"Wir sind ein Schnittpunkt aus Vergangenheit, hunderttausenden Jahren von Evolution, unvorstellbar lange Erfahrung aus Sternenstaub." Bernstein-Auge klang heute ausgesprochen poetisch. "Und dem Potential der Zukunft, einer Auswahl an Möglichkeiten. Wir sind das Fundament der Zukunft. Und zwar in jedem Moment. Für uns, für folgende Generationen."
In Taras Ohren klang er wie jemand, der seinen Zuhörern lauscht, sie scannt, während er spricht. Oder wie jemand, der genau dort steht, wovon er spricht. Am Schnittpunkt aus Vergangenheit und Erfahrung, und Möglichkeiten der Zukunft. Irgendwie musste sie an diesen Star Wars Film denken. 'Die junge Generation startet dort, wo wir aufgehört haben.' Sie grinste.
Dabei begegnete sie seinem Blick. Er sagte nichts, atmete nur tief durch. Ja, manchmal ist in Film und Literatur Weisheit zu finden, wenn man sie richtig sieht. "Wir bestehen buchstäblich aus Kondensat des Universums, jeder von uns. Die kleinsten Bausteine werden sozusagen recycelt, immer neu zusammen gesetzt, gehen nicht verloren und speichern Informationen. Wenn wir also zu uns selbst einen besseren Zugang finden, müssten wir eine Menge Wissen haben. Doch wie können wir darauf zugreifen?"
"Lauschen?" Der Sprecher war ein dunkelhaariger Mann, der gleichzeitig jungenhaft und irgendwie reif wirkte. Durchtrainiert, aber fragil. Er wirkte etwas verloren in der Menge. Als hätte er keinen richtigen Kontakt nach außen.
Bernstein und er schauten sich lange an. "Niel, ja, genau. Haben Sie eine Idee, wie wir das lernen können, in dieser Weise zu lauschen?"
Der junge Mann senkte den Blick und schien mit sich zu kämpfen. Ihm war die Aufmerksamkeit gleichzeitig unangenehm und andererseits wollte er gerne mehr sagen. Es blieb einige Minuten ruhig in dem Raum, während alle Blicke auf ihm ruhten. "Auf jeden Fall hilft es, das zusammen zu tun, vorzugsweise mit jemandem, der schon weiter ist als wir. Dabei entsteht mehr - mehr Raum, Aufmerksamkeit, es kann mehr - sowas wie ein mehrschichtiges Lernen. Auch über die Körper. Die Nervensysteme. Eine Art Verstärker für alle."
"Genau. Wir können uns auf diese Weise zusammen schließen. Zu einem - zeitweilig - größeren Ganzen. Das bringt uns mehr Energie, als wenn wir für uns bleiben."
"Aber wenn wir irgendwo anders sind ...?" Die Fragestellerin saß ziemlich weit vorne. "Was machen wir dann?"
"Erstaunlicher Weise scheint das keine große Rolle zu spielen", meinte Bernstein, "Tatsächlich kann man sich auch über weite Distanzen zu energetisch verbundenen Gruppen zusammenschließen. Es ist die innere Ausrichtung, die den Unterschied macht. Je nach persönlichem Stand geht das sehr einfach oder erfordert Hilfsmittel wie Bildtelefon oder dergleichen. An sich ist es möglich, ohne die jeweilige Tätigkeit zu unterbrechen. Diese Fähigkeiten, auch über den Körper direkt zu lernen, gegebenenfalls über Nachahmen oder in einem veränderten Bewusstseinszustand, sind noch relativ im Verborgenen bestehende Potentiale. Meiner Meinung sollten wir als Menschheit sie trainieren. Dafür könnten wir jede Menge Freiraum schaffen, wenn schädliche Tätigkeiten oder sinnlose eingestellt werden. Wenn wir ein Bewusstsein entwickeln, dass wir einen Teil unserer Zeit für die notwendigen - bezogen auf die gesamte Menschheit - Tätigkeiten geben. Und im übrigen dazu beitragen, dass wir uns entwickeln."
Bernsteins Zuhörer hatten das Gefühl, dass sich der Raum veränderte. Als käme etwas von oben durch das Dach und ströme langsam, aber energievoll in sie hinein. Tara war begeistert: Was, wenn sie noch besser werden könnte im Tae Kwon Do, nur von einer geistigen Verbindung mit ihrer Trainerin? Oder anderen Spitzen-Taekwondoka?
"Das Interessante ist, dass wir mit jedem Fortschritt in unserer Entwicklung etwas für die kommenden Generationen tun. Sie werden auf dem Aufbauen, was wir erarbeiten. Indem ihre Eltern freier, von ihren Mustern und Traumen befreit, werden, können sie besser auf ihre Kinder eingehen, sie überhaupt erst sehen und ihre Anlagen fördern. Dann hört der Quatsch auf, von den Kindern zu erwarten, sie mögen in die Fußstapfen der Eltern treten und den Betrieb fortführen. Oder eine tolle Karriere hinlegen. Oder was auch immer an unerfüllten Träumen der Eltern da sind. Statt dessen wird es um das gehen, was die Kinder für sich ersehnen. Damit haben sie ganz andere Startvoraussetzungen und werden ihrerseits mehr Kapazität für ihre Kinder bereit stellen. Bisher wurde die Vergangenheit weiter gegeben - Traumen, Unbewusstes, Emotionen. Wir können uns aber auch entscheiden, den Weg zu ebnen in etwas Neues. In ein weiteres Bewusstsein."
Tara dachte an die Erlebnisse mit der Tierheilung. An ihren Hund. Vielleicht wäre es möglich gewesen ihn zu retten, wenn ...?
"Dabei sollten wir das nicht zum Anlass nehmen, uns ganz aus dem Kreislauf des Lebens heraus zu träumen. Alles Leben, das entsteht, wird auch vergehen", fuhr Bernstein nun fort. "Aber wir können ein Stadium erreichen, in dem wir gesund und erfüllt leben, bis zum Schluss. Bis zum natürlichen Ende." Er schaute über die Gruppe und hatte mit mehreren Blickkontakt. "Der Generationenvertrag sieht vor, dass wir eines Tages gehen. Es darf der richtige Zeitpunkt sein. Es darf glücklich sein. Ich möchte, dass Sie sich immer wieder fragen: Was muss ich leben, damit ich mit meiner Seele in Einklang bin? Die Frage wird wegfallen, sobald Sie auf dem Weg sind, der für Sie der richtige ist. Sie können, Moment für Moment, so in Einklang mit sich und dem Leben sein, dass viel Energie in Ihnen ist."