geschrieben am 14. Februar (2024)
Abschiedsbrief an meinen Vater
Lieber Vater
Schon einige Jahre sind vergangen, seit ich damals den ersten Brief an dich schrieb. Das Lied "The living years" war damals ein Metapher für unsere Beziehung
(siehe das Kapitel, hier in dieser Sammlung: The living years- Brief an einen Vater https://belletristica.com/de/books/6955-traurige-briefe-und-texte/chapter/13552-the-living-years-brief-an-einen-vater).
Damals wusste ich nicht, wie es für mich genau sein würde, wenn du stirbst. Und nun ist es tatsächlich geschehen. Gestern am 13.Februar um 16.20 Uhr. Und ganz meiner Vorahnung entsprechend, war ich nicht bei dir, als du gestorben bist.
Dafür war mein älterer Bruder bei dir, mein Bruder, der euch bzw. deine Frau, immer am meisten genervt hat und den ihr oft gar nicht bei euch haben wolltet. Er blieb euch immer treu, auch wenn ihr ihn immer wieder schlecht behandelt habt. Wie ein treuer Hund, der seinem Herrn auch noch treu ist, wenn dieser ihn mehrmals getreten hat. Diese Treue war ich nicht in der Lage aufzubringen. Aber ich finde es schon sehr interessant, wie das Leben so spielt.
Als ich die Botschaft von deinem Tod erhielt, wusste ich nicht so wirklich, was ich empfinden sollte. Kurz habe ich ein oder zwei Tränen vergossen. Dann blieb zwar eine gewisse Schwere in mir, den restlichen Tag hindurch, doch die Trauer hielt sich in Grenzen.
Das Ding ist, ich habe mich eigentlich schon, viele Jahre zuvor, innerlich von dir gelöst und... du hast mir tatsächlich nicht mehr sehr viel bedeutet. Es klingt hart, aber dies alles war tatsächlich ein langer, überaus schmerzhafter Prozess. Damals als ich den ersten Brief an dich schrieb, habe ich zwar noch eine Weile versucht mit dir in Kontakt zu bleiben, doch dann hat sich mein jüngerer Bruder wieder mit euch zerstritten und da ich auf seiner Seite war, meinte deine Frau, dass sie uns beide nicht mehr sehen wolle. Dabei hatte ich mir diesmal absolut nichts zuschulden kommen lassen. Ich war wütend, traurig und frustriert und so beschloss ich, einen Schritt zu machen, man könnte es fast einen Befreiungsschlag nennen, und habe euch gesagt, dass ich keinen Kontakt mehr mit euch haben möchte. Ich hielt das für die einzige Möglichkeit, endlich meinen Seelenfrieden zu finden und ich war wirklich erleichtert.
Nun da du gestorben bist… sind meine Empfindungen irgendwie erstaunlich neutral. Ich bereue auch nicht, dass ich damals jenen Schritt gemacht habe. Natürlich ist da ein gewisses Bedauern, dass es keinen anderen Weg gab, doch manchmal muss man sich einfach von toxischen Beziehungen lösen und die Beziehung zu euch, war hochtoxisch. Wir kamen einfach nicht auf einen guten Nenner und ihr habt mich bis zum Schluss nicht für voll genommen.
Das hast du mir mit einem E-Mail erneut bewiesen, die du mir, eine Weile, nach meiner Abkehr von euch, geschrieben hast. Sie lautete folgendermassen:
Hallo Alexandra
Deinen Brief musste ich zuerst verdauen. Ich habe Dir nicht gesagt, dass wir von Dir nichts mehr hören wollen. (nein das hat nur deine Frau gesagt und du hast immer getan, was deine Frau sagte)
Dein Brief war sehr dumm, dümmer ist nur Dein Psychiater (dabei war ich schon ewig bei keinem Psychiater mehr, das war mal irgendwann mit 25 oder so).
Du kannst ja bei meiner Beerdigung Dein Geld abholen und es ja Deinem Guru schenken (Geld, Geld, Geld! Bei euch geht es immer nur um Geld und einen Guru habe ich noch niemals in meinem Leben gehabt!).
Das Ganze grenzt an Autismus (dito).
Gruss Hans (Nicht Papi, sondern Hans. Das passt ja!)
Ich weiss, ich klinge etwas verbittert und tatsächlich ist da noch eine gewisse Bitternis. Mein jüngerer Bruder meinte, ich solle mich jetzt auf das Schöne besinnen, dass wir mit dir erlebt haben. Doch wann haben du und ich das letzte Mal etwas richtig Schönes zusammen erlebt? Es scheint ewig her zu sein. Damals als ich noch ein Kind war, ja damals… es ist so lange her.
Alles, was danach kam, war stets durchzogen von Druck, Erwartungen, Liebesentzug etc.
Ich weiss, ich sollte versöhnlicher klingen. Ich sollte loslassen und dir und deiner Frau vergeben. Doch es fällt mir noch immer schwer. Dabei sind doch solch negative Gedanken, nun da du gegangen bist, fehl am Platz. Doch ich kann einfach nichts dagegen tun.
Trotzdem wünsche ich dir natürlich von Herzen, dass du an einen schöneren Ort kommst, wo du glücklich sein kannst. Wer weiss, vielleicht wird eines Tages sogar der Moment kommen, da du alles besser verstehen wirst. Da du einen viel weiteren Einblick in das bekommen wirst, was alles zwischen uns schiefgelaufen ist. Dein Geld ist mir egal, denn es kann niemals das ersetzen, was eine richtige Vater- Tochter Beziehung ausgemacht hätte. Du hast vor deinem Tod deutlich gesagt, dass du nicht willst das mein älterer Bruder oder ich dich besuchen. Mein älterer Bruder..., der dir stets am treuesten war und dich bis zum Ende begleitete. Das sagt viel über dich aus. Hoffentlich hast du wenigstens, gegen das Ende hin, den Wert meines Bruders erkannt und ihn endlich so gewürdigt, wie er es verdient hätte.
Ich persönlich kann erstaunlich gut damit leben, dass du mich nicht sehen wolltest und dass mich deine Frau jetzt noch immer nicht sehen will, ist ganz klar. An deine Beerdigung werde ich trotzdem kommen, wenn es überhaupt eine offizielle Beerdigung gibt. Ich vermute jedoch stark, dass dies nicht der Fall sein wird.
Ich weiss auch nicht, wie sich meine Gefühle, im Laufe der Zeit, noch verändern werden. Vielleicht kann ich eines Tages anders auf die ganze Sache blicken und die Erinnerungen an dich, werden wieder etwas lichtvoller und freudvoller sein.
Leb wohl… Vater, geh deinen Weg ins Licht!
Alexandra