Etwa eine Stunde später kehrte Diego zu seinem Vater zurück. Dieser hatte es sich vor dem Kaminfeuer bequem gemacht.
„Ah, mein Sohn. Und, habt ihr eine Lösung gefunden?“
„Tja...“ begann er. Sie und Victoria waren übereingekommen, seinem Vater nichts über ihre Pläne zu erzählen. Diego befürchtete insgeheim, Alejandro könnte sein Geheimnis erraten. Schließlich war es der alte Vega gewesen der ihm gegenüber den Wunsch geäußert hatte, Zorro würde Victoria freigeben. Dass der Held genau das getan hatte, brauchte er nicht zu wissen. Die Frau war einverstanden gewesen, ihren Plan erst mal geheim zu halten.
Jetzt war es aber notwendig, zumindest eine Erklärung zu geben. Er platzierte den Sessel gegenüber dem seines Vaters und setzte sich. „Wie es scheint, ist Victoria unsicher was Zorro betrifft…“
Don Alejandro schien überrascht. „Was ist passiert?“
„Sie sagte mir, dass sie nicht mehr länger warten kann. Sie nicht weiß, ob sie jemals mit Zorro zusammenkommen… was ist Vater?“ Sein Vater hatte einen Gesichtsausruck, den er nicht deuten konnte.
„Ich fand es nur seltsam, wie sich manche Dinge entwickeln. Erinnerst du dich, wie ich dir sagte, dass ich mir wünschte, Zorro würde sie freigeben? Nun, jetzt scheint es sich gerade anders herum zu entwickeln. So oder so, ich denke es ist das beste. Für sie beide. Und für dich Diego...“. Don Alejandro schien die Situation zu amüsieren.
„Aber Vater! Was soll ich tun, wenn er ihre Entscheidung nicht akzeptiert und mich herausfordert? Du weißt selbst, dass es mit meinen Fechtkünsten nicht so weit her ist…“ Er durfte nicht aus seiner Rolle fallen.
„Der Kampf gegen deinen Bruder war sehr eindrucksvoll, stell dein Können nicht so schlecht dar“ murrte Alejandro unzufrieden und fuhr nach einer Pause fort: „Aber sei unbesorgt, ich glaube nicht, dass du mit ihm kämpfen musst, mein Sohn. Zorro ist ein Ehrenmann. Wenn sie sich von ihm trennt, wird er das akzeptieren.“
„Hoffentlich hast du recht“. Er zögerte entschied sich dann aber dagegen seinem Vater zu erzählen, dass er sich morgen während der Siesta in der alten Windmühle treffen würde. Er würde dabei bleiben, nichts zu erzählen.
Beide schwiegen ehe der Ältere das Gespräch nach einer Weile fortsetzte: „Sie wird deine Unterstützung brauchen.“
„Ja, es wird nicht leicht für Victoria sein.“
„Ich bewundere Zorro sehr, das weißt du. Und wie gerne würde ich bei ihm mal eine Fechtstunde nehmen“ verriet Alejandro. „Aber er ist nun leider ein Mann, auf dessen Kopf eine Prämie ausgesetzt ist und deshalb ist Victorias Entscheidung zwar bitter, aber richtig“.
„Sie zögert noch und wollte daher meinen Rat“. Noch war sie nicht soweit.
„So oder so. Ich bin froh, dass du sie unterstützen wirst, Diego“
Er blickte nachdenklich zu seinem Vater: „Weshalb ermutigst du mich eigentlich, ihr den Hof zu machen? Du hast vorher nie etwas in dieser Richtung gesagt“.
Alejandro lächelte nachsichtig. „Ich habe viel nachgedacht in den letzten Tagen. Zum einen habe ich bemerkt, dass du immer noch mehr für sie empfindest, als du zugeben willst. Ich denke, dass du dich aus Rücksicht vor Zorro zurückhältst. Und dass du, wenn es um Leben und Tod geht, sehr wohl über deinen eigenen Schatten springen kannst. Daher könntest du die Senorita auch beschützen, sollte das notwendig werden.“
Sein Sohn schüttelte überrascht den Kopf. Er hatte immer versucht, seine wahren Gefühle gegenüber Victoria nicht anmerken zu lassen. Aber wie es aussah war er nicht gut genug gewesen. Oder hatte er nachgelassen in dem Bemühen, alle zu täuschen?
„Ein Gedanke von mir war auch, du könntest vielleicht zweifeln, ob ich eine Verbindung mit Victoria gutheißen würde“ fuhr der alte Mann fort. „Aber glaub mir – der Stand deiner zukünftigen Frau ist mir egal. Ich will dich glücklich sehen mein Sohn. Und Victoria ist eine mutige schöne Frau mit einem ehrlichen Charakter und freundlichem Wesen ich mag sie wirklich sehr. Was könnte ich mir besseres für dich wünschen?“
Dieses freundliche Wesen stand am nächsten Tag Sergeant Jaime Mendoza mit einem verkniffenen Gesicht gegenüber. Es war noch vor der Siestazeit und der Soldat hatte sich an einem der Tische gesetzt, um ein ausgiebiges Mahl zu sich zu nehmen
„Mendoza. So geht das nicht. Ihr könnt nicht immer anschreiben lassen ich muss auch von etwas leben. Also bitte...“
„Ach Senorita, das Essen in der Kaserne ist so schlecht...“ jammerte der Mann wurde jedoch von ihr unterbrochen: „Ja ich weiß das sagtet Ihr mir schon einmal. Trotzdem ich muss darauf bestehen“.
„Ihr seid aber hart geworden. Ich kann mich noch erinnern…“
Er kam nicht dazu seinen Satz zu beenden, da ein Soldat von draußen in die Taverne hineingestürmt kam. „Sergeant… Zorro...“
Weiter kam er nicht. Mendoza erhob sich seufzend und ging nach draußen. Nein, er wollte seinen mysteriösen Freund nicht jagen, aber ignorieren konnte er ihn leider auch nicht.
Er verließ die Taverne nicht alleine. Zusammen mit den anderen Gästen und der Senorita Escalante ging er nach draußen.
Dort sah er 4 Pferde, deren Reiter geknebelt und gefesselt auf den Sätteln saßen.
In einigem Abstand saß eine nur allzu bekannte dunkle Gestalt auf ihrem schwarzen Pferd.
„Zorro! – Wer sind die Männer?“
„Die Gonzalesbrüder, die Ihr schon eine ganze Weile sucht. Sie waren auf dem Weg zum Bauernhof von Ramon, um seine Tiere zu stehlen. Damit dürfte es ja dann wohl jetzt vorbei sein!“
Er war gerade dabei sein Pferd zu wenden um rasch wieder zu verschwinden, als sein Blick auf Victoria traf. „Buenos Dias, Senorita“ grüßte er und nickte ihr freundlich zu.
Victoria starrte ihn einfach an, ohne etwas zu sagen. Endlich regte sie sich - statt jedoch antworten, wandte sie sich ab und ging schweigend in ihre Gaststätte zurück.
Der Maskierte schüttelte ratlos den Kopf und schaute ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Dann trieb er Tornado mit einem energischen Ruf an. Eine Staubwolke folgte ihm, als er aus dem Pueblo verschwand
„Was ist den mit Victoria los, hat sie mit Zorro Streit?“ fragte sich der Offizier verwundert. Und er war nicht der einzige, der sich diese Frage stellte. Die seltsame Reaktion der Tavernenbesitzerin machte rasch die Runde und bald fragte sich jeder im Dorf, was dieses Verhalten zu bedeuten hatte.
Victoria hingegen hatte beschlossen, ihr Geschäft bereits vorzeitig nach Zorros Auftritt zu schließen. Schließlich war es nur noch kurz bis zur Siesta. So sattelte sie ihr Pferd um wie verabredet Diego in der alten Windmühle zu treffen. Ihre zwei Helferinnen wussten Bescheid und konnten notfalls auch einige Zeit ohne sie auskommen.
Als sie ankam, war Diego noch nicht da. Wo er sich wohl rum trieb?
Sie betrat schon einmal das Gebäude. Erinnerungen an die Nacht mit Diego kamen hoch. Diese Übernachtung war irgendwie seltsam gewesen, ohne dass sie genau sagen konnte weshalb. Sie hatte ihn anders wahrgenommen als zuvor. Und sie hatte sich oft gefragt weshalb er damals die Bank zwischen ihre provisorischen Nachtlager gestellt hatte. Hatte er sie wohlmöglich vor sich selbst beschützen wollen? Und weshalb war er ihr kurzzeitig so anders vertraut vorgekommen?
Sie seufzte. Sie sollte nicht grübeln, allerdings lenkte es sie auch von ihrem aktuellen Problem ab. Sie hatte es nicht fertig gebracht Zorro öffentlich abzuweisen. Stattdessen war sie stumm geblieben und war feige in der Taverne verschwunden.
Sie setzte sich auf die Bank und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Wieder schweiften ihre Gedanken zu Diego.
Diego war ein verständnisvoller Mann, ein ruhiger und sich der Wissenschaft zugewandter Mann. Er war schon immer vielseitig interessiert gewesen. Daher war es eigentlich auch nicht verwunderlich, dass er sich in die Studien vertieft hatte.
Nur weshalb war er so desinteressiert geworden, was im Pueblo passierte? Sie vermutete, dass es an der schlechten Erfahrung mit einer Frau lag, er hatte es ja mal angedeutet. Er musste diese Frau sehr geliebt haben, wenn sie ihn nachhaltig so verändert hatte. Er hatte sich wie es aussah vor Kummer auf seine Bücher gestürzt. Und benutzte diese bis heute als Flucht und verleugnete die Realität.
Und trotzdem nagte es an ihr. Er war früher mutig und entschlossen gewesen. Fast ein wenig wie Zorro. Wobei das natürlich lächerlich war.
Sie überlegte weiter. Wären sie zusammengekommen, wenn der junge Vega sich nicht so verändert hätte? Und der Maskierte nicht erschienen wäre?
Ja, musste sie zugeben. Das Leben war manchmal schon seltsam.
Aber auch wenn ihr alter Freund verweichlicht war, so war er trotzdem eine sehr wertvolle Hilfe und ihr sehr wichtig. An wen hätte sie sich sonst wenden können?
Und das brachte sie zur Frage wo er eigentlich blieb? War er wieder so in seine Wissenschaft vertieft, dass er die Zeit vergessen hatte? Er hatte doch sonst nicht viel zu tun. Was war nur aus den Mann geworden, der früher nur so vor Energie gestrotzt hatte?
Sie seufzte. Ja, sie war enttäuscht von Diego – aber das gehörte wohl auch zum Leben hinzu. Und die alten Zeiten waren nun mal vorbei.
Schon öfter hatte sie versucht, ihn aus der Reserve zu locken, indem sie ihm vorgehalten hatte, ein Feigling zu sein und aufgezählt, was ein Mann wie Zorro alles für das Pueblo tat. Aber leider hatte auch das keinen positiven Effekt und schien an im einfach abzuprallen.
Im diesem Moment meine sie, ein Pferd zu hören. Rasch verließ sie die Windmühle.
Es war tatsächlich Diego, der auf seinem Pferd angerissen kam. Er wirkte etwas außer Atem und müde. Weiter bemerkte sie überrascht, dass er Esperanza wohl scharf geritten hatte. Warum in alles in der Welt war er so spät losgeritten?
Er begrüßte sie mit einem leichten Lächeln.“ Buenos Dias, Victoria. Schön dich zu sehen.“
„Alles in Ordnung, Diego?“ fragte sie besorgt. Du siehst schlecht aus.“
Er stieg von Pferd und antwortete: „Ja, entschuldige bitte. Mir war es vorhin nicht gut und hatte mich hingelegt. Dabei bin ich leider eingeschlafen.“
„Aber jetzt geht es wieder?“
„Ja, ich denke schon. Komm, lass und reingehen.“
Victoria meinte zu spüren, dass er ihr nicht die ganze Wahrheit sagte. Sie bemerkte, wie abgehetzt er war. Gleichzeitig spürte sie eine gewisse Erschöpfung bei ihrem Freund, welches sie sich nicht erklären konnte. Es wirkte eher wie eine geistige Müdigkeit.
Sie konnte nicht ahnen, dass Diego immer wieder einmal diese Müdigkeit ergriff; insbesondere in den letzten Wochen. Da dem jungen Mann aber häufiger der Elan zu fehlen schien, war diese Veränderung nur einem guten Beobachter zu erkennen. Das Doppelleben machte ihm zunehmend zu schaffen – und er litt unter der nicht sichtbaren Maske, die er im quasi ständig trug. Nur gegenüber Felipe konnte er die Person sein, die er wirklich war.
Davon abgesehen hatte er sich sehr beeilen müssen, um nicht noch später zu ihrer Verabredung zu kommen.
Insofern war seine alias Zorros Entscheidung auch überfällig gewesen.
Er betrat das Gebäude und Victoria folgte ihm. „Ok Victoria. Hast du dir schon überlegt was du Zorro genau sagen willst oder ist das noch offen?“
„Nein ich weiß es noch nicht.“ Sie hatte den Kopf beschämt gesenkt. „Ich habe es vorhin nicht fertiggebracht, mit ihm zu reden. Er wird enttäuscht von mir sein.“
„Das glaube ich nicht“ versuchte er sie aufzumuntern. „Erzähle, was passiert ist.“
Zerknirscht erzählte sie kurz, was vorgefallen war. „Ich möchte gar nicht wissen, was er jetzt von mir denkt“ beendete sie besorgt.
„Mach dir keinen Kopf. So schlecht ist es doch gar nicht gelaufen“. Als sie ihn verständnislos anstarrte erklärte er: „Wenn man davon ausgeht dass du nicht mehr länger auf Zorro warten willst ist es durchaus nachvollziehbar wenn du erst mal schweigst und dich zurückziehst bevor du dich dazu durchringen kannst, es ihm direkt zu sagen. Ich bin überzeugt, dass er durchaus zufrieden mit deiner Vorstellung war. Ich schlage vor du verhältst dich erst mal weiterhin so bis wir aus dir eine gute Schauspielerin gemacht haben.“
Sie antwortete nicht weiter, sondern zuckte hilflos mit den Schultern.
Diego legte seine Hände auf ihre Schultern. „Schließlich die Augen. Stell dir vor du stehst jetzt Zorro gegenüber.“
„Diego...“
„Per favour. Bitte versuche es einfach.“
„Also gut.“ Sie seufzte und kam seiner Bitte nach.
„Denk daran. Du musst ihn abweisen, weil du mit ihm, der Legende nie zusammenkommen kannst. Du tust es, weil es notwendig ist. Nicht weil du ihn nicht liebst. OK?“
Sie atmete einmal tief ein und aus und nickte.
„Sag mir einen typischen Satz. So, dass du dir Zorro gut vorstellen kannst. Wie würde er dich typischerweise begrüßen?“
„Ich weiß nicht, ich finde das ein wenig albern was wir hier treiben...“
„Victoria bitte. Und schließe wieder die Augen“ befahl er entschlossen. „Also...“
„Querida nennt er mich meist, wenn wir alleine sind“.
Der Mann räusperte sich unbehaglich ehe er fortfuhr: „Also ich werde jetzt seinen Part übernehmen. Du versucht dir so gut es geht vorzustellen, dass du Zorro gegenüberstehst. Und lass dir Zeit, es macht nichts, wenn es nicht gleich klappt.“
Der junge Vega räusperte sich erneut. Dann drang seine Stimme an ihr Ohr. „Buenos Dias, querida.“