***Harbek***
Neverember sah sie der Reihe nach bittend an, doch Harbek wusste nicht was er zu dieser Bitte sagen sollte. Wiederholt öffnete und schloss er den den Mund, doch ihm fiel keine Erwiderung ein.
Hinter Lord Neverembers Bitte stand so viel mehr … Er bat sie nicht nur in einen Kampf zu ziehen, der beinah aussichtslos erschien, sondern auch das Schicksal und die Hoffnungen ganz Neverwinters auf die Schultern zu nehmen, ihr Leben in den Dienst dieser Aufgabe zu stellen.
Seit er sein göttliches Siegel zum ersten Mal in de Händen gehalten hatte, wollte er der Welt Frieden bringen, die gottlosen, widernatürlichen Bestien aus der Welt vertreiben und ja, auch eine Stange Geld verdienen, doch wollte er dies aus dem Verborgenen tun, nicht als Held und schon gar nicht als Marionette eines Lords. Die Erwartungen, die man an ihn stellen würde, wären zu groß, um ihnen gerecht zu werden.
Andererseits würde man ihn als Held verehren, ihm zu Füßen liegen und dem Boden auf dem er ging für heilig erklären. Er würde lügen, wenn er es bestreiten würde, wie verlockend er diese Vorstellung fand.
Alice unterbrach seine Abwägungen, indem sie stolz einen Schritt nach vorne trat und die Hand auf ihre Brust lege.
„Es wäre mir eine Ehre für den Frieden einzustehen“, durchbrach sie die Stille und dachte dabei an die unzähligen Menschen in der Protector Enclave und an Wilfred, der sich, um seine Freunde zu rächen und weitere Verluste zu vermeiden, todesmutig auf Valindra gestürzt hatte … und dabei gescheitert war.
Keeda beobachtete Alice, die nun selbstbewusst vor ihr stand, und berührte während ihrer Zustimmung das Mal des Donnerrabens auf ihren Wangen. Schließlich trat sie neben Alice und nickte dem Lord widerwillig zu.
Harbek seufzte tief und grunzte genervt, bevor auch er sich neben seine Gefährten stellte und mit den Schultern zuckte.
„Ich habe schließlich geschworen an eurer Seite zu kämpfen. Außerdem würdet ihr keinen Tag ohne mich überleben“ Er wandte sich von Keeda und Alice ab und sah den Lord fragend an, „Wen wollen sie zuerst leblos zu ihren Füßen sehen?“
„Die Nasher“, antwortete Feldwebel Knox an Neverembers Stelle. Alice zuckte bei seiner Stimme, er hatte so unbewegt neben den Löwenstatuen gestanden, dass sie ihn beinahe vergessen hätte.
„Die Nasher haben heute morgen die Krone Neverwinters gestohlen. Sie ist das Symbol unserer Stärke“, sprach er mit regungsloser Mimik weiter, „Wenn ihr Verschwinden bekannt wird, wird das nicht nur unsere Bürger, sondern auch unsere Krieger an der Front in Verzweiflung stürzen und den Nashern den letzten Ansporn geben ihre Rebellion gegen Lord Neverember zu beginnen. Sie sind eine Gruppe die sich offen gegen ihn gestellt hat und ihn um jeden Preis zu Fall bringen will.
Wir konnte die Spur der zwei Diebe in das Blacklake-Viertel zurückverfolgen. Wir glauben sie sind zu ihrem Anführer Karzov geflohen.“ Feldwebel Knox reichte Alice eine Karte des Backlake-Viertels.
„Wir müssen den Kopf dieser Schlange abschlagen und die Rebellion der Nasher verhindern! Geht und bringt ihn mir. Ihn und die Krone von Neverwinter. Wir brauchen sie, um den Krieg zu beenden.“ In Lord Neverembers Augen flackerte ein hasserfüllter Blick, während er von Karzov sprach, „All unsere Hoffnungen lasten nun auf euch, meine Helden. Versagt nicht!“
Knox trat aus den Schatten der Statuen und den Drei gegenüber, um sie eindringlich zu mustern, „Lord Neverember hat Recht. Ihr dürft nicht versagen, doch passt auf wenn ihr im Blacklake-Viertel seid. Wir haben die Kontrolle über diesen Bereich schon vor langer Zeit verloren und auch wenn wir jeden Tag ein Stück mehr davon zurückerobern, ist es eine gefährliche und abscheuliche Gegend.
Traut niemandem, sprecht mit niemandem und haltet euch von der Kanalisation fern. Werratten haben dort eines ihre Nester gebaut, sie sind keine Nasher, doch werden sie nicht zögern euch zu töten, wenn ihr in ihr Territorium eindringt.“
Feldwebel Knox behielt Recht, das Blacklake-Viertel war das reinste Dreckviertel.Die Stiefel versanken bei jedem Schritt mehr im schwarzen Morast, die Luft war trüb und in ihr hing der stetige Geruch nach Seetang, Salz und Tod.
Alice schlug sich die Hand vor die Nase und musste ein Würgen unterdrücken, während Harbek wütend auf den Schlamm starrte, der an seiner silbernen Rüstung verkrustete. Er spielte mit dem Gedanken sein Siegel zu heben, um den Schlamm in Asche zu verbrennen, doch bei dem Gedanken an die Mischung aus Erde, Teer, Salz und nur die Götter wussten was noch, wurde ihm mulmig. Wer konnte schon sagen, was er in alles in Brand stecken würde, schlimmsten Falls sich selbst.
„Zeig noch mal die Karte“, wandte er sich an Alice, die bereits grün um die Nase wurde und ihm den Papierfetzen wortlos in die Hand drückte.
„Mhm“, knurrte er und studierte die Karte mit zusammengekniffenen Augen.
***Keeda***
Keeda seufzte, als sie ihre Gefährten beobachtete.
Alice sah aus, als würde sie sich gleich übergeben und starrte missmutig auf den Schlamm und Dreck. Auch Keeda wurde bei dem Geruch schlecht, doch sie wusste, sie würde sich schon bald daran gewöhnen. Diese Gegend unterschied sich unwesentlich von ihrem Heimatort, es war lediglich feuchter.
Harbek starrte derweil mit unbewegten Augen auf die Karte und versuchte seine Ratlosigkeit zu verbergen. Keeda beugte sich über seine Schulter und warf einen schnellen Blick auf die verworrenen schwarzen und grünen Linien, die eine grobe Zeichnung von Straßen, Hügeln und Gebäuden zeigte. Sie griff über die Schulter des Zwerges und zeigte auf eine Stelle, an die jemand kaum sichtbar ein kleines Kreuz gezeichnet hatte.
„Wir müssen dort hin“, sagte sie und spürte wie Harbek unter ihrer unabsichtlichen Berührung zusammen zuckte, „Am besten nehmen wir den ersten Teil die Hauptstraße und biegen erst dort“, sie zeigte auf eine Kreuzung aus verschiedenen schwarzen und grünen Linien, „in die Seitenstraßen. Ich vermute, die Nasher halten sich von den beleuchteten Wegen fern.“
Alice trat näher zu ihnen und betrachtete ebenfalls verständnislos die Karte, bis sie Keeda einen verwirrten Blick zuwarf.
„Du kannst das lesen?“, fragte sie skeptisch und auch der Zwerg beäugte Keeda prüfend. Unbehaglich wand sich sich unter ihren Blicken und zuckte nur teilnahmslos mit den Schultern.
„Und wenn schon.“
„Nein, Nein. Ich bin froh das wenigstens einer aus diesem Gekritzel schlau wird“, antwortete Alice und lächelte sie aufrichtig an, „Geh am besten vor, wir folgen dir.“
Keeda übernahm widerwillig die Führung, dicht gefolgt von Alice die bereits ihre Dolche kampfbereit hielt und Harbek der sein Siegel zum glühen brachte, und ihnen den Weg beleuchtete. Die warmen Lagerfeuer schienen nur noch eine blasse Erinnerung zu sein, während sie durch den kalten und knöcheltiefen Schlamm stiefelten.
Immer weiter führte Keeda sie in die Finsternis, bis sie in ein Gewirr aus Seitenstraßen eintauchen mussten und sich einen Weg durch eingestürzte Häuser, verbrannte Karren und engen Gassen suchen mussten. Der Anblick all dieser Ruinen stimmte jeden von ihnen traurig. Jedes dieser Gebäude hatte einmal einen Zweck erfüllt, war das Zuhause einer Familie gewesen, ein Ort an dem sich Menschen zum Lachen und Lieben getroffen hatten. Doch nun waren die Öfen kalt und die Brunnen ausgetrocknet. Harbek schickte ein kurzes Stoßgebet zu Moradin, als sie an einem zerbrochenen Altar vorbei kamen auf den jemand, mittlerweile verwelkte, Blumen gelegt hatte.
Unvermittelt blieb Keeda stehen und hob warnend die Hand, wodurch der Zwerg sie fast umgerannt hätte.
Blitzschnell zog sie ihren Bogen und spürte wie sich Alice angespannt an ihr vorbeischob. Wortlos deutete Keeda nach vorne und tauschte einen kurzen Blick mit der Menschenfrau, die sie grimmig anlächelte und lautlos zu der nächsten Häuserecke schlich, um in die nächste Gasse zu blicken.
Nun hörte auch sie das leise Knistern eines Feuers und gab ihren Freunden ein kurzes Zeichen
Drei Männer saßen oder lehnten an einem Brunnen, noch vier weitere standen verstreut in den Schatten, die das Lagerfeuer in der Mitte warf. Sie alle trugen das Zeichen der Nasher, doch keiner bemerkte Alice, die sich von hinten an einen von ihnen heran pirschte.
Erst als der erste Tote mit einem dumpfen Schlag auf dem Pflaster aufschlug entdeckten die übrigen Männer sie. Die Verwirrung stand ihnen in die hässlichen Gesichter geschrieben, doch ohne Zögern zückten sie ihre Schwerter oder Stäbe und stürzten sich auf sie.
Keeda beobachtete Alice dabei, wie sie sich furchtlos ihren Gegnern entgegenwarf und keine Sekunde zögerte. Der Pfeil, den sie gleich darauf abschoss zischte knapp neben Alice vorbei und vergrub sich in der Stirn eines Mannes, der sich in ihrem toten Winkel angeschlichen hatte. Noch ein Zischen erklang und noch ein Nasher fiel regungslos zu Boden.
Ein Lichtstrahl erhellte den Platz und ließ einen weiteren Angreifer schreiend zu Boden stürzen bevor er Alice Klingen zu spüren bekam. Die zwei verbliebenen Männer erkannten ihre aussichtslose Lage und versuchten sich in das Labyrinth aus Gassen und Schatten zu fliehen.
Einer kam bis in die Mitte des Hofes, bevor er mit einem Dolch im Rücken zusammensackte. Der letzte verbliebene Nasher versuchte einem Blitz auszuweichen und stürzte sich mit letzter Kraft in die Schatten, doch ein Zischen und ein dumpfer Aufschlag verrieten sein Scheitern.
Harbek stiefelte als erster von ihnen weiter auf den Hof und zog den Dolch aus dem Rücken des Nashers, bevor sich Keeda und Alice zu ihm gesellten. Er übergab den Dolch an die Menschenfrau und lies seinen Blick über ihre Körper wandern.
„Jemand verletzt?“
Beide schüttelten den Kopf und Alice wischte grinsend ihre blutigen Klingen sauber.
„Unser erster gemeinsamer Kampf als Verbündete. Das müssten wir eigentlich feiern.“ Sie grinste ihre Begleiter aufgekratzt an.
„Wenn ich die nächste Taverne sehe sag ich Bescheid“, lachte Keeda, von Alice Heiterkeit angesteckt, und zog einen neuen Pfeil aus ihrem Köcher, „Doch jetzt würde ich vorschlagen weiter zu gehen. Das Geschrei der Nasher könnte jemanden alarmiert haben.“