiert, nur für uns drei. Sicherlich, wenn ich gewollt hätte, so hätte ich eine Party steigen lassen können, zu der ich die halbe Stadt hätte einladen können. Nur wollte ich nicht.
Ein paar Mal stocherte ich im Essen, trank meinen inzwischen nur noch lauwarmen Kaffee aus und machte mich auf dem Weg in die Schule.
Feige daheimzusitzen und den Kranken zu markieren, - diese Ausrede drang zwar unaufhaltsam in mir hoch, war aber genauso wie diese Wette ein No Go.
Mit meinem Rucksack auf dem Rücken stand ich vor der Einfahrt zur Schule. Schon von Weitem sah ich, wie Mario sein Handy vorbereitete, um mich zu filmen. Diesen Moment musste er doch wirklich festhalten, ich schüttelte den Kopf. Atmete noch einmal resigniert und betrat das Schulgelände.
Mario sprach etwas, wahrscheinlich eine Einleitung, für die Aufnahme auf seinem Handy.
Ich hob meine Hand zum Gruß und hörte nur noch, wie er sagte, »Bis zu Sams großem Auftritt sind es noch, …«, er blickte auf seine Armbanduhr, »ca. 110 Minuten. Der Countdown läuft. - Hey!«, begrüßte er mich, nachdem er sein Handy in die Hosentasche verstaut hatte.
»Hey! Und hast die Matheaufgabe noch fertig gebracht?«
Ich musste mich ablenken. Mario hingegen grinste breit, als er mir zunickte.
Von überall kamen meine Kumpel oder welche die es gerne sein wollten und schlugen mir auf die Schulter. Ihre gehässigen Gesichtsausdrücke waren unmissverständlich. Mario hatte seine vorlaute Klappe wohl wirklich nicht halten können und in mir brodelte die Wut hoch.
Wie konnte er nur? Ich bin Sam, der Meister der Wetten, und es gab auf der Welt keine, aber auch absolut keine Wette, die ich nicht meistern konnte. Die ich nicht gewinnen konnte und so würde es auch mit dieser sein. Scheiß auf das kleine Detail, dass meine Eroberung ein Mann sein sollte. Ich musste ja nicht gleich mit ihm ins Bett steigen. Ich musste ihn nur dazu bringen, sich in mich zu verlieben und mir fiel dieser alte Song von ABBA ein ›The winner takes it all‹. Ich stand auf ABBA. Na und?
Und was?
Wo lag das Problem?
Es gab doch eigentlich keines!
Doch! Gab es!
Er war ein Mann!
Und ich stand auf Frauen!
Verdammt noch mal ich stand auf Frauen. Auf Brüste, auf Kurven, auf eine feuchte Muschi, auf eine Knospe, die stetig durch meine Penetration anschwoll, …
Kurz schüttelte ich mich und ließ Mario stehen. In diesem Moment wollte ich ihn nicht sehen. Er hatte mit mir gewettet und ich war darauf eingegangen. Nur hatte er diese kleine Tatsache, dass es sich dabei um einen Mann handeln würde, verschwiegen.
Ich betrat das Klassenzimmer und sämtliche Augenpaare waren auf mich gerichtet. Ich versuchte sie zu ignorieren, doch eine bestimmte Stimme, konnte ich schon anhand ihrer Tonlage nicht außer Acht lassen.
»Ey Samyboy, stimmt es wirklich, dass du eine Wette aufgegeben hast? - Ist ja wirklich sehr untypisch für dich. Für den Meister der Wetten oder wie du dich immer nennst.«
Ich blickte in seine Augen und sie strotzten nur so vor hämischer Herablassung. Kevin ein Typ aus der untersten Schicht. Vielleicht wären wir irgendwann einmal Freunde geworden, doch seine Aussage, dass alle, die etwas mehr Geld hatten als er, Aasgeier und Staatsschmarotzer seien, hatte dies verhindert. Da er damit auch meine Eltern und mich meinte. Außerdem hatte er versucht, seine Meinung auch ziemlich schlagkräftig zu untermauern. Aber er ging mit einer gebrochenen Nase zu Boden und meine Eltern mussten Schadensersatz leisten. Doch das war mir egal, wenn Kevin es denn brauchte, bekam er es gerne wieder.
»Was war das denn für eine Wette? Die angeblich zu schwer für dich ist! Musstest du Mario den Arsch abwischen?« Seine Kumpanen stimmten in sein Lachen mit ein und abermals schüttelte ich den Kopf. Was wäre es für eine Erleichterung ihn einfach in meine Faust laufen zu lassen. Nur durfte ich das nicht mehr. Mir wäre sonst ein Zwangsurlaub von vier Wochenenden im Jugendarrest aufgebrummt worden.
»Hey Kevin, was hältst du davon, wenn du diese Wette übernimmst und Samyboy so richtig zeigst, wie es geht«, laberte das Schoßhündchen von Kevin, Malven.
»Yeah, das ist gar keine so schlechte Idee!«, ging Kevin darauf ein, aber ich wusste, dass diese Clique nur große Sprüche klopfte.
Kevin war mein ewiger Rivale. Er hatte den gleichen Ruf wie ich, den noch nie eine Wette verloren zu haben. Nur, und das wusste ich mit ziemlicher Sicherheit, ging es bei ihm nie fair zu und das war bei mir das oberste Gebot. Dies war der ausschlaggebende Grund, weshalb ich noch nie auf eine Wette mit ihm eingegangen war. Aber irgendwann würde ich es diesem Wichtigtuer zeigen, ich bekam nur noch am Rande ihre sinnlose Unterhaltung mit.
Wie an jedem dieser fünf Tage in der Woche, in denen ich zum Unterricht musste, blickte ich gelangweilt aus dem Fenster. Wie gesagt, ich hätte nach dem Stand meines Wissens schon vor über zwei Jahren den Abschluss machen können. Und hätte jetzt, den dritten Doktortitel in der Tasche, zumindest dann, wenn die Onlinetests bewertet werden würden. Oder wäre irgendein Fachingenieur oder Mathematiker. So vergeudete ich meine Zeit hier neben Mario und spielte mich als dessen Beschützer auf. Ich hätte ihn vor vielen Jahren ignorieren sollen und ich wäre nun, … ach keine Ahnung wo! Egal, nur nicht hier. Hier neben meinem besten Freund, der mich auf seine Weise herausgefordert hatte und selbst einen auf schüchtern machte.
Wie immer beobachtete ich ihn eine Zeit lang. Mario, wie er an einem Kohlebild skizzierte. Er malte einfach fantastisch und es war sein Traum auf die Kunstakademie zu gehen, um dort zu studieren. Nur waren seine Schulnoten zu schlecht. Wieder schüttelte ich den Kopf, es war das wievielte Mal? Ich wusste es nicht.
»Hey Mario. Du weißt schon, dass ich diese Wette nicht aufgegeben habe.«
Er rutschte mit seinem Kohlestift ab und versaute damit das ganze Bild.
»Was? Aber du hast doch am Telefon gegackert!«, entgegnete er mir.
»Gegackert schon, aber nicht wie ein Huhn.«
»Hä? Du hast aber kikeriki, …«
»Schon, das war aber der morgendliche Weckruf eines Gockels und nicht das normale Gackern eines Huhnes.«
Er blickte mich ziemlich irritiert an.
»Du hast mich genauso falsch verstanden, wie ich dich. - Mario, du hättest gestern, als du erfahren hattest, dass ich die Wette falsch verstanden habe, abbrechen müssen und die Wetteinsätze wären annulliert worden. Du bist der Wettvorgeber und es lag in deiner Hand. Oder du hättest mich noch einmal darauf hinweisen müssen, dass es sich um einen Mann handelt und ob ich noch gewillt wäre, diese Wette fortzusetzen.«
Er blickte mich verdattert an und ich sah, dass er meinem Wetteinsatz hinterher trauerte. Erst viele Sekunden später reagierte er und schüttelte, für meine Bedürfnisse, viel zu langsam den Kopf.
»Du hast in die Wette eingeschlagen. Und somit angenommen. Ob du es nun falsch verstanden hast oder nicht, ist nebensächlich.«
Hoppla da muckte aber einer auf und insgeheim schmunzelte ich über seine Standhaftigkeit. Ich glaubte sogar, dass ich ihn mit meinen aalglatten Argumenten nicht mehr umstimmen konnte. Mit anderen Worten, er mich mit meinen eigenen Waffen schlug. Und wieder schüttelte ich den Kopf. Das wievielte Mal war das nun?
Wenn Mario sich so weiter entwickelte, dann würde das Wetten mit ihm um einiges interessanter.
»Gut ich wiederhole die Wette noch mal. Du musst innerhalb von drei Monaten, dem Erstbesten, dem ich persönlich außerhalb der Schule die Hand gebe, davon überzeugen, dass er dich liebt. Du bekommst einen Zettel, indem die Aufgaben stehen, die du zum Abschluss bringen musst, und zwar in der Reihenfolge, die ich mir überlegt habe. Auch einige Regeln, die du zu befolgen hast. Das Diskutieren und Verhandeln über das Für und Wider einer Aufgabe ist dir während der Wette untersagt. Solltest du die Wette zum Abschluss bringen, schulde ich dir einen Kasten Bier, ein Jahresabo für ›World of Warcraft‹, sowie die komplette animierte Staffel von Star Wars. Solltest du, aus welchen Gründen auch immer, aufgeben, so schuldest du mir eine Schulpause lang das Gegacker eines Huhnes, mit der Aussage Mario hat gewonnen. Sam hat verloren. Die Wette tritt in Kraft, wenn beide Parteien sich die Hand geben und ›die Wette gilt‹ rufen.«
Scheiße er hatte diese Wette Wort für Wort wiedergegeben und ich nannte mich einen dämlichen Narren. Mario hatte nichts falsch gemacht, ich hatte nur nicht richtig zugehört und vor allem hatte ich nicht nachgefragt. Und zudem hatte er sich gestern durchaus richtig verhalten.
»Du hast in diese Wette eingeschlagen und somit gilt sie. Wie schon gesagt, Veränderungen werden nicht angenommen. Es gibt nur dein Aufgeben oder du ziehst sie durch. Gestern in 90 Tagen müssen alle 12 Aufgaben mit Erfolg abgeschlossen sein. Für die erste Aufgabe hast du nur noch 6 Tage.«
»Die erste Aufgabe ist bereits ganz schön bescheuert. Erkennen und Annehmen, … was hat die überhaupt zu bedeuten? Sollte es nicht Annehmen und Erkennen heißen?«
»Drehe es, wie du es willst. Mir egal. Immerhin hast du Aufgabe 1 schon zu fast 80 % absolviert.«
»Neenee, wohl eher zu 100 %. Ich habe die Wette angenommen und erkannt um was bzw. wen es sich handelt.«
»Bist du dir da sicher?«, weiter sagte er nichts und widmete sich abermals seinem Bild. Wie immer war ich überrascht, wie er die Verunstaltung auf dem Bild wieder ausmerzen konnte.
Die Pause kam und Mario tat nichts, damit die Wette als verloren oder vorbei angesehen wurde. Selbst die umstehenden Schüler, die gespannt auf meinem Auftritt gewartet hatten, gingen auseinander und ich jubelte innerlich, nicht der peinlichen Szene ausgesetzt zu sein. Es hatte schon gelangt, dass ich im letzten Jahr halb nackt durch den Park rennen musste. Aber nicht für lange und vor allem, ich hatte diese Wette nicht verloren.
Am Ende des Unterrichtes gab mir Mario bekannt, dass ich die Aufgabe 1 mit Bravour bestanden hätte und nun Aufgabe 2 anstand.
»Was war Aufgabe 2 noch mal?«, fragte ich mich und im gleichen Moment erinnerte mich Mario daran, dass ich nur sieben Tage für jeweils eine Aufgabe Zeit hätte.
Okay, wenn man es so berechnet, hat mein bester Freund für jede Aufgabe eine Woche eingeplant. So kam er dann auf die drei Monate. „Mario, du bist zu einfach gestrickt“, und doch wusste ich, nein, das sagte mir mein Gefühl, dass die ganze Wette einen Haken hatte. Einen tierischen, wenn nicht gigantischen Haken. Dass es sich dabei um einen Mann handelte, ließ ich mal außen vor und doch, … irgendetwas passte bei dieser Wette ganz und gar nicht, also holte ich den Zettel mit den Aufgaben aus meiner Hosentasche. Ich las die Aufgaben noch einmal durch. Nur fand ich dort nichts, was mit meinem Gefühl übereinstimmte. Um es herauszufinden, musste ich die Wette weiterführen.