Jörn klebte den letzten Umschlag zu und legte ihn zu den anderen auf den Stapel. Endlich fertig. Seine Finger taten vom vielen Schreiben schon weh. Er streckte sich genüsslich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Glücklich beobachtete er seinen Verlobten dabei, wie er mit Textmarkern die Namen auf seinem Sitzplan farbig kennzeichnete, bei denen er sich sicher war, dass sie an der erdachten Stelle ihren Platz finden sollten.
„Was ist mit Tante Erna? Setzt du sie zu Carla an den Tisch ganz rechts?“, fragte Jörn, als er bemerkte, dass seine komplizierte Tante nicht auf dem Plan zu finden war.
„Nein“, antwortete Phil. „Ich hab sie dem Tisch mit deinen Onkeln zugewiesen.“
Entgeistert schüttelte er den Kopf.
„Du wirfst sie also den Löwen zum Fraß vor, hm? Hältst du das für eine gute Idee?“
Tante Erna war eine grundsätzlich nette Person. Sie war nur ... Okay, nein. Sie war nicht nett. Oder nur zu den Leuten, die sie mochte, und das waren nicht gerade viele. Und es beruhte auf Gegenseitigkeit. Außer unserer gemeinsamen Freundin Carla mochte sie nämlich niemand. Carla war die große Ausnahme. Sie war der Meinung, dass Erna nur unzufrieden mit ihrem Leben war und deshalb jeden von sich stieß. Vielleicht hatte sie damit sogar recht. Aber das war nicht wichtig. Vor allem nicht, wenn es um meine Hochzeit ging. Er wollte, dass das Ganze ohne Zwischenfälle ablief und da war es nun mal gut und richtig, Tante Erna ein wenig abzusondern.
„Hey, ich bin echt nicht gewillt, ausgerechnet an unserem großen Tag eine Sonderregelung für jemand anderen als dich oder mich einzuräumen.“
Wow. Da war wohl jemand angespannt. Machte sich Phil vielleicht ein bisschen zu viel Stress mit dieser Hochzeitssache? Er neigte durchaus dazu.
„Hör mal, Schatz“, begann Jörn, „Ich denke, dass wir mehr davon haben werden, wenn wir Erna etwas absondern. Sie ist so schon anstrengend genug. Da müssen wir sie nicht auch noch in Schusslinie setzen.“
Mit funkelnden Augen, die zu Schlitzen verengt waren, sah Phil Jörn an. Er schien seine Worte genau abzuwägen.
„Keine Extrawurst“, sagte er streng. „Für niemanden.“
Jörn seufzte und gab sich vorerst damit zufrieden.
„Gut. Dann eben nicht. Ich gehe in die Küche, um die Telefonate zu erledigen. Wir reden, wenn du weniger stur bist.“
Genervt vom Verhalten seines zukünftigen Ehemannes stand er auf und ging in die Küche. Seitdem sie mit den Hochzeitsplanungen angefangen hatten, war Phil wirklich anstrengend.
Verdammt! Das hatte er nicht gewollt. Phil wusste doch selbst gut genug, dass es Sinn machte Tante Erna zu Carla zu setzen. Die Frau würde sonst nichts als Ärger machen und er wollte doch lediglich einen schönen Tag haben. In erster Linie für Jörn. Er atmete tief durch und radierte einige Namen weg, nur um sie dann an anderer Stelle wieder in den imaginären Saal zu setzen. Wobei Saal eigentlich falsch war. Es war ein riesiges Zelt auf einer Wiese. Na gut, ein wenig mehr als bloße Wände aus Plane und ein paar Metallstützen waren es schon. Es gab einen Holzboden wie auf einer Terrasse und Stufen nach unten die Anhöhe hinab auf der das Zelt stand, aber es war dennoch mehr ein Zelt als ein Saal. Wenngleich es so aufgemacht war. Sie hatten sich bewusst für diese Art entschieden, weil sie draußen feiern wollten, es zeitgleich aber auch wichtig war, vor eventuellen Wetterumschwüngen sicher zu sein. Nur leider waren sie vor unbequemen Entscheidungen wie die, wo die unbeliebte Tante sitzen sollte, nicht sicher. Und ja, Phil hatte es vergeigt. Er mochte Erna nicht und hatte sich schon so einige Male mit ihr angelegt. Ihr jetzt auf seiner eigenen Hochzeit eine Extrawurst zu gewähren, war ihm zuwider. Sie aber mitten ins Geschehen zu werfen und damit zu riskieren, dass sie im ungünstigsten Zeitpunkt eine Szene machte, kam für ihn auch nicht infrage. Zwischen Verwandten, die sie in die Schranken weisen würden, wäre sie sicher gut aufgehoben.
Phil legte den Stift beiseite und atmete tief durch. Okay, gut. Dann sprang er eben über seinen Schatten und setzte die alte Schachtel zu Carla. Es war ja nicht so, dass er einen Nachteil dadurch hätte. Und Carla kam wirklich gut mit ihr zurecht. Allerdings würde er seiner Freundin wohl beim nächsten Barabend einen Drink spendieren müssen. Oder eher zwei bis drei. Je nachdem wie sich Tante Erna verhielt. Er stand also auf, um zu seinem Zukünftigen in die Küche zu gehen und sich zu entschuldigen. Er mochte es nicht, sich mit ihm zu streiten oder uneins zu sein. Doofes Bedürfnis nach Harmonie.
Jörn hatte gerade das Telefonat mit dem Blumenhändler beendet, da schlangen sich schlanke Arme von hinten um ihn und ein Kuss wurde in seinen Nacken gesetzt. Er entspannte sich sofort. Genoss die Zartheit der Berührung.
„Verzeih mir bitte“, hörte er Phil leise hinter sich nuscheln.
Entschuldigungen waren nie seine Stärke gewesen. Und es war nicht Jörns Stärke, diese anzunehmen. Aber er liebte diesen Mann und gemeinsam arbeiteten sie an diesen Dingen. Also drehte er sich um und ließ zu, dass sich Phils Arme um seinen Hals legten und auf seinen Schultern zum Ruhen kamen. Sein Partner sah ihn liebevoll an und gab ihm dann einen seichten Kuss aufs Kinn.
„Okay“, quetschte Jörn mühsam heraus. „Ist okay. Ich liebe dich.“
Phil sah ihn schweigend an. Er schmiegte sich an ihn und atmete dann tief durch. Natürlich hatte Jörn bemerkt, dass sein Liebling seit dem Beginn der Hochzeitsvorbereitungen ziemlich unter Strom stand. Es fiel ihm nur gerade schwer, damit umzugehen. Er selbst war doch auch gestresst. Das Schlimmste war gewesen, sich die passenden Anzüge auszusuchen. Sie wollten am großen Tag perfekt aussehen und das Gleiche tragen. Allerdings hatten sie nicht denselben Geschmack, was die Angelegenheit Anzugskauf zu einer echten Herausforderung gemacht hatte. Aber auch diese Hürde hatten sie gemeinsam gemeistert. So gut es ging jedenfalls. Es hatte mehrere Tage und Anläufe gebraucht und sie waren sicher durch zehn Geschäfte gerauscht, bis sie gefunden hatten, was sie wollten. Doch am Ende hatte es sich gelohnt. Die Anspannung vor ihrem großen Tag war für Jörn allerdings bedeutend gestiegen und er hatte nicht die Kraft auch noch seinen Liebsten runterzubringen. Außerdem kannte er Phil so nicht. Er war sonst immer der ruhige Typ, der alles nahm, wie es eben kam. Nur bei dieser einen Sache war er gestresst und neigte zu kleineren Ausbrüchen. Und Jörn konnte nicht gut damit umgehen. Doch sie würden daraus lernen und das Beste aus der Situation machen. Eine Hochzeit zu planen war nun mal eine hektische und sehr stressige Angelegenheit. Das ging an ihnen beiden nicht einfach so vorbei und es war okay. Hindernisse zu überwinden, sie gemeinsam zu meistern, machte sie doch nur stärker und schweißte sie mehr zusammen.
Er schlang also seine Arme um seinen Liebling und küsste ihn sanft.
„Ich habs jetzt so gemacht, wie du gesagt hast“, sagte Phil nach einem Augenblick. „Ich schätze, du hast recht und nur, weil ich Erna nicht mag und ihr keine Extrawurst einräumen möchte, heißt das nicht, dass wir darunter leiden müssen.“
Jörn war dankbar, dass Phil einsichtig war. Tante Erna war schwierig. Aber noch schwieriger würde es werden, wenn sie mitten unter den Feiernden sitzen würde. Er hatte Glück, dass sein Zukünftiger so einsichtig war und Fehler zugeben konnte.
„Ich kann verstehen, dass dir das Unbehagen bereitet“, gab er zu, um Phil das Gefühl zu geben, verstanden zu werden.
Außerdem konnte er sich wirklich in ihn hineinversetzen. Vielleicht sogar besser als Phil glaubte. Sie fühlten sich stark miteinander verbunden und dachten meist dasselbe. Waren fast immer derselben Meinung und das war praktisch. Wie gerne hätte Jörn jetzt zur Versöhnung Phil ins Schlafzimmer getragen und Versöhnungssex gehabt. Doch das war ihnen momentan untersagt. Sie hatten sich nämlich ein Versprechen gegeben. Kein Sex mehr, bis zur Hochzeitsnacht. Erst in dieser besonderen Nacht wollten sie wieder miteinander schlafen. Es sollte sie an ihre Anfangszeit erinnern. Eine lange Fernbeziehung. Da war eine echte körperliche Vereinigung eben die Seltenheit und trotzdem hatte es zwischen ihnen funktioniert. So würde ihre Hochzeitsnacht etwas ganz Besonderes werden. Na ja, und noch aus einem anderen Grund. Bisher hatten sie beim Akt immer ein Kondom benutzt. Sicher ist sicher. Doch vor kurzem hatten sie sich beide testen lassen und hatten nun vor in ihrer Hochzeitsnacht das erste Mal ohne Schutz miteinander Sex haben.
Und aus genau diesem Grund war es gerade extrem schwer für Jörn, sich zusammenzureißen und nicht einfach den Streit mit Vögeln aus ihren Köpfen zu vertreiben. Außerdem war er es so gewohnt. Sie stritten, versöhnten sich und hatten Sex. So lief das nun mal. Das hier war der erste Streit seit langem und da war das Bedürfnis natürlich groß. Und auch Phil schien es ähnlich zu gehen. Er seufzte und löste sich nur zögerlich aus seinen Armen.
„Wir werden eine tolle Hochzeit haben“, meinte der Jüngere. „Ich kanns kaum noch erwarten.“
„Ich auch nicht.“
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