Dorian schrie auf und sackte zusammen als die Kugel in seinem Bein eintraf. Er rutschte an der Wand hinab und presste die Hände auf den Oberschenkel. Dunkles Blut durchweichte den hellen Stoff seiner Jeans, trat zwischen den Fingern hervor und tropfte auf den Boden. Josh bemerkte nicht das er aufschrie und auf Dorian zustürzte, bis Gromow ihn am Kragen zurückhielt. Er packte ihn fest am Stoff seiner T-Shirts und zielte weiterhin auf Dorian, dieses Mal jedoch auf dessen Schädel. Hilflos umfasste Josh die Arme des Anführers und versuchte ihn abzuschütteln, besann sich aber rasch eines Besseren.
„Ich fürchte, ich habe mich nicht klar ausgedrückt. Sag mir die Wahrheit oder dein Freund stirb. Hast du es jetzt verstanden, oder muss ich mich wiederholen?“, Gromows Augen funkelten wild und Josh hatte keinen Zweifel, dass er seine Drohung wahrmachen würde. Besorgt schaute er auf Dorian hinab, der die Lippen zu einem weißen Strich zusammenkniff, die Wunde wimmernd umklammerte und jähe Flüche ausstieß. „Schade, dass du mich dazu zwingst. Meine Tochter wird sich sehr über deine Bekanntschaft freuen.“ Gromow wandte sich von Josh ab und sah auf Dorian hinab, um sorgfältig zu zielen.
Joshs Hände flogen fast an Gromows Handgelenke, dort wo die weiche Haut unter dem gestärkten Stoff seines Hemdes hervortrat. Ihm war egal, welche Emotion er dem Widerling aufzwingen würde, er hatte nicht einmal die Zeit darüber nachzudenken, bevor er gleich mehrere Funken auf die zornig pulsierende Aura einprasseln ließ. Zahlreiche Blitze durchzuckte die leuchtende Aura, die sich augenblicklich wie eine verwundetes Tier zurückzog. Das Leuchten wurde intensiver, das Rot nahm ab und an seien Stelle trat ein Gewirr und blau und schwarz. Gromow keuchte überrascht auf und sein Griff, um Joshs Kragen verlor an Kraft. Er öffnete erstaunt den Mund und sah verstört in Joshs weit aufgerissenen Augen. Die Adern traten an seinen Schläfen hervor und zeigten das wilde Pochens seines Herzen. Tränen liefen ihm plötzlich über die Wangen und er taumelte schwankend von Josh zurück, dessen Hände kraftlos an der Haut abglitten. Ihm war, als hätte er einen Marathon hinter sich, so schnell Pochte sein eigenes Herz. Für gewöhnlich stabilisierte die Übertragung seine eigenen Gefühle, aber dieses Mal schienen sie ebenfalls ins Chaos zu stürzen.
Dorian beobachtete die Geschehnisse mit weit aufgerissenen Augen und starrte seinen Cousin sprachlos an. Das altbekannte Gefühl des Argwohns befiel ihm und wenn er nicht bluten am Boden gelegen hätte, hätte er sich sicher von Josh zurückgezogen. Die Verwunderung ließ ihn beinahe seine Schmerzen vergessen.
Gromow wankte derweil weiter zurück bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. Cedrik erstarrte, alle Farbe wich aus seinem Gesicht und wich bleich in Richtung Treppe zurück. Der Hüne dagegen überwand sein Erstaunen am schnellsten und griff geistesgegenwärtig nach der Waffe in Gromows Händen. Josh duckte sich gerade schnell genug, um dem Schuss, der kaum eine Sekunde später durch den Raum peitschte, zu entgehen. Der Hüne richtete sich wieder auf und zielte dieses Mal genauer. Josh konnte ihn nicht erreichen, ohne getroffen zu werden und erstmals zeigte die Aura des Schlägers eine Bewegung. Ein siegessicheres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er die Waffe auf Josh richten und den Abzug drücken wollte.
Joshs Verzweiflung nahm nie gekannte Ausmaße an, zuvor hatte er noch instinktiv gehandelt, aus Sorge und Furcht. Die gleichen Emotionen übermannten ihn erneut, aber statt ihn blindlings um sich schlagen zu lassen, schaltete sich sein Verstand ein und fasste im Sekundenbruchteil der ihm blieb eine Entscheidung.
Er konnte seine eigene Aura noch immer nicht erkennen, aber als er seine Gefühle, sein Wesen und alle Kraft die er besaß durch den Raum gegen die grüne Aura des Hünen stemmte, konnte er seine Selbstsicherheit in der Magengrube spüren. Er genoss die Kraft und Zuversicht und konzentrierte sich weiter auf die dunstigen Schleier, die sich immer enger um den massigen Körper zogen. Sie verloren an Farbe und Kraft, wurden bleich und grau. Der Hüne keuchte und hustete, die Waffe glitt ihm aus den Fingern und fiel mit einem Klappern auf den grauen Betonboden. Panisch griff er sich an die Brust und öffnete den Mund. Sie hob sich immer schneller, die Augen traten hervor und Josh musste unwillkürlich auflachen, weil er an die Ähnlichkeit eines Fisches auf dem trockenen dachte. Noch immer konnte er die ehemaligen Gefühle des Muskelprotzes spüren.
„Josh“, schrie eine krächzende Stimme hinter ihm, als der Hüne auf die Knie sank und die Augen verdrehte. Langsam sackte auf dem Boden zusammen und zog wie ein Kleinkind die Knie an die Brust. „Hör auf!“ Dieses Mal riss die Stimme ihn aus seiner Konzentration und mit gerunzelter Stirn drehte er sich zu Dorian um. Die Angst und der Schmerz waren ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Langsam drangen auch die übrigen Geräusche zu Josh durch, unter anderem lauter werdende Sirenen.
Schnelle Schritte waren von draußen zu hören und ein leises Wimmern in der Ecke. Die Cousins wandten sich gleichzeitig Cedrik zu, der sich furchterfüllt an die Wand drückte. Seine Augen huschten von seinem ehemaligen Beschützer, der nun gebrochen am Boden lag, zu Gromow, der weiterhin mit leerem Gesicht in die Luft starrte. Tränen flossen über seine fahlen Wangen und seine Lippen bewegten sich in stummen Selbstgespräch.
„Bitte, bitte“, wimmerte Cedrik flehend, „Ich möchte keine Ärger, verschon mich!“ Er robbte auf den Knien ein wenig näher zu Josh. Auch seine Wangen waren von Tränen überströmt und nackte Angst lag in seinen Augen.
Josh sah sich verwirrt um, versuchte die letzten Minuten zu verstehen, doch sie erschienen ihm unendlich weit entfernt. Als hätte er sich von weit her beobachtet, oder einen Fremden. Das Gefühl, als die Aura des Hünen vor seinen Augen verblasste und ihm all diese Selbstsicherheit und Kontrolle gab … er wusste nicht, was er darüber denken sollte.
„Josh?“ fragte Dorian zögernd mit gepresster Stimme. Sein Cousin sah ihn forschend an und Josh versuchte sich an einem Lächeln.
„Mir geht es gut“, hauchte er tonlos und starrte mit weit aufgerissenen Augen zu seinem Cousin. Er runzelte die Stirn als er nun auch leise Stimmen von draußen hörte, Aufregung lag in der Luft.
„Steh auf!“; zischte er plötzlich Cedrik zu, der schwankend der Aufforderung nachkam. Er wischte sich die Tränen von den Wangen und starrte mit großen, ängstlichen Augen zu Josh.
Die Tür wurde aufgestoßen, sie musste bei Joshs Eintreten so hart gegen die Wand geschlagen sein, dass sie von ihr abgeprallt und zurück ins Schloss gefallen war. Polizisten strömten mit erhobenen Waffen die Treppe hinab und überblickten mit geübter Professionalität den Raum. Verwirrung machte sich in ihren Gesichtern breit, aber als sie Dorian entdeckten riefen sogleich nach Sanitätern. Cedrik und Josh wurden misstrauisch gemustert, aber augenblicklich an die frische Luft geführt.