Jedes Zeitgefühl ist endgültig verloren gegangen, als ich die Augen aufschlug. Ich hatte solchen Hunger und solchen Durst. Hatte ich erwähnt, dass ich völlig nackt war? Irgendwie schleppte ich mich zu einem Waschbecken und trank, bis ich nicht mehr konnte. Dann wusch ich mir das Blut vom Körper und probierte verschiedene Kleidungsstücke der zerfetzten Leichen neben mir an. Einige Sachen passten schließlich, sodass ich wieder einigermaßen annehmbar aussah. Entweder war ich damals noch zu verwirrt von all den Ereignissen oder hatte einfach nicht damit gerechnet, dass so eine scharfe Reaktion auf meine unter Besessenheit begangenen Meuchelmorde kommen würde. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, ich war nie zuvor besessen, hatte also keine Ahnung und keine Erfahrung mit so etwas. Ja, meine Güte. Woher sollte ich denn ahnen, dass es überhaupt möglich war, dass ein Wesen aus einer anderen Dimension Besitz von mir ergreifen konnte.
Ich kürze hier wieder ab, das ist schließlich kein Schauer-Roman, sondern ein Bericht des wahren Grauens, punkt!
Als ich aus der Küche kam, krachten Schüsse neben mir in die Wand, sodass ich mich zu Boden werfen musste, um nicht getroffen zu werden. Es gab keinen Plan, aus dieser verzwickten Lage herauszukommen. Ich wusste ja nicht mal, wer auf mich geschossen hatte. Waren es die Mitarbeiter, die sich bewaffnen konnten und mich nun für ein Monster hielten oder die Söldner von Gonrar?
Um mich zu schützen, kroch ich zurück in die Küche. Dort verbarrikadierte ich mich erstmal. So dachte ich damals. Daraus wurden allerdings 4 Monate. Ich fand genug Essensvorräte, um zu überleben und hatte fließend Wasser. Meine Notdurft verrichtete ich in der Kältekammer, sodass mir der Gestank erspart blieb. Dorthin entsorgte ich auch die Leichen, die ebenfalls Gestank und Pestilenz verbreitet hätten.
Natürlich war das eine völlig absurde Situation in dieser Küche gefangen und sicher zu gleich zu sein. Immer wieder hörte ich draußen Schüsse und Schreie. Natürlich dachte ich, dass sie mich doch noch kriegen würden. Mich trennte nur eine Stahltür von dem Wahnsinn, der draußen abging.
Jetzt kann ich es Ihnen ja schreiben, da ich es schon mit eigenen Augen gesehen habe. Die Kameraüberwachung hatte alles aufgezeichnet. Ich brauchte eine ganze Woche, um alles Wesentliche der 4 Monate gesehen zu haben, die ich verpasst hatte. In der Zeit, als ich in der Küche überlebte, selektierten sich verschiedene Gruppen heraus, die ums Überleben oder Sonst was kämpften. Welche verschiedenen Gruppen? Fragen sie vielleicht. Das werde ich ihnen erklären.
Gonrar und Mykro, der zu meinem Erstaunen Exons Angriff durch mich überlebt hatte, scharrten etliche Söldner und die meisten Geheimdienstagenten um sich. Die ganze obere Sektion der Station G-HAN 89, samt dem Landedeck war die ersten Wochen nach meinem Einschluss in deren Hand. Später schaffte jedoch ein wildgewordener Metaagent, der Zeichen der Besessenheit trug allein eine Schneise der Verwüstung in ihre Reihen zu schlagen. Dabei starb das Metawesen. Ich denke, dass ich etwa 100 Treffer gezählt habe, teilweise aus nächster Nähe, bevor das Ding von Monster endlich den Geist aufgab. Gonrar und Mykro wollten daraufhin umringt von etwa acht Überlebenden endgültig die Station verlassen und liefen zum Schiff.
Allerdings schien das komplette Landedeck beim Start zu explodieren. Dabei fielen auch die Kameras aus. Bis heute weiß ich nicht warum, oder ob das Schiff entkommen konnte. Falls ja, wird Gonrar alles daran setzen G-HAN 89 und alles, was hier passiert ist zu vertuschen und zu vernichten, damit er in seiner Profitgier weitermachen kann. Darum hoffe ich inständig, dass er bei der Explosion gestorben ist. Um mich später zu vergewissern, wie es dort aussieht, bin ich zum Landedeck gegangen. Doch dort waren nur noch Dreck und Chaos. Durch einen Bruch in der Außenhülle wurde der Bereich automatisch weiträumig abgesperrt. Dies war ein Sicherheitsprotokoll der Station.
Kurz zuvor kam Gruppe Nummer zwei ins Spiel. Scheinbar versuchten sie ihrerseits auch zum Schiff zu gelangen. Das Bemerkenswerteste an Gruppe zwei war, dass es eine gemischte Gruppe war, bestehend aus Mitarbeitern und Söldnern und angeführt von keiner geringeren, als meiner persönlichen Stellvertreterin Pea. In meinen Bildrecherchen konnte ich hinterher rekonstruieren, wie sich diese Gruppe gebildet hat. Sie waren durch die Kämpfe, die nach meinem Auftritt als Monster überall in den Gängen tobte, in einen Laborabschnitt geraten, der von der Zentrale aus abgeschottet werden konnte. Nach etwa drei Tagen des Belauerns und der Waffenruhe, beschlossen sie, miteinander zu reden. Sie versuchten anschließend gemeinsam, lebend die Station zu verlassen. Die Abschottung konnten sie nur unter Verlusten und mit äußersten Mitteln überwinden. Dies dauerte Wochen. Wochen ohne Nahrung, verstehen sie? Sie waren fast wahnsinnig vor Hunger, sodass sie sogar anfingen die Leichen über offener Flamme zu rösten und zu essen. Kannibalen! Und ich mache ihnen keinen Vorwurf. Die Explosion, die sie aus der Abschottung führen sollte, erzeugte eine solche Druckwelle, dass viele beim Versuch starben. Auf dem Video sah ich, wie sie umknickten, als wären sie nur Sträucher im Wind. Die Handvoll Überlebender schleppte sich anschließend Richtung Landedeck. Doch unterwegs trafen sie leider auf Gruppe drei, die ihr Schicksal vollends besiegelte.
Die dritte Gruppe hatte es also noch schlimmer getrieben. Dort setzte sich ein ehemaliger Sicherheitsmann der Station als Anführer durch. Dies tat er, indem er einfach mal zwei andere vermeintliche Anführer vor den Augen aller erschoss. Dadurch waren die anderen gewillt ihm zu folgen. In dieser Gruppe waren nur Mitarbeiter und sie machten regelrecht Jagd auf alle anderen. Sie verschanzten sich direkt neben mir in der Kantine. Hätte ich es gewagt die Tür zu öffnen, wäre ich gegrillt worden. Andererseits hatte ich etwas Nahrung und ihnen ging die Nahrung allmählich aus. Sie versuchten beinahe täglich die Stahltür zu knacken, warfen sogar eine Handgranate dagegen, doch hinein kamen sie nicht. An diese zermürbenden Momente erinnerte ich mich später. Welche Ängste ich hatte und wie oft ich dachte, dass sie es schaffen würden. Das kann sich keiner vorstellen, der es nicht erlebt hat. Durch den Nahrungsmangel fingen sie an, Leichen zu essen. Als sie keine Leichen mehr hatten, produzierten sie welche durch ein perverses Losverfahren. Es ging schließlich so weit, dass ihr Anführer eines Tages beschloss, alle 14 Überlebenden seiner Gruppe einfach im Schlaf niederzumetzeln. Danach streifte er schreiend durch die Gänge und schoss wahllos umher. Fast wie ein Besessener. Was durchaus im Bereich des Möglichen lag.
Die vierte und letzte Gruppe bestand aus den drei Metawesen, die sich später als Wirte für die Monster herauskristallisierten und ihrerseits Jagd auf alles und jeden machten. Bis besagter Besessener von Gonrars Leuten erschossen wurde. Die anderen beiden überlebten irgendwo fernab jedweder Kameraüberwachung. Auf sie traf ich erst gestern wieder auf erschreckende Weise. Sie waren keine Menschen mehr, so viel steht fest. Es waren grässliche Gestalten voller Ekel und Unwürde. Im Anschluss habe ich zwei Bilddateien hochgeladen, von denen ich hoffe, dass deren Daten auch noch mitübertragen werden. Die Bilder zeigen die entstellten Metawesen und zu meiner Schande auch mich, kurz nachdem ich mich in etwas anderes verwandelt hatte. Dies soll zusätzlich als Beweis dienen, dass alles wahr ist, was in diesem Bericht steht.
Letztlich überlebte ich das alles und bin nun nach bestem Wissen und Gewissen der letzte Überlebende Mensch der Station G-HAN 89. Von den zwei Monstern, die hinter mir her sind, mal abgesehen. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für sie, so wie es für mich Hoffnung gab. Aber ihre körperliche Verfassung lässt nur Böses erahnen.
Verurteilen sie mich ruhig, wenn es ihnen damit besser geht. Klar habe ich alle um mich herum nur überlebt, weil ich mich eingeschlossen hatte. Ja alle waren verreckt, während ich mich versteckt habe. Und damit kann und will ich nicht mehr leben.