NIEMANDSMOND - Teil I: Vollmond https://www.deviantart.com/ifritnox/art/672261323
Kapitel 1: Die Kinder der Sonne
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Eilige Schritte im Wald, dumpf wie Trommelschläge. Hier raschelten die Blätter, dort bog ein Luftzug die schmalen Äste eines Strauches um. Schnell wie Schatten huschten mehrere Wesen durch die Nacht, unkenntlich in der Finsternis.
Lauter Atem, Keuchen und Knurren hallte zwischen den Stämmen wider. So schnell sie konnten, sprangen die Gestalten durch das Gesträuch, fest auf ihr Ziel fixiert. Ihre Schritte wirbelten Erde in die Luft.
Fighting and running from, turning from who we really are.
Cannot suppress, so let's find the one we have shaped so far.*
Es waren sechs, die jetzt aus dem Wald brachen und sich auf den silbrigen Wiesen verteilten. Auf einem kleinen Hügel hielt der erste von ihnen an. Die Schwalbenschwänze eines Fracks schlug ihm um den Körper, zeichneten deutlich die schmale, schlanke Silhouette ab. Neben ihm tauchte ein Mädchen mit langen, wilden, roten Locken auf. Die anderen stellten sich dahinter auf, lauernd. Am Waldrand, gerade in Sichtweite, saß ihre Gefangene an einen Baum gefesselt.
Die Gegner, auf der anderen Seite der freien, leicht geneigten Wiesenfläche, zogen ihre Waffen.
Flying too close to the sun, as if we're invincible.
Cannot dictate, dominate the earth that we're living on.
Die Weißen Wächter standen in einer langen Reihe und sahen den Sechsen entgegen, die in ihr Land eindringen wollte. Die dunkel gekleidete Elfe, die die Wächter anführte, zückte den Bogen und hob den Arm. Ihr Einhorn tänzelte und warf den Kopf zurück. Indem sie zwei Finger gen Himmel streckte, befahl Caryellê ihren Gefolgsleuten, sich bereit zu machen.
Der große Drache, bleich wie Frost, spannte die Flügel auf und brüllte. Die Zwerge schlugen laut die Äxte gegen ihre Schilde. Rasselnd wurden Waffen gezogen. Die Angreifer aus den dunklen Landen hatten keine Chance.
We can't defy the laws, cut the laws that we consummate.
Around the world, we grow weaker as we exterminate.
Das Mädchen mit den wilden Locken brach zusammen. Sie sank auf den Boden, zitternd und bebend, ihre roten Haare schienen sie einzuhüllen. Jetzt waren die anderen dahinter zu erkennen, vier Gestalten, die meisten davon hätten Menschen sein können, abgesehen von einem kleinen, roten Drachen. Mit ausdruckslosem, bleichem Gesicht sah ihr Anführer, der schlanke Mann neben dem rothaarigen Mädchen, zu der Reihe der Wächter herüber.
Die Elfe ballte die Finger zur Faust und riss den Arm nach vorne. Die Wächter begannen zu rennen.
The only thing that gives, thing that brings air and light to us.
Wake up one day and find what we got is so serious:
Unvermittelt wuchs das rothaarige Mädchen wieder in die Höhe, doch war sie kein Mädchen mehr. An ihre Stelle war, im Licht des fast vollen Mondes, ein gewaltiger, roter Wolf getreten.
Der Wolf hob den Kopf in den Nacken und heulte.
We are!
Die sechs stürmten vorwärts. Aus Menschen wurden Monster, geflügelte Wesen, Wesen mit Macht. Und der rote Wolf heulte.
The children of the sun!
We are the children of the sun!
In der Mitte der silbergrünen Wiese trafen die beiden Gruppen aufeinander.
The human greed and our creed is all that we have to share.
Knee deep in tragical, fabrical issues everywhere.
Klauen kratzten auf Rüstungen und Panzern. Sofort brach ein Chaos aus, in dem Caryellê, die junge Anführerin der Weißen Wächter, augenblicklich ertrank.
Das Einhorn Stella scheute vor einem schwarzen Nebel zurück, der direkt auf sie zu raste. Das weiße Tier sprang beiseite und stieß mit dem Horn in die Rauchwolke, ohne etwas zu bewirken. Cary legte einen Pfeil auf den Bogen, zielte, die Hand nah am Auge und sah sich um. Die dunklen Wesen waren mitten unter die Wächter gefahren wie rachsüchtige Geister.
Der rote Drache drängte mehrere Zwerge zusammen. Cary schickte einen Pfeil los und sah befriedigt, wie er traf. Schon bewegte sich Stella unter ihr wieder, trug sie diesmal aus der Bahn des Vampirs, der die Angreifer anführte. Der blonde Untote beachtete Cary nicht und sprang über den Pfeil, den sie ihm hinterher schoss, einfach hinweg.
Sie lenkte Stella hinter dem Vampir her, doch der war im Kampfgetümmel sehr viel schneller als das Einhorn. Von der Seite schossen Lichtblitze heran. Caryellê riss den Arm hoch und Stella wehrte den Angriff des dunklen Magiers ab. Seine mitternachtsblauen Roben blähten sich, als e hinter einer Gruppe von Baumwesen verschwand, offenbar auf der Suche nach einem leichteren Opfer.
Plötzlich traf etwas Carys Seite. Sie wurde vom Rücken des Einhorns gerissen und landete im Schlamm.
Cannot replace the one, chase the one that we used to be.
It isn't how we were, why we're here, what we're meant to be.
Cary kämpfte sich auf die Füße. Sie hatte den Bogen fallen gelassen. Ihre Stiefel sanken tief in den Schlamm, genauso wie die Pranken ihres Angreifers.
Die rote Wölfin stand ihr gegenüber und knurrte Cary an, die grünen Augen auf das Gesicht der Elfe gerichtet. Platschend mühte sich das gewaltige Tier durch den Matsch, die Zähne gefletscht.
Fighting and running from, turning from who we really are.
Cannot suppress, so let's find the one we have shaped so far.
Die Wölfin sprang. Cary ließ sich fallen und zog das schlanke Messer von ihrer Hüfte.
Der Werwolf flog über sie hinweg und landete in einer Schlammfontäne. Cary richtete sich auf, das Gesicht verschmiert. Ihr Herz raste, als sie zu dem Wolf aufsah. Er war groß wie ein Troll.
Wieder sprang die Wölfin. Caryellê stolperte zurück und hieb nach den Pfoten, die dort aufkamen, wo sie eben noch gestanden hatte. Tief sanken die Tatzen in den Grund, und ihr Messer drang kaum durch das gewellte, rote Fell.
Flying too close to the sun, as if we're invincible.
Cannot dictate our fate on this earth that we're living on.
Der Wolf stieß den Kopf nach vorne. Cary wurde von dem breiten Schädel getroffen, alle Luft aus ihren Lungen gepresst. Sie hörte den entsetzten Schrei von Stella, während sie durch die Nacht flog.
Zum Glück war der Boden weich. Cary landete ein Stück außerhalb der Schlacht. Sie sah entsetzt, dass die Weißen Wächter sich zurückzogen, völlig orientierungslos. Die sechs dunklen Wesen waren mitten unter die erprobten Krieger gefahren, eine Taktik, auf die keiner der Weißen Wächter vorbereitet gewesen war. Cary kämpfte sich auf die Beine. Sie musste die Krieger sammeln!
Plötzlich war die weiße Stella neben ihr. Cary zog sich auf den Rücken des Einhorns. Erst, als dieses los galoppierte, bemerkte Cary, dass sie verfolgt wurden.
We are the children of the sun!
Die rote Wölfin war schnell. Kein anderes Tier konnte mit Stella mithalten, doch die Wölfin kam näher, während Stella noch Geschwindigkeit aufnahm. Cary klammerte sich in die goldene Mähne des Einhorns und beugte sich weit nach vorne. Der Gegenwind verschlug ihr beinahe den Atem. Doch noch war der Wolf, von seinem Schwung getragen, schneller.
Unvermittelt wurde sie erneut von der Seite getroffen. Sie spürte, wie auch Stella von den Füßen gerissen wurde. Dann überschlug Cary sich, bis sie von einem Stein, der aus dem hohen Gras ragte, ausgebremst wurde. Sie stieß mit dem Kopf gegen den Felsen.
The love for everyone.
Caryellês Kopf dröhnte. Vor ihren Augen verschwammen die Wiesen, das ferne Schlachtgetümmel und die Sterne am Nachthimmel. Sie richtete sich auf die Arme auf. Sofort knickte sie ein. Ihr Körper zitterte. Sie spürte die Kälte, die Rüstung, die ihre schmale Taille umfasste, überdeutlich
Always on the run.
Etwas krachte auf den Boden. Cary sah zur Seite und sah eine große Tatze, bleich wie Frost. Sie ließ den Blick hinauf wandern und entdeckte den großen, weißen Drachen Nephanir. Der Riese sah auf sie herab, und seine Augen glühten wie Kohlen.
The fire in our eyes.
Nicht nur Caryellê war auf dem Boden gelandet. Ein Stück hinter ihr mühte sich Stella mit hilflosen Bewegungen, aufzustehen. Das Einhorn war auf der Seite gelandet, offenbar hatte Nephanir sie alle mit dem Schwanz umgerissen. Und endlich entdeckte Cary den Grund für die Wut des Drachen: Auch der Werwolf war auf der Seite gelandet, ähnlich angeschlagen wie Cary, und nicht weit genug entfernt.
The passion never dies.
»Nephanir!«, rief Cary. Etwas Warmes lief ihr ins Auge. Sie konnte ihre eigene Stimme nicht hören, denn in ihren Ohren klingelte es.
Nephanir würde den Werwolf töten. Ob sonst noch jemand starb, zählte für den gewaltigen, jahrhundertealten Drachen nicht.
We are the chosen ones.
Nephanir sperrte das Maul auf. Die zweite Pfote krachte auf den Boden, als er sich über ihnen aufrichtete. Stella sah wie erstarrt zu dem Drachen auf. Cary konnte den Blick nicht von dem Rachen abwenden, von dem blauen Glühen, das den langen Hals hinauf wanderte, das Feuer, das sie töten würden.
The children of the sun!
Das Feuer raste auf Caryellê, Stella und die rote Wölfin zu, ein riesiges Inferno. Das Gras beugte sich unter der Hitzewelle und verbrannte knisternd.
Cary starrte auf das helle Licht.
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Nein! So sollte es nicht enden! Sie hatte nicht so viel Leid erduldet, so lange gekämpft, um jetzt zu sterben.
Sie war eine Kriegerin, die erste Frau, die erste Elfe, die jemals die Wächter angeführt hatte. Sie fand ihren Dolch, ergriff ihn und kämpfte sich auf die Beine. Sie rannte. Hinter ihr glühte das Inferno immer heller. Der Boden schwankte unter ihren Füßen, bockig wie eine schwarze Ziege. Cary konnte kaum etwas sehen. Blut war ihr in die Augen gelaufen. Die Hitze kam ihrem Rücken immer näher. Näher und näher.
Plötzlich stauchelte sie. Schmerzen schossen durch ihren Knöchel. Hilflos fiel sie in das lange Gras und wusste, dass sie nicht mehr entkommen konnte. Sie sah auf und bemerkte einen dunklen Schatten hinter sich, bevor sie sich umdrehte, um den Flammen entgegen zu sehen.
Und dann …
We are the children of the sun!
The love for everyone.
Always on the run.
Eine gewaltige Explosion. Goldene Blitze, die den ganzen Himmel überzogen. Eine Druckwelle wirbelte ihr Erde entgegen, Cary musste ihr Gesicht abwenden. Die Luft kribbelte wie bei einem heftigen Gewitter.
Erst, als das Licht ein wenig verblasste, verstand Cary, dass das Feuer aufgehalten worden war. Eine Barriere war scheinbar aus dem Nichts entstanden, ein schwarzer, rauchiger magischer Schutzwall. Dunkle Gestalten rasten an ihr vorbei durch die Luft, die vor Hitze flimmerte. Metall blitzte auf. Jemand schrie etwas. Woanders sprang ein dunkler Schatten auf die Flanke von Nephanir. Flammenstöße, von dem Schutzwall abgelenkt, schossen durch die Nacht und rissen Krater in den Boden.
The fire in our eyes.
The passion never dies.
We are the chosen ones:
The children of the sun!
Cary sah den Vampir, der erschreckend behände den Hals des Drachen hinauf kletterte. Schwarzer Rauch schoss durch die Luft, hüllte einen Moment den mächtigen Kopf des Drachen ein. Nephanir biss in die Wolke, verschlucke sie im Ganzen. Im nächsten Moment färbten sich seine Augen schwarz.
Cary starrte entsetzt auf den Drachen. Dessen Körper bebte und zuckte unkontrolliert. Die Augen wechselten in schneller Folge zwischen schwarz und rot. Die Krallen pflügten die Erde auf. Wer von den Weißen Wächtern noch nicht tot war, der floh. Der Todeskampf des Drachen verwandelte die Wiese in ein aufgewühltes Meer, das die winzigen Elfen und Zwerge und Zentauren verschlingen wollte.
Die ganze Erde zitterte unter dem Toben des Weißen. Der rote Drache, von der Seite der Dunkelheit, raste unter den Bauch des mächtigen Nephanir. Schwarzes, öliges Drachenblut netzte den Boden. Nephanir bäumte sich auf, wollte fliehen, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht.
Entsetzt konnte Cary nur zusehen, wie der Vampir den Hals des Drachen mit einem langen Degen aufschlitzte, während die ganze Gruppe auf den majestätischen Nephanir einstach, ihn kratze und biss und mit ihrer Magie bedrängte.
We are, we are, we are the children of the sun.
We are, we are the children of the sun.
We are, we are, we are the children.
Always on the run.
Donnernd brach Nephanir zusammen, mit einem Getöse, als würden Berge ineinander stürzen. Caryellê schützte ihren Kopf mit den Armen und wandte das Gesicht ab. Als das kühle Gras über ihre Wangen strich, stellte sie fest, dass sie geweint hatte. Sie zitterte am ganzen Leib.
Eine Hand packte grob die Haare an ihrem Hinterkopf. Cary schrie, als ihr Kopf in den Nacken gezerrt wurde. Vor dem dunklen Himmel konnte sie eine Gestalt erkennen, umhüllt von dunkelblauen Roben, durch die das Mondlicht schimmerte und mit einer Frisur, die es beinahe so erscheinen ließ, als hätte der Mensch zwei Hörner. Das war der Magier.
Sie wollte sich wehren, aber er riss noch heftiger an ihren Haaren. Mit der anderen Hand hielt er ihr etwas Spitzes aus Metall an den gestreckten Hals.
»Keine Bewegung!«, knurrte er mit rauer Stimme.
Vor Schmerz traten Cary Tränen in die Augen. Sie rührte sich nicht mehr. Der schnelle Atem brannte in ihrem Hals. Sie hörte das Knurren der Wölfin, die sich über Stella aufgebaut hatte, die Zähne an der Kehle des Einhorns.
Mit ruhigen Schritten kam der Vampir näher. Sorgsam wischte er schwarzes Blut von seiner Waffe und betrachtete dann Cary und Stella aus dunkelroten Augen.
»Fesselt sie«, sagte der Untote und steckte seine Waffe ein.
Caryellê konnte sich nicht wehren, als ihr harte Stricke um die Handgelenke gebunden wurden. Man zerrte sie grob auf die Beine und schleifte sie dann zum Waldrand. Stella wurde ebenfalls abgeführt, und über alles wachte der Vampir, eine schlanke Figur auf dem erhöhten Hügel dieser Wiese.
Die weite Fläche war jetzt begraben unter dem toten Drachen.
Caryellê wehrte sich gegen die Hände, die sie vorwärts zerrten.
»Wer seid ihr?«, verlangte sie zu wissen. Ihre Stimme war rau.
Der Magier, der sie festhielt, schlug ihr in den Rücken, damit sie weiter ging. Aber das Werwolfsmädchen, das sich wieder zurückverwandelt hatte, blieb vor ihnen stehen. Sie musterte Cary.
»Wir?«, fragte sie dann und warf die langen Haare in den Nacken. »Wir sind die Kinder der Sonne!«
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*»Children of the Sun«, Thomas Bergersen feat. Merethe Soltvedt