Aufgabe 10:
Ein Nacktfoto von der besagten Person erlangen.
Ich stand immer noch in dem Raum, konnte mich nicht rühren, nicht denken. Einmal drehte ich mich suchend um meine Achse, doch Mario war nicht mehr da.
Natürlich war er nicht mehr da. Er war abgehauen. Aber warum? Noch einmal blickte ich zu dem Ölgemälde und da wurde es mir bewusst. Noch einmal bewusst.
“Verfluchte, verfuckte Scheiße. - Ich war so in diesem Bild vertieft, dass ich Mario vollkommen vergessen hatte.” fluchte vor mich hin und bewegte mich in die Richtung in der ich Mario vermutete.
Ohne zu überlegen, wo ich mich befand, trat ich auf dem Flur. Es war ein anderer, als den, den wir zuvor genommen hatten, um in Kilrians Wohnung zu gelangen. Ich brauchte eine Weile um mich zu orientieren, doch am Ende erkannte ich den Flur wieder. Auch kam mir die Tür, an der Privat stand bekannt vor.
Ahh! Ich befand mich im Erdgeschoss. Also musste ich den Weg zur Rezeption nehmen, denn die andere Richtung, bedeutete, dass ich zu den Zimmern für die Gäste kam. Erdgeschoss 1a - 10 - 30. Alles Einzelzimmer. Scheiße, nur einmal hier gearbeitet und schon kannte ich mich mit dem Lageplan aus. Eine 3D Aufzeichnung in meinem Gehirn, um zu wissen, wo die Hauptsäule war. Überhaupt, wo sich wo, was befand.
Kirre. Aber so was von!
Ich schlug die Richtung zur Küche ein. Als ich aber dort ankam, war Mario nirgends zu sehen.
Umkleideraum. Nein!
Zweiter Stock, Außenterrasse, Niente.
Dritter Stock. Fitnessraum. Nix zu machen, ich rannte wieder runter zur Küche. Da war ich schon. Also weiter.
Keller. Ok, da war ich noch nicht aber ich roch Chlor.
Seit wann hat er ein integriertes Schwimmbad. Gut, also als Schwimmbad kannst du diese kleine Pfütze nicht bezeichnen. Da war der Pool meiner Eltern noch um einiges größer. Aber dennoch, reichte es wohl für die Gäste aus, sich dort zu amüsieren und erst jetzt wurde ich darauf aufmerksam, dass ich wie der letzte Penner rumlief. In ausgeleierten Shirt, Jogginghose und ich hatte noch nicht einmal Schuhe an, geschweige denn Socken.
Barfüßig lief ich durch das Hotel, …, … aber es war mir egal.
Ich wusste nicht wie lange ich noch durch das Hotel gewandert war, den Blicken der Gäste ausweichend, bis ich aufgab und in Kilrians Wohnung zurück wollte.
Mein Magen knurrte also schlug ich den Weg in Richtung Küche ein.
“Na fertig mit deiner Wanderung!”, fragte Kilrian der am Tisch saß und aß.
“Hunger?” Er schob mir einen Teller hin und ich setzte mich ihm gegenüber.
Ohne ein Wort beugte ich mich über das Essen und schob mir den ersten Bissen rein. Es war köstlich. War das Essen von Ela schon grandios, dies überstieg alles.
"Jetzt weiß ich auch, warum du wirklich daheim rausgeschmissen worden bist?”
Häää! Woher? Ich hatte nicht alles erzählt. Ich hielt in meiner Bewegung, die Gabel zum Mund zu führen inne und schaute Kilrian an.
“Woher?”
“Nun, ich soll dir von Mario ausrichten. Aufgabe 9 bestanden.” Schlagartig war mir mein Hunger vergangen und ich legte die voll beladene Gabel zurück auf den Teller. Hatte er die Aufgabe 9 als bestanden gewertet, weil er sich für mich eingesetzt hatte, oder weil Kilrian mich bei sich aufgenommen und mir damit geholfen hatte? Egal.
“Wo ist er?”
“Daheim. Aber das ist jetzt irrelevant. Was mich aber brennend interessiert, … ist die Wette so wichtig, dass du damit dein Leben versaust? Hast du überhaupt einmal über die Konsequenzen nachgedacht?”
Ich blickte ihn nur an und schüttelte abwesend den Kopf.
“Mein Leben war und ist eine Katastrophe.”
Kilrian stand auf, verräumte seinen Teller und verließ die Küche. Ich hingegen blieb noch ungelogen eine halbe Stunde sitzen und stocherte in meinem Essen.
Irgendwann teilte mir Kilrian mit, dass er mir Schlafzeug auf die Couch gelegt hatte. Ich ging in seine Privaträume zurück, schlug den Weg ins Wohnzimmer ein und wieder fing ich an, das Ölbild zu betrachten.
“Mario hat es gemalt!” Kilrian stand hinter mir.
“Ich weiß!” murmelte ich und hörte wie sein Handy klingelte. Er sich mit “Ja!” meldete und sich seine Stimme von Null auf Hundert völlig änderte. “Stone?! Welch eine Freude, deine Stimme wieder zu hören, … - ja in der Tat, ist das lange her. - Oh, wirklich? … … - Na was kann ich für dich tun? … hmm, …. Oh ja, ist mir eine Freude. … … Wie immer, vier eins. Ach du hast es schon überwiesen? Heute? Im Grand Two? Na du bist schnell. Um acht. - … ich auch!”, und Er legte auf. Prustete kurz und rieb sich die Augen. Stand auf und ging zu seinem Laptop. Er schien mich total vergessen zu haben.
Innerlich schüttelte ich mit dem Kopf, das war unfassbar. Ich konnte es immer noch nicht begreifen, wie unbefangen er mit fremden Leuten sprach. Er blickte hoch und seine Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.
“Was ist?”, wollte er wissen aber ich zuckte nur mit den Schultern.
“Ich, … ich, … ach nichts?”, stammelte ich und er grinste breit.
“Nun gewöhne dich gleich daran.”
Ha, der hatte gut Reden. Ich stand bei ihm im Wohnzimmer, sah die Veränderung in seiner Haltung und lauschte einem Gespräch, das ich nie in meinem Leben hören wollte. Aber dennoch. Die Reizströme, die durch meinen Körper gehuscht waren, weil ich wusste um was es ging, seine raunende Stimme, nicht zu vergleichen mit seinem normalen Tonfall, verursachten ein Kribbeln hinunter bis in meine Zehenspitzen. Gott wo war ich nur hingeraten?
“Glaube ja nicht, dass ich ewig hier bleiben werde, und das, … das, … wie eben immerzu miterleben will.”, stotterte ich und er zuckte nur mit den Schultern. So in der Art, “- Was meinst du, wie mich das interessiert?”. Na Toll.
Keine Ahnung, wie lange ich wach lag. Der vergangene Tag schwirrte mir unaufhörlich durch meine Gedanken. Ich hatte es gewusst, dass es kommen würde. Meine Eltern gaben sich doch nicht mit so einem wie mich ab. Aber einen schwulen Callboy buchen, um ihren Stau loszuwerden? Das war akzeptabel. Ja! Ich vergaß. Ihr Ansehen. Es ging immer nur ums Ansehen und den gesellschaftlichen Stand. Irgendwann mitten in der Nacht, es war wohl schon eher in der Früh, hörte ich wie Kilrian heim kam, aber dann auch gleich wieder verschwand.
Ich wälzte mich noch einige Male herum, bis ich einfach nicht mehr den Nerv dazu hatte, auf den Schlaf zu warten.
Ich stand auf und wollte mir einen Kaffee machen. Nur, … nur, … - was ist denn das für eine Maschine? Die stammte wohl noch aus dem letzten Jahrhundert. Ok! Wie bedient man eine normale Haushaltsmaschine? Ich zog die Maschine etwas zu mir und betrachte sie eingehend. War da nicht was mit einem Filter und Kaffeepulver? Ich kratzte mich am Kopf aber mir blieb nur eine Option, ich musste wohl im Internet recherchieren, wie diese Maschine überhaupt funktioniert. Tja, das hatte man davon, wenn man ein Designerstück daheim stehen hatte, bei dem man nur einen einzigen Knopf drücken musste und alles funktionierte von alleine.
Ich nahm Kilrian´s Laptop mit in die Küche und gab den Firmennamen der Maschine ein. Sofort zeigte mir das große G, wo ich dieses Gerät überall erwerben könnte. Ok! War nicht der richtige Weg. Ich klickte zurück auf Google und gab zusätzlich das Wort Bedienungsanleitung in das Suchfeld ein. Und siehe da! Nur fragte mich die Seite jetzt ob ich die PDF-Datei downloaden oder gleich öffnen möchte. Ich ging auf öffnen und drückte auf die ausgewählte Sprache Deutsch.
Ich hatte Recht. Man brauchte nicht nur einen Filter und Kaffeepulver sondern vor allem Wasser. Wie primitiv, aber was soll’s.
Nun, da brauchte ich nur noch diesen Filter und den Kaffee. Durchsuchte die Schränke und als ich das nötige Zeug endlich gefunden hatte, setzte ich den Kaffee gemäß der Beschreibung auf.
Der aufkommende Geruch, war fantastisch und weckte die Lebensgeister. Nach zehn Minuten saß ich am Tisch und trank meinen ersten selbst aufgebrühten Kaffee. Premiere!
In letzter Zeit besteht mein Leben nur noch aus Premieren. Negativen sowie positiven.
Der Kaffee schmeckte einigermaßen gut aber dann machte sich auch mein Magen bemerkbar. Mein hoffnungsvoller Blick in den Kühlschrank wurde enttäuscht denn ich fand nichts Essbares vor. Zumindest nichts, was ich gerne zum Frühstück gehabt hätte.
Wäre ja auch verwunderlich, wenn Kilrian, der eine Fünfsterne Küche besaß, so etwas, wie ein anständiges Frühstück in seinem Kühlschrank aufbewahrt hätte.
Ich zog mich um, denn barfüßig und in Jogginghose sowie einem Schlabbershirt, wollte ich nicht noch einmal durch das Hotel rennen.
Bei der Rezeption blieb ich stehen und eine mir fremde Frau, oder wohl eher Mädchen, blickte in den Computer und war gerade dabei jemanden am Telefon zu verabschieden. Auf ihrem Namensschild stand Marie Bohlsen. Sie blickte hoch und lächelte mich freundlich an.
“Kann ich etwas für Sie tun?” Ich nickte und meinte, dass ich Kilrian gerne sprechen möchte. Sie verzog die Augen.
“Geht es um eine Beschwerde?” Diese Frage hatte ich schon einmal gehört. Ich schüttelte den Kopf und setzte meinen typischen Sunnyblick auf.
“Nein Frau Bohlsen ich möchte ihn nur gerne sprechen.”
“Der Chef ist im Moment unabkömmlich.” So ging es hin und her, bis sie sich endlich entschloss Kilrian doch noch anzurufen.
Sie sagte mir, dass er sich in der dritten Etage befand. Dritte Etage, VIP!
Ich nahm den Aufzug und fuhr hoch. Eine Tür stand offen also ging ich rein. Rief nach ihm, aus der Nasszelle hörte ich ein “hier”. Er lag neben der Toilette in einem Blaumann und schraubte an einem Siphon rum. Welch ein unbekannter Abblick sich mir da bot. Kilrian, der Saubermann, verdingte sich als Handwerker. Überraschung pur, ich grinste vor mich hin.
“Was kann ich für dich tun?”, fragte er ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
“Ähm, … ja, … warum holst du dir nicht einen Handwerker?”
“Was ich selbst reparieren kann, kostet mich kein Geld.” Oh geizig ist er, aber musste er es sein? Immerhin wirft das Hotel bestimmt gutes Geld ab und seine Nebentätigkeit eher noch mehr als das Hotel.
“Verfluchte Scheiße.”, Kilrian nahm sein Handy. “- Marie nimm Zimmer 3b20 aus der Buchung raus.”, er legte auf. “Shit - gerade dieses Zimmer.” ich blickte mich um und musste mir eingestehen, die Aussicht war fantastisch. Man konnte bis zu den Bergen blicken und nachts, wenn die Lichter an waren, musste es ein Genuss für die Augen sein. Nicht nur das, auch wenn es im Allgemeinen auf „gemütlich“ gestylt war, so konnte man doch den Preis für eine Nacht deutlich erkennen. Es war eine VIP-Suite. Mit Elektrokamin, Vorlegeteppich und Parkettboden. Allein schon die Ausstattung der Nasszelle, war Verwöhnung pur.
“Wenn du willst, kannst du dieses Zimmer mieten, aber die Toilette läuft aus.”
“Machst du Witze? Ich habe gerade noch 200 €.”, rutschte es aus mir raus und ich sah, wie seine Augen belustigt aufflackerten. Jepp, es war ein Witz, er deutete mir an, dass er fertig war.
In der Küche, in der ich gearbeitet hatte, ging alles drunter und drüber. Ich zählte drei Köche und doppelt so viele Küchenhelfer. Wollte er ein ganzes Kreuzfahrtschiff mit Essen versorgen?
Kilrian beugte sich über einen Topf und probierte von dem Inhalt. Was da gekocht wurde, erkannte ich nicht aber er gab sein Ok.
Da ich wohl im Weg stand, deutete Kilrian mir an, dass ich mich hinsetzen sollte also tat ich dies dann auch. Er setzte ich zu mir hin und stellte mir einen Kaffee vor die Nase. Erst jetzt sah ich, wie müde er aussah und dass dunkle Augenringe ihn zierten.
“Hast du eigentlich schon mal geschlafen?”
Er schüttelte mit dem Kopf.
“Nein!”
“Dann lass doch diese Nebentätigkeit, …”
Zornig funkelte er mich an doch dann nahm sein Ausdruck etwas tief Trauriges an. Er stand noch einmal auf und stellte etwas zum Frühstücken hin.
“Mein Vater wurde heute Nacht wieder ins Krankenhaus eingeliefert, …”
Wieder?
“Ich war die ganze Nacht bei ihm?”, als er sprach war er gar nicht da. Seine Gedanken schweiften ab.
“Weiß dein Vater von, …!”
Er schüttelte mit dem Kopf.
“Es wissen nur du und Mario darüber Bescheid. Und es wäre schön, wenn es so bleiben würde.”
Keine Ahnung wie es dazu kam. Ich führte es auf seine Übermüdung zurück, aber dass, was ich erfuhr, sprengte alles, wovon ich bis jetzt gewusst, geschweige denn geahnt hatte. Er sprach über seine Vergangenheit, über einen gewissen Tom, den er vor ein paar Wochen kennengelernt hatte und über seine ganze Familie. Auch über seine Mutter, diese arrogante Schnepfe, entschuldigte den Ausdruck, aber Kilrian sah sie nicht anders und wie er überhaupt zum Callboy geworden war. Ich fing an ihn in einem anderen Licht zu sehen. Seine Lebenserfahrung, die er bis jetzt gemacht hatte, und er war gerade mal 23, reichte für zwei Leben aus. Ich würde lügen, wenn ich jetzt gerade in diesem Moment mir keinen tiefen Brunnen wünschte und hinein klettern wollte.
Minutenlang saß ich in seinem Wohnzimmer auf der Couch und betrachte das Inventar. Auch wenn er im Monat recht gut verdiente, so reichte es unterm Nullstrich nicht aus um vernünftig Leben zu können. Er musste an die zwanzig bis fünfundzwanzig Angestellte bezahlen, wenn nicht mehr. Dann die Kosten des Hotels. Allein die Kosten für Strom, Gas und Wasser. Noch dazu, und dies war der wirkliche Schlag für mich, bezahlte er den Lebensunterhalt seiner Mutter sowie die ganzen medizinischen Behandlungen für seinen Vater.
Dies war im Moment meine Hochrechnung, wie es sich tatsächlich verhielt erfuhr ich schon kurze Zeit später, nachdem ich seinem Laptop in Betrieb nahm.
Zuvor, als ich die Betriebsanleitung für die Kaffeemaschine gesucht hatte, hatte ich die ganzen Ordner nicht gesehen, doch jetzt erlangten sie meine Aufmerksamkeit. Und ich stieß einen Pfiff aus.
“Ach du Scheiße!”, entkam es mir, es dauerte nicht lange bis ich die gesamte Rechnung fertig hatte. Einige Fehler aus seiner Denkweise entfernte und komplett die gesamten Einnahmen und Ausnahmen zusammengestellt hatte.
Im Großen und Ganzen, wenn er es so handhabte, wie ich es gerade ausgerechnet hatte, so blieb ihm im Durchschnitt, je, wie der Monat ausfiel, nicht viel übrig. Natürlich hatte ich den Durchschnitt seines Verdienstes als Callboy mit einbezogen. Nicht gerade viel das da übrig blieb um richtig Leben zu können. Mein monatliches Taschengeld war höher, zumindest bevor die Konten gesperrt worden waren.
Nachdem ich die Rechnung ein paar Mal überflogen habe, zog ich die Datei auf einem Stick und suchte nach einen Drucker. Oh Mann! Hätte ich mir doch denken können, dass, wenn es hier so spartanisch eingerichtet war, auch bestimmt kein Drucker vorhanden wäre. Meine Güte und ich wollte mich schon zur Rezeption begeben als mir ein anderer Ordner ins Auge stach.
Ich klickte darauf und eine Menge Fotos öffneten sich. Ich scrollte sie rauf und runter, es waren langweilige Familienfotos. Aber bei einem blieb ich hängen. Bei einem eingescannten Bild, welches ein kleiner Junge mit etwas drei, vier Jahren zeigte und einem Baby. Bei den dunklen-braunen Augen schloss ich auf Kilrian und das Baby? Ich hoffte inständig dass es Mario war. Ja, es war Mario. Seine blauen Augen würde ich überall erkennen, ich schmunzelte.
“Tja mein kleiner Luzifer. Ich soll ein Nacktfoto von der besagten Person erlangen? Leider sagtest du nicht in welchem Alter die Person auf dem Foto sein muss.”
Marie war immer noch an der Rezeption so fragte ich sie, ob sie mir die Dateien, welche auf dem Stick sei ausdrucken könne. Leicht ungläubig willigte sie ein und tat es.
“Was tust du hier?”
Erschrocken drehte ich mich zu ihm um und lächelte. Mich wunderte es, dass er mich überhaupt angesprochen hatte. Vor allem aber fragte ich mich langsam, wie oft er hier arbeiten musste.
“Wirst du später sehen.”, mehr sagte ich nicht. Und drehte mich zum Drucker, der inzwischen schon mit seiner Arbeit fertig war.
So schnell ich konnte und bevor Mario auch nur einen Blick auf das Bild werfen konnte, faltete ich es zusammen und steckte es in meine Hosentasche.
“Wo ist Kilrian?”, fragte ich ihn und seine wundervollen blauen Augen verdunkelten sich und ich konnte sehen, dass ein wilder Sturm in ihnen herrschte.
“Noch nicht Sam! Du musst dich noch gedulden. Auch wenn es noch so schwer für dich ist. Und Sam, mach dich auf eine Triade von ihm gefasst, so etwas hast du in deinem Leben noch nie erlebt. Dieser Sturm, der in seinen Augen hauste ist nur der Anfang.”, sagte ich zu mir selber und versuchte zu lächeln.
“Im Büro!”, war nur seine Antwort und ich nickte. Ging in Richtung des Büros und hatte dabei alle Hände damit zu tun mich zu beruhigen.
Ich klopfte an und hörte wie Kilrian “Herein” sagte. Ich betrat das Büro und sah, dass er telefonierte und zwar mit seinem Handy, welches er für seine andere Tätigkeit benutzte. Er sprach Englisch. Kurze Zeit später legte er auf und fragte was ich von ihm wollte. Ich überreichte ihm den Zettel mit meiner Rechnung und bevor er einen Blick darauf warf meinte er:
“Es ist aber nicht schon wieder eine Wette?”
“Nein!”
Er las es sich durch und sofort spannte seine Haltung sich an. “Hat man dir nicht beigebracht, dass man nicht in Sachen von anderen Leuten herumschnüffelt.”
Schock und Scheiße. “Tschuldige, ich war auf der Suche nach einer Bedienungsanleitung und da bin ich drauf gestoßen, … und na … ja … mir sind dann einige Fehler aufgefallen, die mich dann die ganze Zeit verfolgt haben. Fotografisches Gedächtnis, … Sorry!”
Er schnaufte nur und überflog noch einmal den Zettel. Er deutete mir nur an, dass ich mich setzen sollte und irgendwann erhellte sich doch sein Gesicht.
“Sag mal, da du ja mehr oder weniger obdachlos bist, … was hältst du von einem Deal?”
“Deal?”
Er nickte und legte den Zettel weg.
“Ja ich könnte so etwas wie einen Sekretär gebrauchen, …!”
“Was willst du damit sagen?”
“Du arbeitest für mich.”
War das ein Scherz? Er beachtete mich gar nicht und sprach weiter. “ - du bekommst den tariflichen Mindestlohn, hast aber Kost und Logie frei. Du wirst zweimal im Monat immer eine solche Rechnung aufstellen. Hast Zugang zu sämtliche Konten. Übernimmst die Kontenbewegung und kontrollierst die Einnahmen und Ausgaben. - Was hältst du davon?”
Ich war sprachlos und er blickte mir nur ruhig in die Augen.
“Was ist? Das ist doch für dich ein Klacks und du kannst in die Schule gehen und später auf die Universität.”
Ok! Da mir im Moment eh nichts anderes blieb, ging ich darauf ein. Wenn auch widerwillig. Na toll, ich arbeitete jetzt für Mr. Arrogant, Mr. Perfekt.
“Ich bekomme aber ein extra Zimmer, …!”
Er grinste und lachte sogleich drauf los.
“Das lässt sich einrichten und wenn du willst, sogar mit einem Doppelbett.“
“Nun, was hältst du davon wenn ich das Zimmer in der dritten Etage bekomme.” Jetzt entgleiten ihm die Gesichtszüge.
“Nein! Das ist das VIP-Zimmer. Das kann ich nicht hergeben, aber ich habe ein ähnliches, dass sollte für deinen ehemaligen Stand ausreichen.”
Ehemaligen Stand, wie sich das anhörte. Aber er hatte ja Recht. Was war ich jetzt schon? Wie er es auf den Tisch gebracht hatte, war ich mehr oder weniger obdachlos. Wenn Kilrian mir nicht erlaubt hätte bei ihm zu übernachten, wo hätte ich die letzte Nacht verbracht? Tja keine Ahnung.
Keine Stunde später bezog ich mein neues “Heim”, war wohl das zweitbeste Zimmer in seinem Hotel. Es war ein Apartment und die Aussicht konnte sich sehen lassen. Er machte mich noch mit einigen Gepflogenheiten bekannt. In etwas wie, Frühstück gibt es nur von 7:00 - 9:30 Uhr. Mittagessen von 11:30 - 13:30 und das Abendessen von 17:30 - 22:00. Sollte ich später Hunger haben, musste und durfte ich sogar mir selbst etwas machen. Denn ich hatte Zugang zu allem. Bier, Wein und den anderen Getränken, die im Keller standen.
“Fühle dich wie zuhause.”
Ich nickte und bevor ich richtig darüber überlegen konnte lud ich ihn und Mario zur “Einweihung” ein. Er grinste, nickte schließlich und verließ das Zimmer.
So begann ein neuer Abschnitt meines Lebens und ich fing an meine Koffer auszupacken.
Viel war es ja nicht. Nur ein paar Klamotten, die ich auf die Schnelle eingepackt hatte. Meine anderen Sachen würde ich mir nach und nach herholen. Ich hatte hier in diesem Zimmer sogar noch mehr Platz, als in meinem alten.
Ich wohnte hier, in diesem Fünfsterne Hotel. In einem VIP-Zimmer und das noch umsonst. Nein! Umsonst war es nicht. Ich muss für Kilrian arbeiten. Aber im Moment war mir das egal. Hatte ich vorher nichts mehr, so hatte ich jetzt mehr. Um einiges mehr.
Es ging schon auf Abend als die Tür aufgeschlossen wurde.
“Mario du kennst dich aus!”, hörte ich Kilrian.
“Also wegen diesem einem Zimmers, brauchst du mich? Das hättest du auch selbst herrichten können. Außerdem wurde es gestern ges…!”, weiter kam er nicht als er mich sah. Schluckte kräftig und blickte von seinem Cousin zu mir. Kilrian hatte die Tür bereits geschlossen. Er zuckte nur mit den Schultern und meinte:
“Wenn ich gesagt hätte, dass du eine Einweihungsparty veranstalten möchtest, wäre er nie gekommen.”
“Einweihungs… was?”
Ich nickte, wusste aber nicht, wie ich seinen Blick deuten sollte. Mario war so unnahbar geworden, dass selbst mir Angst wurde. Und doch ließ er sich auf die lederbezogenen Sessel nieder und versank in seinen Gedanken.
Irgendwann kam Paul, der uns Essen und drei Flaschen von dem besten Champagner brachte, herein und stellte es auf dem Tisch ab.
Wir stießen an und ich sah, wie Mario den feinen Tropfen einfach hinunter kippte. Dies war genauso schlimm, als ob er von einem Eis abbeißen würde.
Gänsehaut überzog mich. Doch jetzt wusste ich auch warum ich so reagierte. Ich wollte mehr davon sehen. Ich wollte es mir vorstellen, wollte genießen. Mein Blick blieb an seinem Kehlkopf haften, ich leckte mir leicht über die Lippen.
Nachdem er das erste Glas ausgetrunken hatte schenkte er sich ein weiteres ein und dieses goss er sich genauso hinunter. Gott! War ich froh, dass ich ein legeres T-Shirt an hatte, das mir sehr großzügig über die Hüften ging.
Mario saß auf dem Sessel und aus seiner Röte, die sich einstellte, konnte ich nicht schließen, dass er verlegen war, sondern dass der Alkohol daraus sprach. Ich lächelte als er sich erneut ein Glas einschenkte. Sich über die Augen rieb und überall und nirgends mit seinen Gedanken war. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Kilrian leicht lächelte und sich daraufhin verabschiedete. Mir noch einmal auf die Schulter klopfte und aus dem Zimmer verschwand.
Mario war zu angesäuselt als dass er etwas davon mitbekam. Ich selbst hievte mich von meinem Sessel und setzte mich neben ihn. Wartete bis ich seine Aufmerksamkeit hatte und bemerkte wie er unbeholfen etwas von mir wegrutschte.
“Ich trinke noch aus und dann gehe ich heim!”, murmelte er und ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen. Auch wenn ich nicht aufhören wollte ihn zu betrachten, so musste ich jetzt wirklich über meinen Schatten springen. Zog das Foto aus meiner Hosentasche, faltete es auseinander und hielt es ihm unter die Nase. Stand im gleichen Atemzug auf und versperrte mit meinem Körper vorsorglich die Tür. Auch wenn ich jetzt nicht richtig einschätzen konnte, wie Mario sich verhielt.
“Woher, … hast, …!”
“Ich hatte heute etwas Zeit!”, meine Stimme war krächzend und ich stellte mich bereits auf die 11te Aufgabe ein.
Jetzt war es soweit. Jetzt gab es kein Zurück mehr und ich stellte mich auf das Kommende ein.
Mario wandte seinen Blick von mir und biss sich wieder auf die Lippe.
“Kilrian, … Sam ich will, … Die Wette ist ungül, …”
“Nein! Sag es. Ich will es hören, …!”, langsam ging ich auf ihn zu. Denn irgendwie wusste ich, dass er nicht flüchten würde. Er schüttelte mit dem Kopf.
“Ich kann nicht mehr. Du, … du, … Kilrian spukt große Töne über dich, …!”
“Sag es!”, ich stand vor ihm und beugte mich zu ihm runter und stützte meine Hände rechts und links neben ihm auf. Blickte ihm in seine blauen Augen.
“Sag es. Jetzt!”
Er blickte zur Seite und seine Lippen waren rot vom rumbeißen. Scheiße, diese Lippen waren zum anbeißen.
“Aufgabe 10 bestanden. - Ab jetzt hast du genau, …” Ich nahm sein Kinn in die Hände, drückte sein Gesicht in meine Richtung und wir blickten uns tief in die Augen.
“… sieben Tage Zeit, um Aufgabe 11 zu bestehen.”
“So lange brauche ich nicht!” raunte ich.